Weshalb eine Hand in die Nacht führt
in Dunkelheit vom Alter erzählt, einem
weichen Strang, der pulsiert, tonlos
Fingerkuppen führt: Injektionen
von Naphtalin Gefieder still legen:
das raschelnde Herz pocht nur
unter seinesgleichen, ohne Ausgang.
*
15.11.2005 am Literaturhaus Nürnberg
15.11.2005 23:33:14
Figlio dello zolfo
E il cucco disse ai suoi piccoli
al chiarchiàro ci rivedremo tutti.
Und der Kuckuck sagte zu seinen Kindern
am hellsten Morgen sehen wir uns alle wieder.
*
Leonardo Sciascia im Gespräch mit Marta Vent.
Yoknatapawpha, 26.2.1973
10.11.2005 09:48:18
Sizilianische Eröffnung & Einladung
Mir bleibt nicht viel zu sagen.
Der Sizilianer sagt auch nicht viel.
Muss auch nicht.
Dafür schreibt er.
An der Grenze der Verwischbarkeit.
Leise.
Deutlich.
*
"Höhe Dammtor springt sie gerade noch durch die zischenden Türen der S-Bahn, und mit einem leichten Wiegeschritt steuert sie der letzten freien Sitzbank entgegen, bleibt dann aber doch stehen. Sie hat gerade einen Werbespot für Unterwäsche abgelehnt, obwohl sie die Vorstellung lustig fand. Unter dem roten Knitterlackmantel holt sie ein stark abgegriffenes Exemplar von Robert McKees "Story" heraus und liest "Ein Publikum hat keine Geduld mit einem Protagonisten, dem jede Möglichkeit fehlt, seinen Wunsch zu realisieren." Sie dreht den Kopf zur Seite, der scharfe dunkelbraune Blick verschwindet unter den hellen Strähnen, und obwohl der Waggon sehr ruckelt, bleibt sie beinahe unbeweglich und widmet sich dann wieder dem blauen Band: "Hoffnung ist schließlich nicht unvernünftig. Sie ist einfach hypothetisch." - und später: "Storys handeln nicht von Mittelmäßigkeit, sondern von den Extremen des Daseins, von Grenzerfahrungen, von intensivst gelebtem Leben. Die Beschäftigung mit durchschnittlichen Dingen dient lediglich dazu, uns zum Außergewöhnlichen zu führen." Sie rotzt in ein Stofftaschentuch, ohne aufzublicken."
(Fernando Offermann)
*
Herzlich willkommen, Fernando Offermann.
Your turn.
*
Voi sapiri qual'è lu megghiu jocu? Fà beni e parra pocu.
29.10.2005 16:37:18
Jahresring
Ein Jahr lang kroch der Hund ums Haus,
winselte. Die Tür spuckte hin und wieder
einen Fuß aus, der den Hund in den Rücken
trat. Fensterläden schlugen auf und zu,
Lichter gingen an und aus
in der Nacht. Die Kriechspur
des Hundes wurde tiefer
und tiefer. Sie wurde zum Graben
in dem der Hund sich verschanzte.
Die Kindheit des Hundes war gut,
er lebte in einer Hütte vor der Tür.
Damals kam die Hand heraus
und streichelte seinen Kopf.
Dann sollte der Hund an die Kette.
Er wollte nicht. Er begann zu winseln.
Der Fuß kam zum ersten Mal,
dann immer öfter
und die Hand verschwand.
Ein Jahr lang kroch der Hund ums Haus,
bis er im Graben versank und der Fuß
in diesen Abgrund nicht mehr reichte.
Der Hund zog die Spur so tief, dass das Haus
auf einem Turm aus Erde stand
der zu bröckeln begann.
Hand und Fuß rissen Fenster und Tür auf,
aber es war nicht mehr möglich
den Sturz der Mauern zu verhindern.
Hand und Fuß wollten eine Brücke bauen,
zu spät. Der Hund grub eine Höhle
in die Wand der Tiefe. Eines Nachts
stürzte der Turm ein,
mit Hand und Fuß, die schrien.
Der Hund kauerte in seiner Höhle.
Kein Winseln mehr, kein Kriechen,
nur Warten darauf, dass ein Mensch käme,
ihm herauszuhelfen.
15.10.2005 20:19:12
Nano
Verdichtung
singuläre Form von
Molekülen Verbindungen
fest, berührbar
berührend
und wie ein Körper aus Wind
der sich an genau dieses
Blatt schmiegt
13.10.2005 10:12:01
Die Baustelle als Vergangenheitsbewältigung:
(Fürth, 2004)
my former bathroom
the kitchen
*
Was abgerissen wird. Für Sylvia.
07.10.2005 10:53:43
Memoria
IV
dass nur mein Wunsch
mir einen Traum gab
Es ist ruhig, Blätter
die vom Baum segeln
drehen Spiralen.
Gläsernes Bild: flüssiger
Apfel, warmer Kern
in der Schale.
06.10.2005 10:42:27
Memoria
III
Es ist dunkel heute Morgen, dunkler als die Nacht
in ihrem schwärzesten Schatten. Im Schlaf noch
habe ich gespürt, dass nur mein Wunsch mir einen
Traum gab, in dem es hell war, freundlich. Im
Innersten zu wissen, dass es kein gutes Zeichen gibt,
das von außen sagt: warte noch, hab Geduld.
Als trüge ich eine Schuld, von der nur andere wüssten,
ich aber nicht. Gestern wieder sah ich eine der letzten
Vogelwolken, die aus der Entfernung wie ein Schwarm
Eintagsfliegen über den Dächern hing, als wäre dies
ein Sommerabend, der schönste in ihrem Leben. Kurz
darauf war sie vom Himmel verschwunden. Die,
die bleiben, verstecken sich in Gebüschen, sitzen
reglos in den Zweigen eines Apfelbaums, der die
Blätter verliert. Selten sieht man Fenster offen stehen.
Mag sein, es ist die Jahreszeit, die alles düster macht
und Gedichte durchwirkt. Es wäre gut, darüber
eine Gewissheit zu haben. Ist ein Freund plötzlich
verstorben, tröstet es, sein Grab besuchen zu können.
Nur den flüchtenden Vögeln lässt man die Wahl, wo
auch immer in den nächsten Himmel zu fliegen.
05.10.2005 10:48:43
zu dumm, sich nicht auf riten verständigt zu haben.
*
dein herz schätzt man nicht danach ein, wie du liebst, sondern wie du geliebt wirst von anderen, wurde dem ohne herz gesagt.
24.09.2005 19:06:30
Memoria
I
"Der wartende Schneckenmund", so hieß
das Bild, das über meinem Kinderbett
hing und das ich umtaufte in "Tante Gina".
So entging ich immer wieder den Betrübnissen,
die meine Erbkrankheit mit sich brachte. Wir
hatten kein Holzbein in der Familie, auch keine
Augenbinde. Dafür Zimmer: ohne Ende, Teppiche
mit verschämten Flecken. Berührungen, ich weiß
noch den Tag und die Stunde, die mich das Wort
buchstabieren ließen. "Es geht nicht", * sagte mein
Onkel, als Tante ihm den Weltempfänger schenkte.
Darauf der Engel: Liebe! auf Erden, liebe deinen
Nächsten, deinen Nächsten, deinen Nächsten
wie dich selbst. Spruchband, hing unter dem Bild.
*
Bewunderter Türstock ohne Tür, der
das Gehen erleichtert, das Hindurch
Schreiten, Seitenwechsel, von nichts
zu nichts, nichts anderes geht verloren.
16.09.2005 20:55:56
Die Notizen des Sommers in der Schachtel gesichtet: Zettel, Kies, ein Stück Korken, der Flügel eines Nachtfalters, eine Schachtel Zündhölzer mit dem Bild eines Königs. Bilder... ein Bild, das mich nicht mehr loslässt: das der alten Frau, die sich abmüht, mit der Stopfnadel ein Stück Garn zu fassen, den Strickstrumpf über die Holzkugel gespannt, das faltige Gesicht verzerrt und die Augen zusammengekniffen zu schmalen Sehschlitzen in der Anstrengung des Sehens und Erkennens, als müsste sie den Mantel der Welt flicken.
09.09.2005 22:48:05
Obstfliegen über der Schale
Wär so ein schöner Sommertag, mit auffliegenden
Admiralen aus den Schmetterlingsbüschen in Nachbars
Garten, während Flüssigkeiten an Mülltonnenrändern
eindicken zu harzigen Tropfen, wie Sirup an der Luft,
klebrig und zäh. Ich möchte sofort... aber ich kann nicht.
Muss weiterhin mit schweren Lidern aus dem Fenster
sehen und Fliegen totschlagen. Der Wind weht den
süßlichen Zersetzungsgestank organischen Abfalls
irgendwohin. Die Presslufthammerbataillone der
Stadtwerke rücken näher. Genau: das Geläute
der Klangstäbe? Sonst bei jedem Hauch so
chinesisch, als säße man in einer Pagode
und läse Lao Tse, während ein flinkfüßiger
Diener daran dächte, das Plätschern der
Zeit mit feinem Pinsel zu kalligraphieren.
Für Balduin Winter
*
Sylvia, wie schön, wieder von Dir zu lesen!
Die rhetorische Frage des Monats:
Und, wie war dein Sommer?
(Sag jetzt nichts, Baby)
22.08.2005 20:25:09
Wir sind verabredet, Café Kroll, Ecke Kvickmarket, direkt an der Mole. Es regnet, feinster Spruehregen, Nebelregen, dustrain, fruehlingshaft und penetrant. Nach zwei Minuten bin ich eingenaesst, von Kopf bis Fuss, mit dekorativem Schirmchen auf der Landstrasse unterwegs. Ein Radfahrer im T-Shirt ueberholt mich, er pfeift das Forellenquintett. Ich folge dem Strandvej, der mitten in die Stadt fuehrt, es ist 8.30 Uhr und menschenleer. Es stuermt um die Ecken, ich halte mich streng gegen den Wind, der vom Meer kommt. Lande am Havnepladsen, dem sich schon Jessens Mole anschliesst. Auch hier: oede Leere, Gischt sprueht ueber die Befestigung und mischt dem Nebelregen etwas Salz bei. Am anderen Ende der Mole Tische unter einer Markise, kaum sichtbar; davor lampenaehnliche Gestelle auf mannshohen Metallstaendern, in deren kochtopfartige Aufsaetze Loecher hineingebohrt sind; darin glimmt Feuer. Ich schiebe mich, vom Wind angeschraegt, in Richtung Befestigung. Keine Spur von Torben. Ich bin der einzige Gast.
Die Lampenstaender werden an ihren Fuessen von Sandsaecken gehalten; als ich mich hindurchschiebe, durchschreite ich eine Hitzewand: In den Kochtoepfen faucht es, Gasgeruch liegt in der Luft. Auf die Stuehle geworfen: dunkle schwere Stoffdecken. Ich suche mir einen Stuhl direkt an der Mauer und zerre das sisalartige Gewebe herunter, es faellt auf den Boden, ein paar Schritte vor mir klatschen Wellen an den steinernen Rand.
Ich sitze. Schaue. Weiter draussen auf dem Wasser ein Segelboot, linker Hand schlingern weitere Boote, die an Pfaehlen befestigt sind.
Eine Frau naehert sich, zerrt einen winzigen Hund mit uebergrossen Fledermausohren an der Leine hinter sich her, bleibt stehen, wuehlt in ihrer Tasche, zieht ein Handy heraus, tippt darauf und faengt an zu sprechen. Ich verstehe kein Wort, weicher Singsang, dazwischen klimperndes Lachen, der wieselgrosse Hund taenzelt um sie, huepft mehrfach ueber und um die Leine herum, macht Maennchen, verheddert sich in der Schnur, wird hysterisch, faengt an zu klaeffen und zu winseln. Die Frau dreht sich um und schaut aufs Meer. Das Segelboot treibt naeher heran, ein Mann steht reglos am Mast, Lachen und Singsang werden lauter.
Ein scharfer Windstoss schlaegt in die Markise, die Gastoepfe wackeln und fauchen, Sturm zerrt, das Winseln verstummt, ich sehe den Hund horizontal in der Luft liegen, die Ohren bedecken seine Augen, er flattert im Windschatten der Frau, ueberlaesst seine Pfoten der Stroemung.
Neben mir ein Raeuspern: Long John Silver steht vor dem Tisch und zueckt einen Stift, den er auf den Zettel in seiner Hand presst. Er oeffnet den Mund, ein Stueck Schnur von der Markise weht zwischen seine Zaehne, er schliesst den Mund.
Kaffee? Silver nickt, kritzelt auf den Papierschnipsel, spuckt die Schnur aus und humpelt davon.
Die Frau beendet das Telefonat, holt den Hund ein, stopft ihn samt Handy in die Tasche und geht weiter. Das Segelboot gleitet zwischen die Pfaehle, der Mann ist nicht mehr zu sehen.
Auf dem Tisch ein Aschenbecher, ich reibe daran, Silver knallt eine Tasse Kaffee auf die Platte, etwas Fluessigkeit schwappt ueber, wird aber sofort durch herangewehte Gischt ersetzt, ich buecke mich, hole das Sisalgewebe hoch und drapiere es um mich. Silver nickt, verschwindet.
Ich sitze. Schaue.
Torben?
short cuts
12.08.2005 15:05:26
Die Untiefen und
die Untiere
gibts ja gar nicht.
*
(merci anh)
10.08.2005 14:21:15
Ich begehe einen Fehler
indem ich mich verzehre.
Es bleibt nicht viel:
nur das Paar Zaehne
das zuletzt von der Zunge
begraben wird.
*
Wir haben hier Enten, lieber Mirko, die in Salzwasser tauchen, und Quallen, mit weissen, gallertartigen Ringen in ihren durchsichtigen Schirmen, mit denen sie Schleier hinter sich herziehen. Mangels technischer Ausruestung haben wir beschlossen, mit den Enten zu fliegen und mittels Quallenfallschirm abzuspringen. Du musst uns nur noch die Koordinaten durchgeben. Bis dahin ... best, C.
06.08.2005 18:52:26
madeleine schlaeft
im gestruepp hat sich ein faden verheddert
zurrt zweige zusammen, der wind blaest und
verfaengt sich: madeleine schlaeft, miaut
knurrt und dreht sich: feder im dickicht
blitzt weiss, das weisse gebiss eines tiers
einer schlaf schlange die rollt sich und sagt
ihren namen: madeleine schlaeft, s-s-s-su sue
bringt einen kater, der faucht ins gestruepp
krallt und reisst sich ein ohr ein der struppige
kugelt hinein doch madeleine schlaeft den schlaf
tiefen tauchgang im aug sinkt sie weiter mit s-s-s
s-s-s-su sucht den hahn mit den klopfenden tropfen
der felltrommler lockt sich den kater der spaeter
zerreisst aufgespannt doch madeleine schlaeft und
atmet sich durch im kopfloch zuengelt s-s-s-s-su
in bed with sarah shun-lien bynum
*
und natuerlich geschmettertes hæppy børthday & best fuer Hendrik
nebst herzlichen gruessen, an ålle
03.08.2005 23:10:15
"Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen,
5 Teile Kreide – und Du erhältst Glas."
Ältestes überliefertes Glasrezept aus der Tontafelbibliothek
des assyrischen Königs Assurbanipal (7. Jh. v. Chr.)