Ich wünschte, du würdest mich anfassen.
Und du würdest es tun, wenn ich ein Fell hätte, ganz sicher. Ein dichtes, weiches Fell. Unverfänglich wäre das, denn wer könnte nicht verstehen, dass du deine Hand nach mir ausstreckst, deine Finger in meinem Bauchflausch vergräbst, dein Gesicht auf meinen Pelzrücken legst, du hin und wieder meine plüschigen Beine gegen den Strich und wieder glattstreichst.
Meine nackte Haut zu berühren ist unmöglich, ein Skandal, deshalb streichelst du an meiner Stelle die Katze oder den kleinen Hasen und siehst mir dabei in die Augen. Und wenn du mir ein Glas Wasser reichst oder den Joint berühren sich unsere Finger.
Ich verfluche die Evolution.
Um mir später nicht vorwerfen lassen zu müssen, ich hätte die Angelegenheit verheimlicht, benutze ich jeden Morgen die Tasse aus Brighton mit dem Aufdruck: I do things I shouldn't. Lächelnd.
02.12.2005 09:21:27
24.
01.12.2005 22:54:22
*
Oder, sagt er, dass dir der Rücken einschläft. Hier, der gesamte untere Rücken. Ich hatte mich angelehnt, irgendwo angelehnt, keine Ahnung mehr, wann und wo, aber dieses Gefühl, wenn so ein riesiges Stück Fleisch taub ist, du packst da mit den Händen hin und die Kommunikation ist total einseitig, die Hände melden: halten Rücken. Und der Rücken: nichts. Nicht nur taub, sondern auch stumm. Gleichgültiges Fleisch.
Bloss, dass er gar nicht aussieht wie einer, der sich irgendwo anlehnt.
28.11.2005 17:08:07
Hühnerfleisch
Sie hätten ein sexuelles, sagt sie, aber ich glaube, sie haben ein schwerwiegendes Problem. Dauernd spricht sie von seinem Schwanz, den er vor ihr versteckt hält und her own personal tits, nie von den Büchern, die sie beide gelesen haben. Sie muss das mal jemandem erzählen, sagt sie und ich lasse sie erzählen. Sie merkt ja nicht, dass ich mich zum Beispiel frage, ob moderne Lyrik nicht vielleicht nur Hochstapelei ist und dass ich mich mit dem Gesicht an der rechten Hand aufgehängt habe, um nicht unter den Tisch zu rutschen.
Naja, sagt sie und kippt sich den Rest Wein in den Mund, so hat halt jeder seine Sorgen, wie läufts denn bei dir.
Findest du nicht, ich richte mich auf, dass moderne Lyrik oft nur Hochstapelei ist?
Wie bitte, fragt sie zurück.
Tschuldigung, nuschle ich, mir ist grad die halbe Fresse eingeschlafen, und ich ziehe zur Verdeutlichung meine rechte Wange vom Knochen weg wie ein Stück bleiche Hühnerhaut.
26.11.2005 16:32:18
Die Beine einer Toten
Ein leichtes Buch, es zieht mich zu Boden. Ein Typ kommt unter falschem Namen in den Himmel. Auf Knien beobachte ich ihn. Ein anderer stürzt kopfüber in seine Kaffeetasse, während eine Frau kopfunter zusieht wie Flugzeuge in Häuser fliegen. Beim Umblättern streift der Blick des schmerzhaft schönen Autors versehentlich meine Hand. Es wird weiter gestorben, ich erschrecke. Das Telefon reisst mich hoch. Kopf, Brust und Arme hängen einen Moment irgendwo zwischen den Welten, aber da sind keine Beine und ich falle, mein amputierter Rest, mein Rumpf fällt. Dann sind da doch Beine, sie liegen hinter mir, die Beine einer Toten, schwammige, leblose Schläuche, ein graues Gefühl, das mich nicht trägt.
Wer immer mich anruft, ahnt nicht, dass ich im Moment halb tot bin.
auf dem AB: Absage des Babysitters. Ausgang no have.
23.11.2005 15:00:15
Der Leichenarm
Kurz ausruhen. In voller Montur aufs Bett geworfen. Die Glieder nach Bedarf gefaltet. Zugesehen wie der frühe Abend das Licht trinkt. Nicht gewusst, dass ein Schwein unter dem Tisch sitzt. Bluttröpfchen glitzern auf der Krawatte des Mannes im grauen Anzug. Das Schwein versucht zu fliehen. Ich kann nicht. Mein Vorderbein. Dunkelheit. Ein Arm liegt unter meinem Kopf. Ich packe ihn und zerre ihn unter mir raus. Er wiegt so viel wie ein fremder, ein toter Arm wiegt. Jemand hat ihn an meine Schulter genäht. Quer über meiner Brust drückt er mir die Luft ab. Knackende Hitze vom Nachtspeicherofen. Beissend strömt das Blut zurück. Kein Schwein da.
22.11.2005 14:23:05
Rockmusik und Drogen und Sex
Eins: Rockmusik
Konrad, sprach die Frau Mama, ich geh fort und du bleibst da, sagte Konrads Mutter und hielt sein Gesicht in beiden Händen.
Von ihren Handgelenken stieg ein warmer, süßer Duft und ihre Haare fielen ihr über die Augen. Sie sah viel schöner aus als Hagens Mutter, der Hagens Vater von hinten seine großen Hände um die Taille legte, während er Konrads Mutter zuzwinkerte.
Hier ist die Telefonnummer für den Notfall und macht keinen Quatsch.
Ehe die Mutter in der Nacht verschwand, umarmte Konrad sie noch einmal und drückte sein Gesicht an ihren Bauch. Ihr Kleid war kühl und warm zugleich, was ja eigentlich nicht sein konnte.
Dann ließ er sie los, drehte sich um, sah nicht einmal mehr, wollte nicht sehen, wie die Tür sanft ins Schloss glitt, hörte sie nur im Treppenhaus lachen und ihre Schritte verklingen.
Immer wenn sie die hohen Schuhe trug, kriegte Konrad eine Stinkwut auf sie und liebte sie umso mehr. Das war wie mit dem Kleid.
Heul doch, sagte Hagen.
Bestimmt nicht, sagte Konrad und blieb im Flur stehen, während Hagen sich im Wohnzimmer voll Caracho auf die Couch warf, wo er sich nicht mehr bewegte bis auf die Augen, die Konrad folgten, wie er am Bücherregal herumstrich und die Buchrücken las. So viele Bücher. Fremde Welten.
Doch endlich fand er eins.
Das hat meine Mutter auch.
Wetten, deine Mutter hat nicht so viele Bücher wie meine Eltern.
Hat sie wohl.
Hat sie nicht.
Konrad schwieg und seine Arme zogen an seinen Schultern.
Haha, lachte Hagens Kopf, der im rechten Winkel auf dem schlaff heruntergerutschten Oberkörper stand.
Haha.
Die Uhr über dem Esstisch tickte.
Nicht blinzeln. Hagen verschwamm vor Konrads Augen, löste sich sogar kurzfristig auf, bis er wieder ins Bild sprang, bis zum Regal wie ein KungFu Kämpfer und dabei brüllte: Los tanzen!
Die Musik war so laut, dass Konrad sie im Innersten fühlen konnte. So laut, dass seine Mutter mit weit aufgerissenen Augen, die Hände an die Ohren gepresst ins Zimmer stürmte, wäre sie nicht ausgegangen. So laut, dass Konrad hätte schreien können vor Lust.
Hagen schrie: Yeah!, und stampfte vor und zurück und warf seinen Kopf herum und ruderte mit den Armen in der Luft und schrie noch einmal:Yeah! Dance! Dance!
Und dann war Konrad neben ihm.
Yeah!
Zwei oder dreimal prallten ihre Körper gegeneinander und natürlich gegen die Möbel. Sie waren blind geworden durch die Wucht der Musik.
Als sich nach zweiundzwanzig Minuten der Tonarm mit einem scharfen Klacken wieder in die Ausgangsposition senkte, fielen die Jungs haltlos aufs Sofa.
Konrads Augenlicht kehrte zurück. Er sah das aufgeschlagene Fersehprogramm auf dem Esstisch, Familienfotos an der Wand und dass er leer war von innen. Er wünschte, laute Musik würde diese Leere wieder füllen, ahnte aber, dass es beim zweiten Mal nicht das selbe sein würde, nicht echt, nur eine Darstellung. Und er würde wohl auch nicht noch einmal blind werden.
Hagen dachte aber sowieso nicht dran, noch eine Platte aufzulegen, sondern stand auf, kratzte sich am Hintern und ging hinaus.
04.11.2005 16:49:15
Where Feigheit lives
Den ersten Brief von Herrn K. nahm ich an einem Sommermorgen aus dem Briefkasten.
Seine Handschrift, kleine, flüssige Druckbuchstaben, und sein altbackener Stil amüsierten mich. Gleich zu Anfang warf er mir, augenzwinkernd und doch merklich beleidigt, vor, auf seinen Brief von vor soundsoviel Jahren nicht geantwortet zu haben. Dann kam er zur Sache. Er sei nur ein kleiner Kunsterzieher, veranstalte aber in seinem kleinen Zeichensaal kleine Dichterlesungen. Und ob ich nicht bei ihm lesen wolle. Er lobte einen meiner Texte, dessen Titel er allerdings verwechselte. Anbei lag eine Broschüre, in der sämtliche Lesende der vergangenen 50 Lesungen aufgezählt waren. Es waren angesehene, zum Teil fast berühmte deutschsprachige Schriftsteller, Lyriker und Prosaautoren, die mit warmherzigen Worten für Herrn K.‘s Engagement zitiert waren. Ich war irgendwie gerührt und geehrt, außerdem fand ich beim zweiten Lesen einen sonderbaren Rechtschreibfehler in K.‘s Schreiben. Auf jeden Fall sagte ich zu, ebenfalls handschriftlich.
Einige Tage später rief er mich an und wir vereinbarten den Termin, den letzten möglichen vor den Sommerferien und ein Treffen vorab, um, wie er sagte, zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken.
Wir trafen uns in einer portugiesischen Kaffeebar, wo ich einen Galao bestellte und Herr K. hilflos und gereizt nach einer ganz normalen Tasse Kaffee fragte. Die brasilianische Bedienung nickte ihm beruhigend zu und sagte: Einen Bohnenkaffee für den Herrn, gern.
Wir setzten uns an einen der Tische auf dem Bürgersteig. Um Herrn K. zu schmeicheln, sagte ich ihm die Wahrheit, nämlich, dass die Schulzeit an mir vorbeigezogen war wie ein grauer Traum, der einen zwar nicht ängstigt, aber ratlos zurückläßt und dass nur die Stunden in den Zeichensälen gleich üppig überwucherten Inseln aus dieser trüben Brühe aufragten. Es wirkte.
Herr K. ließ sich mit bitterer Zufriedenheit darüber aus, dass seine außerlehrplanmäßigen Bemühungen von Schülern, Eltern und Lehrern ignoriert würden, obwohl das Gymnasium allenthalben als fortschrittlich und vorbildlich gepriesen würde. Der Schulleiter sei noch kein einziges Mal zu einer der Lesungen erschienen, obwohl Deutschlehrer und Jude. Ich verstand diese Information nicht, zuckte aber nur so kurz zusammen, dass ich darüber hinwegging.
Vom Nebentisch beugte sich eine glamourös geschminkte Frau zu Herrn K. und fragte mit tiefer Stimme nach Feuer. Als sie Herrn K.‘s verwirrtes Gesicht sah, lachte sie laut. Ich reichte ihr ein Briefchen Streichhölzer, denn Herr K. ist natürlich Nichtraucher. Im Sonnenlicht sah man einen leichten Bartschatten unter dem Make-Up der Frau. Herr K. versuchte den verlorenen Faden wieder aufzunehmen und tat mir leid.
Kommen Sie manchmal hierher, fragte ich, ihre Schule ist doch gleich um die Ecke.
Herr K. schüttelte den Kopf. Dann sprach er weiter.
Als er mir von er mir von dem großen Zuspruch aus literarischen Kreisen erzählte, von dem ich doch schon in seiner Broschüre gelesen hatte, fand ich sein Selbstbewusstsein etwas zu stark aufgebläht, aber ich schob das beiseite, weil auch mein Selbstbewusstsein etwas zu stark aufgebläht war. Zuhause saß ich seit Monaten über unzähligen halbfertigen Texten und überlegte, in welchem Job ich die Erwartungen eines Arbeitgebers zu halbwegs erträglichen Bedingungen erfüllen könnte und schluckte etwas bitteres runter.
Während Herr K. sprach, blieb sein Gesicht fast unbewegt, als sei seine Haut sehr zäh und seine blauen Augen hinter der runden Brille blickten eine Spur zu entschieden. Zwei oder drei Mal lachte er plötzlich laut auf.
Herr K. fragte mich dann noch dieses und jenes zu meiner Arbeit und meinem Leben und ich antwortete offen, aber nicht wirklich ehrlich, weil ich sympathisch wirken, meine Freunde und Leidenschaften aber nicht an einen Fremden verraten wollte.
Zum Abschied schüttelte er mir die Hand und ging dann schnell davon ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich fand, wie so oft, dass ich zu freundlich gewesen war.
Herrn K.‘s Zeichensaal lag unter dem Dach des Altbaus. Langsam stieg ich die Treppen hoch, vorbei an Schaukästen, Schülerzeichnungen und einem Plakat der Polizei, das für den Cop4U warb, an den die Schüler unrechtmäßige Vorgänge melden sollten. Der Dämmer der verlassenen Gänge war voll von Unbehagen.
Im Zeichensaal unter dem Dach begrüßte Herr K. mich herzlich und stellte mich Herrn H., einem Dozenten für kreatives Schreiben vor, der vor mir lesen würde.
Es war kurz vor der Sommersonnenwende und die Fenster des Zeichensaals blickten nach Westen. Nach und nach füllte sich der Raum, den Herr K. durch hochkant gestellte Tische verkleinert hatte, mit Publikum. Es waren Erwachsene mittleren Alters, die zum größten Teil aussahen wie Lehrer, und mir deshalb gleich auf die Nerven gingen, ganz gleich, ob sie eben nicht aus dem Kollegium dieser Schule stammten oder sogar nur aussahen wie Lehrer. Ich nahm mir vor, sie deutlich merken zu lassen, dass ich nicht für sie las, sondern für die drei oder vier Schüler, ein paar Freunde von mir und die wenigen erträglich wirkenden Zuhörer.
Pünktlich um halb acht eröffnete Herr K. den Abend indem er das Wort an einen Buchhändler übergab. Dieser sprach über Herrn H. und es klang, als spreche er über einen Toten, aber der Schreiblehrer saß ja da, lächelte milde und nickte mit dem Kopf. Draußen wollte und wollte die Sonne nicht untergehen, sie trieb langsam über den Großbaustellen dahin und blendete Herrn H., der endlich zu lesen begann. Nach einer Zigarettenpause war ich dran.
Herr K. sagte ein paar einführende Worte über mich und ich ärgerte mich, weil er meine Texte wie eine Frisur als flott und frech bezeichnete.
Ich hatte eine Menge Material dabei, las Dialoge und Ultrashortstories, spielte Szenen aus einem Hörspiel ein und bemerkte einmal unspezifische Langeweile im Publikum, las aber weiter, las viel zu lange. Ohne bestimmten Grund war ich davon ausgegangen, dass Herr K. mir ein Zeichen geben würde, wenn es an der Zeit wäre, aufzuhören. Und als er es dann tat, war ich gekränkt und machte einen mittelmäßigen Witz.
Danach sprach ich noch ein paar kurze Worte mit Leuten aus dem Publikum, Schülern und einem Schriftsteller. Meine Freunde hatten es eilig zu gehen, um mein kleines Honorar mit mir zu versaufen und ich verabschiedete mich von Herrn K., der sich erbot, meine Texte jederzeit zu lesen und zu kommentieren. Gerne, antwortete ich, warum nicht.
Nach den Sommerferien hielt ich wieder einen Brief von Herrn K. in Händen, er schrieb, die jungen Leute seien ganz begeistert von meinen Texten gewesen, während die älteren aus verständlichen Gründen, die er jedoch nicht erläuterte, abgestoßen waren. Und er würde sich beizeiten gern wieder mit mir treffen. Mir wurde heiß vor Entrüstung und ich wollte ihm unbedingt sagen, dass es zumindest dem Schriftsteller überhaupt nicht mißfallen hatte, also verabredete ich mich mit ihm.
Über die Lesung verloren wir bei Kaffee und Kuchen kein Wort, aber wir sprachen über Hubert Fichte und Sarah Lukas, über die Sterne und John Cage, über Architektur und Stadtplanung und natürlich wieder über die Lesereihe in seinem Zeichensaal. Herr K. hatte zu allen Themen eine Meinung, weder in seinen Worten noch auf seinem Gesicht lag eine Spur von Zweifel und ich musste meine Aufmerksamkeit mehrmals von den Nebentischen zu ihm zurückzwingen. Ich widersprach ihm lachend, als er den Wunsch äußerte, dass die Sterne eines ihrer Stücke a capella in seinem Zeichensaal vortragen sollten.
Bevor ich ging, gab ich ihm einige Seiten Text und versicherte ich sei unempfindlich, was Kritik angeht. Damit war ein weiteres Treffen ausgemacht.
Wir saßen in der Herbstsonne auf einer Bank und Herr K. zog meinen Text aus einem Leinenbeutel. An den Rand jeder Seite hatte er mit seiner akkuraten Handschrift Notizen gemacht.
Zunächst lobte er die ein oder andere Passage, hob die Dialoge heraus und freute sich über einige meiner Wortschöpfungen. Ich lehnte mich zurück.
Ganz plötzlich aber wurde sein Tonfall scharf und sein Blick eisig. Er erklärte mir mit mühsam zurückgehaltener Erregung, dass er einen solchen Text trotz allem nicht lesen wolle, dass ihn das Milieu nicht interessiere, diese Türken, Ausländer, dieser menschliche Abfall, der sich nie und nimmer über seine Herkunft erheben werde, Generation für Generation im intellektuellen Sumpf stecken bliebe, dass es sinnlos sei, Kinder von Einwanderern auf höhere Schulen zu schicken und sie zudem die deutschen Schüler auf ihr Niveau herunterzögen. Ich versuchte verzweifelte seine Worte in meinem Bild von ihm unterzubringen. Aber, sagte ich.
Er sei kein Rassist, sprach er weiter, ganz links habe er angefangen, verschwendete Jahre, da sei gar nichts zu machen, Proleten und Moslems seien von Natur aus intolerant, gefährlich und eventuelle Freundlichkeit nur eine Maske, die ihren Hass auf alles Aufgeklärte verberge.
Ich saß neben diesem Mann auf dieser Bank an diesem warmen Herbstnachmittag und kein vernünftiger Satz kam aus meinem Mund, nur Gestammel und er belehrte mich denn auch, dass ich noch zu jung, zu naiv sei, um die Wahrheit zu sehen, er aber sei doch täglich mit dem Verfall der Werte und Sitten konfrontiert, an dem die Linken die Schuld trügen mit ihrer Toleranz und er feuerte seine Worte mit kalter Präzision ab.
Innerlich sackte ich zusammen, außen lächelte ich, schämte mich für mein Lächeln, hörte ihn von Nation und Landsleuten reden und endlich standen wir auf und gingen sogar noch ein Stück Wegs gemeinsam.
Tja dann, sagte ich matt, als wir uns trennten. Meine Haut war heiß und trocken als hätte ich wenigstens geweint.
25.10.2005 17:01:15
Entenwerder Park
Dieser Regen, dieser Regen, dieser ausdruckslose Regen, Tag für Tag, unter dessen Gleichgültigkeit der Rasen und die Regenwürmer verfaulen.
Vipernhaft gleitet ein Mädchen durch die grob vergenagelte Absperrung an der baufälligen Mole. Auf den Trümmern verdichtet sie sich zu einem schroffen Element, das der Regen zusätzlich anreichert.
Komm her du Fotze, brüllt sie jäh.
Von Osten nähert sich eine zweite Schlange.
Übergangslos beginnen die beiden aufeinander einzuprügeln. Die Schläge sind hart und genau, die Tritte gnadenlos. Ihre Technik ist Brutalität. Hin und wieder lachen sie, um den Schmerz zu verwischen.
Endlich geht eine zu Boden. Hoch ragt die andere neben ihr auf.
Du verfickte Fotze!
Der Regen dämpft ihre Worte kaum. Die Elbe vibriert. Lautlos dringt der Regen in sie ein.
Plötzlich entstehen im bleiernen Grau zwei grelle Gestalten. Ihre Farbe, ein scharfes Orange, tragen sie zu ihrer eigenen Sicherheit. Mit langen Greifarmen reißen sie nach jedem Schritt Unrat aus der klammen Landschaft. So werden sie langsam wieder kleiner und kleiner.
Dann ist da nur noch dieser Regen. Dieser Regen.
13.10.2005 16:52:43
heavy soul
23.08.2005 14:27:41
Upcoming Urban Language
07.08.2005 14:58:39
Berliner Tor - Hauptbahnhof
Mürrisch rücken die Fahrgäste der S-Eins am Berliner Tor enger zusammen, um Platz zu machen für mindestens zweihundert weitere Reisende.
Von einer außerplanmäßigen Frauenstimme werden sie wegen eines Stromausfalls auf der Linie U-Drei in Höhe Hauptbahnhof barsch um Verständnis gebeten.
Ein Mann lehnt sich an das Softeis eines Mädchens. Sein Anzug muss in die Reinigung und die Mutter soll es bezahlen.
Zum Zeitunglesen ist jetzt kein Platz mehr, ausgerechnet zu Stoßzeit.
Am Hauptbahnhof drängen die Leute selbstverständlich zum Bahnsteig der U-Drei, den Polizisten in alten, verschwitzen Uniformen abriegeln, so dass nichts zu sehen ist außer einem Feuerwehrmann. Er zündet sich eine Zigarette an. Die am Saum der Traube sehen nicht mal das und wollen umso dringender wissen, was denn da los ob da wieder einer.
Und sie tänzeln mit langen Köpfen auf den Zehenspitzen, ohne eine Spur von Eleganz .
Am Südausgang stehen ein Krankenwagen und ein Tapeziertisch, an dem Stullen mit der christlichen Botschaft verteilt werden an die, die es nötig haben. Sie schwanken leicht im milden Abendwind zwischen den Tauben. Man kennt sich.
Ohne Hast eilen vier Sanitäter die Treppe hoch.
Zwischen ihnen sitzt er, bis zur Unkenntlichkeit zusammengesunken der Körper, das Gesicht
Der Abendsonne entgegengestreckt. Kein Tröpfchen Blut. Seine starren Augen sind schaurige Wunden, in die zu seiner Verwunderung das goldene Licht ungehindert eindringt.
Er reißt den Mund weit auf, als er fragt: Hamburch, bisdudas?
07.08.2005 14:51:26
Pablo
Das, zum Beispiel, ist ein Schlitzbube nach meinem Geschmack, sagt Brian (auf Englisch).
Aha, antwortet Pablo und sieht dem Mädchen entgegen.
Sieht sie federleicht über das abendkühle Pflaster stolzieren.
Sieht ihre dunklen Locken.
Sieht ihre kleinen Titten.
Sieht ihr Lächeln, breiter und breiter.
Fühlt ihre Lippen seine Wangen streifen.
Hört ihre Stimme: Grüß dich, Pablo.
Pablo genießt diesen Moment. Alle seine wirren Gedanken sind bei Frau Bakht, Antonia Bakht.
Die Sonne hatte sich einen Schleier übers verquollene Gesicht gezogen. Nach einer durchzechten Nacht kam sie nun kaum auf die Beine. Der Tag begann schwer wie eine verschwitze Daunendecke.
Pablo war am Abend zuvor hungrig eingeschlafen und deshalb satt an diesem Morgen. Es gab keinen Grund aufzustehen. Aber so sehr sich auch auf seiner Matratze herumwarf, es gelang ihm nicht, wieder einzuschlafen.
Gedankenlos spielte er an sich herum und beobachtete ein Taubenpaar, dass sich dummdreist in einem Balkonkasten des Nachbarhauses einzunisten versuchte, obwohl Schaschlikspieße zwischen der kümmerlichen Bepflanzung genau dies verhindern sollten.
Nach beinahe einer Stunde sprang er nackt und entschlossen aus dem Bett, um sich mit einigen Übungen zu erfrischen. Er ließ sich nieder und schlug sein rechtes Bein über die linke Schulter.
Pablo hat lange, muskulöse Beine wie ein Massai.
Den rechten Fuss setzte er elegant auf den Boden, drehte die Hüfte leicht und hielt sich ganz aufrecht. Die Hände hatte er vor der Brust wie eine Tulpenknospe ineinander gelegt. So verweilte er zehn Minuten und tat in dieser Zeit sieben Atemzüge.
Zum Abschluss sang er im einfachen Lotussitz ein Mantra:
Mächtiges Mandelbrot steh mir bei
Und spar dir deinen Zorn für die Gerechten
Verschone gütig die Schlechten
Möge die Sonne mich belecken
Möge ein Mädchen ich beflecken
Mächtiges Mandelbrot steh mir bei
Und spar dir deinen Zorn für die Gerechten
Verschone gütig die Schlechten
Möge das Essen mir heut schmecken
Möge mein Talent ich entdecken
Mächtiges Mandelbrot steh mir bei
Und spar dir deinen Zorn für die Gerechten
Verschone gütig die Schlechten
In seiner Jugend hatte Pablo wie die R’n’B-Stars im Kirchenchor gesungen, seine Stimme war voll und leidenschaftlich.
Als er sich gerade eine Camel ohne ansteckte, um die gesundsfördernde Wirkung der Übungen etwas abzumildern, klingelte es. Pablo schlüpfte in seinen Morgenmantel, der mit krassen Szenen aus Londoner Untergrundklubs bestickt ist.
Vor der Tür stand eine Frau. Pablo sah sie lächelnd an. Sie war noch herber, noch kühler und noch sanfter als der Boss (in seinen Augen) von Sonic Youth - Kim Gordon, die einzige Frau, deren Bild er jemals auf Knien angebetet hatte.
Antonia Bakht, stellte die Frau im Treppenhaus sich vor und Pablo roch ihren verhängnisvollen Frauenduft.
Mahmoud Bakht ist Pablos Vermieter.
Das Mädchen hebt seine schmale Hand zum Abschied und verschwindet in der Dunkelheit.
Was ist verficktnochmal los mit dir, Alter? Warum stellst du mir diese verdammte Blume nicht vor, Herrgott, flucht Brian (auf Englisch).
Ich hab ihren Namen vergessen, sagt Pablo. Nenn sie Heike, von mir aus.
26.02.2005 15:22:47
Alsterdorf
Zusammengedrängt stehen die Pflegeschüler an ihrem ersten Schultag auf dem Alsterdorfer Marktplatz. Sie haben Mittagspause und sehen sich um, als seien sie in ein übergroßes Märchendorf geraten.
Die Sonne spiegelt sich in den blitzblanken Fenstern.
Ein nutzloser Schlot zeigt in den Himmel, den pausbäckige Wolken überqueren.
Die Bäume flüstern im Wind.
Auf dem knubbeligen Pflaster haben sich die lustigsten Gestalten versammelt. Ein würdiger Herr mit einem solarbetriebenen Ventilator auf dem Kopf. Ein Mannsweib, das seine ganze Faust verschlingt. Ein Gnom im Blaumann. Ein Mongo-Punk, Hand in Hand mit einer winzigen barfüßigen Gräfin. Eine Bohnenstange, die eine Gruppe singender Greisinnen in den Aldi-Markt führt.
Tapfer setzt sich als erste eine stämmige Asiatin auf eine Bank, die beinahe so groß wie ein französisches Bett ist.
Das also seien ihre zukünftigen Patienten.
Klienten!, berichtigt ein junger Mann ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen und wird in diesem Moment von einem Hünen, dessen Gesicht der Schatten einer mächtigen Sonnenbrille verdüstert, um eine Zichte angeschnorrt. Er bekommt eine und verlangt sofort eine weitere für seinen Freund. Dann will er noch eine für später.
Als der junge Mann zögert, beschimpft der Koloss ihn als Mistfink und Nazi.
Mitten in das Schweigen der Heilerzieher von Morgen setzt sich stöhnend eine dralle Fregatte.
Ihr meint dat gut mit uns, sagt sie, lächelt, springt plötzlich auf, kreischt, schlägt um sich, reißt ihr T-Shirt hoch und trägt keinen Büstenhalter.
Zum Glück eilen ihr zwei alte Knaben zur Hilfe. Der eine zieht ihr das Shirt runter, der andere zündet sich eine Pfeife an, um die Scheißviecher, die Blutsauger wegzuräuchern, wie er sagt.
Schon beginnen die drei zu plaudern, über dies und das. Zum Beispiel erklärt der Pfeifenraucher, sein Zimmer sei unglaublich dreckig, ein richtiger Saustall, sowas hätte man ihm früher, damals nicht durchgehen lassen, gleich an die Wand und ratatatat.
Immer noch stumm kommen die Schüler überein, dass es besser sei jetzt zu gehen, um bloß keine Sekunde Unterricht zu verpassen.
24.02.2005 22:19:02
Ahrensburg
Eine Brücke aus Stahl und Teerpappe. Die hohe, steile Treppe ist von Gestrüpp durchwuchert, das nach den Beinen eines trägen Spaziergängers schnappt. Oben, über den Bahngleisen dröhnt der Stahl bei jedem Schritt. Auf der anderen Seite mündet die fünfzigste Stufe ins Moor.
Über dieses Moor, dieses unklare Gewässer windet sich ein Weg aus schlüpfrigem Holz, den Nacktschnecken versperren.
Ein morsches Wanderspaar schreitet trotzdem forsch voran.
Nach dreihundert Metern endet der Moorwanderweg in einem unansehnlichen Wald ohne Unterholz, dafür mit zahllosen Infotafeln, die sein einziges Geheimnis lüften: all die Bäume wurzeln in einer mittelalterlichen Burganlage.
Die Straße die den Wald sauber in zwei Teile spaltet ist Ende des letzten Jahrhunderts neu asfaltiert worden und knattert an einer Siedlung vorbei, die mit dem Rücken am Waldrand steht.
Im Todesstreifen zwischen den letzten staksigen Bäumen und dem langen Zaun, mit dem die Gärten der Einfamilienhäuser gegen den Wald geschützt sind, strotzen kindshohe Brennnesseln mit Brennhaaren dick wie Hamsterkrallen. An mehreren Stellen durchbrechen sie den Zaun.
In einem der Gärten schlägt eine Frau mit der elektrischen Heckenschere nach einer Libelle. Nach einem kurzen, entschlossenen Kampf löst das Insekt sich jäh in Luft auf.
Die Frau behandelt mit chirurgischer Genauigkeit einen Kegel aus Buchsbaum, der in einem blütenweißen Kunststoffkübel im Zentrum des akkuraten Rasenteppichs steht. Rechts und links von ihm ist je ein Rosenstock aufgepflanzt, die Blätter an der Hosennaht, die gelben Blüten hoch erhoben.
Sacht führt die Frau die Heckenschere über die niedrige Hecke, die die Terrasse einfasst.
Ihr hellgelbes Poloshirt ist Ton in Ton mit der Farbe des Hauses gehalten.
Den pflanzlichen Abfall wirft sie in einen eckigen Behälter, ebenfalls aus weißem Kunststoffspritzguss, der parallel zur Garage steht.
Dort begegnet sie noch einmal der Libelle.
Die Heckenschere liegt schon sorgfältig im Originalkarton verpackt auf dem Terrassentisch.
So schlägt die Frau die Hände vors Gesicht und rennt gebückt wie bei einem Tieffliegerangriff durch die offene Terrassentür.
Zurück bleiben grüne Gartenclogs auf dem Fußabstreifer.
23.02.2005 14:46:29
Steindamm
Der Himmel über dem Steindamm ist matt violett, so dass er mit dem linken Auge betrachtet kostbar, schmuddelig mit dem rechten aussieht. Der Wind trägt die verbrauchte Luft aus den Imbissen, den Daddelhallen, den Sexshops, den Pornokinos, den Stundenhotels und das Raunen, Flüstern und Zischeln aus Männermündern in die trübe Dunkelheit.
Bist du süß.
Du bist süß.
Oh bist du eine.
Geile Fotze.
He.
Du.
Na komm mal her.
Wie ein wütender kleiner Schwan, den Hals gereckt, die Stirn angrifflustig gesenkt, die Flügel hinter dem Rücken gespreizt jagt sie hinter dem Mountainbiker her.
Has du grade versucht mich umzufahn? Sach ma!
Sie schnappt nach seinem Hemdzipfel.
Fass mich nich an!
Du has grade versucht mich umzufahn!
Dass du dich nich schämst du Hure schäm dich! Un dann noch so ne Billighure, Fünfeurohure. Mit dir würd ich nie, nich umsonst würd ich mit dir.
Du nennst mich Hure!? Du nennst mich Hure!? Bis du überhaupt deutsch?
Klar bin ich deutsch, Steinmuschi!
Wo bis du deutsch? Wo du deutsch bis, möcht ich ma wissen. Mit deiner kanackigen Haut, Kanacke.
Halts Maul oder ich fick dich.
Ich dachte du poppst mich nich.
Ich popp dich nich. Hab ich gesagt, ich popp dich oder ich fick dich? Poppen is mit Liebe und Ficken is bloß –
Er rammt seine Faust in die Nacht.
Ach, verpiss dich doch.
Erschöpft dreht sie sich weg und glättet ihr Gefieder.
04.02.2005 13:31:00
Hauptbahnhof
So weit kommt das noch, Frollein.
Drohend bleibt die Mutter mitten auf dem Bahnhofsvorplatz stehen. Die rausgewachsene Dauerwelle klebt ihr in der Stirn. Es ist schwül. Der Himmel leuchtet weiß.
Wenn du dir die Haare färbst, rasier ich sie dir eigenhändig ab. Und zieh bloß nicht son Gesicht.
An ihrer Mutter vorbei sieht das Mädchen in die Zukunft.
Dann lasse ich mir eben die Glatze tätowieren.
Der satte Aufschlag einer Bierdose zu Füßen der Mutter läßt die Tochter für den Moment ungeschoren davonkommen.
Am schmalen Ufer des Menschenstroms, gleich neben den Fahrscheinautomaten schwitzt er in seiner roten Jacke. Hamburger Verkehrsbegleitservice. Ein Namensschild bezeichnet ihn mit A Köhler.
Im Takt eines Klassik-Hits von Mozart, Haydn oder Bach tänzeln seine unangemessen kleinen Füße. In der Mitte ist er einfach nur fett. Auf schmalen Schultern sitzt ein Erbsenkopf. Durch seine dicken Brillengläser sieht man deutlich wie er seinen Kollegen anstarrt.
Doch der, drahtig und gebräunt, blickt hartnäckig in die andere Richtung, aus der sich an die dreihundert Kilo, verteilt auf zwei Körper mit großem Hallo nähern.
Freigiebig offerieren sie ihrem dicken Kumpel eine Dose Bier, aber A Köhler zieht die Jacke glatt und lehnt lauthals ab. Er sei im Dienst.
So ziehen die beiden weiter und können gerade noch einem Trupp Polizisten ausweichen, die die Wandelhalle widerwillig im Laufschritt durchqueren.
Neidisch blickt A Köhler auf ihre Knüppel.
Am äußeren Rand des Bahnhofvorplatzes, gleich an der Straße stehen noch welche dieser seltenen Bänke, umringt von einer Meute spitzköpfiger Hunde und ihren Herrchen und Frauchen. Freie Radikale haben ihre Gesichter ausgelaugt, sogar die ganz jungen Dinger haben schon einen Schmiss weg.
Da platzt plötzlich fünfzehn Meter weiter eine Bierdose auf dem Straßenbelag. Ein Langhaariger hat sie geworfen.
Ich will dich hier nicht mehr sehen, hab ich gesagt!
Er reißt sich das Hemd runter, pumpt die hagere Brust auf, nimmt die Fäuste hoch, geht völlig ab und donnert dem untersetzten Glatzkopf die Rechte in die Fresse. Der zieht das Knie hoch. Wortloses Gebrüll, Fußtritte, Fausthiebe. Kläffende Hunde dazwischen.
Es sind zwei Frauen, die die Kämpfer trennen und sie erneut aufeinander loslassen, als die Hunde endlich auseinander sind.
Im Trab herangeeilte Polizisten beenden die zweite Runde, im beidseitigen Einverständnis werden die Personalien festgestellt. Dreivierfünf Kumpels gesellen sich dazu. Hundenasen hinterlassen feuchte Flecke an Polizistenbeinen.
Es dauert fast zwanzig Minuten, ehe die Beamten sich schulterklopfend verabschieden und wieder auf den Dienstweg machen.