ein bild

Notizen


Saint-Exupéry: "Der kleine Prinz", Definition von „vergänglich“: „von baldigem Verschwinden bedroht“.
*
Chateaubriand, „Mémoires d’outre-tombe“: „Les moments de crise produisent un redoublement de vie chez les hommes.“
„Augenblicke der Krise führen zu einer Verlebendigung bei den Menschen.“
*
„Liebesbiographie.“
*
„Man sagt,
die Hälfte des Lebens findet im Konjunktiv statt. Was
bleibt, wenn die andere Hälfte Erinnerung ist?“
Jürgen Becker
*
„Gott hilft denen nicht, die ebenfalls unsichtbar sind.“
Richard Ford
*
Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern verging.
*
Alles war wunderbar.
*
Wie ein Flüstern im Wind
Wie der Tag, der gestern verging
Verschwunden wie die Nacht
Das Werkzeug der Torheit
Der unbesiegbare Sommer
Regen auf der Vega
Das Ende aller Verbannung
Bauplan vom Verschwinden

Zu "Wie wir verschwinden"

*


23.06.2008 18:29:22 

Der Strand bei Braunschweig


Efeu, Efeu! Was wenn das Meer
zurückkehrt nach Braunschweig?
Nie hört die Liebe auf, doch was
finge man an am Magnifriedhof,
am Strand von Braunschweig?
Meinem Großvater lief am Grab
von Lessing eine junge Katze zu,
weshalb er sie Gotthold nannte.
Feuer, grüne Flammen blitzten
in ihren Augen, so wach sie war,
sie schien zu träumen, dass nie
das Nie-Gras und das Nie-Meer
aufhörten, Efeu nie, Feuer nie.
Und als sie schlief, trug er sie
zu Wilhelm Raabes Wohnhaus
am Strand von Braunschweig.
Er war hier ein Eiswagenfahrer
wie Hunderte nach dem Krieg,
seine Tochter ging in die Lehre,
meine Mutter ging schwimmen
am Strand von Braunschweig.
Bis 62 fuhr er sein Efeueis aus
in Badehose, grün gemustert
mit Fischen und mit Flammen.

*


12.06.2008 17:35:07 

Erinnerung an Peter Rühmkorf


Viel von ihm gelesen hatte ich nicht. Ich wusste, er wohnt an der Elbe, dort dichtet er, stellte ich mir vor, mit Blick aufs Wasser. Was konnte dabei herauskommen? "Es rauschen die Schachtelhalme, / Verdächtig leuchtet das Meer, / Da schwimmt mit Tränen im Auge / Ein Ichthyosaurus daher". Wir hatten etwas wie einen Freund, der sich über seinen Nachbarn Peter Rühmkorf lustig machte, seine linke Art, diese Renitenz, diese lachhafte Einwilligungsverweigerung vor dem Blankeneser Geldgelichter. Rühmkorf tauchte nie bei ihm auf, das ärgerte den Pompösling am meisten.
Was ich zu allererst an ihm mochte: Dass Wolfgang Borchert in seinen Gedichten weiterklingt.
Er war kein Flughafenpfau. Sah man ihn in Fuhlsbüttel im Terminal sitzen, schritt da keiner auf und ab und hin und rüber ins Licht als Sky Degen Schöneberger Du Mont. Rühmkorf saß da und las Zeitung, Brille auf der Nasenspitze, Lächeln auf den Lippen, und ich bewunderte sein langes Haar, das flügelgleich aussah und mir eher silbern als grau erschien.
Schon 1986 war ich ein hoffnungsloser Schwärmer. Ich schrieb zwei Gedichte, "Mein Herz geht kalt in kalt in kalte Welt" und ein anderes, die mir einen Ausweg aufzuzeigen versprachen – Schwindler wie alle Gedichte –, mich in Wirklichkeit aber irritierten, ohne dass ich hätte sagen können, weshalb.
Ich schickte sie Peter Rühmkorf, starb ein paar Tage lang und bekam kurz darauf einen kurzen Brief, meinen ersten von einem großen Dichter, getippt mit rascher Hand, in warmen strengen Worten.


Lied der Benn-Epigonen

Die schönsten Verse der Menschen
– nun finden Sie schon einen Reim! –
sind die Gottfried Bennschen:
Hirn, lernäischer Leim –
Selbst in der Sowjetzone
Rosen, Rinde und Stamm.
Gleite, Epigone,
ins süße Benn-Engramm.

Wenn es einst der Sänger
mit dem Cro-Magnon trieb,
heute ist er Verdränger
mittels Lustprinzip.
Wieder in Schattenreichen
den Moiren unter den Rock;
nicht mehr mit Rattenscheichen
zum völkischen Doppelbock.

Tränen und Flieder-Möven –
Die Muschel zu, das Tor!
Schwer aus dem Achtersteven
spielt sich die Tiefe vor.
Philosophia per anum,
in die Reseden zum Schluß –:
So gefällt dein Arcanum
Restauratoribus.

*

10.06.2008 10:43:17 

Sister


What the water wants is hurricanes,
and sailboats to ride on its back.
What the water wants is sun kiss,
and land to run into and back.
I have a fish stone burning my elbow,
reminding me to know that I'm glad
that I have a bottle filled with my old teeth.
They fell out like a tear in the bag.
And I have a sister somewhere in Detroit
She has black hair and small hands.
And I have a kettledrum
I'll hit the earth with you.
And I will crochet you a hat.
And I have a red kite;
I'll put you right in it.
I'll show you the sky




Sufjan Stevens, "Sister", Town Hall, New York City, 29. Sept. 2006

Für J.

*

03.06.2008 10:45:23 

Kleine Wanze


Schäuble: Na, Herr Obermann, da sind wir aber etwas weit gegangen.
Obermann: Finden Sie.
Schäuble: Find ich, ja. Im Prinzip gut, modus operandi miserabel.
Obermann: Tja.
Schäuble: Tja, tja! Wie würde das denn wohl die Frau Maischberger finden?
Obermann raschelt: Sie meinen … die Frau Illner?
Schäuble: Im Prinzip, wie gesagt. Aber was hab ich jetzt da an der Backe.
Obermann: An der Backe.
Schäuble quietscht: Zum Schreien.
Obermann: Schreien, Herr Minister?
Schäuble: Schreien Sie mal, ja.
Obermann schreit.

*


02.06.2008 15:18:17 

Notizen


Hammett: Die Lüge der Frauen, Der dünne Mann, S. 156
*
„Er verschwand einfach, wie eine Faust, wenn man die Hand aufmacht.“ Hammett
*
„Ich kenne einen, der hat mal ein Riesenrad gestohlen.“ Hammett
*
In der Künstlerkolonie von Grez-sur-Loing südlich von Fontainebleau lernten sich 1876 Robert Louis Stevenson und Fanny Osbourne kennen.
*
„Militat omnis amans.“
„Jeder Liebende leistet Kriegsdienst.“
Ovid
*
imaginación razonada (Jorge Luis Borges) – vernunftgespeiste Vorstellungskraft
*
Mittelalterliche Katapulte schleuderten Pesttote und -kadaver
*
„He fotoshopped me out of his life.“
Ellen Barkin
*
Sollte sie ihre Heiratsurkunde auf dem Postweg zu ihrem Scheidungsanwalt schicken oder sie doch besser, damit sie nicht verlorenging, selber dort vorbeibringen? Die Urkunde, hätte er am Telefon gern zu ihr gesagt, sei das bedruckte Papier nicht mehr wert, genauso gut könne sie die Einpackfolie eines eben aufgefutterten Schokoriegels mit dem Taxi zur Mülldeponie fahren, aber was er dann wirklich zu ihr sagte, war, dass sie der Post vertrauen könne.
*
„Fühlst du meine Tränen glühen? Da ist meiner Liebsten Haus.“ Schubert / Müller, Winterreise

Zu "Wie wir verschwinden"

*


23.05.2008 21:26:53 

La pluie


Vincent van Gogh malte im letzten Monat seines Lebens, im nicht sonderlich heißen Juli 1890, beinahe täglich ein Bild. Nach seiner Entlassung aus der Heilanstalt von Saint-Rémy bei Arles war er im Mai in die Nähe von Paris gezogen, wo sein Bruder Theo lebte. In Auvers-sur-Oise mietete er sich ein Gasthofzimmer. In Paul Gachet, einem Arzt und passionierten Maler, fand er einen Gefährten. Anderthalb Jahre war es her, dass er mit einem Rasiermesser Gauguin attackiert, sich selbst ein Stück eines Ohrs abgeschnitten und die grausige Trophäe einem Bordell zum Geschenk gemacht hatte. In Auvers lebte er auf. Dr. Gachet begleitete ihn auf die Felder, in den Wald und an die Ufer der Oise, wo er skizzierte und malte, Heuschober, Kühe, Bauern, Boote, Weinberge, Pferdewagen, Mohnblumen, Weizen, Gärten, das Schloss und die Kinder von Dr. Gachet. Von innerem Brausen ergriffen, scheint die Kirche von Auvers, wie er sie malte, aus allen Fugen zu bersten. Am 6. Juli hatte er Theo besucht, der ihn vor einer dramatischen Verschlechterung ihrer finanziellen Lage warnte. Tief getroffen und verzweifelt darüber, Theo zur Last zu fallen, kehrte van Gogh nach Auvers zurück. Drei Wochen darauf geht er mit Staffelei und Palette in ein Getreidefeld. Mit einem Smith & Wesson-Revolver / Modell Schofield, Kaliber .45, schießt er sich dort in die Brust, schleppt sich noch in sein Zimmer zurück, stirbt aber zwei Tage später im Beisein seines Bruders.
Van Gogh malte 873 Bilder. Unter den letzten ist eines, das in einem Getreidefeld entstanden oder wenigstens entworfen worden sein muss. Ob es sich dabei um das Feld handelt, in dem er versuchte, sich das Leben zu nehmen, lässt sich nicht sagen. "In Wirklichkeit strebe ich danach, grauer zu malen", hatte er in Saint-Rémy geschrieben, als seine Malerei den Höhepunkt einer Farbdramatik erreichte, die alles in eine kreisende, flammende Mitleidenschaft zieht, und man ihn mied als den "Verrückten mit den roten Haaren", "rot wie eine Karotte". Den Bildern aus der Zeit in Auvers haftet eine ganz andere Unruhe an. Sie wirken zurückgenommen, gedämpft. Wie in einem Sommer mit allzu großer Hitze ist das Flammende einem Flimmern gewichen, und diese glastartige Patina ist es, was allen letzten Gemälden van Goghs einen Zug von Wehmut und Wissen um den Abschied verleiht.
Sie sind nicht grau, nur tatsächlich grauer. Sie zeugen von Lebendigkeit und Liebe, und doch liegt über ihnen ein beständiger, nicht zu vertreibender grauer Hauch. Am deutlichsten sieht man ihn auf dem Bild "Der Regen", das von einer so seltsamen Stille durchzogen ist, von einer so unfassbaren Erstarrung des Augenblicks, dass es zumindest denkbar erscheint, auf der Leinwand das Getreidefeld festgehalten zu sehen, in das Vincent van Gogh wenige Tage nach Malen des Bildes zurückkehrte, um seinem Leben ein Ende zu setzen.
"Der Regen" zeigt den Ausblick auf den in einer weiten Talsenke liegenden, von sommerlich gelben Getreidefeldern und schlanken grünblauen Pappeln umgebenen Ort. Auvers, seine Kirche, seine Häuser und Gärten, zieht sich blau, grün, türkis in der Mitte vom einen zum anderen Bildrand. Das Dorf wirkt wie ein Fluss, an dessen Ufern die Pappeln und eine Handvoll hellblauer Häuser stehen, ein Fluss, der über die Ufer getreten und lautlos sich dahinzuwälzen scheint durch die Ebene. Von der Oise hingegen ist in all dem Blau nichts zu sehen, ebenso wenig wie von einem Dorfbewohner, einem Bauern, einem Spaziergänger. Da ist rein niemand. Zwei Felder liegen links und rechts. Gelb, orange, hellgrün, durchzogen von dunkleren Tüpfeln und Schlieren in Blau und Grün, senkt die Flur sich zu der Siedlung hinab und wird dabei durchschnitten vom hellen Streifen eines Getreidefelds, das so gerade wie eine Straße auf drei Häuser im Schatten der Pappelreihe zuläuft.
Van Gogh hat diese Landschaftsstudie durch zwei simple Elemente zugleich zergliedert und von innen heraus gesprengt. Vertikal zerschneiden etwa 50 graublaue Linien das Bild. Sie stellen die Fäden des Regens dar, der auf Felder, Bäume und Dorf prasselt. Das Auge empfindet den gitterartigen Vorhang auf zweierlei Weise als irritierend. Das Rauschen des Regens nämlich ist so spürbar, wie es erstarrt ist. Zugleich aber fordert die Segmentierung durch Linien den Betrachter auf, jeden Abschnitt als eigenes Bild und alle Bilder in einer Abfolge begriffen zu sehen, Hügel, Dächer, Kirchturm, Baumreihen, alles und allem voran das Auge gerät in Bewegung, in eine filmstreifenartige Bewegung an einem verregneten Julitag des Jahres 1890.
In der Bildmitte schwarze Flecken. Dort flattern Krähen auf. Sie fliegen durch den Regen über den hellen straßengeraden Streifen Getreide, einige weiter voraus segeln schon hinab nach Auvers. Die Vögel sind die aufgescheuchte ruhelose Mitte, die zerrissene Seele des Bildes und seine einzig freien Geschöpfe. Das Auge sucht sie immer wieder, fliegt mit ihnen hinab durch den Regen und versucht auszumachen, wie viele es sind. Deutlich erkennbar sind fünf. Zählt man alle schwarzen Flecken, kommt man auf zwölf. Jede Krähe steht somit für eine Stunde: So verfliegt die Zeit.

Aufgegebenes Kapitel aus "Wie wir verschwinden"

*



16.05.2008 12:47:25 

Beat Stories


tb

Mirko Bonné – Genesis
Rainer Moritz – Lobo
Oliver Platz – Tim Buckley
Arne Rautenberg – Sly & The Family Stone

Thomas Kraft moderiert und legt Musik auf

Literaturhaus Hamburg
8. Mai, 20.00 Uhr

*

07.05.2008 13:44:22 

Moeder en zoon




*

Mutter und Sohn

Es ist ein Weiher irgendwo, schreibt Ovid,
der einmal eine Mutter gewesen ist
„sie schmolz dahin in Tränen“, trauernd
um ihren totgeglaubten Sohn

aber er lebte noch – er hatte den Tod gesucht
indem er von einem Felsen sprang, aber er fiel nicht,
in den Worten von Ovid: „schwebend ward er
in der Luft ein Schwan mit weißen Federn“.

Derlei geschah einst – zuweilen war
die Wirklichkeit so unerträglich
dass etwas geschah, was nicht sein konnte.

Das ist alles, was wir wissen: Mutter und Sohn
vereint – du siehst in Gedanken, wie ein weißer Schwan
gewiegt wird von einem Weiher, und du fragst:
Kennt wohl der Vogel die Trauer des Wassers
und weiß wohl das Wasser, wen es wiegt.

Rutger Kopland

05.05.2008 10:26:12 

Ein vernichtender Frühling


Sie bemitleiden mich, weil ich einen Blinden heirate,
dabei habe ich doch ein kleines ovales Gesicht.
Wir nehmen die Kutsche mit den üblichen Mitreisenden.
Die Schweiz, das Wasser ist also sehr sauber.

Nie reden wir von seiner Krankheit, nur seinen neuen Hoffnungen.
Das Haus ist groß und wunderschön.
Gefällte Bäume laden zum Erinnern ein, unendlich sanft, nie gefühlt.
Stell dir mich mit seltsamen Dienstboten vor.

Ich benehme mich engelgleich, wenn er im Garten stolpert.
Das Sommerhaus steht in Flammen.
Siehst du ein, wie es ist, wie gebunden ich hier bin?
Ich bin absolut sicher, der entscheidende Schlag ist ausgeteilt.

Emma Lew

*

29.04.2008 10:22:43 

Das erfundene Kolumbien


Heute dann rief ich bei "Kultur & Medien" des Hamburger Abendblatts an und verstrickte mich sogar noch länger als gestern telefonisch mit München in eine Diskussion mit einem argumenteverhagelten Redakteur, dem ich Fragen stellte zum Fall des im "Zitat des Tages" vorgestellten Reiseführerautors Thomas Kohnstamm. Thomas Kohnstamm heiße zwar zufällig mit Vornamen genauso wie ein Luchs, mit dem ich in Kontakt stünde (oder doch zumindest beinahe), doch sei nicht das der Grund meines Anrufs.
"Sondern?"
Thomas Kohnstamm habe ja, sagte ich, dem Abendblatt zufolge einen "Lonely Planet"-Reiseführer über Kolumbien geschrieben, obwohl er nie im Leben in Kolumbien war. "Ich darf Ihre Zitatbox zitieren", sagte ich ins Telefon zu dem einsilbigen Menschen, "Nur zu", sagte er, und ich: "'Sie haben mir nicht genug bezahlt, um nach Kolumbien zu fahren. Ich habe das Buch in San Francisco geschrieben. Die Informationen besorgte ich mir von einer Puppe' –" – "Einer was?", fragte er, "– 'einer Puppe'", las ich vor, "'mit der ich gerade ging – einer Praktikantin im kolumbianischen Konsulat.' Kennen Sie Thomas Kohnstamm?"
Er verneinte.
"Kennen Sie Kolumbien?"
Er sagte nochmals nein, und ich, dass ich Thomas Kohnstamm gern fragen würde, ob er davon ausgehe, dass es Kolumbien wirklich gebe.
Es folgte der längste Satz des Redakteurs: Kolumbien, da könne ich beruhigt sein, gebe es.
Oder, sagte ich, ob er den Reiseführer für ein erfundenes Kolumbien geschrieben habe.

*


16.04.2008 14:02:12 

Der Luchs in seinem Mauerluxus


Als ich in der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung las, der Nationalpark Bayerischer Wald habe seine mehr oder minder frei dort lebenden Luchse nun mit GPS-Sendern und SMS-tauglichen Handys ausgerüstet – endlich! –, da rief ich sofort in der Redaktion der Seite "Wissen" an und sprach 20 Minuten lang mit einer Frau mit fränkischem Akzent. Schließlich aber gab sie mir die Nummer eines Luchses (Luchs "Thomas", Mobilfunknummer 0176 / 51 28 97 95), woraufhin ich mich bedankte und die Redakteurin fragte, ob sie wisse, dass Thomas Bernhard, ein Namensvetter des Luchses, einmal etwas Merkwürdiges auch über Luchse gesagt habe, und sie sagte Nein, und ich sagte Doch, denn würde ich mich recht erinnern, so habe Bernhard, welcher Bernhard?, fragte sie, Thomas Bernhard, sagte ich, habe Thomas Bernhard auf einer Liege in seinem Garten gelegen, als man ihn interviewte und er gesagt habe, wie ein Luchs in seinem Mauerluxus komme er sich vor.
"Wie ein Luchs in seinem Mauerluxus", wiederholte die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, das sei aber eine anspielungsreiche Äußerung.
Ich habe dann wenig später dem Luchs eine SMS geschrieben, bisher aber weder von "Thomas" noch einem seiner Pfleger oder Opfer eine Antwort erhalten.

*

16.04.2008 11:25:43 

1909


Er wird jetzt fliegen, nichts ist natürlicher.
Franz Kafka


Vor Gewittertrümmern eines Hangars
raucht die Königin,
zwölf Silberschnallen auf dem Rücken.

Autobusse schaukeln querfeldein
zum Luftschiff über den Melissenbüschen,
bei den Buden parken die Propellerwagen,

und ein erster Doppeldecker rollt
ins Licht, ein safrangelber Spinner.
Toscanini,

der Maestro, er will helfen,
den Aeroplan auf die Brughiera schieben,
aber niemand lässt ihn.

Curtiss fliegt zwei Kilometer weit in Strauchwerkhöhe,
in den Berberitzen singt ein Zilpzalp
und Puccini lacht und lacht.

Könige von Prag
in der letzten Dampftram,
Motten, ganze Schwärme überm Gardasee.

Tage, Täler, Böhmen,
Böhmen ist aus Luft,
knatternd kommt der Morgen aus den Wolken.

Für Christine Marendon




10.04.2008 11:09:21 

Botschaft


Ich bin über dreißig
und habe ein Alter erreicht,
das Umsicht verdient.

Ich höre nicht
Lieder einer friedvollen Ära,
denn ich will leben, verstanden?
Ich will mich umsehen.

Esse ich Melonen,
stelle ich mir die Athleten von heute vor,
aufgeschnitten wie Melonen.
Ich möchte etwas sehen für mein Geld.

Der Vorspann beginnt, und ich brülle.
Die Sintflut bricht los, und ich höre Flöten.
Ich kann hier nicht leben,
diese Leute sind Kitsch.

Ich habe einen Wagen und den schieb ich.
Warum zur See fahren,
wo keiner mich bewundern kann?

Emma Lew

*

23.03.2008 10:47:12 


Schwarzes Pferd, weißes Pferd, eine einzige Menschenhand zügelt das Wüten beider. Wie heiter die Fahrt mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Wahrheit lügt, Offenheit verhehlt. Verbirg dich im Licht.
Albert Camus

Ü.: Juliette Aubert

*

17.03.2008 22:13:54 

My Contribution to Urban Blues



Prefab Sprout, "Cruel", München, Alabamahalle, 2. Dezember 1985

*

12.03.2008 11:11:11 

Die Hülsenbeckschen Züge


Words are trains for moving past what really has no name.
Prefab Sprout


Wir pafften im Geratter vorm Garagenanbau,
und Großonkel ging in den bebenden Garten.

Auf ein Rohr vor das Gewächshaus gepflanzt,
ein Frisörstyroporkopf, um die Kids zu verjagen.

Tante spielte, Akkordeon für alle! Zug um Zug
preschte durch die schaurigschönen Melodien.

Und sie riefen: Eiben, Fichten, Eschen, Thujen.
Unsere schöne wilde Rose und die Berberitze.

Allen Baumbestand und Büsche weggeschlagen
für Drainagen unter unserem neuen Bahndamm.

10.03.2008 22:56:11 

Wie Schotten trommeln



The Twilight Sad, "Talking With Fireworks / Here, It Never Snowed",
Biliken Club, St. Louis, Missouri, 5. Oktober 2007. Für Sylvia und Arne

*

03.03.2008 16:51:28 

Berchtesgaden


Sie erzählt eine seltsame Geschichte von Hitlers astrologischer Ader
Sie sah Goebbels mit einem roten Striemen im Gesicht
Sie sagt Heß sei heroinsüchtig
und sagt von Himmler: Der leidet noch immer an den Folgen einer
Geschlechtskrankheit die er sich zugezogen hat als er gerademal
ein zwanzigjähriger Spund war

Der rüde Göring reißt immerzu Witze
Entgegen Volkes Meinung ist der Führer ein Spätaufsteher
Das Mittagessen ist seine Lieblingsmahlzeit und beginnt mit Gemüsesuppe
Er hat eine Leidenschaft für Forelle serviert mit Buttersoße
Für gewöhnlich reicht man Süßkartoffeln zu Fisch
Manchmal sieht man einen Adler am blauen Himmel kreisen
Vor dem Abendbrot versammeln sich die Gäste auf dem Balkon
Radio München spielt für sie Die lustige Witwe
Rundum glattes Steingut funkelt in der großen Halle
Des Führers Taschen sind stets voll Schokolade

Emma Lew

*

03.03.2008 10:22:30 

Nach Bobrowski


Wollte ich Wirkliches nicht –
in meinem Fall die Brücke,
abends schwarzes Wasser,
d.h. Kanal, d.h. Redaktion,
nicht den Grammatikflug,
Büro, den breiten Kopf
in Händen vorm Schirm,

tagweißes Geflimmer –
wie, bitte, wollt ich im kühleren
Freien zu den Freunden ein einziges
Wort sagen, wie
Namen und Zahlen
ohne Zweifel und wie gute Nacht?
Ich hab die Schulden beglichen,
Fabeln und Schnitzer mir geleistet,
im Kinderprogramm Schatten, da erst
Erinnerung vergesslich macht.
So muss ich jetzt trauen –
nichts soll mich führen –
dunklem, in die Sinne
gebundnem Beginn.

*

28.02.2008 13:48:33 

   1 2 3 4 5   
counterreferrer