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Rittertum und Germanensache

Ein unwissenschaftlicher Querschnitt durch die Kulturwissenschaft.

Von Vasile V. Poenaru
(07. 08. 2016)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

 

 

 

 

 

Jeder Satz klingt so
gequält, dass sich einer
mit Thomas Bernhard
fragen muss: "Ist es eine
Komödie? Ist es eine
Tragödie?" Ist es ein
schwerer Fall von Kon-
gressitis? Lässt sich da
überhaupt noch was
retten?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Die bisherigen Inter-
nationalen Germanisten-
kongresse standen größten-
teils unter einem General-
thema und fanden unter
den im folgenden genann-
ten Präsidenten an deren
Wirkungsorten statt."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Wir möchten Sie gerne
zu IVG 2015 einladen. Ihre
Teilnahme daran wird
eine gute Chance für die
Teilnehmer des Kongresses
anbieten, Ihre Produkte
besser zu kennen."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurzentschlossene, hinter-
listige, rabiate, von selbst-
gefälligem Enthusiasmus
beflügelte Sprach- und
Literaturwissenschaftler,
deren einzige Schwächen
die Sprache, die Literatur
und die Wissenschaft sind,
haben alles veruntreut ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unser tiefstes Beileid gilt
der Sprache. Hier liegen
die Fetzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich für mein Teil habe
nie an den fürchterlichen
Schlachten teilgenommen,
die im Laufe der Jahrhun-
derte auf den grasigen
Lehnsgütern der Germa-
nistik ausgetragen wurden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es liegt etwas in der Luft,
und zwar something very
peculiar, wenn ich mich
nicht irre: ein Germa-
nistenstreit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Mein Freund, du weißt
schon, der, den du kritisiert
hast, is a bisserl gemotzt.
Genauer gesagt, er hat
zum Dolch gegriffen und
will dich sehr gerne bei
Gelegenheit erstechen.
Viele unserer Leute wollen
dich jetzt erstechen. Wie
lange ich dich noch
beschützen kann, ist
ungewiss."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Warum kann ich nicht
einfach alles pauschal
loben, ohne auf irgendwas
näher einzugehen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich dachte, meine Rezen-
sion sei wenigstens halb-
wegs okay. Doch nein!
Meinem Freund passte
sie nicht ins Konzept.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ach! könnt ich doch auf
Bergeshöhn nur immer
alles Schöne sehn. Ach!
könnt ich’s doch mit Moritz
sagen: Lobst du mich,
dann lob ich dich.
Wie
bitte? Kann ich nicht?
Stimmt. Kann ich nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der gesunde Menschen-
verstand? Weit weg.
Niemand bedient sich
mehr ohne die Anleitung
eines anderen. Sapere
aude: nie gehört.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die jüngeren Genera-
tionen merken, dass
Gehorchen vor Studieren
geht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinter mir stehen Titanen,
ich darf also voll und
ganz sagen, was recht
und billig ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

German Studies? Serious
business. Was wir hier
treiben, ist Mannessache,
ertönt das Über-Ich von
weit her. Und wir wissen:
Das war der Über-Germa-
nist. Klar: Germanensache!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ioana Craciuns wissen-
schaftliche Bände sprechen
Bände – und sind in akade-
mischen Landen zur Legen-
de geworden. Ich könnte
sie jetzt gerne allesamt
blitzschnell als hervorra-
gend beurteilen ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Look what I can do! brüllt
ein Lausejunge (es ist der
Präsident) und präsentiert
sein verunglücktes Bravour-
stück, ja, er wollte es unbe-
dingt auf Deutsch machen,
denn, das hat er irgendwie
schon immer gespürt,
Deutsch kann er. Er ist
der einzige, der das
gespürt hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich erlaube mir in diesem
Zusammenhang auch was
zu sagen: Passt’s mir gut
auf mein Deutsch auf. Nicht
dass es verschwindet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Narziss war übrigens, so
wissen es die weisen
Krieger an den Lager-
feuern, der allerbeste
Germanist. Er blickte ins
Wasser und sagte: "Du bist
gut." Sein Spiegelbild
blickte ihn an und sagte:
"Du bist gut." Eine Studie
entstand. Viele Studien
entstanden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dem unvoreingenommenen
Leser wird jedwede Kritik
übel genommen, eine jed-
wede schneidige Kontextu-
alisierung oder Beurteilung
verdenkt, eine jedwede
Stellungnahme als unver-
schämte Parteilichkeit bzw.
als noch unverschämtere
Unparteilichkeit, ja als
Mangel an Loyalität
abgestempelt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn der Kritiker es sich
anmaßt, zu kritisieren,
muss er freilich unter
Umständen auch mit der
unerbittlichen Vergeltung
des Opfers seiner Kritik
rechnen – und mit dem
unerbittlichen Hass der
gesamten Gefolgschaft
des Großfürsten der
Germanistik.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Viele unserer Fachkol-
legInnen kennen bereits
allzu gut, dass das Fach
Germanistik geschichtlich
vor dem Hintergrund des
sich entwickelnden deut-
schen Nationalismus insti-
tutionalisiert wurde."
Da kriegt einer schon
wieder mal Kopfweh.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreibt Er, wie ihm befoh-
len, so ist das Wissenschaft
(Diplome, Stempel, Würdi-
gungen und akademische
Gütesiegel? Reichlich vor-
handen!). Schreibt Er nicht,
wie ihm befohlen, so ist
das Mist. Und unsere
ewige Rache ist ihm
gewiss.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übernimmt einer die paar
gängigen Floskeln des
Betriebs, so muss er sich
nicht mehr den Kopf zer-
brechen. Und den Kram
lesen, über den er schreibt?
Guess what? Muss er
auch nicht mehr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Treue. Schulterschluss.
Gefälligkeit. Unser ewiger
Wahlspruch. Unser Maß
aller Dinge. Eine Hand
wäscht die andere. Der
Feind liegt tot am Boden.
Wir haben gesiegt. That’s
all that really matters.

 

 

 

Motto: "(…) von hochgelahrten recken,
von stecken und von deppen
weit ir nu wunder hören sagen."
(Quelle: Edda, unsere Zeitrechnung)


   Man schreibt das Jahr 2015. Die deutsche Sprache ward entführt. Was tun? Abwarten und sehn? Von wegen! Weit weg, im Fernen Osten, steht ein Samurai im Begriff zu whatsappen. The orders are coming from Germany. Drum warte nicht, dein Auftrag heißt, bring sie zurück. Als Dankeschön wartet ein Batzen Geld.

Jajaja ... ruck-zuck-zurück! Wollte sagen: Hu-kja! ... Der Samurai beeilt sich. Sein Leben hat nur einem Herrn gehört, denn ein Samurai bleibt immer treu. Sicherheitshalber wirft er nur noch mal ganz kurz einen letzten Blick auf sein iPhone. New message: Schnell! Schnell! Schnell! Ein bisschen dalli! Sprache zurück! Mach schon! Verstanden?

Jawohl, Herr Kommandant! Ich machen! sagt der Samurai – und macht, dass er verschwindet. Irgendwann taucht er dann hoffentlich wieder auf. Mit der geretteten Sprache, versteht sich.

Deutsche German, du wo? Die Ermittlungen beginnen auf dem Festland. In der fernen, nahen Metropole Shanghai wurde Gott sei Dank im August 2015 zum allgemeinen Entzücken des Unheimlichen Akademischen Reiches Linguistischer Nation das Problem Sprache bis auf Weiteres total gelöst. "In Vorfreude auf das Wiedersehen bzw. das neue Kennenlernen verbleibe ich (...)" – usw. usf. Wer das Zeug unterschreibt? Der Präsident der "Internationalen Vereinigung für Germanistik" (IVG) – da kann man ja beim besten Erwartungshorizont nicht so viel erwarten. Germanisten aller Staaten, vereinigt euch. Come on, macht schon.

   Der Rest des am 21. 08. 2015 in good old Shanghai unter dem Banner der internationalen Germanistik erstellten Rundbriefs ist ebenfalls a bisserl verkehrt geraten. Doch was soll’s? Japan ist weit, wie schon die Minnesängerin sang, und China ist auch nicht so nah. Da richtet sich halt jeder seinen eigenen Duden ein – so gut es geht. Und wenn’s schon mal nicht so gut geht: Who cares? Ein sehr gescheites Wort.

Zum Beispiel heißt es im IVG-Land nicht auf dem Kongress, sondern im Kongress, das Substantiv Mitglied wird weiblich gehandelt und jeder Satz klingt so gequält (die meisten weisen ja auch dementsprechende gravierende Sprachfehler auf, vom unmöglichen Stil ganz zu schweigen), dass sich einer mit Thomas Bernhard fragen muss: "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" Ist es ein schwerer Fall von Kongressitis? Lässt sich da überhaupt noch was retten? Die Fragestellung will grammatikalisch einwandfrei und methodologisch unübetreffbar sein. Meinetwegen auch redundant. Meinetwegen auch redundant. Deutsche German, du wo? Klar: total entführt.

Schon die Geschichte der "Vereinigung" wird auf der IVG-Webseite so plumpig-ungelenk, so schnörkelnd fehlerhaft, so verdammt spaßverderbend doof zum Besten gegeben, dass einer gar nicht mehr weiß, ob er noch lachen darf oder ob er schon mit dem Weinen anfangen muss. "Die bisherigen Internationalen Germanistenkongresse standen größtenteils unter einem Generalthema und fanden unter den im folgenden genannten Präsidenten an deren Wirkungsorten statt." Also unter den Präsidenten an deren Wirkungsorten. Was für eine wunderbare, anschauliche Formulierung! Wie von Simplicissimus höchstpersönlich produziert. Denn wo die Germanistik ausbricht, ist alles bald anders.

   Diese jämmerlich redigierte IVG-G’schichte widerspiegelt übrigens unwillkürlich die sprachliche Katastrophe der Entführung des Deutschen im weitesten Sinne. "Über die einzelnen Kongresse wurden zwar von den jeweiligen Präsidenten Berichte über deren wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht, aber (…)". Aber.

Tu immer so, als wüsstest du bescheid, ist der geheime Wahlspruch derjenigen, die keine Ahnung haben.

Irgendjemand wird schon darauf reinfallen, weiß der Oberste Haberer – und so wissen’s auch die mittleren, die unteren und die alleruntersten Haberer. Mangels einer besseren wissenschaftlichen Methode wirkt dieser Wahlspruch Wunder. Also tu immer so, als ob.

Und doch: Fast will der ohne viel Aufhebens in seinem globalen Dorf verschnaufende (bzw. seinen wohlverdienten Rausch ausschlafende) Durchschnittsgermanist einem so ungelenk mediatisierten (aber doch hoffentlich abgesehen von und abgesehen von und abgesehen von nichtsdestoweniger in allen Dingen sehr gescheit veranstalteten) Kongress seine Teilnahme verweigern – nur, die Werbung erweist sich bis zuletzt doch noch als unwiderstehlich: "Wir möchten Sie gerne zu IVG 2015 einladen. Ihre Teilnahme daran wird eine gute Chance für die Teilnehmer des Kongresses anbieten, Ihre Produkte besser zu kennen." Ein Satzbau, der in sich die Systemdiagnose birgt. Wenn die Teilnahme eine gute Chance für die Teilnehmer anbietet, dann befinden wir uns sprachlich wie kulturwissenschaftlich betrachtet indeed auf allerhöchstem akademischen Niveau. Und niemand darf unsere Sprachkompetenz in Frage stellen. Denn in Frage stellen, das tun wir.

   Es bleibe dabei: Deutsche German, du wo? Schon seit Wochen wird die Botschaft in die vier Winde getragen: Das, was aus der alten Sprache der Germanen übriggeblieben war, ist auf einmal nicht mehr da (außer man greift zum schwedischen Bitter, das soll helfen, so ein Ur-Germanist meiner Bekanntschaft). Kurzentschlossene, hinterlistige, rabiate, von selbstgefälligem Enthusiasmus beflügelte Sprach- und Literaturwissenschaftler, deren einzige Schwächen die Sprache, die Literatur und die Wissenschaft sind, haben alles veruntreut (auf die Leut‘ ist eben kein Verlass). Ihre Sprachzeugnisse sind einwandfrei, nur, ihre Sprache ist, oh well ... mal kurz weg. Jetzt sprechen sie von Ehre und Treue und von Tradition und Innovation und vom neuen Paradigmenwechsel und von schönen ritterlichen Turnieren und vom ach! so dringend nötigen Mundtotmachen der Konkurrenz. Denn die Konkurrenz schadet dem Betrieb. Ergo: not good.

Wir Experts. Du wollen dein schön deutsch Sprach zertifizier? Wir erstellen. Du Kompetenz? Wir erstellen. Viele Bescheinigungen, Diplome und Würdigungen wurden von dynamischen Alma-Mater-Unternehmern mitlobenswerter Geschwindigkeit zusammengebastelt. Und dazu muss man ja gar nicht gleich zum Kongress fliegen. Bei amazon.com kann man solche Dinge auch gebraucht erstehen – dann heißt es nur noch einmal schnell den Namen ändern, Streitross und Lanze kaufen, and that’s it: photo opportunity after photo opportunity after photo opportunity. Das ist das Erbauliche an der Kultur.

Und feilgeboten werden die Bescheinigungen Tag und Nacht im Netz, an der Straßenecke, an Universitäten, am Bahnhof, in den Kneipen, auf der Wiesn …. oder eben im Hirschgarten. Forschung und Lehre, sagen die Pseudo-Experten des "neuen Kennenlernens" (Neues Kennenlernen? Jaja, gutes Deutsch; natürlich ist das gutes Deutsch! Was für eine Frage! ...) und der alten Machenschaften. Forschung und Lehre. Nur wissen die Pseudo-Experten des neuen Kennenlernens und der alten Machenschaften leider mit unserer schönen deutschen Sprache nicht so viel anzufangen. And that’s were the trouble starts.

   Es gab also einen Kongress. Es gab viele Kongresse. Unser tiefstes Beileid gilt der Sprache. Hier liegen die Fetzen. Die diensthabenden Hochstapler nicken würdevoll. Der wissenschaftliche Beirat berät. Die wissenschaftliche Blei-Ratte beißt ins Blei. Das Blei schmeckt.

Drum warte nicht, dein Auftrag heißt, bring sie zurück. So weiß es also der postmodern zeitgemäße Minnesänger unserer beliebten germanistischen Samurai-Moritat – so um das dritte Jahrtausend herum, wenn ich mich nicht irre – kundzutun. Genauer gesagt: jetzt. Now is the time. Du hast nur einen Freund, das ist dein Schwert. Und wenn‘s zwei Schwerter sind, dann umso besser. Dann gibt’s eine Zweischwerterforschung und eine Zweischwerterlehre. Jeder darf sich am Gemetzel beteiligen. Das ist nur recht und billig. Das ist akademisch. Das ist wissenschaftlich. Das ist kollegial.

Der Knappe schleppt die Rüstung her. Sie wiegt dreihundert Kilo. Das will schon was heißen. Die ganze Geschichte der Germanistik wurde darauf abgebildet, wissenschaftlich einwandfrei niedergekritzelt, mit dem Ger eingeritzt, dem kurzen Wurfspieß der Germanen (der sich dann später noch zum GER entwickeln sollte: zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen), in uralten Zeiten, versteht sich, irgendwann vor der Ersten Lautverschiebung, ich glaube, das war in der Steinzeit oder so, nur, damals gab es ja noch gar keinen Stahl, denn die voestalpine AG, Das Werk, über das sich eine gewisse Elfriede Jelinek einmal unheimlich überzeugend und irgendwie poetisch ernüchternd in schriftlicher Form ausgelassen hat, war noch nicht ins Leben gerufen worden. Dafür gab es freilich Steine. Akademische Steine. Gut zum Steinigen.

   Mann der German Studies, aufgewacht! Und erkenne deine Macht. Ich wache auf. Sieh einer an: Macht. Total erkennbar. Und rundherum Masse. Dazu ein germanistisches Fressen. Bratwurst, Sauerkraut, Pizza, Sushi, Goethe, Schiller, Hegel, Schlegel und all die Leut'. Nur einen Freund. Das ist dein Schwert.

Vorzüglich geschliffen. Hundert Prozent Edelstahl. Jederzeit einsatzbereit. Mein eigenes Schwert ist natürlich auch rot von all der vielen Tinte, die ich über die Unzulänglichkeit der sogenannten wissenschaftlichen Forschungsarbeit auf dem sogenannten Gebiet der Germanistik vergossen habe – und es handelt sich, das will ich mir nicht wegnehmen lassen, um leidliche, wiewohl bittersüße Tinte, um langfristig haltbare Tinte vom Quellwasser der Alpen, der Karpaten, der Rockies, aber ich für mein Teil habe (was jetzt mal sicherheitshalber aus sprachrechtlichen Gründen vermerkt werden muss) nie an den fürchterlichen Schlachten teilgenommen, die im Laufe der Jahrhunderte (okay, das ist jetzt schon eine erste Übertreibung, also: im Laufe der Jahre) auf den grasigen Lehnsgütern der Germanistik ausgetragen wurden. In der Regel war ich zu Fuß (oder halt per Fahrrad) im Tross, stets die rasenden Rolande der Literaturwissenschaft im Visier, später dann oft genug im Kanu – oder eben einfach im Dickicht: Beobachter, Berichterstatter, Chronist.

It’s not about you, you know, flüstert mir der Knappe verstohlen zu. Und ich muss ihm recht geben. It’s not about me. Aber ich hab ja gar keinen Knappen. Außer die Rüstung wiegt zu viel. Na ja, wie dem auch sei: Zur Tagesordnung. Zur Handlung. Zum Handlanger. Zum Handgemenge. Es liegt etwas in der Luft, und zwar something very peculiar, wenn ich mich nicht irre: ein Germanistenstreit. Dieser das gesamte akademische Dorf unserer postwendend postmodernen literaturwissenschaftlichen community erschütternde Tatbestand wurde mir unlängst in all seiner intrinsischen Dramatik von allerhöchster Stelle mitgeteilt. "Komm Er mal her! Stärke Er unsere Reihen! Wer nicht Partei ergreift, ist kein ganzer Kerl."

   Nun gut, das ist nicht der einzige Streit, der in der Luft liegt. Es gibt da ja auch noch einen Investiturstreit, einen Nominalistenstreit (auch als Universalienfrage bekannt – oder treffender: Universalienstreit) und einen Schriftstellerstreit, nein, viele Schriftstellerstreite, etwa den Streit zwischen Herta Müller und Claus Stephani (auch als Beweisfrage bekannt), und schon Sokrates soll sich des öfteren mit seiner guten alten –

Doch das gehört beiläufig nicht hier her, um es mit good Old Schwitters zu sagen, der im vergangenen Jahrhundert down in beautiful Hannover gewohnt hat, einer kleinen Kongress-Stadt mit einem rechtnatürlich anmutenden künstlichen See und ebenso natürlich anmutendem echtem Deutsch. Also: Es liegt etwas in der Luft. "Mein lieber Freund", spricht mich der erhabene Freund an (cause we’re all friends, versteht sich), der zufälligerweise als Präsident mehrerer akademischer Gesellschaften und Träger mehrerer Ritterorden durch die Gassen der europäischen Literaturgeschichte reitet, "wenn du diesen prächtigen wissenschaftlichen Band hier rezensieren willst, der in meinem Kanu liegt, soll’s mir recht sein. Er ist, das darf ich gleich mal sine qua non und a priori feststellen, sehr gut. Sehr wissenschaftlich. Sehr bemerkenswert. Solltest du diese meine Feststellung, die übrigens mit den jeweils entsprechenden Feststellungen der übrigen Beiträger des Bandes identisch ist, netterweise als Maxime deiner Rezension berücksichtigen wollen, dann kriegst du bei Gelegenheit erstens noch mal gleich einen Doppelten von mir (schmeckt doch, gell?) – und zweitens werden’s dir die Jungs danken." Und drittens: man wird nicht kaltgemacht.

   Ich wollte nett sein, ich wollte meinem Freund einen Gefallen erweisen, ich wollte ihm, wie unsereiner, das Rezensentenvolk, zu sagen beliebt, gefällig sein, ich wollte ihm etwas schenken: meine aufrichtige, wohlwollend lobend (aber eben auch ein klein bisschen kritisch) formulierte Meinung. Und den Doppelten hätte ich dann natürlich ebenfalls runterschlucken wollen (ist nämlich gar nicht so schlecht). Er hat’s mir übelgenommen. Schlagt ihn tot, den Hund, es ist ein Rezensent!

"Mein Freund", so schrieb mein Freund alsdann, "du weißt schon, der, den du kritisiert hast, is a bisserl gemotzt. Genauer gesagt, er hat zum Dolch gegriffen und will dich sehr gerne bei Gelegenheit erstechen. Viele unserer Leute wollen dich jetzt erstechen. Wie lange ich dich noch beschützen kann, ist ungewiss. Having said this, bei mir bist du nach wie vor jederzeit willkommen. Nur, warum kannst du nicht einfach alles pauschal loben, ohne auf irgendwas näher einzugehen? Also erwähne jeden, lobe jeden, schreib gefälligst ein paar Sätze über die erwiesene Wissenschaftlichkeit des ganzen Bandes und der ganzen Bande, and that’s it. Dann hast du lauter Freunde, nicht lauter Feinde."

Now really: Warum kann ich nicht einfach alles pauschal loben, ohne auf irgendwas näher einzugehen? Warum kann ich das nicht so machen, wie’s normalerweise gemacht wird – oder in der Sprache der Kulturwissenschaftshaberer: What’s wrong with you? Warum Krieg? Diese letzte Frage hatte übrigens (natürlich in einem völlig anderen Kontext) ein gewisser Einstein mal an einen gewissen Freud gerichtet, doch auch das gehört beiläufig nicht hier her.

Lobst du mich, dann lob ich dich, verspricht Reiner Moritz, der Leiter des Literaturhauses Hamburg, mit literaturkritischer Verbindlichkeit, und ich könnte es auch nicht wesentlich besser formulieren. Sein im August 2015 veröffentlichter NZZ-Beitrag ("Harmlose Literaturkritik. Mit Dichtern auf Dienstreise") greift das Thema übrigens wieder auf – dieses Mal bedenkt Moritz die Frage, die uns hier in erster Linie angeht: die wuchernde Erscheinungsform Gefälligkeitsrezension (und Gefälligkeits-"Kulturwissenschaft" im weitesten Sinne). "Ach! Könnt’ ich doch auf Bergeshöhn in deinem lieben Lichte gehn, um Bergeshöhle mit Geistern schweben, auf Wiesen in deinem Dämmer weben", hatte es übrigens ein anderer Freund von mir vor einiger Zeit kongenial auf den Punkt gebracht. Und dieser Freund wollte auch eine Rezension. Und ich wollte ihm gerne eine schreiben.

   Er wollte, dass ich mich vorher vollstopfe, und ich wollte es auch. Das Essen hat mir gemundet, und ich dachte, meine Rezension (die ich dann ja auch brav, prompt und gefällig lieferte) sei so wenigstens halbwegs okay. Doch nein! Meinem Freund passte sie nicht ins Konzept, weswegen er seiner näheren Gefolgschaft Folgendes twitterte: "Und kaum ist mir der Kerl so satt [stimmt, satt war ich indeed], tut ihn der Teufel zum Nachbarn führen [stimmt nicht, beim Nachbarn war ich erst viel später], über mein Essen zu räsonieren [well, what’s wrong with that?]: "Die Supp hätt können gewürzter sein [Unsinn; das hab ich nie gesagt; wird der Nachbar wohl hinzugedichtet haben], der Braten brauner [stimmt, aber er hat mich ja ausdrücklich gefragt, wie ich den Braten finde], firner der Wein [stimmt nicht; der Wein war ausgezeichnet – und ich hab das auch dementsprechend gewürdigt, darauf kann ich tausend Eide schwören. Howgh!]. Der Tausendsackerment! Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!"

Und in mir dichtet es weiter – denn jeder noch so uninspirierte Rezensent stellt sich ja bekanntlich gerne vor, in ihm trommle der Dichter sein tiefgründigstes Ach! in die schriftlich festhaltbare Ewigkeit der Sinne hinein, die wir unser eigen nennen. Also dann: Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn nur immer alles Schöne sehn. Ach! könnt ich’s doch mit Moritz sagen: Lobst du mich, dann lob ich dich. Wie bitte? Kann ich nicht? Stimmt. Kann ich nicht. Aber ich kann’s natürlich jederzeit ins Kanadische übersetzen, ins Österreichisch-Kanadische: I moch a lied füa di. Ein Loblied.

Dabei ist Loben-Müssen (als folgerichtiges Pendant bzw. als notwendige Voraussetzung des Gelobtwerdenwollens) gar nicht unbedingt das Hauptproblem, freilich aber sehr wohl eine durchaus brenzlige Nebenerscheinung des Hauptproblems, der etablierten Mittelmäßigkeit in Lehre und Forschung. Steifer akademischer Hokuspokus ist, sagen wir’s doch mal, nicht mehr und nicht weniger als eben das: Hokuspokus.

   Wertung. Umwertung. Aufwertung. Abwertung. Schöne Wortfamilie. Loben wir einander, so sind wir mehr wert, das leuchtet ein. Doch wenn ein jedwedes biedersinnig hingeschmissenes Lobst-du-mich-dann-lobich-dich-Konglomerat als kulturwissenschaftlich fundiertes Sachurteil verkauft wird, nimmt die Sprache Schaden. Der gesunde Menschenverstand? Weit weg. Niemand bedient sich mehr ohne die Anleitung eines anderen. Sapere aude: nie gehört.

Und wenn der Mut in Herrn Akademos Garten versickert, nimmt man sich auch nicht mehr die Zeit, das Schwert zu schleifen, und das erstbeste hergelaufene Wort ist eben das beste Wort. Und wenn diejenigen, die das Sagen haben, nicht so recht Bescheid wissen, dann nimmt die Sprache erst recht Schaden. Das Sprachgefühl wird schnell relativiert und einer dubiosen Hierarchie unterordnet. Die jüngeren Generationen merken, dass Gehorchen vor Studieren geht, und wenn die Leute im Tross nicht aufpassen, läuft der Herr Räuber von und zu Hotzenplotz mit unserer Sprache davon. Und der Baron von und zu Münchhausen bescheinigt seinem Freund die allerhöchste Wissenschaftlichkeit. Und der Obstler schmeckt. Und die Sprache verreckt.

"Du kriegst kein Zertifikat!", brüllt der Haberer. "No nothing!, wie es so schön auf gut Englisch heißt. Nichtvon uns. Nicht von mir. Nicht von dieser Akademie." Okay, dann krieg ich eben kein Zertifikat. Aber der Kritiker, der Rezensent, der Chronist kann auch ohne. Und ob nun schlechtes Englisch oder schlechtes Deutsch: was soll’s?

   Die Tüchtigkeit des Diskurses? Die Kühnheit im Gedanken, dem Gedanken, den wir hegen wollen und der hoffentlich mehr ausdrückt als das halbherzige Addieren von Gemeinplätzen und Binsenwahrheiten? Der Haberer blickt mich verstört an, hinter ihm eine Armee leibeigener Zwerge. "Was du sagst, versteh’ ich nicht. Von unserer Wissenschaft bist du weit weg." Und gerade das ist das Problem.

Nicht mein Problem. Das Problem euerer sogenannten Wissenschaft. Hinter mir stehen Titanen, ich darf also voll und ganz sagen, was recht und billig ist. Ein Chronist muss ja sowieso wenigstens gelegentlich melden, wenn was total Verkehrtes geliefert wird, oder? Und sicherheitshalber – just in case – ja, warum nicht? den Bärentöter laden.

Allzustreng wollten wir dabei freilich auch wieder nicht sein, denn die Sprache ist ja nun mal schließlich unter anderem dazu da, verunglimpft zu werden. Und die Literaturwissenschaft ist natürlich ebenfalls in erster Linie dazu da, verunglimpft zu werden. Nur, wie weit ist zu weit? Ach ja, und die Kritiker sind dazu da, zu essen. Und zu trinken.

Ein altes schwäbisches Wort: Sapere aude. Auf Deutsch sowas wie: Super Audi! Sagen wir mal A6 (den kenn’ ich nämlich) – das Streitross für wackere Recken.

   Mal sehn, was die weisen Krieger dazu sagen. "Keiner ist kühn, wenn die Jahre kommen, der von Kindesbeinen blöd war", so ein altes Totem im Edda-Longhouse bei Bayview Village, Toronto (erstes Jahrtausend, Reich der Mitte). "Der von Kindesbeinen deppert war", heißt es in einer im guten alten Salzkammergut zeitnah erstellten Abschrift, die gerade jetzt ebenda gefunden wurde, wie mir der Kammerdiener mitteilt, der gerade an der Kamera herumfummelt, weil er eine Aufnahme machen will. So erhaben ist der Augenblick. Ich möge mich schnellstens dorthin begeben, um das Ding zu stempeln.

Nach Österreich? Jawohl! Nach Österreich! Gesagt, getan. Austria, here we come! Wobei blöd zur Edda-Zeit freilich nicht deppert bedeutete, doch was dem Salzkammergut-Medizinmann klassisches Latein ist, das beteuerten mir mehrere direkt von der Wiesn angeflogene stark alkoholisierte Sprachexperten des Oberdeutschen, gilt bis auf Widerruf in allen Landen als klassisches Latein. Kapiert? Und der Nibelungendichter trommelt natürlich tunlichst alle seine Buchstaben zusammen, cause it’s getting serious. "Daz in allen Landen niht schöner mohte sin." Gleich am Anfang des Liedes.

Nicht blöd sein, now that makes sense. Ich kapieren, Herr Kommandant! brüllt der Samurai. Und ist dabei gar nicht so blöd. Cause that’s what you’re supposed to do if you’re "doing German". Wir wollen uns alsomal vorerst an diesen schönen, althergebrachten interkulturellen Imperativ festhalten, jajajajaja, hu-kja! ... natürlich, mit beiden Händen – oder doch jedenfalls auf geistiger Ebene, mit einem geistigen Greifarm, klar, cause it’s all mental. Und dann fangen wir an zu räsonieren, und zwar solange wir wollen und worüber wir wollen. Und dann hackt unser Siegfried unserem Fafnir den Kopf ab. Das nenn’ ich Mut. Und Mutter Courage hat viele Kinder, wie der Samurai aus den schwarzen Wäldern einst dichtete.

"Wollt’ wissen, wie man’s Wissen weiß. Wollt’ es wissen, wollt’ es wissen", schreibt Bertolt Brecht in Leben des Galilei – und wir wollen’s immer noch wissen. Ja, nach all den Jahren wollen wir’s immer noch wissen! Und wir fahren auf den reparaturbedürftigen erkenntnistheoretischen Einbahnstraßen und biegen in die schön geflickten teleologischen Sackgassen ein, die wir um uns gebaut haben, stets den Endzweck im Rückspiegel. Wissenschaftliche Rezensionen schreiben: Privatkundeng’schäft.

"Mir san completely clean of toxic assets, des is unser Vorteil. Mir moch'n Privatkundeng'schäft. Mir worn dramatisch weniger deppert als die g'schätzten Kollegen in Deutschland. Und mir woll'n a kaane Vergleiche mit der Asien-Krise: Mit windigen G'sellen, local tycoons und südchinesischen Drogendealern arbeiten mir net."
(www.spiegel.de/spiegel/print/d-64497223.html)

   So wusste es unser Treichl, ein Samurai österreichischen Schlages, vor ein paar Jahren sowohl auf linguistischer Ebene als auch auf finanzieller Ebene vollkommen stimmig auf den Punkt zu bringen. Ein redliches Wort. Und wenn es uns dann also gelingt, auch nur a bisserl weniger deppert als die anderen zu sein, dann ist das doch, Tausendsackerment hin und her, eine ordentliche, regelrechte Kulturwissenschaft. German Studies? Serious business. Was wir hier treiben, ist Mannessache, ertönt das Über-Ich von weit her. Und wir wissen: Das war der Über-Germanist. Klar: Germanensache!

"Hat denn zur unerhörten Tat der Mann allein das Recht?", fragt freilich Goethes Iphigenie kongenial auf einem in good old Greece veranstalteten Germanistik-Kongress. Und die rumänische Germanistin Ioana Craciun fragt mit (und wir antworten allesamt politisch korrekt: "Why, of course not!") – und zieht das Schwert. Und haut drauf los. Und lässt sich was einfallen. Und ihre wissenschaftlichen Bände sprechen Bände – und sind in akademischen Landen zur Legende geworden. Ich könnte sie jetzt gerne allesamt blitzschnell als hervorragend beurteilen, noch besser als ich es je hinkriegen würde, hat es jedoch bereits längst der Dichter mit seinen anschaulichen mittelhochdeutschen Worten in die kleine Ewigkeit unserer großen Germanenwelt hingekritzelt: "Daz in allen Landen niht schöner mohte sin." Ja, jener Dichter. Er hat seinen Bericht anonymisiert eingereicht und als Wohnort "Heldenburg zwischen Passau und Wien" eingetragen. Schöner hätt’s nicht sein können. Simplified Chinese.

Howgh! Also: Kopf hoch. Bleistift spitzen. A bisserl Zeitgeist reinlassen. A bisserl Weltschmerz verkraften. An ein paar wenigen Germanistenschlachten teilnehmen. Dulce et decorum est pro … ja pro Seite wären das dann wohl so an die vierzig Euro, hier ist meine Bankverbindung. Quite dulce et decorum. Niht schöner mohte sin.

   Tatsache ist, wir sind am Ende unseres Lateins. Auf dem großzügigen internationalen Tummelplatz einer sich zwischen den aufs Geratewohl hingeschmissenen Marksteinen Tradition und Innovation weitausstreckenden Reich der Germanistik vereinen wir, was immer auch zu vereinen ist. Alle Menschen werden Brüder, wo so’n Kongress ausbricht. Da geht’s nicht umhin. Da gibt’s kein Pardon. Kollegial gehn’ ma vor. Wie Abel und Kain.

Look what I can do! brüllt ein Lausejunge (es ist der Präsident) und präsentiert sein verunglücktes Bravourstück, ja, er wollte es unbedingt auf Deutsch machen, denn, das hat er irgendwie schon immer gespürt, Deutsch kann er. Er ist der einzige, der das gespürt hat. Ja dann: Look what I can do. Und mir fällt da wenig ein. Nichts fällt mir mehr ein. Außer dem seligen Salzburger Altlandeshauptmann Wilfried Haslauer, der uns Nachgeborenen ganz klar und ganz verbindlich den einen Auftrag erteilte: Passt’s mir gut auf mein Salzburg auf. Und der selige Alt-Premierminister Pierre Elliot Trudeau hat uns ebenso klar gesagt: Passt’s mir gut auf mein Kanada auf. Jetzt sind die Junioren an der Reihe: Wilfried Haslauer Jr. bzw. Justin Trudeau. Die Zügel fest in der Hand, das Vermächntnis der Väter im Sinn sowie natürlich in allen Herzkammern – und dann heißt es aufpassen. Und ich erlaube mir in diesem Zusammenhang auch was zu sagen: Passt’s mir gut auf mein Deutsch auf. Nicht dass es verschwindet.

Aber ich bekomme ja gar nicht mehr so richtig mit, was sich da alles in der Hexenküche unserer Wissenschaft abspielt: In den innersten Machtgetrieben der alten Germanenleut’ werden Rachepläne geschmiedet. Das ist meine Wiese! sagt der Übergermanist. That’s where I’m playing German! Die Wiese sieht wüst aus. Überall leere Bierflaschen, nirgendwo ein Konzept – wodurch wir Kraftkerle der German Studies uns jetzt natürlich nicht gleich aus dem Konzept bringen lassen wollen. Denn Konzept ist, wenn … ja… Wissenschaft.

   Machen wir einen Bogen darum. Vor uns das weite Feld. Ein semantisches Feld. Gefundenes Fressen für den linguistischen Helden in seiner linguistischen Heldenburg. Da blüht was auf. Bücken wir uns. Greifen wir danach. Eignen wir‘s uns an – das Ding, das da aufblüht. Es ist des Dichters Gut und Habe. Toll! Ganz schnell knicken … ach! verdammt, das schmerzt! Schwert ziehen. Dornen abhacken. Come on, mach schon. Die Blüte der deutschen Sprache ist in jedem Heidenröslein greifbar, dass irgendein Knab’ irgendwo im fernen Reich der Poesie stehn sieht, und in jeder Narzisse im schönen interkulturellen Blumenbett der Postmoderne, wie der Dichter einst sagte. Narziss war übrigens, so wissen es die weisen Krieger an den Lagerfeuern, der allerbeste Germanist. Er blickte ins Wasser und sagte: "Du bist gut." Sein Spiegelbild blickte ihn an und sagte: "Du bist gut." Eine Studie entstand. Viele Studien entstanden.

Er ist ein tapferer Krieger, sagt der Krieger über sich selbst – und stellt sich selber ein Zertifikat aus. Sein Freund unterschreibt gerne. Das ist gängige Kriegspolitik – ja was wir rund um die Lagerfeuer der Spät-Aufklärung innerhalb eines stattlichen akademischen Überziehungsrahmens in der Regel halt Kulturwissenschaft nennen (weil das so prächtig klingt). Ich du deutsch du Stempel gut wir Kongress. Geld von Deutsche.

Und wir wissen dann schließlich gar nicht mehr, ob die Finanzierung über die Deutsche Bank oder über die Deutsche Bahn läuft. Immerhin … Er ist ein tapferer Krieger. Moment! Wer ist ein tapferer Krieger? Ich bin ein tapferer Krieger. Und ich sage dir, was du sagen sollst, wenn du was über mich sagst. Und alles was du über mich zu sagen brauchst, ist: Er ist ein tapferer Krieger. Howgh!

   Als unvoreingenommene Lobgesänge Dritter getarnte O-Töne sind nämlich zwar nicht immer harmonisch, sondern – ganz im Gegenteil – oft genug geradezu schrecklich, sie allesamt als Misstöne anzukreiden wäre allerdings eine Übertreibung, denn es kann ja mal sein, dass der eine oder der andere Haberer sich leidlich aufputzt, wenn er sich anschickt, das Lied seiner selbst ins Elysium hinein zu donnern. Der unvoreingenommene Leser merkt jedenfalls in der Regel, wenn etwas falsch klingt. Nur, der unvoreingenommene Leser liest in der Regel keinen schnörkelnden Unsinn.

Außer er muss, sagen wir mal, wenn er dazu gefälligst eine Besprechung zum besten geben darf. Und dann wird ihm eine jedwede Kritik übel genommen, eine jedwede schneidige Kontextualisierung oder Beurteilung verdenkt, eine jedwede Stellungnahme als unverschämte Parteilichkeit bzw. als noch unverschämtere Unparteilichkeit, ja als Mangel an Loyalität abgestempelt.

Nicht die Subjektivität, sondern die Mittelmäßigkeit ist wie gesagt unser Hauptproblem. Denn der Kritiker (oder eben der Lobredner, der Minnesänger, der Germanist oder der Ritter) mag getrost übertreiben, aufblasen, abschweifen, ausweichen, kehrtmachen, offene Türen einrennen, Gemeinplätze loswerden, mit spottbilligen oder eben sauteueren Zitaten um sich herum schleudern und sich selbst in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken, soweit er nicht aufs sinngemäß passable Argumentieren vergisst.

   Mein Gott, das ist ja gar kein gutes Deutsch – dabei immerhin gutes Österreichisch. Nur, Österreichisch, sowas gibt es ja gar nicht. Ich merke schon, wir schweifen ab. Schon wieder schweifen wir ab. Ach! Diese Germanenzeug-Ritter der hohen Kraft der Wissenschaft reiten immer am Ziel vorbei, reiten immer ins Ungewisse. Das ist der falsche Weg.

Und ich merke noch etwas. Ja, jetzt, da man mich ausdrücklich danach fragt, merke ich’s: obwohl es dieses Mal ja wirklich ganz, ganz original werden sollte, habe ich mich schon wieder aus Daniela Strigls Glück der Kritik in vierzehn Thesen bedient. Sie liegen ja da. So griffbereit, kundenfreundlich, schneidig, einladend, hochaktuell. Und zum Glück darf man.

Wenn der Kritiker es sich anmaßt, zu kritisieren, muss er freilich unter Umständen auch mit der unerbittlichen Vergeltung des Opfers seiner Kritik rechnen – und mit dem unerbittlichen Hass der gesamten Gefolgschaft des Großfürsten der Germanistik (falls es sich zufälligerweise mal um einen Großfürsten handeln sollte, was allerdings in der Regel kaum zutrifft, denn so groß sind unsere Fürsten ja auch wieder nicht). Und wenn sein Streitross mal einen Pferdeapfel machen sollte, so ist das gut für die Landwirtschaft, für die Wirtschaft im allgemeinen sowieso, und dazu selbstredend ebenfalls für die Kulturwissenschaft.

   Zurück nach Japan, wo unser Samurai im Begriff steht, die deutsche Sprache zu finden. Zurück nach Bukarest, wo er sie findet – oder wo immerhin im schönen Monat August des schönen Jahres 2015 ein Interview mit der japanischen Germanistin Kyoko Fujita erschien, in dem es u.a. heißt, sie habe "sehr positive Rezensionen bekommen". Und wir merken uns das Wort bekommen. Das ist ein sehr gutes Wort. Und Fujita bietet auf der Webseite der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens einen Gefälligkeits-Sonderbeitrag mit dem erbaulichen Titel "Germanistik in Süd-Ost-Europa – Zum Sonderbeitrag von Prof. Dr. George Gutu" an, der bezeichnenderweise mit einem schon rein sprachlich unzufriedenstellenden Satz beginnt: "Viele unserer FachkollegInnen kennen bereits allzu gut, dass das Fach Germanistik geschichtlich vor dem Hintergrund des sich entwickelnden deutschen Nationalismus institutionalisiert wurde." Da kriegt einer schon wieder mal Kopfweh. Viele kennen das Gefühl, viele wissen, was Kopfweh bedeutet. Unser Auftrag wird immer schwieriger.

Hört gut zu, ihr jungen Leute! Im Anfang waren die alten Germanen. Im Anfang waren die Schwerter. Und die Götter. Und die Drachen. Und Hildebrand und Hadubrand – und Attila, der vom Nibelungenlied zur schönen literarischen Figur Etzel stilisiert wurde und der – nur als stilisierte wie stilvolle literarische Figur, versteht sich – gerne schlichten wollte, wiewohl ihm das Schlichten freilich nie so recht gelungen ist, jedenfalls nicht im Nibelungenlied. Und in der historischen Wirklichkeit wollte er ja gar nicht schlichten; ganz im Gegenteil. Und Hildebrand und Hadubrand, die beiden Herren, trafen sich mal zwischen den beiden Heeren. Und sie kämpften, so erzählt man’s sich hierzulande an allen Lagerfeuern, bis sie lützel wurden. Nicht Hildebrand und Hadubrand. Ihre Schilde. Von althochdeutschen Tomahawks zu winzigen Scheiten zerhackt, zu Splittern, zu Fasern.

Doch was führten sie eigentlich im Schilde? Das ist die Hildebrandsfrage. Und weil wir nun schon mal von Schildern sprechen: Was führen denn wir im Schilde? Wir Germanisten. Wir Kulturwissenschaftler. Wir Herumschnüffler mit beschränktem Spürsinn, die wir uns einbilden, immer genauestens zu wissen, was wann wer im Schilde führt. Schildbürger in der Literatur, in der Literaturkritik, in der Literaturwissenschaft.

   Schreib uns eine schöne Geschichte, hatte einst ein überregional maßgebender Grieche zu einem Herodot gesagt. Und dieser schrieb was nieder. So entstand die Geschichte der Germanistik und der generativen Grammatik und der … Unsinn, so entstand die Geschichte schlechthin, nein, die Gechichtsschreibung. Und der Beruf des Schreiberlings.

Ich merke schon, es wird wieder einmal verdammt schwierig, einen einfachen, an sich ja klar umrissenen Gedanken kurz und bündig zu formulieren – so wie es der gesunde Menschenverstand verlangt, gebietet, anempfiehlt, nahelegt. Aber so sind wir Germanisten nun mal, wir Vermittler zwischen Sinn und Wort, wir schreiben drauf los, was das Zeug hält – und am Ende gewinnt das Ganze dann hoffentlich auf einmal irgendwie doch noch ganz gewaltig an Prägnanz.

Schreib Er was Schönes – und gedenke Er nur immer brav der althergebrachten Hierarchien, auf denen der Betrieb beruht. Halte Er die Augen offen. Aber nicht zu weit offen.

Schreibt Er, wie ihm befohlen, so ist das Wissenschaft (Diplome, Stempel, Würdigungen und akademische Gütesiegel? Reichlich vorhanden!). Schreibt Er nicht, wie ihm befohlen, so ist das Mist. Und unsere ewige Rache ist ihm gewiss.

Damit war der Anfang der Gefälligkeitsrezensionen gemacht. Und weil Gefälligkeiten eben auch mal ganz kurz, ganz schnell erwiesen werden wollen, wucherte bald die Kurzrezension: Thumbs up! Five stars! Unkonventionell konventionell! Zeitlos zeitlich! Synchronisch asynchronisch! Erwartungsgemäß unerwartet! Ja, Kurzrezensionen sind noch immer das Beste. Übernimmt einer die paar gängigen Floskeln des Betriebs, so muss er sich nicht mehr den Kopf zerbrechen. Und den Kram lesen, über den er schreibt? Guess what? Muss er auch nicht mehr. Dann hat der germanistisch veranlagte Herodot keine Feinde. Dann wird ihm Tiefsinnigkeit bescheinigt, und zwar dieselbe Art Tiefsinnigkeit, die er dem jeweils rezensierten Werk bescheinigt. Schreib was. No pressure. Du bist ein ausgezeichneter Kritiker und Germanist, mein Freund, mein Busenfreund.

   Das immer noch beliebteste Rezept der Erfolgsrezension? Einfach den Klappentext abschreiben (denn ohne Inspiration geht’s ja eher langsam voran, und Richtlinien haben noch niemandem geschadet, der ohne nicht so recht weiß, wo’s langgeht). Und mit dem Klappentext wird’s – das verrät schon der Name – garantiert klappen.

Die kleine deutsche Sprache in der großen weiten Welt: Run, little German, run for your life! They’re after you!, höre ich eine Stimme im Elysium. So spricht ein guter Geist (okay, also gesehen hat den noch niemand, doch dass es ein guter Geist ist, der da spricht, das wollen wir vorerst mal allesamt sehr stark annehmen, denn ein böser Geist wird’s ja hoffentlich nicht gewesen sein, oder?) So spricht man unter Linguisten. So haben wir’s schon immer gehalten, wir Germanisten. Good guys, bad guys. Man muss sich da nur Klarheit verschaffen. Fragestellung gut, alles gut. Merkeln wir uns das Eine: Schaff’n’ma scho’.

Ehrensache: Dein Leben hat nur einem Herrn gehört, denn ein Samurai bleibt immer treu. So sprach der Ritter der Germanistik, so sprach der Haberer im kulturwissenschaftlichen Reich der Mitte, so sprach der Vermittler, der Übergermanist, der Hochstapler, der oberste Befehlshaber des Betriebs. Und wir dürfen das Lied anstimmen, das uns als Maß aller Dinge anempfohlen wird. Der einzige Nachteil dieser erbaulichen neofeudalen Lebensphilosophie: Was wir so alles hinschmeißen, um einander vermittels der leisetreterischen Kraft der sogenannten Wissenschaft aufzublasen, klingt verdammt blöd. Aber hoffentlich liest das ja keiner.

   Und irgendwann reitet ein postmoderner Don Quijote dann wieder hinaus ins Weite: zum Kongress, versteht sich. Er hat kein Pferd, sondern bloß einen Stecken. Und er ist natürlich kein echter Ritter. "Germanistik ist mein Steckenpferd", sagt er, als man ihm die Kongress-Tür öffnet. In seinem akademischen Ranzen liegt die deutsche Sprache. Brav zusammengeknödelt. Sie hatte sich in den Windmühlen der Germanistik verfangen. Jetzt ist sie wieder da – und wird in einem einmaligen, unwahrscheinlichen Akt kollegialer Solidarität dem Samurai überreicht, damit der schnell das Beutegeld vom Deutschen Akademischen Austauschdienst kassieren kann. Der Samurai schreibt im Nu seinen Abschlussbericht und beauftragt den besten Bogenschützen im Fernen Osten, der zugleich der Besitzer des Bogens ist, mit dem ein gewisser Lessing mal wie besessen um sich herum geschossen hatte, mit dem final shot – cause you’ve only got one shot at German. Ich machen: Sprache zurück. Mission accomplished.

Den Deutschen Akademischen Austauschdienst in Bonn hat der Bogenschütze verfehlt, an der Dresdner Bank, wo die Überweisung getätigt werden sollte, ging der Pfeil auch vorbei. Doch er traf – ganz im Goetheschen Sinne des Wortes, was hier meinen will: im wörtlichen Sinnes des Goetheschen Wortes – den ungefügigen Rezensenten. Die bestmögliche Wendung. Treue. Schulterschluss. Gefälligkeit. Unser ewiger Wahlspruch. Unser Maß aller Dinge. Eine Hand wäscht die andere. Der Feind liegt tot am Boden. Wir haben gesiegt. That’s all that really matters.

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