ein bild

Aus dem Kakaofilmparadies


Weiß und braun sind die Farben des Paradieses. Wie weicher Kakao mit einem Turban aus Sahne sieht es aus, und es schmeckt nach gutem Film aus einem Spitzenjahrgang.
In Berlin wird es wahr, das Paradies, in Berlin, der Staubstadt und Zeitfressmaschine, im Mundgeruch-Moloch, in dem am Tag die Löffel zum Takt des Mischmaschinenmotors im Kaffeeglas klingeln. Doch es ist Nacht geworden und warm wie Kakao. In Regalen stapelt sich die Zeit, man kann sie zupfen: Frankreich 1973.

Ein blasser Gott regiert das Reich der Zeit, das Negative-Land heißt. Er schweigt, fragt man nach Bdelliumharz und Karneolsteinen. Will man aber „La Maman et la Putain“ von Jean Eustache, in dem in Schwarz und Weiß die Liebe und das Leben einander müde reden, bis Jean-Pierre Léaud um Gnade winselt, weiß der Gott aus seinem Kopf, dass auf dem Band die ersten vierzig Sekunden fehlen, zugegeben: fünfzig.
Treibt dich draußen der Pischon nach Osten, wird es wieder warm und braun und weiß, cremig weiße Stühle stehen da, Kakao liegt matt in Glas und Becher, Kakao gestreut auf Brot, kakaobraun ist die Haut schöner Schultern aus Paris.
Am schönsten an diesen Pariserinnen ist, dass sie kein französisch können, sie führen stummen Dialog mit dem Ambiente. In Paradiesen fehlt der Reiz, hier jedoch geht ein Schamane ein und aus, mit Sofakissen auf dem Kopf, er spricht besetzte Tische an, singt für sie Lieder, ist Schlangenbeschwörer und farbiger Klecks.

Im kakaobraunweißen Paradies bestellt ein Mann der Frau und sich je einen Cuba Libre. Schon geht die Nacht zur Neige. Der Wirt ist höflich, er gewährt die letzte Runde. Es wird halb drei. Die entzückende Bedienung zückt das Portemonnaie. Hat es geschmeckt?
Höflichkeitshalber bemerkt der Mann, die Ehrlichkeit gebiete das Geständnis, sein Cuba Libre habe nicht geschmeckt.
Höflichkeitshalber sagt die Bedienung, es läge vielleicht an der ungewöhnlichen Cola. Ja, diese Cola ändere wohl den Geschmack.
Höflichkeitshalber sagt der Mann, nein, die Cola sei bestens, wirklich, es läge vielmehr an dem Rum, ja, es sei der falsche Rum gewesen, nur als Hinweis.
Höflichkeitshalber flankiert die Frau des Mannes, es sei ja so, dass der Cuba Libre mit sechs Euro auch nicht eben billig sei.
Höflichkeitshalber sagt die Bedienung, es sei vielleicht ein anderer, sicherlich nicht ein schlechterer Rum verwendet worden, und die Zubereitung sei mit diesem wie mit jenem Rum die gleiche.
Höflichkeitshalber ergänzt die Frau es Mannes, sie hätten drüben in der Bar, gleich schräg dort gegenüber, soeben einen billigeren und, nichts für ungut, besseren Cuba Libre getrunken.
Höflichkeitshalber fragt der Wirt, was es mit dem Rum denn auf sich habe. „Havanna Club“ gehöre in den Cuba Libre, sagt der Mann und fragt höflich, welcher Rum sich denn in diesem sogenannten Cuba Libre befunden hätte. Havanna Club? Der Wirt, er lacht. Seine Marke, wehrt er höflich ab, würde ihm, dem Mann, sicher nicht viel sagen.
An dieser Stelle, eigentlich zu spät, hört die Höflichkeit auf, Worte plumpsen wie weiche Äpfel. Ins laue Blau der Dämmerung schwanken die Vertriebenen.

16.06.2005 20:55:35 

drei farben: berliner weiß (1)


wie weich der glasige teig den schlund hinab gleitet, wirft so zarte wellen im glatten hals, in den man beißen mag, ein hals, so zart und hell, so zart und hell wie faltenloser teig, von hellen händen zart getupft zu taschen. mit stäbchen in den mund geschoben, rutschen die taschen beinah unversehrt, fahren geschmeidige kleine reisetaschen in richtung des faltenlosen bauchs.

sind nur manchmal recht große taschen, die teuersten am orte, handgenäht von tante li. tante li serviert spezielle taschen, bauchig dicke taschen, manchmal muss man beißen. leise knirscht die kauerin, sie verrät die kleinen knörpelchen, das knurpseln klingt noch lange nach, ein ohrwurm kleiner knochennager bis zur kadenz des schluckgeräuschs.

weiß ist der hals der kundin am tisch von tante li, weiß soll er bleiben, beinah faltenlos, die falten sollen linien bleiben, kein geäst, nein, feine striche, gezogen mit skalpell. die erstaunlich junge tante li verspricht verjüngung. sich wie neugeborn zu fühlen, ist das vorrecht neugeborener. aber nur, wenn sie nicht abgetrieben und, von tante li gehackt, im warmen weißen bauch des teiges schmoren.

(szene aus dem chinesischen film „dumplings“)

26.06.2005 01:29:36 

drei farben: berliner weiß (2)


auf dem grauen grund aus steinen ist sein fuß gesprungen. der da hockt da. aufrecht ragt auf zehen mit vergilbten nägeln die bröckelnde kruste, steht wie schmutziges schneebrett, eiskalter sockel.

der da ist dünn, aber teigig ist der, weiche röllchen stülpen aus beinkleid aus cord (marineblau). wie der da hockt, gleiten meine blicke in den poschlitz, kleine falten furchen seine backen. der muss jetzt arbeiten, sagt der da, bleibt gebeugt, ein büßer, fehlen nur die dornen und das kreuz, fehlt nur kreide, sonne melkt die dürren strähnen. er will wasser.

er muss jetzt arbeiten. will der malen? steinchen hämmert der, der hämmert steinchen aus, und kleine aha!s verkünden dem umkreis unkrautfunde. der klopft und klopft, der reißt die wurzeln aus dem grund, klopft und klopft, wenn andere wochenenden wollen, teig verspeisen wollen und genießen, da klopft der sie weg, der klopft sie alle weg, lässt gespräche zerspringen und gedanken, nur der da klopft und schwitzt in seiner arbeit unbeugsam, schwarz auf weißen sohlen.

(szene im straßencafé einer bäckerei)

27.06.2005 01:20:49 

drei farben: berliner weiß (3)


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 02.07.2005 19:52:07.

28.06.2005 18:24:15 


Was hält das eichhörnchen vom tisch? was hält der fisch von einem schiff, die beiden sehen sich von hinten an

dann wird fonetisch aus fisch schiff und aus schiff fisch, sprich das mal schnell, dann überleben fische

das weiß man also, doch nichts weiß man davon, wie weit weit weit die weißmannichte reichen.

Nichts weiß ich vom nüssenagen, nichts vom wippen im geäst, nur als metapher, nur als kinderbild, als ob ...

haben nager manchmal skrupel? wo sind die löcher, durch die ich auf synchrone Welten sehe

wer tanzt da noch auf diesem netz der stränge, sind goblins wirklich nachtaktiv (und lachen mit den Schnecken)?

02.08.2005 23:07:15 

Viele Grüße aus Cismar


kloster cismar

Vierzehn nach neun uhr abends, am neunten Tag des Monats bleibt im Künstlerhaus Cismar eine Armbanduhr stehen, die letzte. Bemerkenswert ist nicht die genaue Uhrzeit, sondern ihre Benennung. Die genaue Benennung verweist auf das Bedürfnis des Chronisten nach Orientierung, nach Positionierung des Chronisten im Zeitgeschehen. Die Zeitbestimmung eines Ereignisses ist, will man Chronist sein, lebenswichtig. Doch der Chronist hat abgenommen. Er nährt sich von Lebenszeitpunkten, doch die Notierung der Zeitpunkte zeigt dem Chronisten Zeitpunkt für Zeitpunkt das Verschwinden von Zeit, die Abnahme von Leben, die Tilgung des Chronisten. Lesen Sie hier seinen letzten grußlosen Einträge:

Oktober: Das Kloster von Cismar ist beliebt. Entenfüttern ist erlaubt, der Walnussbaum ist populär, der empfohlene Fahrradweg streift das Café des Klosters. Man lebt hier gesund und gern, glauben vier Stipendiaten.

Vier Stipendiaten ziehen ein – W., J., S. und K. Bald schmieden sie Pläne, beflügelt vom Schnattern der Gänse, emsigen Nagern, Menschen im Ausflug, bereichert mit dem Kredit der Ostseekarte. Was es da alles gibt: Kohlwurst gratis, Klabautermännchen, Relax-Massage, Parafinbad, ein modisches Nicki-Tuch bei Einkauf von über zehn Euro oder ein Käpt’n-Holzbein-Tattoo. Auch lockt Esel Cäsar in Nessendorf. Sie sehen ein: Nach Nessendorf gelangen sie nie. Sie bleiben in Cismar. Sie leben sich ein. Doch je mehr sie sich einleben, desto mehr leben sie ab. Je mehr sie da sind, desto mehr ist weg.

Weg sind als erstes die Gänse. Gänsehirte, wo sind denn die lieben Gänse? fragt Stipendiatin W. den freundlichen Hirten. Der Gänsehirte lacht: In den Kühltruhen, liebe W., in den Kühltruhen.

Ruhen die Stipendiaten, hören W., J., S. und K. Eichhörnchen weinen. Eichhörnchen schüttelten tagelang, wochenlang Nüsse vom Baum. Ihre Winterration. Noch im Fall werden die Nüsse abgefangen, die Küchenfrau schwingt ihren Korb durch die Luft und trägt ihn gefüllt in die Kammer. Panik befällt die Eichhörncheneltern in Sorge um Nahrung.

Nahrung geht aus. Der November beginnt. Das Klostercafé schließt. Das Ende der Rumkugeln. Es verstummen die lieblichen Melodien, die immergleichen.

Wie Leichen irren verspätete Gäste des Klosters ziellos im Kreuzgang umher. Sie finden keinen Anhaltspunkt. Sehenswürdigkeiten verkriechen sich hinter Schlösser, ins Versteck des Unsichtbaren, verborgen vor Stipendiatin J.

Stipendiatin J. hat Diabetes und hegt eine heimliche Liebe für den Drogisten, sorgt sich jedoch um Nachschub für Insulin, die nächste Apotheke ist für die Frau ohne Führerschein, die nie das Fahrradfahren lernte, fern.

Ferner leidet Stipendiat K. an Schreibblockade, ohne, bedenkt er es recht, mit Schreiben je begonnen zu haben. Er schreibt nicht, er sitzt und stiert, statt Ruhm bekommt er Haltungsschäden, Daumenbruch und Hunger.

Hunger treibt die Stipendiaten W., J., S., und K. an die See. Sie möchten Backfische essen, doch die Saison ist vorbei, die Buden sind vernagelt wie Särge aus Holz.

Holzscheitreste stecken im Bein des bibliophilen Stipendiaten S. Er hat die verwundete Wade nach Cismar mitgebracht. Hier soll sie heilen. Als sie heilt, hüpft S. vor Freude, doch das Hüpfen schadet der Heilung. Die Wunde nässt, das gelbe Tanzbein welkt wie Buchpapierblätter.

Blätter verfärben sich dunkel. Sie modern, verkleben Bleche und Reifen der rollenden Stühle, liegen wie seifige Lappen auf Wegen.

Wegen neuer Technik schaltet an einem Tag im November die Sendezentrale die Hebel um. Wer bisher sieben Programme empfing, empfängt nur noch drei, zwei davon schneeig. Sendesignale werden dürr wie Eichhörnchen.

Eichhörnchen knipst Stipendiatin W., wenn W. auf A. wartet., doch A. sieht gern Sportschau. Mit schlechtem Empfang unterbleiben Besuche.

Besuche lassen vermuten, der Frohsinn der Bäckerin sei im Oktober gedämpft, spürbar gedämpfter noch im November.

Im Dezember erreichen noch drei Stipendiaten die Bäckerei. Stipendiat S. kratzt am faulenden Bein mit einem Gesicht, als habe er etwas schlecht Schmeckendes gegessen. Mit diesem Gesicht – der Mätresse des Bischofs gedenkend – liegt er wach in der Nacht.

Nachts irrlichtern vor den Fenstern der Stipendiaten W., J, S., K. Laternen, über den Lichtern ziehen Schwaden dünner Stimmen, rufen aus den Grüften ferner Kindheit ihre Käuzchenrufe über den Friedhof.

Hofierend bietet der haltungsgeschädigte Stipendiat K. der diabetösen Stipendiatin J. seinen Arm zur Unternehmung: auf zur Diabeteswoche nach Lensahn! Zusammen reisen sie, schaffen den Weg, doch längst ist die Diabeteswoche vorüber. Während J. irritiert das Plakat mit der Aufschrift „Diabetes – na und?“ liest, vergleicht K. Angebote für Gehwagen. Zu Weihnachten wünscht er sich einen Stock in Schwarz.

Schwarz umrandet klafft die Wunde im offenen Bein des Stipendiaten S. Das Loch wird zur Spalte, zum grinsenden Mund mit ausgefallenen Zähnen. Der Schimmel schürt den Juckreiz.

Reizend gerissen lernt Stipendiatin J. Skat. Auf Insulindiät gesetzt, verwechselt sie aber die Farben. In ihrem Blick ändern Dinge und Regeln die Formen. Sie verlangt mehr Licht.

Licht versteckt sich im Morgenmantel aus Nebel. Darin singt ein einsamer Mann am Klostergraben englische Liebeslieder. In vier Klosterfenstern stehen aufgereiht vier Stipendiaten, reglos, bis der Gänger vergangen, der Gesang verstummt ist. Sie versichern einander, dass etwas da war. Soeben hören sie Glockenschlag.

Acht geben seitdem die vier Stipendiaten W., J, S. und K. Jeden Morgen zum achten Schlag schauen sie aus den Luken ihrer Kemenaten. Doch kein Spaziergänger geht, niemand singt. Vier Stipendiaten fragen einander, wie sie aussehen. ‚Rüstig!’ rufen jeweils drei zum Frager, ‚ausgesprochen rüstig.’

Gerüstet begibt man sich auf eine Landpartie, wild entschlossen, alle vier, ‚das Glücksklee’, lachen sie und setzen sich ins Auto, fahren los, irgendwohin, ‚ins Blaue’. ‚Wohin?’ fragt Stipendiatin W. ‚Richtung Grube’, sagt Stipendiat K. Sie wenden sofort.

Fortwährend kauern seitdem die Stipendiaten W., J., S., K. zusammen bei Glühwein und Rüben. Zwei Kerzen bescheinen den Tisch, gedeckt mit zerknitterten Tuben, fleckigen Mullbinden, Biergläsern mit Resten von Salben an Böden und Rändern. Einer geht austreten. Drei fragen sich: Kehrt er zurück? Bin ich der Letzte? Wann?

08.08.2005 01:38:25 


Kiel auf Sand zwei acht Rückblatt
Kiel auf Sand zwei acht Rückblatt unten

15.08.2005 02:59:00 


Kiel auf Sand zwei sieben Impressum oben
Kiel auf Sand zwei sieben Impressum unten

15.08.2005 03:00:27 

Kiel auf Sand


Kiel auf Sand Titel obenKiel auf Sand Titel unten

Kiel auf Sand Untertitel obenKiel auf Sand Untertitel unten

Kiel auf Sand eins eins oben
Kiel auf Sand eins eins unten

Kiel auf Sand eins zwei oben
Kiel auf Sand eins zwei unten

Kiel auf Sand eins drei oben
Kiel auf Sand eins drei unten

Kiel auf Sand eins vier oben
Kiel auf Sand eins vier unten

Kiel auf Sand eins fünf oben
Kiel auf Sand eins fünf unten

Buch 1 Kapitel 6
Buch 2 Kapitel 1

Buch 2 Kapitel 2

Kiel auf Sand zwei drei oben
Kiel auf Sand zwei drei unten

Kiel auf Sand zwei vier oben
Kiel auf Sand zwei vier unten

Buch 2 Kapitel 5

Kiel auf Sand zwei sechs oben
Kiel auf Sand zwei sechs unten

15.08.2005 03:50:38 

zum scheitern der bildaktion KIEL AUF SAND


statt er also, musste koll sich und sämtlich allen eingestehen, die ihn öffentlich zurechtgewiesen (das wort schikaneder-attitüde fiel, nur zur erinnerung!) und hinter den kulissen unverblümt als rampensau beschimpft und verhöhnt hatten, statt er also die – wiewohl faktisch kleine, potenziell aber unendliche – öffentlichkeit für sein kleines illustriertes druckwerk gewonnen hätte, hat koll die öffentlichkeit offenbar gänzlich davon ausgeschlossen und mutmaßlich ein für alle mal verloren. statt also koll das, also „sein“, wenn-man-so-will „werk“, genauer: werkstück (mehr war es ja nicht), anderen annehmbar gemacht hätte, hat er es anderen, zumal allen anderen, unannehmbar gemacht, statt es für das medium des weltweiten netzes ansehnlich zu gestalten, hat er es unansehnlich gestaltet und geradezu verunstaltet, statt die wenigen seiten seite für seite und tag für tag als ansichtsexemplar bescheiden bereit zu stellen, hat er sie gänzlich und unbescheiden auf einen nächtlichen schlag (((nach einem ohnehin unnötigen und nichtsnutzigen, damit koll ((aber koll (denn koll drängte es) wollte ja nicht hören)) zur warnung dienlich sein könnenden, nein, sollenden und müssenden tag))) als sichtbehinderung in den weg der heimatseite gestellt, hat das abgelichtete heftchen, statt es fischgoldig und klug im zeichenteich auszusetzen, als dicken dummen datennilbarsch dumm ins dunkel plumpsen lassen, hat, statt die lust darauf zu schüren, jegliche lust darauf gründlich und bis in den letzten grund hinein vergällt.

Und unnötiger- und unsinniger-, ja schwachsinnigerweise, hat koll, als alles schon zu spät und unsichtbar geworden war, dem längst im zeichenteichbrunnen versenkten und verdrückten unsinn hinterdrein getaucht, um dieses und jenes auszubessern, nachzubessern, obwohl doch jedes bessern ein gut voraussetzte, in diesem fall aber von gut gar nicht die rede sein konnte, sondern nur von ungut, was koll zutiefst peinigte, wenn auch weniger peinigte als die, schon bei am wenigsten unguter ausführung des plans, andauernde nennung kolls, des eigenen namens, koll, diese fortführende und marktschreierische selbst- und kollnennung, die überhaupt nicht mehr aufhörte, im gegenteil, mit jedem ärger über die erneute nennung erneuert und ärgerlicher wurde.

Dieser Text ist Rainer Klehn (D) gewidmet.

24.08.2005 15:42:05 

Dear Wendy


Die Frauen im Berliner Prenzl’Berg sind alle sehr begehrenswert, sie sind so schön, dass der, der Weibliches verehrt, früh morgens schon zum Bäcker geht, hinter der Zeitung in Deckung geht und konzentriert genießt. Die Frauen schieben ihre Wagen schön und stolz, sie sind beinah erhaben, viele Prenzl’Berger Frauen sind schon Mütter, nichts Menschliches ist ihnen fremd, vertrauen Sie den Prenzl’Berger Frauen.

Die Prenzl’Berger Frauen sind jedoch – und bestreiten Sie das nicht, bloß das nicht – sie sind nicht antastbar, sie sind die Tuaregs der Stadt, sie danken nicht den Kavalieren an den Straßenkreuzungen, in komplizierten Ritualen finden Prenzl’Berger Frauen morgens ins Kostüm, dessen Schichtung, dessen Reihenfolge jeder Logik widerspricht. Hülfe man, sie anzukleiden, würde man sich heillos verheddern und beginnen, den Prenzl’Berger Frauen nicht zu trauen.

Wer trotzdem Frauen nachstieg im September, stieg vom Berg herunter. Und zwar allein. Kaum eine Prenzl’Berger Frau kam mit nach Kreuzberg, wo diese Partys stiegen, zum Beispiel Yogic-Trance-Partys, dort waren Eingeweihte weiß gekleidet, unverwickelt, weil die Energie dann besser floss, und wer die Mantren nicht gelernt hat, musste sich nicht schämen, denn die Augen waren meist geschlossen, und da war eine Lieblichkeit, die ungetrübt von Alkohol und Drogen blieb. Raucherspace war draußen! Obst und Wasser, Saft und Kekse im Preis inbegriffen (15,00 Euro). Den Höhepunkt setzte der Gong (erst gerieben, dann getrommelt und schließlich volle Pulle druff), der alle Suchenden des Glücks (und schon im Vorfeld Glücklichen), in Schallwellen wiegte und (programmgemäß) in Trance versetzte, sodass zwei Paare liegen blieben, ein Freund gesellte sich dazu, massierte beide, die andern schauten zu und besorgten sich Bananenflashs.

Massagen sind ja stark in Mode, auch in Neukölln, dort lehren workshops neue Formen der Massage. Jeder darf massieren, wird massiert, und jeder ist ganz nackt dabei. Nebenwirkung schadet nicht, Erektionen sind natürlich, auf Verabredung geduldet ist die Ejakulation. Beim Yoni-Lingam-Kurs lässt sich tantrisch üben, wie sich Massagen konzentrisch auf die Sexualorgane zu bewegen und dort bleiben.

Manche halten das nicht aus, die rasen dann zurück, zurück, hinauf zum Prenzl’Berg, und wer zu schnell, zu unnachgiebig im September stieg, mochte unbemerkt den Gipfel schon passiert haben und in der Brotfabrik gelandet sein in Pankow. Da lief Deep Throat. Der Vorspann mit Bezug auf Freud und Gradiva wurde so schnell abgerollt, dass niemand dort zu lange warten musste, bis Linda Lovelace zeigte, wofür der Film berühmt ist: die komplette Aufnahme des Genitals bei Öffnung ihres Kehldeckels. Trotz Schillers Ode an die Freude, die zur Ouvertüre als Syntheziser-Variante der neunten Sinfonie anklang, und trotz fideler Feuerwerke, war von Götterfunken nicht viel spürbar, irgendwie, fast stellvertretend zur gedopten Lovelace, regte sich gedämpfter Brechreiz. Als das Licht anging, knutschte nicht ein Paar.

Auch nicht in Mitte, wo auf der Volksbühne beim Krieg im Sertâo wilde Stimmung aufkam, mit lauter wilden Brasilianerinnen, die auf der Bühne murmelnd angriffslustig masturbierten, und wo ein Brasilianer als Soldat auftrat, der, aus seinem Liebestraum geweckt, auf den Balkon kam, schon mit Erektion, zwei Meter über uns, und zu Gesang sein Glied so lud, dass er beim Schlusston schoss – die Dame unter ihm rückte schnell ein Stück zur Seite, sonst wäre sie getroffen worden.

07.10.2005 17:31:45 

schönes ibiza 1


ibiza 1 oben
ibiza 1 unten

bonné und koll, lokal es moll, eivissa.

15.10.2005 23:54:25 

schönes ibiza 2


ibiza 2

schamröte eines ibizänkischen oktobermorgens (noch nicht im bild: bonné).

16.10.2005 14:17:07 

schönes ibiza 3


mirko oben
mirko unten

white country blues eines ibizänkischen oktoberabends in eivissa (im bild: bonné).

17.10.2005 23:40:37 

schönes ibiza 4


bäche von gesalznen zähren,
fluten rauschen stets einher.
sturm und wellen mich versehren,
und dies trübsalsvolle meer
will mir geist und leben schwächen,
mast und anker wollen brechen,
hier versink ich in den grund,
dort seh in der hölle schlund.

(bwv 21 - ich hatte viel bekümmernis)

salinen oben
salinen unten

salinen nach oktoberregen, gelegen zwischen haus und meer.

19.10.2005 00:00:17 

schönes ibiza 5


kettenwinde oben
kettenwinde unten

ende.

19.10.2005 09:42:19 

BWV 21


(...)
erfreue dich, seele, erfreue dich, herze,
entweiche nun, kummer, verschwinde, du schmerze.
verwandle dich, weinen, in lauteren wein,
es wird nun mein ächzen ein jauchzen mir sein!
es brennet und flammet die reineste kerze
(...)

flammen oben
flammen unten

20.10.2005 21:25:51 

karwendels kühle rechnung


es fuhr etwas in herrn karwendels herz, unweit der kastanienallee mit ihren flackernden herbstsonnenfluten, als karwendel die kakaobar verließ, um daheim nachzusehen, ob die kohle wohl noch glühte.
es fuhr ihn an, zu überschlagen, in wen er sich seit heute morgen alles verliebt hatte.

nicht zu vergessen die pakistanische bedienstete. sie hatte mittags freigebig gestrahlt, diese pakistanische bedienstete im kopierladen, die karwendel eine quittung hinterher trug, er war ja schon längst fort, mit gedanken und gebeinen längst anderswo gelandet, gegenüber im buchladen gestanden, doch sie war ihm gefolgt, leise pakistanisch lachend, mannometer, dachte karwendel, so schwarz können haare also sein, so schwarz, dass dieser dunkle schopf alles licht in diesen kopf einsaugt, das ganze licht, das durch den kopf und wieder aus den augen strahlt. was hätte daraus werden können, dachte er, die quittung faltend.

im kleinen café, in dem das personal halbe brötchen liebevoll mit pflaumenmus bestreicht, saß später eine frau am tresen, im mittelpunkt von männern, die nicht verfolgen konnten, wie die frau andauernd ihren spitzentanga in der jeans verbergen wollte, doch immer wieder kletterte das bändsel aufwärts, und herr karwendel, versteckt in ihrem rücken, durchdachte alle nebenwirkungen und blätterte in stifters nachsommer.

unbedingt verehrenswert erschien karwendel abends claudia wiedemer, (die grete-darstellerin wiedemer), die sich für ihn verausgabte (der saal war ausverkauft) und karwendel ganz persönlich anvisierte (wie um kraft zu tanken, auszuruhen), verstohlen, er sah es ganz genau (die andern sahen es ja nicht), verstohlen war karwendel längst ihr tangopartner (sie folgte seinen, er nicht ihren schritten), bis die wiedemer (der billigste von allen tricks) mit ihrer riesenrose auf karwendels nebenplatz zuflog (da saß die regisseurin), kurz prüfte herr karwendel: hat jemand ihm was angemerkt? (das war aber nicht der fall)

und schließlich streute er in der kakaobar, was er für charme hielt, über seine nachbarin, verstrickte sich in für und wider, ob es sich für sie wohl lohne, ein geschäft für regenschirme zu eröffnen.

vier frauen täglich, auf das jahr gerechnet eine hübsche zahl, rechnete karwendel nach: 1.460 mal keine frau, er müsste dringend, dachte herr karwendel, ordnung in die angelegenheiten seines herzens bringen, doch zuhause war es kalt, und er ging eilig schlafen.

08.11.2005 19:56:44 

raddatz zieht


im buchhändlerkeller gewesen,
dem verlassenen domizil des großen kapé,
längst geweißt,
die wände mit schichten aus gesichten
zum nikolaustag kommen
die häute wieder unter den hammer.

zehn leute da. und alle alt.

zu ehren dieter wellershoffs (80) zeigt jürgen tomm nicht-öffentlich trouvaillen aus dem sfb-archiv, autor-scooter 1980: mit vorgehaltener zigarette leitet pisa-mafioso raddatz, vollbart, fiese brille.

raddatz hat gesellschaft, diesmal „gastarbeiter“ urs jaeggi, mit haarkranz, zigarette, direkt von der uni. raddatz und der jaeggi leiten in die schaltzentrale telefonisch eingegangene fragen der zuschauer zu wellershoff (55).

ja, sagt Jaeggi, hier fragt jemand, warum in „die sirene“ am ende eine interpretation geliefert wird ... das berührt ja auch die frage, herr wellershoff, weshalb sie ... also im anschluss an den roman ... also danach ... eine äh ... interpretation ... anfügen ...
wellershoff: hab ich ja gar nicht.
fritz jott raddatz zieht mit mehr genuss.

09.11.2005 00:30:05 

vier männer


akt: 3.5
wasserstand: 1,4 m

eine dunkle grotte. auf einem steil aufragenden felsen sitzen ein alter mann und ein knabe. darunter, bis zur brust im wasser, stehen ein junger mann und ein mann in den besten jahren. die situation: nachdem der knabe den alten mann gefragt hatte, ob er gott sei, neigte der alte mann bedächtig den kopf und empfahl, mal darüber nachzudenken. alle vier männer taten das sehr inniglich in einem gebet.

alter mann
vielen dank für’s nachdenken, und was sagt ihr nu’?

junger mann
staunen ist vielleicht die vordringliche menschliche regung. sie bezeichnet die differenz des sehenden zum gesehenen. der sehende nimmt die umgebung als erstaunlich wahr, also nicht als gegeben hin. er sieht das andere und wird sich dadurch seiner selbst bewusst. im staunen über das andere begründet er damit das religiöse, also gott.

alter mann
nein, im ernst.

junger mann
gott sieht anders aus.

mann in den besten jahren
der pinkelt auch nicht dauernd in unsre badewanne hier.

knabe
muss ich dann so aussehen wie du, wenn ich ganz, ganz alt bin? (weint)

aus: vier männer - einer überlebt vielleicht

23.12.2005 00:41:02 

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