Über einen Winterkäfer nachgedacht. Aber dann ist mir ein ganz anderer Käfer eingefallen, ein Wesen, für das ich noch keinen Namen habe. - Dieser Käfer sollte ohne Ausnahme paarweise erscheinen, weich sein wie eine Schnecke und von der Körpertemperatur der Menschen und genau so groß, dass er sich in die Augenhöhle eines Schlafenden einzuschmiegen vermag. Man möchte nun meinen, der Käfer würde sich mit seiner Wirkung als Nachtschirm begnügen, stattdessen wird er ein wenig fließen und während er in dieser Weise in Bewegung ist, sehr entspannende Polarlichtspiele von milder, beruhigender Lumineszenz erzeugen.
26.11.2005 21:49:17
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BABUSCHKA. Ich habe eine japanische Frucht entdeckt, eine Apfelbirne. Sie lag unter weiteren Früchten in ein schützendes Korsett von Schaumgummi gepresst und glänzte, als hätte sie hohes Fieber. Habe sie sofort mit nach Hause genommen und versuche gerade eben herauszufinden, ob es sich bei dieser Apfelbirne um eine Birne oder doch eher um einen Apfel handeln könnte. Zu diesem Zeitpunkt, - es ist kurz nach zwölf Uhr -, meine ich bereits herausgefunden zu haben, dass eine Apfelbirne nach Birne, nicht nach Apfel duftet, dass sie aber in Gestalt und Farbe einem gewöhnlichen Apfel ähnlicher ist, allerdings wiederum in die Pergamenthaut einer Birne gekleidet. Ein gelungenes Objekt. Ein Objekt, das in meinem Gehirn leichte Verwirrung zu erzeugen vermag. Ein wenig ist das so, als würde man von einer Frau, die man liebt, eine zärtlich ausgeführte Ohrfeige erhalten.
Man könnte einmal versuchen, erzählend das Leben eines Menschen zu rekonstruieren, von dem nichts weiter zu finden ist als eine Sammlung seiner Fragen an COPERNIC auf einem Notebook, das ihn ein Leben lang begleitete. | stop | Habe das Wort < Lamelleniris > in eine Suchmaschine eingegeben, und tatsächlich, das Wort findet sich allein in der Umgebung des Schriftstellers Peter Nadas wieder. ES ist vielleicht SEIN Wort. Diese Fotografie zeigt Peter Nadas in der Nähe einer Lamelleniris.
Durch Schnee gestapft. Plötzlich die Zeichenfolge „dschibon“ vor mich hingesprochen. | stop | Ein Urwort für gefrorenes Wasser vielleicht. | stop | dschibon dschibon. | stop |
10.02.2006 00:44:17
TANGO | 215 : 8. Februar 2006 – 2 Uhr 22 | stop |
Ob es vielleicht sinnvoll ist, Papiere zu erfinden, die essbar sind, nahrhaft und gut verdaulich? Man könnte sich in einen Park setzen beispielsweise und etwas Chatwin beobachten oder Lowry oder Calvino, Bücher, die Seite für Seite nach belgischen Waffeln schmeckten, nach Birnen, Gin, Petroleum oder sehr feinen Hölzern. Einen speziellen Duft in der Nase, wird die erste Seite eines Buches gelesen und dann blättert man die Seite um und liest dort weiter bis zur letzen Zeile und dann isst man die Seite ganz einfach auf. Oder man könnte zunächst das erste Kapitel eines Buches durchkreuzen und während man nun kurz die Geschichte dieser Abteilung rekapituliert, würde man Stürme, Personen, Orte und alle Anzeichen eines Verbrechens verspeisen und bereits das nächste Kapitel eröffnen, während man noch auf dem Ersten kaut. Man könnte also, eine Bibliothek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisige Wüsten durchstreifen oder ein paar sehr hohe Berge besteigen und abends unterm Öllicht in den Zelten liegen und lesen und kauen und würde von Nacht zu Nacht leichter und leichter werden.
08.03.2006 06:46:11
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Ich stehe mitten im Zimmer. Woran denke ich? Daniil Charms
Ich habe die Fenster seit Stunden weit geöffnet, und obwohl ich einen Pullover tragen muss, um nicht zu frieren, halte ich die Nacht da draußen für eine Sommernacht. | stop | Es ist jetzt 2 Uhr und fünfzehn Minuten. Soeben habe ich Joseph Brodskys sehr schönes Venedig Buch „Ufer der Verlorenen“ auf den Tisch gelegt, um eine Passsage daraus abzutippen. Als ich die Tastatur in eine günstige Position rückte, sehe ich gerade noch, wie meine Tigerspinne zwischen zwei Tasten verschwindet, so dass ich zunächst nicht wagte, auch nur ein Zeichen einzugeben, um sie nicht vielleicht zu verletzten oder gar zu töten. Ich habe das kleine weiße Klavier dann über dem Schreibtisch herumgedreht und etwas geschüttelt und wenn ich mich nicht täuschte, ist mein Freund unter dieser unerwarteten Bewegung heraus gefallen. Natürlich bin ich mir nicht ganz sicher, - die Spinne ist sehr schnell, und deshalb schreibe ich diese und die folgenden Zeilen sehr behutsam, in einer Weise, sagen wir, die Joseph Brodskys genauer Beobachtung und seinem behutsamen Ausdruck angemessen ist. Über den Geruch schreibt er das Folgende. | stop | „Ein Geruch ist schließlich auch eine Verletzung des Sauerstoffgleichgewichts, ein Einbruch anderer Elemente – Methan? Kohlenstoff? Schwefel? Stickstoff? Je nach Intensität dieser Beimischung erhältst Du einen Duft, einen Geruch, einen Gestank. Es ist eine Frage von Molekülen, und Glück, so nehme ich an, ist der Augenblick, wenn Du die Elemente deiner eigenen Zusammensetzung im freien Raum gewahrst. Davon gab es eine beträchtliche Anzahl da draußen, im Zustand totaler Freiheit, und ich spürte, dass ich in der kalten Luft in mein eigenes Selbstportrait hinaustrat.“ | stop |
25.04.2006 07:18:22
ECHO | 238 : 30. März 2006 – 2 Uhr 52 | stop |
Vor einer Stunde, - ich formulierte gerade einen Brief an Mr. Kamal Thapa , [ Minister of Home Affairs, Singha Durbar, Kathmandu, NEPAL ] -, durchquerte ein sehr kleiner Gegenstand den Luftraum über der Tastatur meiner Schreibmaschine. Er kam von links, also von Westen, und flog nacht rechts, also gegen Osten, und weil nicht das geringste Geräusch zu hören war, das Geräusch eines Aufpralls in etwa, war ich zunächst überzeugt, mich geirrt zu haben. Aber dann konnte ich im Licht der Tischlampe einen sehr feinen Faden erkennen, der sich über meine Tastatur gelegt hatte und ich erinnerte mich natürlich sofort an eine kleine Spinne, die ich im Oktober zuletzt auf meinem Schreibtisch gesehen hatte. | stop | Es ist jetzt kurz nach halb drei Uhr und ich bin sehr zufrieden. Ich habe eine Stunde lang nichts getan, als mit einem feinen Pinsel bewaffnet auf der Schreibtischplatte unter dem Licht des Elektromondes einen kleinen Kampf gegen eine Springspinne zu fechten, die kaum größer ist als ein Stecknadelkopf, schwarz und weiß getigert, und verspielt wie eine junge Katze. | stop |
04.05.2006 12:18:55
12. September 2006 – 1 Uhr 35
11’09’’01 | stop | Bewegte Miniaturen. | stop | Bemerkenswerte Stoffe. | stop | In der Episode der iranischen Filmemacherin Samira Makhmalbaf folgende Sequenz:
Die Lehrerin : Wer hat die Türme zerstört?
Der Junge : Gott hat sie zerstört!
Das Mädchen : Nein, das war nicht Gott! Gott zerstört nur Menschen.
Der Junge : Nein, er erschafft sie.
Das Mädchen : Gott hat doch keine Flugzeuge.
Ein anderer Junge : Gott erschafft die Menschen, zerstört sie und erschafft sie wieder neu.
Ein anderes Mädchen : Nein, so verrückt ist Gott nicht.
12.09.2006 01:53:52
Tango | 260 : 25. Juli 2006 – 02 Uhr 58 | stop |
Folgendes. | stop | Wenn ich im Bauch einer elektrischen Inszenierungsmaschine 100 freischwebende Textparticles von je 100 Wörtern über einen Zufallsgenerator miteinander verbinde, wird mit jedem weiteren Aufruf eines Textparticles jedes andere der 100 Textparticles möglich. | stop | Ich habe also eine Textversammlung, die sich wie eine Flüssigkeit verhält. | stop | Wie könnte ich nun eine Vereisung dieser Flüssigkeit erzeugen? | stop | Ich könnte zum Beispiel je 10 Textparticles zu einer Gruppe setzen und über einen Generator verschalten, sodass in einem ersten Schritt 10 Textparticles aus 100 Textparticles möglich wären. | stop | Oder ich bilde zwei Gruppen zu je 50 Textparticles und komme in dieser Weise auf zwei mögliche Textparticles einer ersten Wahl. | stop | Zwei Linien. | stop | Eine Weiche. | stop | Oder sehr gutes Eis. | stop | Vielleicht sollte ich, wenn ich vom Schreiben eines linearen Textes spreche, zunächst an das Spinnen eines Eisfadens denken. | stop | Das Lesen, ein Vorgang der Enteisung. | stop | | stop | Ich habe von 0 Uhr 12 bis 1 Uhr 52 Julio Llamazares wundervolle Stummfilmszenen aufgetaut. | stop | | Regen. | stop |
06.10.2006 06:02:25
Unlängst
geh ich in München durch den Englischen Garten spazieren. Sehr schöne Oktobersonne fast aus dem Boden. An meiner Seite ein Nordlicht, das von Uwe Johnson erzählt und dass es jeden Morgen einen, genau denselben der Jahrestage lesen würde, und wie ein Nordlicht sich fühlt, wenn es über die Brooklyn Bridge nach Manhattan fährt und wie viel dort eine Tasse Tee kostet im Jahr 2006, und dass es die alten New Yorker Buchhandlungen liebt mit ihren hölzernen Cafes im 1. Stock. Und jetzt, es ist kurz nach 8 Uhr abends und Samstag in Frankfurt, freue ich mich dieses Hamburger Nordlicht, mit dem man sich sehr aufregend über Uwe Johnson unterhalten kann, zu uns in den Goldenen Fisch einladen zu dürfen. Gleich werd ich rasch in ihren postkarten stöbern. Herzlich willkommen, Katharina Höcker!
Eine beinahe geräuschlose Welt. | stop | Im Haus sind alle Fernsehgeräte ausgeschaltet. | stop | Eine indische Frau in meinem Kopf, wie sie vor dem Meer stehend nach ihren Kindern ruft. | stop | Wie lange Zeit ist das her? | stop | Das Meer. | stop | Und diese Frau. | stop | Ich scanne uralte Fotografien der Stadt Paris. | stop | Steine : Metalle : Wolken : Mäntel : schwarz und weiß und grau. | stop | Das summende Geräusch der Maschine, sobald Fotografien aus der Welt des Celluloids in die Welt der digitalen Speicherung wandern. | stop | Ein Mann, der in der geöffneten Tür eines Metrowaggons unter Artgenossen steht. | stop | Eine junge Frau vor dem indischen Ozean. | stop | Sie kniet jetzt. | stop | Sekundengeschöpf. | stop |
27.12.2006 19:45:30
ECHO | 394 : 8. Februar 2007 – 02 Uhr 00 | stop |
Ich hatte ein Kinderbuch, das ich zufällig in einer Kiste entdeckte, vor mir auf den Schreibtisch gelegt. Da waren illustrierte Erzählungen aus Tausend und einer Nacht und ich konnte mich an beinahe jedes Detail der Zeichnungen erinnern, das heißt, ich erkannte die Zeichnungen wieder, auch den Geruch des Papiers, einen Tintenfleck, meine kindliche Schrift, die eine der Geschichten kommentierte. Heute, angesichts zweier Buben, - sie kämpften in einer U-Bahn mittels handlicher Konsolen verbissen gegeneinander -, habe ich mir vorgestellt, wie in Zukunft uralte Menschen nicht Büchern, sondern ihren Spielzeugmaschinen aus Kindertagen begegnen. | stop | Computern. | stop | Kriegswerkzeugen. | stop | Pistolen von ungeheuerer Rechenleistung. | stop |
08.02.2007 16:32:18
BRAVO | 14 : 22. August 2005 – 02 Uhr 16 | stop |
Harte Arbeit. | stop | Habe 628 Optionen gezählt, das Wort Nacht in deutscher Sprache fortzusetzen. | stop | Zum Beispiel : Nachtigallenaffe Nachtgewölbe Nachtduft Nachtdurchschwärmer Nachteulenton Nachtgefieder Nachtwolf. | stop | Oder aber < Nachtpapagei > : das ist der merkwürdigste aller papageien, der kakapo von neuseeland [ strigops habroptilus ], den man mit demselben rechte, mit welchen man die eulen im gegensatz mit den falken einer besonderen familie unterbringt, als einen vertreter einer eigenen familie betrachten muss. [ nach Grimmsches Wörterbuch N – Q ] | stop | | stop | In meinen Zimmern amerikanische Stimmen. | stop | Funkgeräusche. | stop | Geräusche meiner Kindheit. | stop | Jazzgeräusche. | stop | Weltraumgeräusche. | stop | Geräusche, wie Stimmen auch in Guantanamo zu hören sind. | stop | Den Schlaf raubende Geräusche. | stop |
11.02.2007 16:52:36
ECHO | 200 : 5. Mai 2006 – 02 Uhr 50 | stop |
Ich notiere diesen Text heute Nacht nur aus einem Grund : Ich wünsche, wach zu bleiben. | stop | Vor den Fenstern - Dunkel. | stop | Das Licht einer Straßenlaterne ist ausgefallen und der Himmel bedeckt. | stop | Ich laufe hin und her und pfeife. | stop | Sobald ich am Schreibtisch vorüberkomme, schreibe ich ein paar Wörter. | stop | Nichts, wenn ich die Zeichen betrachte, weist daraufhin, dass der Text tatsächlich von einem laufenden Menschen geschrieben wird, von einer Person, die je nur ein oder zwei Worte notiert, um sogleich weiterzugehen. | stop | Alles könnte nur behauptet sein. | stop | Weshalb höre ich auf zu pfeifen, sobald ich schreibe? | stop |
16.02.2007 21:24:39
Kann man unter Wasser sprechen? Kann man unter Wasser mit dem Wasser sprechen?
22.02.2007 18:26:46
ECHO | 408 : 5. März 2007 – 02 Uhr 10 | stop |
Vielleicht einmal schreiben : die Geschichte einer heimlich erlernten Sprache. | stop | Ein langsames, unbemerktes Auftauchen unter Fremden. | stop |
05.03.2007 03:06:25
38 : 3 Uhr 45 Minuten 24 Sekunden
:-: Mein Ohr auf dem Tisch hörte sich selbst. - 29. April 2007 3.10
*
39 : 3 Uhr 45 Minuten 35 Sekunden :-: Das andere, zum Himmel gerichtete Ohr, erlebte den Besuch einer Ameise. - 30. April 2007 5.15
*
40 : 3 Uhr 46 Minuten 08 Sekunden :-: Geschlafen also fünf Minuten, tief und fest, dann geweckt vom Rascheln der Ameisenbeine auf meiner Trommelfellhaut. - - Sofort aufgestanden, eins, zwei, drei, und mit ausgebreiteten Armen Schritt für Schritt den Tisch umrundet. - - - Großes Vergnügen. - - Eine Haltung nahe des Fliegens über flüchtendem Boden, linke Hand ins Licht des Schreibmaschinenschirms gestreckt, die rechte ins Dunkel, ohne dass die eine leichter oder schwerer als die andere geworden wäre. - - - Wer ist D a n i e l P e a r l ? - 1. Mai 2007 5.20
29.04.2007 19:06:47
3 Uhr 50 Minuten 52 Sekunden
:-: Das Geräusch meines Atems. - - - Seltsame Sprache. - 4. Mai 2007 4.18