ein bild

Nicht lang gefackelt


Kürzlich, als ich Albert II. besuchte, um dem Fürsten, der ein bekennender Polarliebhaber ist, aus dem "Eiskalten Himmel" vorzulesen, stellte mir der dritte Diener, der mich letztendlich zu ihm führte, den Landesherrn mit dessen vollständigem Titel vor: "Es freut sich", sagte der Lakai, "Sie in Monaco begrüßen zu dürfen, der Fürst, der Duc de Valentinois, Marquis des Baux, Comte de Carladès, Baron du Buis, Seigneur de Saint-Remy, Sire de Matignon, Comte de Torigni, Baron de Saint-Lô, de la Luthumière et de Hambye, Duc d'Estouteville, de Mazarin et de Mayenne, Prince de Château-Porcien, Comte de Ferrette, de Belfort, de Thann et de Rosemont, Baron d'Altkirch, Seigneur d'Isenheim, Marquis de Chilly, Comte de Longjumeau, Baron de Massy, Marquis de Guiscard."
Ich gab dem Fürsten die Hand. Wie viele Gestalten, dachte ich dabei, er in sich vereint, so wie ich! – nur dass die meinen keine unterschiedlichen Namen tragen, sondern allesamt gleich heißen.
"Mirko Bonné", sagte ich, "guten Tag, Exzellenz."
"Albert", sagte Fürst Albert, "nennen Sie mich Albert, und nehmen Sie bitte Platz."

*

27.02.2008 12:35:35 


„Marie-Antoinette, en souriant, dessina si bien la forme de sa bouche, que le souvenir de ce sourire (chose effroyable!) me fit reconnaître la mâchoire de la fille des rois, quand on découvrit la tête de l'infortunée, dans les exhumations de 1815.“

„Marie-Antoinette lächelte, wobei die Form ihres Mundes so deutlich hervortrat, dass mich die Erinnerung an dieses Lächeln (entsetzliche Sache!) den Kiefer der Tochter von Königen wiedererkennen ließ, als man bei den Exhumierungen von 1815 den Schädel der Unglücklichen entdeckte.“

Chateaubriand, „Mémoires d’outre-tombe“ („Erinnerungen von jenseits des Grabes“)

*

25.02.2008 19:42:27 

Weggehen


Weggehen ist etwas anderes
als aus dem Haus schlüpfen,
sachte die Tür ins Schloss ziehen
hinter dem, was du bist, und nicht
zurückkommen. Du bleibst
jemand, der erwartet wird.

Weggehen kannst du beschreiben als
eine Art von Bleiben. Niemand
wartet, denn du bist noch da.
Niemand nimmt Abschied,
denn du gehst nicht weg.

Rutger Kopland

23.02.2008 14:41:55 

Grüner Vogel Zweifel


1
Der letzte Gang in den gefrorenen Garten,
Geräte und Sandkasten entsorgen. Die Axt
zerhackt ihn, sein Holz wird wieder Zeder,
aber im Sand, eine winzige Düne aus Staub,
da steckt eine grüne Indianerschmuckfeder,
und Spiele, die Sonne und die Verkleidung,
sie kommen mir deutlicher wieder mit jeder
Schippe in das zahnlose Schubkarrenmaul.
Vergiss nicht die letzte Post, vergiss nicht
den Beutel am Heizungshaus mit entweder
Rechnungen oder Reklame. Ich lese Laub,
Gras, in Gebüschen das Knospenalphabet
und taste in der Tasche die gerettete Feder.

2
Du hast ja selten von Landschaft geredet,
und Tiere sind dir fremd. Mir reichte schon
ein Taschentuch Gras, deine Hand, dann
laufen, bloß laufen. Alles, was ich sagte,
ist wahr, ich konnte es nur nicht beweisen.
Mir schien, wir verstehen uns über das Grün.
Und noch in meinem möblierten Nachtigallen-
gebüsch singt wer von unserem leeren Haus,
dem abgeschliffnen Parkett, Laub aus Staub,
von Staubarabesken und meinem Gesicht,
an die Scheiben gepresst. Was du sagtest,
ist alles wahr, nichts, was es nicht bewiese.
Sing, Vogel, sing, du grüner Vogel Zweifel.

*

19.02.2008 14:18:18 


2

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gem
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sch sch
affen

die mehr auf men
schen
als in ihnen

hhuhushust

en

E. E. Cummings


15.02.2008 23:31:57 

Grabenmusik


Ein alter Himmel ist in mir am Werk,
unschuldig wie ein Friedhof.

Er beginnt mit dem Lärm und dem Tempo von Barrikaden,
mehr Plünderung, mehr Huldigung.

Im Tanze mit den Knochen des Lamms
nah jenem köstlichen Stalingrad.

Verschüttet, gestümpert, vom Atem beschlagen;
nackt nie nackt genug.

Ich kann diesen Formen im Knochen nicht entkommen,
den langsamen Melodien aus der Vergessenheit.

Ich tanke mit Sternschnuppen voll:
Lasset singen meine menschliche Hälfte.

Emma Lew

13.02.2008 13:38:45 

Die Edensichel


Kein Stein weiß einen andern zu erweichen
Nach Ingeborg Bachmann


Nie wieder Streit, hieß unsere Parole,
jahrelang vertrauensbildende Maßnahmen,
jetzt kam ich zu Besuch ohne ein Geschenk.
Unsere Mädchen waren die Blumen, unser
Steingarten mein Zeuge. Ab April würde er
mich verleugnen, es gab bessere Gärtner.

Dick und tattrig der Hund, wir lockten ihn
an den Ententeich, er hieß das Mückenbüro.
Der halbe Wald lag gefällt, du mit Schönheit
betupft. Jetzt war der Himmel blau und nur
eine Meinung über der Pendlersiedlung,
keine Farbe musstest du mehr teilen.

Rot, Grün, es gab Wassermelone, komm.
Selbst die Magnolie nickte. Ich fand bitter
die Schicht zwischen Schale und Fleisch,
und du verneintest, aber teiltest das Nein:
Sie war wässrig, ja, vielleicht sogar bitter,
die grüne Sichel schmeckte nach Gurke.

Revisited

*

09.02.2008 00:10:00 

Ash Wednesday


the tents go up
as i go down
down to the flats and into the sound
the closer i get to the city
the further i am from memory
in the green grass looking up
for the words of the angry sun
"no-one" when he says "no-one"
yeah he means "no-one"

no-one

no-one will survive
ash wednesday alive
no soldier no lover
no father no mother
not a lonely child
in the up and in the bedroom
a black and white of the bride and the groom
will bring me to my knees
with the colorized bad dream
that takes its place on
ash wednesday

white noise and love
will be my only drug
on that day nine
suns away
from that sad sad saturday
when fire my friend
fire my villian
you take away yesterday
to give to me today
when nothing's free no now it's
ash wednesday

so each day is ash wednesday
all this life is ash wednesday

all the doors are shut
and the windows barely opened up
the fires all around
it's the ending of the drought
and we are ready now
for tear gas clouds
on my mind
come on fill the house
finally and weep
for it's king and queen sleep
both now
in the arms of
ash wednesday

Elvis Perkins



Elvis Perkins, "Ash Wednesday", Bowery Ballroom, New York, 7.12.2007

*

06.02.2008 10:48:25 

Gedicht


Zerfallender Donner,
der ganze übliche Regen.
Ein Floß winziger Idioten,
ein Gedicht aus Nägeln.

Emma Lew

31.01.2008 17:42:50 

Gewöhnliche Rosetten


Einmal, zweimal. Heute, morgen. Immer wird es
eine Grenze geben.
Marc Chagall

Frühe Blumen brachte der Frost, aber die Platane
warf ihren Schatten, und der Fliederbusch stand kühl,
er erschütterte das Haus wie frisches Bettzeug. Mein Vater
bestärkte meine Mutter in derlei Vorsichtsmaßnahmen.
Sie stritten und trennten sich, gleichgültig wie einfach
sie es sich machten, und ihre Haut, das viele Weiß,
war glatt – süß doch verboten. Einen Lack herstellen
könnte ich aus den Staubbündeln, die alles im Leben
für mich zusammenhielten – die strenge Tapete,
die sich an Nähten stets aufwarf, Küchenschränke
aus knotenloser Kiefer, zu Boden geschleudert
die bruchsicheren Teller. Unten die Straße hatte
eben zu heilen begonnen. Komisch, wegzukommen
aus dem Laternenlicht, wo die Messerschleifer riefen
und das Empire taub schrien. Ich liebte die Feuerwerke,
doch musste bewahrt werden vor mir selbst. Risse
demoralisierten unser Häuschen. Vater tauchte wieder auf,
als das Glück verlustig ging, und Mutter schneite
in jedes Zimmer, stolz, sich selbst im Weg zu sein,
während wir dunkle Suppe aßen. Ja, alles ist schön
in der Vergangenheit, ist wie ein Zwielicht, darin
Wasser sehr langsam dahinfließt – die Züchtigungen,
das Brot, die Blässe; die Feuer, die ich gelegt habe,
damit sie mich nicht weinen hörten. Ich hatte ein Spiel,
das hieß „Hau alles kaputt“ und trug dennoch Sachen
aus Seide und sagte wohlerzogen Danke. Jetzt erst
habe ich vor einer anderen Art Untergang Angst,
und die Pirole nisten längst wer weiß wo.

Emma Lew

28.01.2008 22:50:25 

Ich höre Dylan lachen


Der Einzige, der an Dylan vorbeikommt, ist Dylan.

*

25.01.2008 15:45:01 

DCFC 2008


Lange genug gewartet! Für Mai ist das neue Album von Death Cab for Cutie angekündigt. http://www.deathcabforcutie.com/splash/ Hier sind sie mit einer Live-in-der-Scheune-Version von "Blacking out the Friction", eingespielt irgendwo in Iowa am 21.12.2001. Man achte auf die Drums. Der Beat kommt einem bekannt vor, und tatsächlich schwenkt Ben Gibbard kurz vor Schluss ein in "Atmosphere" von Joy Division.



*


22.01.2008 13:18:07 

Port Lockroy


Die schwarzweißen Berge
im Nebel, als schickten sie
in die Luft gehängt
eisige Grüße, die keiner erhält,
weiterleitet, niemand empfängt.

Das Postamt am Ende der Welt
hat geöffnet.
Tritt ein, kauf Karten,
bekritzel sie und kauf Marken
mit deinem Konterfei.

Sei du oder sei
Sturmvogel, Kreuzfahrttourist.
Wenn du Sir Francis Drake,
Seeleopard oder Gletscher bist,
schick Grüße von Antarktikas Bergen.

12.01.2008 23:28:43 

Fratres semper




Bonnie "Prince" Billy, "Lay and Love"


07.01.2008 23:17:43 

Die Republik der Silberfische


1
Seit ich denken kann, saugst du täglich
Staub, wischst, putzt, kochst und verkaufst
Düfte, Givenchy, L’air du temps, der Hauch
der Zeit, Je reviens, Ich komme wieder
war dein Mädchenparfum, und du lachst,
siehst du vor meinem Spiegel Aramis,
Größenwahn meines Vaters im Flakon.

Was ist da, weshalb, seit ich denken kann,
führst du gegen den Staub Krieg, seine grauen
Kristalle, Parabeln, Katakomben und Jamben,
willst du den Tod ausmerzen, hm, wenigstens
im Badezimmer die abgeknipsten Fußnägel
in einer gekachelten Ecke sollen die Liebe
nicht überdauern, nicht die deine, endlose?


2
Wunderlich, die Verschwiegenheit und Scham
in der Seele der Silberfische. Sie nagen sich
wie ein Rechtschreibprogramm durchs Dokument
deines geheizten Bads und bringen, kühlt es ab,
ein neues Alphabet, eine Pflanzenwelt, eine Form
der Zeit oder schlicht: ein getreues Abbild von uns
und von unserem gestern, heute, morgen hervor.

Eine kleine nach Lindensaft duftende Scherbe,
übersehen zwischen Dusche und Bidet, als
du mit dem Coco warfst, ist ihr Treibhaus,
darunter wachsen süßer Schimmel, Salate,
Bambus und Thujen, Hecken aus Staub
säumen den Krabbelpfad zu einem Spalt.
Er war die Pforte zum Park ihres Palasts.

Dahinter, zwischen Dämmung und Dach,
erstreckten sich die Schlossanlagen, Ballsäle,
Neben- und Gesindegebäude, die Orangerie
und Galerie für ihre Watteaus und Fragonards
auf der Rückseite der Wand mit dem Spiegel:
Bei Licht, zu dem das kleine Radio angeht,
legst du darin Rouge auf, und sie verharren.


3
Entrückt gedenken sie Seiner, den einst Drei zu
Heiligabend, deinem Geburtstag, in der Wanne
schwimmen sahen, Großer Silberfisch, Karpfen,
den die Königin, du!, heraushobst und wegtrugst,
als das Licht anging und Elvis’ Psalm erklang:
You walk like an angel, you talk like an angel,
but I got wise – you’re the devil in disguise.


Der Staat der Silberfische erklärte sich darauf
zur Republik und gab sich selbst eine Verfassung:
So lang, wie niemand mehr Ihn sah, heißt es darin,
muss der Karpfen, der Große Silberfisch, tot sein.
Sein Schillern aber darf nicht verlöschen, ein jeder
ist angehalten zu leuchten, trage er seinen Glanz
in die gefahrvolle Weite der Fliesen und Kacheln.

Revisited

26.12.2007 23:30:46 

Buenos Aires


29. November, dem Namen nach
dunkelster Tag. In Buenos Aires
war heller Sommer, als ich vorbei
am Obelisken, die Talcahuano und
die Guido hinauf nach Recoleta ging.
Gewittriger Wind durchbrauste die Luft.
Die Kronen der großen Straßenbäume,
viele voller violetter Blüten wie Flieder,
rasselten und rauschten, und oben war
der Himmel wolkenlos blau. Ein Gewitter
würde es kaum geben, seinen Wind aber
gab es, er wirbelte Blütenduft vor mir her,
und auch das Licht: Schnell wie gedimmt
verfinsterten sich Gesichter, Fenster, und
die zerbeulten Straßenkreuzer, unterwegs
nach Recoleta, schalteten die Scheinwerfer
und die Blumenverkäufer in ihren Häuschen
unter den Bäumen die nackte Glühbirne ein.
Das Licht eines Gewitters, das abwartete,
das blendete, als ich zur Basilika kam und
das schwarze Gusseisentor des Friedhofs
im selben Moment ins Schloss fiel. Ein Park
mit Oleanderbüschen und Bänken lag davor,
Wasserverkäufer sangen „Bombon! Bombon!“,
und ein alter Herr spielte dazu auf der Gitarre
immer aufs neue dasselbe traurig süße Lied,
dem ein Junge lauschte, der neben ihm saß
mit einem Eichhörnchen auf seiner Schulter.

21.12.2007 13:39:10 

Zero




Smashing Pumpkins, St. Andrew's Hall, Detroit, 4. 10. 1999

"bounttyhuntter" schreibt zu dem Mitschnitt: "yeah he says "I was a zero" and "God is empty just like you" instead of "i'm a zero" and "god is empty just like me", you know now I know why he took such a broad turn in his music, he went from rebellious alternative rock to more electronica and now onto zeitgeist which has 2 or 3 decent songs"


23.11.2007 11:24:23 

Erscheinung


Vorm Betonrund des Holiday Inn
der Wald von Bad Homburg.
In Kopfhöhe flattern Tauben:
Hintergrund eines Porträts.
Es sieht aus, als sackte da
einer in die dunstige Leere,
als fiele da wer im Nieseln
auf eine neblige Lichtung.
Nichts passt durch anderes
hindurch. Etwas bleibt immer
zurück. Doch weil jede Mauer
eine Tür ist, wie die Zeit erweist,
musste ich es sein, der da stürzte
und zersprang in lauter Einzelteile,
noch ehe ein Bild der Landung gelang.
Ich stand an der Brüstung und fiel nicht
und fiel aus der Maschine am Himmel.

11.11.2007 23:18:08 

Aus dem russischen Heft


Was notierte ich da über Katzen,
zweihundert Katzen in der Kellern
der Erimitage? Und die Bankbrücke
über die Mojka mit den vier Greifen:
Vermehren im Portemonnaie Geld
derer, die hinübergehen wie zum Tod
zu den Trolleybussen mit den schiefen
Stromabnehmern, den Schlafenden,
an die beschlagenen Fenster gelehnt.
Da war die junge Frau im roten Mantel.
Am Newa-Ufer stehend sah sie hinaus
auf den Fluss, als ich nervös rauchte
am Balkon der Majakowskij-Bibliothek.
Wie aus dem Nichts nach meiner Lesung
stand sie vor mir und fragte auf deutsch:
Warum hast du kein Gedicht vorgetragen?
Militärlastwagen, die den Schlossplatz
vorm Winterpalast überfluten
binnen Minuten,
im Regen der Lautsprecher
an einem verwaisten Kassenhaus
plärrt und keiner hört zu, obwohl
die Frauenstimme schön klingt,
sie hustet ab und an. So viele
gestorben, neunhunderttausend,
als meine Großeltern zurselben Zeit
heirateten in Lodz. Belagerung.
Leningrad. Einer der Toten
Daniil Charms. Krähen
über der Auferstehungskirche.
Da waren Leonardo, Raffael, Lorrain,
Fragonard, Rodin, Matisse vor Mausfraß
beschützt von den zweihundert
Katzen in den Kellerarchiven,
und da war die Sternwarte
beim Anflug auf Pulkowo.
In der Kasaner Kathedrale
der Duft, die Leere,
verlassene Tragflächenfähre.
Sommergarten und Winterkanal.
Das Haus für Graf Orlov in Rufweite
Katharinas – Favorit, sagte die Frau
mit dem Pullunder voller Geranien
und fragte: Was kritzeln Sie da
eigentlich in das schwarze Heft?

08.11.2007 08:39:49 

Haiti


Ich zähle alle Zeichen zusammen
und komme auf nichts. Ich zähle und
zähle die Asche, Wimpern, die Blicke,
Boote, Krähen und komme auf nichts.

Fliegt, ihr Raben! Fahrt ihnen nach,
Nussschalen, ich schau übers Meer,
streue Wimpern und Asche zu allem,
kein Zeichen mehr zähl ich zusammen.

für J.



Arcade Fire, "Haiti", 25. August 2005, Rock en Seine, Paris

05.11.2007 15:06:55 

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