Ein dicker Mann mit vollmondrotem Gesicht und einem Hund bei Fuß erstarrt in der Haustür.
Ja was, ja was. Er schnappt nach Worten.
Die Braunflächen vor seinem Wohnklotz haben sich über Nacht in sanfte Landschaften verwandelt. Der Frühlingsatem hat die ersten Gräser auflaufen lassen, so dass grüner Flaum die Hügel bedeckt. In den Niederungen schlägt der Phlox seine roten Augen auf. Hummeln hängen unter tränenden Herzen. Salbei, Majoran und Minze verwandeln Sonnenlicht in ätherische Öle.
Der Mann dreht seinen Kopf zurück ins Treppenhaus brüllt: Inge! Komm runter! Das glaubst du nicht!
12.06.2006 14:32:02
Heckenschützen
Auf die Frage, warum die Platanen an der Nordkanalbrücke sterben müssen, zucken die Baumfäller mit den Schultern und werfen die Motorsägen wieder an. Befehl ist Befehl.
01.06.2006 11:59:49
Heckenschützen
Leute! Rank- und Kletterpflanzen an Fassaden muss der Hausbesitzer bewilligen. Für Pflanzkübel brauchen wir eine Sondernutzungsgenehmigung. Wir müssen die Auflagen für Verkehrssicherheit und Wegerecht beachten. Im öffentlichen Raum dürfen Bäume und Hecken von Privat gar nicht gepflanzt werden, das ist Sache des Tiefbauamtes. Ich habe schon Termine bei den entsprechenden Behörden vereinbart.
Die Stimme des Stadtplaners muss gegen unbeirrtes Knistern an.
Und brauchen wir nicht auch Pflanzkonzepte, wirft jemand ein.
Ja. Und Patenschaften. Fachliche Beratung. Kenntnisse über Mikroökosysteme. Stauden oder Einjährige.
Zu spät. Mit ihren Eizähnen durchstoßen die Keimlinge die harten Hülsen. Zu hunderten, von Akelei über Bartnelke und Calendula bis hin zu Ysop und Zinnie, atmen sie Kohlendioxid ein und Sauerstoff aus. Die Scheiben beschlagen.
29.05.2006 18:03:52
Cherry Cola
Got some needs yeah, I need to shake it
And I razamataz you honey, if you want me to
I can be your daddy, be your rock n' rolla'
You can be my sugar, be my cherry cola
Got some needs yeah, I need to shake it
Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
I'm so real I don't need to fake it
Here's your chance now you need to take it
Cause I can be your daddy, be your rock n' rolla'
And you can be my sugar, be my cherry cola
Got some needs yeah, I need to shake it
Cherry cola
Cherry cola
Ch-Ch-Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
Ch-Ch-Cherry cola
Cherry cola
Got some needs yeah, I need to shake it
And I can razamataz you honey, if you want me to
I can be your daddy, be your rock n' rolla'
You can be my sugar, be my cherry cola
Got some needs yeah, I need to shake it
Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
Cherry cola
You're my cherry cola
You're my cherry cola
You're my cherry
24.05.2006 12:05:57
Heckenschützen
Der Baumschneider hat zehn Kubik Mutterboden, ein Dutzend halbwüchsige Ebereschen und zwanzig Rosenstöcke, sagt die rothaarige Stimme am Telefon. Seid ihr bereit?
18.05.2006 22:45:50
Heckenschützen
Ein erster hoher, lichter Abend. Entzücken, Trotz und ein Schubkarren voll Glut wärmen die drei, vier, sieben Figuren auf den Stufen vor den blinden Schaufenstern. Eine Streife kriecht vorbei. Verschwindet. Kommt wieder. Und hält. Breitbeinige Fragen nach dem Wer und Warum. Dann eine väterliche Warnung und Abgang.
Dies ist die Straße, knurrt es auf den Stufen, in der wir leben.
30.04.2006 16:36:40
Heckenschützen
Manchmal, an Sonntagen bei Vollmond, hört man das stete Tröpfeln giftiger Flüssigkeiten – Altöl, Batteriesäure, Benzin - aus den trübseligen Kolonnen stehender Autos. Sie drücken sich in Cliquen auf Baulücken zusammen oder hocken am Straßenrand.
27.04.2006 12:14:44
Heckenschützen
Folgendes, Leute, erklärt der Stadtplaner, große Sache. Er holt weit aus, um seine langen Arme unter dem Tisch um seine Beine zu wickeln. Ich, also wir als Stadtplanungsbüro, haben vom Bezirk den Auftrag für die Behörde im Rahmen des Stadtentwicklungsprogramms ein Gutachten über die Defizite und Potentiale des Münzviertels zu erstellen. Klingt kompliziert, ist aber.
Grün, jubeln die Bewohner, wir brauchen mehr Grün.
Und dann gehen hier die Mieten, sagt der stämmige Schwabe hinter dem Vorhang und zeigt mit dem Finger in die Unendlichkeit, oder was?
Nein! Nein!, wehrt der Stadtplaner ab, erst einmal sammeln wir ja nur Vorschläge. Sein Lächeln, jovial und offen, ist das eines Experten.
26.04.2006 20:51:23
Heckenschützen
Auf der derb zusammengezimmerten Bank zwischen den zwei amerikanischen Eichen sitzt eine Frau unter Schleiern und lässt eine Gebetskette durch die Finger gleiten. Die Sonne sinkt auf Feierabendniveau, der späte Februar flüstert was vom Frühling. Die Männer vom Tiefbau beeilen sich wegzukommen. Einer stampft mit einer 4-Takt Rüttelplatte den übrig gebliebenen Aushub unter den beiden Bäumen fest. Ihre Äste zittern in der kalten, klaren Luft.
Dass man hier wohnen kann, sagt einer der Bauarbeiter und schüttelt sich. Als die Rüttelplatte aufgeladen ist, fädelt der Pritschenwagen sich in den zähen Autostrom stadtauswärts ein.
26.04.2006 12:14:18
Heckenschützen
Hühner in die Rosenallee, skandiert der Rosenkönig, Sonnenblumen auf den Hühnerposten! Früher waren hier die Patrioten zu Hause, die haben nicht nach oben geguckt, zu König, Gott und Baubehörde, nach unten ging ihr Blick. Hier - Hederich und Gundermann zwischen den Gehwegplatten, da drüben Berber, Junkie und Sozialhilfeempfänger und wie sie noch sagen zum Unkraut genannten, das sie in ihrer schönen, neuen Stadt nicht haben wollen. Hier soll es jetzt austreiben. Mir ist es Recht und Kunst im öffentlichen Raum.
25.04.2006 11:48:07
Heckenschützen
Die Straßen sind Wunden, in denen der Verkehr eine ständige Entzündung verursacht. Spalding- und Amsinckstraße, Högerdamm, Nordkanalbrücke. An den Rändern narbiges Gewebe. Bahntrassen. Gewerbebauten - halbleer, leer, trostlos. Bautafeln, die weitere Gewerbebauten ankündigen. Ein paar Wohnhäuser, vergessen von Bomben und Behörden, an denen die Autos achtlos vorbeifahren. Repsoldstraße, Rosenallee, Woltmanstraße.
22.04.2006 13:46:28
Hell yeah
Der Literaturbetrieb öffnet sich ihm nicht. "Der hat mich auch nicht interessiert, ich habe auch nicht an ihm teilgenommen", betont er. Er sieht sich nicht als deutscher Autor, er steht auch in keiner deutschen Literaturtradition, und er pflegt keine Autorenfreundschaften.
04.04.2006 16:13:49
Aus dem Lied des 4. Oktober
(Autostart)
Heute ist der 4. Oktober Ich habe Heute ist der 4. Oktober Es ist etwas Heute ist der 4. Oktober Dieser Tag
Manchmal Sendet mein Gehirn mir Mit schrecklicher Präzision Bilder Oder kurze Clips Ich weiß nie Ob ich tatsächlich einmal gesehen habe Was ich sehe Oder aus welchen Quellen Mein Gehirn gespeist wird Immer wieder Muß ich mit ansehen Wie ein lebender Affe Mit kochendem Wasser Übergossen wird und Er Beginnt Sich zu kratzen Er reisst sich die Haare aus Und seine Haut Löst sich von seinem Körper
Eine Nadel Sticht Durch weiche Haut In eine blaue Vene
Ein schwerer Stiefel Tritt auf einen Kopf mit offenen Augen
Es dauert nur eine halbe Sekunde
Und alles ohne Ton
Christine hat die Tür aufgemacht
13.03.2006 13:58:33
Harkortstraße
Beim Aufstoßen der schweren Stahltür mit der Schulter erscheint man sich selbst unwesentlich größer als in der Realität. Einem kurzen Schreck folgt die Erkenntnis. Der Beamer über der Tür, die Kamera an der Wand gegenüber. Klaro, Filmerparty.
Mit gesenkten Köpfen bahnen sich die Leute ihren Weg durch dancehallriddims an dabmuzik inna di haus, stehen vor dem DJ mit ausdrucksvollen Gesichtern und fragen unhörbar, von wem dieses eine Stück nochmal sei oder ob er mal das und das spielen könne. Der DJ nickt im Takt der Musik mit seinem kleinen Kopf und läßt die nächste Platte los.
Sie habe da ein Wahnsinnsprojekt am Laufen, also schon Film, aber mehr so künstlerisch. Sie habe, erklärt das blonde Mädchen und spitzt die Lippen, aus weißem Leder einen Ganzkörperanzug anfertigen lassen. Und zwar für eine Katze. Noch immer scheint sie selbst überrascht von diesem Einfall, schweigt kopfschüttelnd eine ganze Weile, spitzt erneut die Lippen. Und das wolle sie eben filmen, wie die Besitzerin ihr Tier in diesen Anzug zwängt. Sie rechne fest damit, dass die Katze spätestens bei der Gesichtsmaske ausflippe. Und das sei ja eben genau die Aussage.
Nicht mal vierzig sei er, klagt der Setdesigner, und habe schon alles erreicht, die fettesten Jobs schon hinter sich. Jetzt gehe es nur noch bergab. Außerdem hat er ein entzündetes Auge, von dem der Blick der nervösen Aufnahmeleiterin magnetisch angezogen wird. Mit ihren überlangen Armen umklammert sie sich selbst. Das sei vielleicht nur die allgemeine Krise, beschwichtigt sie. Na sicher, schnaubt er, an ihm liege es wohl kaum. Und ob sie es mal lassen könne, ihm dauernd aufs Auge zu starren.
Ey Leude, schnarrt eine jungsfleischgewordene Trickfigur, Riesenafro, Arsch in den Kniekehlen, XtraXtraLarge Tee und schnieke Sneakers. Er fahre zur Tanke, Kippen holen. Ob sonst noch einer was brauche. Die Antwort ist ein Röhrchen straff gerollte zwanzich Euren, fix glatt und sauber gestrichen von den Bronzefingern eines Ex-Surferdarstellers, für zweimal Players. Gebongt Alder.
Kratzige Musik, klappernde Gläser, hellgraue Luft, grelles Vogelgezwitscher. Unbeeindruckt bleiben die Letzten auf den wenigen Sitzgelegenheiten. Sie schweigen und Rauchen. Eyes wide shut, sagt einer in die Stille. Die anderen lachen matt, als der Gastgeber erklärt, die Party sei beendet.
08.03.2006 16:00:19
Am Wasser gebaut
Stumpf steigt der Nebel aus der Elbe, der ewigen Elbe, die hier alle so lieben, weil diese Stadt ohne sie nicht mal so abstoßend wäre wie Frankfurt. Einfach bloß eine Stadt, die was sein will. Aber auf der anderen Seite glimmern, eben wegen der Elbe, die Lichter des Hafens im Nebel. Kaum einer weiß genau, was sie dort tun. Man glaubt, dort werde der Herzschlag dieser Stadt erzeugt.
Das Herz schabt von innen an den Rippen. Ein brennend heißer Fleck zwischen den Schulterblättern, knapp links der Wirbelsäule. Unter Schmerzen die Tränen runter schlucken.
07.03.2006 12:06:34
Südseeromantik, die deuthsche
Rückgruß
Eilige Depesche an Frau Auguste Amalie Berger, Berlin:
Honululu, 23. September 1872
Verehrte Frau Mutter,
Erinnern Sie sich unseres Disputs über die wiederholte Plagiierung der Hymne des britischen Empires „God save the Queen“ nicht zuletzt durch unser Kaiserlied „Heil dir im Siegerkranz“? Nun, im Laufe der letzten Tage machte ich mir angesichts der miserablen Kompositionen - einschließlich meiner eigenen-, die mir für die hawaiianische Nationalhymne vorlagen, Ihren Standpunkt zu eigen, nach dem eine populäre Melodie einer originellen vorzuziehen sei. Habe also beschlossen ebenfalls von dieser erprobten und beliebten Tonfolge Gebrauch zu machen, zumal sie wie geschaffen ist für das stimmungsvolle Poem „Hawaii Ponoi“, das aus der Feder des Königs höchstselbst stammt. Nebenbei erwähnt ist die ganze Königsfamilie musisch überaus begabt.
Neben den täglichen Proben und Konzerten bereiten wir bereits jetzt das musikalische Programm zum Geburtstag des Königs am 2. Dezember vor, wobei die hohe Luftfeuchtigkeit nicht nur den Instrumenten, sondern auch mir zu schaffen macht.
Oft steht mir der Sinn danach, geradewegs an den Strand zu spazieren und mich in den Anblick des Meeres zu versenken. Natürlich reiße ich mich am Riemen und besinne mich der preussischen Tugenden. Wenn ich es recht erinnere, sind derer erste Pflichtbewusstsein, Fleiß, und Pünktlichkeit.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Sohn Heinrich.
31.01.2006 16:59:10
Südseeromantik, die deuthsche
Zwei weitere Schreiben von H. Berger, die wohl während der Reise verfasst wurden, sind beim besten Willen nicht zu entziffern. Eine vermutlich salzige Flüssigkeit - Seewasser, Tränen, Bouillon? - hat die Zersetzung der Tinte beschleunigt.
Eilige Depesche an Frau Auguste Amalie Berger, Berlin:
Honululu, 5. Juni 1872
Verehrte Frau Mutter,
Ging soeben in Honolulu an Land. Trotz ruhiger See war mir unwohl zumute. Weniger der bevorstehenden Aufgaben wegen, als aufgewühlt durch eine Begegnung im Hafen von San Francisco. Wartete auf die SS Mohongo, als mich ein Deutscher ansprach und um eine gewisse Summe Geldes bat. Wie es das Schicksal wollte, stand ich meinem Amtsvorgänger gegenüber. Der Mann machte einen gänzlich wahnsinnigen und gehetzten Eindruck, so dass ich mich nun bang frage, was mich hier erwartet. Muss schließen, der Beauftragte des Königs ist endlich eingetroffen, um mich zum Palast zu begleiten. Melde mich so bald als möglich wieder.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Sohn Heinrich.
25.01.2006 13:06:23
Südseeromantik, die deuthsche
Gestern habe ich endlich die "Hawaiianischen Briefe" von Heinrich Berger erhalten. U. hatte sie im letzten Herbst bei einem Berliner Antiquitätenhändler als kostenlose Zugabe zu einem atemberaubenden Paar Schuhe (ca 1905, Rohseide und Kork, Größe 39, ungetragen) bekommen. U. schickte die Briefe als Päckchen, unversichert. Die Tinte ist bis zur Unlesbarkeit verblasst und ich muss sowohl mit UV als auch mit IRRG arbeiten, was anstrengend und nicht ganz ungefährlich ist. Mehr als einen Brief am Tag werde ich so nicht schaffen.
Hier nun also meine Arbeit der letzten 29 Stunden:
Eilige Depesche an Frau Auguste Amalie Berger, Berlin:
Wupperthal, den 18. Februar 1872
Verehrte Frau Mutter,
am Sonntag komme ich auf Caffee und Gebäck vorbei. Bitte besorgen Sie zwölf Dosen Original Ungarische Bartwichse von Stern und lassen Sie den großen Schrankkoffer reparieren. Denn am 5. März reise ich auf Befehl Kaiser Wilhelms via Hamburg, New York und San Francisco für vier Jahre nach Hawaii.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Sohn Heinrich.