Motto: "(…) von
hochgelahrten recken,
von stecken und von deppen
weit ir nu wunder hören sagen."
(Quelle: Edda, unsere Zeitrechnung)
Man
schreibt das Jahr 2015. Die deutsche Sprache ward entführt. Was tun?
Abwarten und sehn? Von wegen! Weit weg, im Fernen Osten, steht ein Samurai
im Begriff zu whatsappen. The orders are coming from Germany. Drum warte
nicht, dein Auftrag heißt, bring sie zurück. Als Dankeschön wartet ein
Batzen Geld.
Jajaja ...
ruck-zuck-zurück! Wollte sagen: Hu-kja! ... Der Samurai beeilt sich. Sein
Leben hat nur einem Herrn gehört, denn ein Samurai bleibt immer treu.
Sicherheitshalber wirft er nur noch mal ganz kurz einen letzten Blick auf
sein iPhone. New message: Schnell! Schnell! Schnell! Ein bisschen dalli!
Sprache zurück! Mach schon! Verstanden?
Jawohl, Herr Kommandant!
Ich machen! sagt der Samurai – und
macht, dass er verschwindet. Irgendwann taucht er dann hoffentlich wieder
auf. Mit der geretteten Sprache, versteht sich.
Deutsche German, du wo?
Die Ermittlungen beginnen auf dem Festland. In der fernen, nahen Metropole
Shanghai wurde Gott sei Dank im August 2015 zum allgemeinen Entzücken des
Unheimlichen Akademischen Reiches Linguistischer Nation das Problem Sprache
bis auf Weiteres total gelöst. "In Vorfreude auf das Wiedersehen bzw. das
neue Kennenlernen verbleibe ich (...)" – usw. usf. Wer das Zeug
unterschreibt? Der Präsident der "Internationalen Vereinigung für
Germanistik" (IVG) – da kann man ja beim besten Erwartungshorizont nicht so
viel erwarten. Germanisten aller Staaten, vereinigt euch. Come on, macht
schon.
Der Rest des am 21. 08.
2015 in good old Shanghai unter dem Banner der internationalen Germanistik
erstellten
Rundbriefs ist ebenfalls a bisserl verkehrt
geraten. Doch was soll’s? Japan ist weit, wie schon die Minnesängerin sang,
und China ist auch nicht so nah. Da richtet sich halt jeder seinen eigenen
Duden ein – so gut es geht. Und wenn’s schon mal nicht so gut geht: Who
cares? Ein sehr gescheites Wort.
Zum Beispiel heißt es im
IVG-Land nicht auf dem Kongress, sondern im Kongress, das
Substantiv Mitglied wird weiblich gehandelt und jeder Satz klingt so
gequält (die meisten weisen ja auch dementsprechende gravierende
Sprachfehler auf, vom unmöglichen Stil ganz zu schweigen), dass sich einer
mit Thomas Bernhard fragen muss: "Ist es eine Komödie? Ist es eine
Tragödie?" Ist es ein schwerer Fall von Kongressitis? Lässt sich da
überhaupt noch was retten? Die Fragestellung will grammatikalisch
einwandfrei und methodologisch unübetreffbar sein. Meinetwegen auch
redundant. Meinetwegen auch redundant. Deutsche German, du wo? Klar:
total entführt.
Schon die Geschichte der
"Vereinigung" wird auf der
IVG-Webseite so plumpig-ungelenk, so
schnörkelnd fehlerhaft, so verdammt spaßverderbend doof zum Besten gegeben,
dass einer gar nicht mehr weiß, ob er noch lachen darf oder ob er schon mit
dem Weinen anfangen muss. "Die bisherigen Internationalen
Germanistenkongresse standen größtenteils unter einem Generalthema und
fanden unter den im folgenden genannten Präsidenten an deren Wirkungsorten
statt." Also unter den Präsidenten an deren Wirkungsorten. Was für eine
wunderbare, anschauliche Formulierung! Wie von Simplicissimus
höchstpersönlich produziert. Denn wo die Germanistik ausbricht, ist alles
bald anders.
Diese jämmerlich
redigierte IVG-G’schichte widerspiegelt übrigens unwillkürlich die
sprachliche Katastrophe der Entführung des Deutschen im weitesten Sinne.
"Über die einzelnen Kongresse wurden zwar von den jeweiligen Präsidenten
Berichte über deren wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht, aber
(…)". Aber.
Tu immer so, als wüsstest
du bescheid, ist der geheime
Wahlspruch derjenigen, die keine Ahnung haben.
Irgendjemand wird schon
darauf reinfallen, weiß der Oberste Haberer – und so wissen’s auch die
mittleren, die unteren und die alleruntersten Haberer. Mangels einer
besseren wissenschaftlichen Methode wirkt dieser Wahlspruch Wunder. Also tu
immer so, als ob.
Und doch: Fast will der
ohne viel Aufhebens in seinem globalen Dorf verschnaufende (bzw. seinen
wohlverdienten Rausch ausschlafende) Durchschnittsgermanist einem so
ungelenk mediatisierten (aber doch hoffentlich abgesehen von und abgesehen
von und abgesehen von nichtsdestoweniger in allen Dingen sehr gescheit
veranstalteten) Kongress seine Teilnahme verweigern – nur, die Werbung
erweist sich bis zuletzt doch noch als unwiderstehlich: "Wir möchten Sie
gerne zu IVG 2015 einladen. Ihre Teilnahme daran wird eine gute Chance für
die Teilnehmer des Kongresses anbieten, Ihre Produkte besser zu kennen." Ein
Satzbau, der in sich die Systemdiagnose birgt. Wenn die Teilnahme eine gute
Chance für die Teilnehmer anbietet, dann befinden wir uns sprachlich wie
kulturwissenschaftlich betrachtet indeed auf allerhöchstem akademischen
Niveau. Und niemand darf unsere Sprachkompetenz in Frage stellen. Denn in
Frage stellen, das tun wir.
Es bleibe dabei:
Deutsche German, du wo? Schon seit Wochen wird die Botschaft in die vier
Winde getragen: Das, was aus der alten Sprache der Germanen übriggeblieben
war, ist auf einmal nicht mehr da (außer man greift zum schwedischen Bitter,
das soll helfen, so ein Ur-Germanist meiner Bekanntschaft).
Kurzentschlossene, hinterlistige, rabiate, von selbstgefälligem Enthusiasmus
beflügelte Sprach- und Literaturwissenschaftler, deren einzige Schwächen die
Sprache, die Literatur und die Wissenschaft sind, haben alles veruntreut
(auf die Leut‘ ist eben kein Verlass). Ihre Sprachzeugnisse sind
einwandfrei, nur, ihre Sprache ist, oh well ... mal kurz weg. Jetzt sprechen
sie von Ehre und Treue und von Tradition und Innovation und vom neuen
Paradigmenwechsel und von schönen ritterlichen Turnieren und vom ach! so
dringend nötigen Mundtotmachen der Konkurrenz. Denn die Konkurrenz schadet
dem Betrieb. Ergo: not good.
Wir Experts. Du wollen
dein schön deutsch Sprach zertifizier? Wir erstellen. Du Kompetenz? Wir
erstellen. Viele Bescheinigungen,
Diplome und Würdigungen wurden von dynamischen Alma-Mater-Unternehmern
mitlobenswerter Geschwindigkeit zusammengebastelt. Und dazu muss man ja gar
nicht gleich zum Kongress fliegen. Bei amazon.com kann man solche Dinge auch
gebraucht erstehen – dann heißt es nur noch einmal schnell den Namen ändern,
Streitross und Lanze kaufen, and that’s it: photo opportunity after photo
opportunity after photo opportunity. Das ist das Erbauliche an der Kultur.
Und feilgeboten werden die
Bescheinigungen Tag und Nacht im Netz, an der Straßenecke, an Universitäten,
am Bahnhof, in den Kneipen, auf der Wiesn …. oder eben im Hirschgarten.
Forschung und Lehre, sagen die Pseudo-Experten des "neuen Kennenlernens"
(Neues Kennenlernen? Jaja, gutes Deutsch; natürlich ist das gutes Deutsch!
Was für eine Frage! ...) und der alten Machenschaften. Forschung und Lehre.
Nur wissen die Pseudo-Experten des neuen Kennenlernens und der alten
Machenschaften leider mit unserer schönen deutschen Sprache nicht so viel
anzufangen. And that’s were the trouble starts.
Es gab also einen
Kongress. Es gab viele Kongresse. Unser tiefstes Beileid gilt der Sprache.
Hier liegen die Fetzen. Die diensthabenden Hochstapler nicken würdevoll. Der
wissenschaftliche Beirat berät. Die wissenschaftliche Blei-Ratte beißt ins
Blei. Das Blei schmeckt.
Drum warte nicht, dein
Auftrag heißt, bring sie zurück. So weiß es also der postmodern zeitgemäße
Minnesänger unserer beliebten germanistischen Samurai-Moritat – so um das
dritte Jahrtausend herum, wenn ich mich nicht irre – kundzutun. Genauer
gesagt: jetzt. Now is the time. Du hast nur einen Freund, das ist dein
Schwert. Und wenn‘s zwei Schwerter sind, dann umso besser. Dann gibt’s eine
Zweischwerterforschung und eine Zweischwerterlehre. Jeder darf sich am
Gemetzel beteiligen. Das ist nur recht und billig. Das ist akademisch. Das
ist wissenschaftlich. Das ist kollegial.
Der Knappe schleppt die
Rüstung her. Sie wiegt dreihundert Kilo. Das will schon was heißen. Die
ganze Geschichte der Germanistik wurde darauf abgebildet, wissenschaftlich
einwandfrei niedergekritzelt, mit dem Ger eingeritzt, dem kurzen Wurfspieß
der Germanen (der sich dann später noch zum GER entwickeln sollte: zum
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen), in uralten Zeiten, versteht sich,
irgendwann vor der Ersten Lautverschiebung, ich glaube, das war in der
Steinzeit oder so, nur, damals gab es ja noch gar keinen Stahl, denn die
voestalpine AG, Das Werk, über das sich eine gewisse Elfriede Jelinek
einmal unheimlich überzeugend und irgendwie poetisch ernüchternd in
schriftlicher Form ausgelassen hat, war noch nicht ins Leben gerufen worden.
Dafür gab es freilich Steine. Akademische Steine. Gut zum Steinigen.
Mann der German Studies,
aufgewacht! Und erkenne deine Macht. Ich wache auf. Sieh einer an: Macht.
Total erkennbar. Und rundherum Masse. Dazu ein germanistisches Fressen.
Bratwurst, Sauerkraut, Pizza, Sushi, Goethe, Schiller, Hegel, Schlegel und
all die Leut'. Nur einen Freund. Das ist dein Schwert.
Vorzüglich geschliffen.
Hundert Prozent Edelstahl. Jederzeit einsatzbereit. Mein eigenes Schwert ist
natürlich auch rot von all der vielen Tinte, die ich über die
Unzulänglichkeit der sogenannten wissenschaftlichen Forschungsarbeit auf dem
sogenannten Gebiet der Germanistik vergossen habe – und es handelt sich, das
will ich mir nicht wegnehmen lassen, um leidliche, wiewohl bittersüße Tinte,
um langfristig haltbare Tinte vom Quellwasser der Alpen, der Karpaten, der
Rockies, aber ich für mein Teil habe (was jetzt mal sicherheitshalber aus
sprachrechtlichen Gründen vermerkt werden muss) nie an den fürchterlichen
Schlachten teilgenommen, die im Laufe der Jahrhunderte (okay, das ist jetzt
schon eine erste Übertreibung, also: im Laufe der Jahre) auf den grasigen
Lehnsgütern der Germanistik ausgetragen wurden. In der Regel war ich zu Fuß
(oder halt per Fahrrad) im Tross, stets die rasenden Rolande der
Literaturwissenschaft im Visier, später dann oft genug im Kanu – oder eben
einfach im Dickicht: Beobachter, Berichterstatter, Chronist.
It’s not about you, you
know, flüstert mir der Knappe verstohlen zu. Und ich muss ihm recht geben.
It’s not about me. Aber ich hab ja gar keinen Knappen. Außer die Rüstung
wiegt zu viel. Na ja, wie dem auch sei: Zur Tagesordnung. Zur Handlung. Zum
Handlanger. Zum Handgemenge. Es liegt etwas in der Luft, und zwar something
very peculiar, wenn ich mich nicht irre: ein Germanistenstreit. Dieser das
gesamte akademische Dorf unserer postwendend postmodernen
literaturwissenschaftlichen community erschütternde Tatbestand wurde mir
unlängst in all seiner intrinsischen Dramatik von allerhöchster Stelle
mitgeteilt. "Komm Er mal her! Stärke Er unsere Reihen! Wer nicht Partei
ergreift, ist kein ganzer Kerl."
Nun gut, das ist nicht der
einzige Streit, der in der Luft liegt. Es gibt da ja auch noch einen
Investiturstreit, einen Nominalistenstreit (auch als Universalienfrage
bekannt – oder treffender: Universalienstreit) und einen
Schriftstellerstreit, nein, viele Schriftstellerstreite, etwa den Streit
zwischen Herta Müller und Claus Stephani (auch als
Beweisfrage bekannt), und schon Sokrates
soll sich des öfteren mit seiner guten alten –
Doch das gehört beiläufig
nicht hier her, um es mit good Old Schwitters zu sagen, der im vergangenen
Jahrhundert down in beautiful Hannover gewohnt hat, einer kleinen
Kongress-Stadt mit einem rechtnatürlich anmutenden künstlichen See und
ebenso natürlich anmutendem echtem Deutsch. Also: Es liegt etwas in der
Luft. "Mein lieber Freund", spricht mich der erhabene Freund an (cause we’re
all friends, versteht sich), der zufälligerweise als Präsident mehrerer
akademischer Gesellschaften und Träger mehrerer Ritterorden durch die Gassen
der europäischen Literaturgeschichte reitet, "wenn du diesen prächtigen
wissenschaftlichen Band hier rezensieren willst, der in meinem Kanu liegt,
soll’s mir recht sein. Er ist, das darf ich gleich mal sine qua non und a
priori feststellen, sehr gut. Sehr wissenschaftlich. Sehr bemerkenswert.
Solltest du diese meine Feststellung, die übrigens mit den jeweils
entsprechenden Feststellungen der übrigen Beiträger des Bandes identisch
ist, netterweise als Maxime deiner Rezension berücksichtigen wollen, dann
kriegst du bei Gelegenheit erstens noch mal gleich einen Doppelten von mir
(schmeckt doch, gell?) – und zweitens werden’s dir die Jungs danken." Und
drittens: man wird nicht kaltgemacht.
Ich wollte nett sein, ich
wollte meinem Freund einen Gefallen erweisen, ich wollte ihm, wie
unsereiner, das Rezensentenvolk, zu sagen beliebt, gefällig sein, ich wollte
ihm etwas schenken: meine aufrichtige, wohlwollend lobend (aber eben auch
ein klein bisschen kritisch) formulierte Meinung. Und den Doppelten hätte
ich dann natürlich ebenfalls runterschlucken wollen (ist nämlich gar nicht
so schlecht). Er hat’s mir übelgenommen. Schlagt ihn tot, den Hund, es ist
ein Rezensent!
"Mein Freund", so schrieb
mein Freund alsdann, "du weißt schon, der, den du kritisiert hast, is a
bisserl gemotzt. Genauer gesagt, er hat zum Dolch gegriffen und will dich
sehr gerne bei Gelegenheit erstechen. Viele unserer Leute wollen dich jetzt
erstechen. Wie lange ich dich noch beschützen kann, ist ungewiss. Having said this, bei mir
bist du nach wie vor jederzeit willkommen. Nur, warum kannst du nicht
einfach alles pauschal loben, ohne auf irgendwas näher einzugehen? Also
erwähne jeden, lobe jeden, schreib gefälligst ein paar Sätze über die
erwiesene Wissenschaftlichkeit des ganzen Bandes und der ganzen Bande, and
that’s it. Dann hast du lauter Freunde, nicht lauter Feinde."
Now really: Warum kann ich
nicht einfach alles pauschal loben, ohne auf irgendwas näher einzugehen?
Warum kann ich das nicht so machen, wie’s normalerweise gemacht wird – oder
in der Sprache der Kulturwissenschaftshaberer: What’s wrong with you? Warum
Krieg? Diese letzte Frage hatte übrigens (natürlich in einem völlig anderen
Kontext) ein gewisser Einstein mal an einen gewissen Freud gerichtet, doch
auch das gehört beiläufig nicht hier her.
Lobst du mich, dann lob ich dich,
verspricht Reiner Moritz, der Leiter des Literaturhauses Hamburg, mit
literaturkritischer Verbindlichkeit, und ich könnte es auch nicht wesentlich
besser formulieren. Sein im August 2015 veröffentlichter NZZ-Beitrag ("Harmlose
Literaturkritik. Mit Dichtern auf Dienstreise") greift das Thema
übrigens wieder auf – dieses Mal bedenkt Moritz die Frage, die uns hier in
erster Linie angeht: die wuchernde Erscheinungsform Gefälligkeitsrezension
(und Gefälligkeits-"Kulturwissenschaft" im weitesten Sinne). "Ach! Könnt’
ich doch auf Bergeshöhn in deinem lieben Lichte gehn, um Bergeshöhle mit
Geistern schweben, auf Wiesen in deinem Dämmer weben", hatte es übrigens ein
anderer Freund von mir vor einiger Zeit kongenial auf den Punkt gebracht.
Und dieser Freund wollte auch eine Rezension. Und ich wollte
ihm gerne eine schreiben.
Er wollte, dass ich mich
vorher vollstopfe, und ich wollte es auch. Das Essen hat mir gemundet, und
ich dachte, meine Rezension (die ich dann ja auch brav, prompt und gefällig
lieferte) sei so wenigstens halbwegs okay. Doch nein! Meinem Freund passte
sie nicht ins Konzept, weswegen er seiner näheren Gefolgschaft Folgendes
twitterte: "Und kaum ist mir der Kerl so satt [stimmt, satt war ich indeed],
tut ihn der Teufel zum Nachbarn führen [stimmt nicht, beim Nachbarn war ich
erst viel später], über mein Essen zu räsonieren [well, what’s wrong with
that?]: "Die Supp hätt können gewürzter sein [Unsinn; das hab ich nie
gesagt; wird der Nachbar wohl hinzugedichtet haben], der Braten brauner
[stimmt, aber er hat mich ja ausdrücklich gefragt, wie ich den Braten
finde], firner der Wein [stimmt nicht; der Wein war ausgezeichnet – und ich
hab das auch dementsprechend gewürdigt, darauf kann ich tausend Eide
schwören. Howgh!]. Der Tausendsackerment! Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist
ein Rezensent!"
Und in mir dichtet es
weiter – denn jeder noch so uninspirierte Rezensent stellt sich ja
bekanntlich gerne vor, in ihm trommle der Dichter sein tiefgründigstes Ach!
in die schriftlich festhaltbare Ewigkeit der Sinne hinein, die wir unser
eigen nennen. Also dann: Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn nur immer
alles Schöne sehn. Ach! könnt ich’s doch mit Moritz sagen: Lobst du mich,
dann lob ich dich. Wie bitte? Kann ich nicht? Stimmt. Kann ich nicht.
Aber ich kann’s natürlich jederzeit ins Kanadische übersetzen, ins
Österreichisch-Kanadische: I moch a lied füa di. Ein Loblied.
Dabei ist Loben-Müssen
(als folgerichtiges Pendant bzw. als notwendige Voraussetzung des
Gelobtwerdenwollens) gar nicht unbedingt das Hauptproblem, freilich aber
sehr wohl eine durchaus brenzlige Nebenerscheinung des Hauptproblems, der
etablierten Mittelmäßigkeit in Lehre und Forschung. Steifer akademischer
Hokuspokus ist, sagen wir’s doch mal, nicht mehr und nicht weniger als eben
das: Hokuspokus.
Wertung. Umwertung.
Aufwertung. Abwertung. Schöne Wortfamilie. Loben wir einander, so sind wir
mehr wert, das leuchtet ein. Doch wenn ein jedwedes biedersinnig
hingeschmissenes Lobst-du-mich-dann-lobich-dich-Konglomerat als
kulturwissenschaftlich fundiertes Sachurteil verkauft wird, nimmt die
Sprache Schaden. Der gesunde Menschenverstand? Weit weg. Niemand bedient
sich mehr ohne die Anleitung eines anderen. Sapere aude: nie gehört.
Und wenn der Mut in Herrn
Akademos Garten versickert, nimmt man sich auch nicht mehr die Zeit, das
Schwert zu schleifen, und das erstbeste hergelaufene Wort ist eben das beste
Wort. Und wenn diejenigen, die das Sagen haben, nicht so recht Bescheid
wissen, dann nimmt die Sprache erst recht Schaden. Das Sprachgefühl wird
schnell relativiert und einer dubiosen Hierarchie unterordnet. Die jüngeren
Generationen merken, dass Gehorchen vor Studieren geht, und wenn die Leute
im Tross nicht aufpassen, läuft der Herr Räuber von und zu Hotzenplotz mit
unserer Sprache davon. Und der Baron von und zu Münchhausen bescheinigt
seinem Freund die allerhöchste Wissenschaftlichkeit. Und der Obstler
schmeckt. Und die Sprache verreckt.
"Du kriegst kein
Zertifikat!", brüllt der Haberer. "No nothing!, wie es so schön auf gut
Englisch heißt. Nichtvon uns. Nicht von mir. Nicht von dieser Akademie."
Okay, dann krieg ich eben kein Zertifikat. Aber der Kritiker, der Rezensent,
der Chronist kann auch ohne. Und ob nun schlechtes Englisch oder schlechtes
Deutsch: was soll’s?
Die Tüchtigkeit des
Diskurses? Die Kühnheit im Gedanken, dem Gedanken, den wir hegen wollen und
der hoffentlich mehr ausdrückt als das halbherzige Addieren von
Gemeinplätzen und Binsenwahrheiten? Der Haberer blickt mich verstört an,
hinter ihm eine Armee leibeigener Zwerge. "Was du sagst, versteh’ ich nicht.
Von unserer Wissenschaft bist du weit weg." Und gerade das ist das Problem.
Nicht mein Problem. Das
Problem euerer sogenannten Wissenschaft. Hinter mir stehen Titanen, ich darf
also voll und ganz sagen, was recht und billig ist. Ein Chronist muss ja
sowieso wenigstens gelegentlich melden, wenn was total Verkehrtes geliefert
wird, oder? Und sicherheitshalber – just in case – ja, warum nicht? den
Bärentöter laden.
Allzustreng wollten wir
dabei freilich auch wieder nicht sein, denn die Sprache ist ja nun mal
schließlich unter anderem dazu da, verunglimpft zu werden. Und die
Literaturwissenschaft ist natürlich ebenfalls in erster Linie dazu da,
verunglimpft zu werden. Nur, wie weit ist zu weit? Ach ja, und die Kritiker
sind dazu da, zu essen. Und zu trinken.
Ein altes schwäbisches
Wort: Sapere aude. Auf Deutsch sowas wie: Super Audi! Sagen wir mal
A6 (den kenn’ ich nämlich) – das Streitross für wackere Recken.
Mal sehn, was die weisen
Krieger dazu sagen. "Keiner ist kühn, wenn die Jahre kommen, der von
Kindesbeinen blöd war", so ein altes Totem im Edda-Longhouse bei Bayview
Village, Toronto (erstes Jahrtausend, Reich der Mitte). "Der von
Kindesbeinen deppert war", heißt es in einer im guten alten Salzkammergut
zeitnah erstellten Abschrift, die gerade jetzt ebenda gefunden wurde, wie
mir der Kammerdiener mitteilt, der gerade an der Kamera herumfummelt, weil
er eine Aufnahme machen will. So erhaben ist der Augenblick. Ich möge mich
schnellstens dorthin begeben, um das Ding zu stempeln.
Nach Österreich? Jawohl!
Nach Österreich! Gesagt, getan. Austria, here we come! Wobei blöd zur
Edda-Zeit freilich nicht deppert bedeutete, doch was dem
Salzkammergut-Medizinmann klassisches Latein ist, das beteuerten mir
mehrere direkt von der Wiesn angeflogene stark alkoholisierte Sprachexperten
des Oberdeutschen, gilt bis auf Widerruf in allen Landen als klassisches
Latein. Kapiert? Und der Nibelungendichter trommelt natürlich tunlichst alle
seine Buchstaben zusammen, cause it’s getting serious. "Daz in allen Landen
niht schöner mohte sin." Gleich am Anfang des Liedes.
Nicht blöd sein, now that
makes sense. Ich kapieren, Herr Kommandant! brüllt der Samurai. Und
ist dabei gar nicht so blöd. Cause that’s what you’re supposed to do if
you’re "doing German". Wir wollen uns alsomal vorerst an diesen schönen,
althergebrachten interkulturellen Imperativ festhalten, jajajajaja, hu-kja!
... natürlich, mit beiden Händen – oder doch jedenfalls auf geistiger Ebene,
mit einem geistigen Greifarm, klar, cause it’s all mental. Und dann fangen
wir an zu räsonieren, und zwar solange wir wollen und worüber wir wollen.
Und dann hackt unser Siegfried unserem Fafnir den Kopf ab. Das nenn’ ich
Mut. Und Mutter Courage hat viele Kinder, wie der Samurai aus den schwarzen
Wäldern einst dichtete.
"Wollt’ wissen, wie man’s
Wissen weiß. Wollt’ es wissen, wollt’ es wissen", schreibt Bertolt Brecht in
Leben des Galilei – und wir wollen’s immer noch wissen. Ja, nach all
den Jahren wollen wir’s immer noch wissen! Und wir fahren auf den
reparaturbedürftigen erkenntnistheoretischen Einbahnstraßen und biegen in
die schön geflickten teleologischen Sackgassen ein, die wir um uns gebaut
haben, stets den Endzweck im Rückspiegel. Wissenschaftliche Rezensionen
schreiben: Privatkundeng’schäft.
"Mir san completely clean
of toxic assets, des is unser Vorteil. Mir moch'n Privatkundeng'schäft. Mir
worn dramatisch weniger deppert als die g'schätzten Kollegen in Deutschland.
Und mir woll'n a kaane Vergleiche mit der Asien-Krise: Mit windigen
G'sellen, local tycoons und südchinesischen Drogendealern arbeiten mir net."
(www.spiegel.de/spiegel/print/d-64497223.html)
So wusste es unser
Treichl, ein Samurai österreichischen Schlages, vor ein paar Jahren sowohl
auf linguistischer Ebene als auch auf finanzieller Ebene vollkommen stimmig
auf den Punkt zu bringen. Ein redliches Wort. Und wenn es uns dann also
gelingt, auch nur a bisserl weniger deppert als die anderen zu sein, dann
ist das doch, Tausendsackerment hin und her, eine ordentliche, regelrechte
Kulturwissenschaft. German Studies? Serious business. Was wir hier treiben,
ist Mannessache, ertönt das Über-Ich von weit her. Und wir wissen: Das war
der Über-Germanist. Klar: Germanensache!
"Hat denn zur unerhörten
Tat der Mann allein das Recht?", fragt freilich Goethes Iphigenie kongenial
auf einem in good old Greece veranstalteten Germanistik-Kongress. Und die
rumänische Germanistin Ioana Craciun fragt mit (und wir antworten allesamt
politisch korrekt: "Why, of course not!") – und zieht das Schwert. Und haut
drauf los. Und lässt sich was einfallen. Und ihre wissenschaftlichen Bände
sprechen Bände – und sind in akademischen Landen zur Legende geworden. Ich
könnte sie jetzt gerne allesamt blitzschnell als hervorragend beurteilen,
noch besser als ich es je hinkriegen würde, hat es jedoch bereits längst der
Dichter mit seinen anschaulichen mittelhochdeutschen Worten in die kleine
Ewigkeit unserer großen Germanenwelt hingekritzelt: "Daz in allen Landen
niht schöner mohte sin." Ja, jener Dichter. Er hat seinen Bericht
anonymisiert eingereicht und als Wohnort "Heldenburg zwischen Passau und
Wien" eingetragen. Schöner hätt’s nicht sein können. Simplified Chinese.
Howgh! Also: Kopf hoch.
Bleistift spitzen. A bisserl Zeitgeist reinlassen. A bisserl Weltschmerz
verkraften. An ein paar wenigen Germanistenschlachten teilnehmen. Dulce et
decorum est pro … ja pro Seite wären das dann wohl so an die vierzig Euro,
hier ist meine Bankverbindung. Quite dulce et decorum. Niht schöner mohte
sin.
Tatsache ist, wir sind am
Ende unseres Lateins. Auf dem großzügigen internationalen Tummelplatz einer
sich zwischen den aufs Geratewohl hingeschmissenen Marksteinen Tradition und
Innovation weitausstreckenden Reich der Germanistik vereinen wir, was immer
auch zu vereinen ist. Alle Menschen werden Brüder, wo so’n Kongress
ausbricht. Da geht’s nicht umhin. Da gibt’s kein Pardon. Kollegial gehn’ ma
vor. Wie Abel und Kain.
Look what I can do!
brüllt ein Lausejunge (es ist der Präsident) und präsentiert sein
verunglücktes Bravourstück, ja, er wollte es unbedingt auf Deutsch machen,
denn, das hat er irgendwie schon immer gespürt, Deutsch kann er. Er ist der
einzige, der das gespürt hat. Ja dann: Look what I can do. Und mir fällt da
wenig ein. Nichts fällt mir mehr ein. Außer dem seligen Salzburger
Altlandeshauptmann Wilfried Haslauer, der uns Nachgeborenen ganz klar und
ganz verbindlich den einen Auftrag erteilte: Passt’s mir gut auf mein
Salzburg auf. Und der selige Alt-Premierminister Pierre Elliot Trudeau
hat uns ebenso klar gesagt: Passt’s mir gut auf mein Kanada auf.
Jetzt sind die Junioren an der Reihe: Wilfried Haslauer Jr. bzw. Justin
Trudeau. Die Zügel fest in der Hand, das Vermächntnis der Väter im Sinn
sowie natürlich in allen Herzkammern – und dann heißt es aufpassen. Und ich
erlaube mir in diesem Zusammenhang auch was zu sagen: Passt’s mir gut auf
mein Deutsch auf. Nicht dass es verschwindet.
Aber ich bekomme ja gar
nicht mehr so richtig mit, was sich da alles in der Hexenküche unserer
Wissenschaft abspielt: In den innersten Machtgetrieben der alten
Germanenleut’ werden Rachepläne geschmiedet. Das ist meine Wiese!
sagt der Übergermanist. That’s where I’m playing German! Die Wiese
sieht wüst aus. Überall leere Bierflaschen, nirgendwo ein Konzept – wodurch
wir Kraftkerle der German Studies uns jetzt natürlich nicht gleich
aus dem Konzept bringen lassen wollen. Denn Konzept ist, wenn … ja…
Wissenschaft.
Machen wir einen Bogen
darum. Vor uns das weite Feld. Ein semantisches Feld. Gefundenes Fressen für
den linguistischen Helden in seiner linguistischen Heldenburg. Da blüht was
auf. Bücken wir uns. Greifen wir danach. Eignen wir‘s uns an – das Ding, das
da aufblüht. Es ist des Dichters Gut und Habe. Toll! Ganz schnell knicken …
ach! verdammt, das schmerzt! Schwert ziehen. Dornen abhacken. Come on, mach
schon. Die Blüte der deutschen Sprache ist in jedem Heidenröslein greifbar,
dass irgendein Knab’ irgendwo im fernen Reich der Poesie stehn sieht, und in
jeder Narzisse im schönen interkulturellen Blumenbett der Postmoderne, wie
der Dichter einst sagte. Narziss war übrigens, so wissen es die weisen
Krieger an den Lagerfeuern, der allerbeste Germanist. Er blickte ins Wasser
und sagte: "Du bist gut." Sein Spiegelbild blickte ihn an und sagte: "Du
bist gut." Eine Studie entstand. Viele Studien entstanden.
Er ist ein tapferer
Krieger, sagt der Krieger über sich selbst – und stellt sich selber ein
Zertifikat aus. Sein Freund unterschreibt gerne. Das ist gängige
Kriegspolitik – ja was wir rund um die Lagerfeuer der Spät-Aufklärung
innerhalb eines stattlichen akademischen Überziehungsrahmens in der Regel
halt Kulturwissenschaft nennen (weil das so prächtig klingt). Ich du
deutsch du Stempel gut wir Kongress. Geld von Deutsche.
Und wir wissen dann
schließlich gar nicht mehr, ob die Finanzierung über die Deutsche Bank oder
über die Deutsche Bahn läuft. Immerhin … Er ist ein tapferer Krieger.
Moment! Wer ist ein tapferer Krieger? Ich bin ein tapferer Krieger. Und ich
sage dir, was du sagen sollst, wenn du was über mich sagst. Und alles was du
über mich zu sagen brauchst, ist: Er ist ein tapferer Krieger. Howgh!
Als unvoreingenommene
Lobgesänge Dritter getarnte O-Töne sind nämlich zwar nicht immer harmonisch,
sondern – ganz im Gegenteil – oft genug geradezu schrecklich, sie allesamt
als Misstöne anzukreiden wäre allerdings eine Übertreibung, denn es kann ja
mal sein, dass der eine oder der andere Haberer sich leidlich aufputzt, wenn
er sich anschickt, das Lied seiner selbst ins Elysium hinein zu donnern. Der
unvoreingenommene Leser merkt jedenfalls in der Regel, wenn etwas falsch
klingt. Nur, der unvoreingenommene Leser liest in der Regel keinen
schnörkelnden Unsinn.
Außer er muss, sagen wir
mal, wenn er dazu gefälligst eine Besprechung zum besten geben darf. Und
dann wird ihm eine jedwede Kritik übel genommen, eine jedwede schneidige
Kontextualisierung oder Beurteilung verdenkt, eine jedwede Stellungnahme als
unverschämte Parteilichkeit bzw. als noch unverschämtere Unparteilichkeit,
ja als Mangel an Loyalität abgestempelt.
Nicht die Subjektivität,
sondern die Mittelmäßigkeit ist wie gesagt unser Hauptproblem. Denn der
Kritiker (oder eben der Lobredner, der Minnesänger, der Germanist oder der
Ritter) mag getrost übertreiben, aufblasen, abschweifen, ausweichen,
kehrtmachen, offene Türen einrennen, Gemeinplätze loswerden, mit
spottbilligen oder eben sauteueren Zitaten um sich herum schleudern und sich
selbst in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken, soweit er nicht aufs
sinngemäß passable Argumentieren vergisst.
Mein Gott, das ist ja gar
kein gutes Deutsch – dabei immerhin gutes Österreichisch. Nur,
Österreichisch, sowas gibt es ja gar nicht. Ich merke schon, wir schweifen
ab. Schon wieder schweifen wir ab. Ach! Diese Germanenzeug-Ritter der hohen
Kraft der Wissenschaft reiten immer am Ziel vorbei, reiten immer ins
Ungewisse. Das ist der falsche Weg.
Und ich merke noch etwas.
Ja, jetzt, da man mich ausdrücklich danach fragt, merke ich’s: obwohl es
dieses Mal ja wirklich ganz, ganz original werden sollte, habe ich mich
schon wieder aus Daniela Strigls
Glück der Kritik in vierzehn Thesen
bedient. Sie liegen ja da. So griffbereit, kundenfreundlich, schneidig,
einladend, hochaktuell. Und zum Glück darf man.
Wenn der Kritiker es sich
anmaßt, zu kritisieren, muss er freilich unter Umständen auch mit der
unerbittlichen Vergeltung des Opfers seiner Kritik rechnen – und mit dem
unerbittlichen Hass der gesamten Gefolgschaft des Großfürsten der
Germanistik (falls es sich zufälligerweise mal um einen Großfürsten handeln
sollte, was allerdings in der Regel kaum zutrifft, denn so groß sind unsere
Fürsten ja auch wieder nicht). Und wenn sein Streitross mal einen
Pferdeapfel machen sollte, so ist das gut für die Landwirtschaft, für die
Wirtschaft im allgemeinen sowieso, und dazu selbstredend ebenfalls für die
Kulturwissenschaft.
Zurück nach Japan, wo
unser Samurai im Begriff steht, die deutsche Sprache zu finden. Zurück nach
Bukarest, wo er sie findet – oder wo immerhin im schönen Monat August des
schönen Jahres 2015 ein
Interview mit der japanischen Germanistin
Kyoko Fujita erschien, in dem es u.a. heißt, sie habe "sehr positive
Rezensionen bekommen". Und wir merken uns das Wort bekommen. Das ist ein
sehr gutes Wort. Und Fujita bietet auf der Webseite der Gesellschaft der
Germanisten Rumäniens einen Gefälligkeits-Sonderbeitrag mit dem erbaulichen
Titel "Germanistik
in Süd-Ost-Europa – Zum Sonderbeitrag von Prof. Dr. George Gutu"
an, der bezeichnenderweise mit einem schon rein sprachlich
unzufriedenstellenden Satz beginnt: "Viele unserer FachkollegInnen kennen
bereits allzu gut, dass das Fach Germanistik geschichtlich vor dem
Hintergrund des sich entwickelnden deutschen Nationalismus
institutionalisiert wurde." Da kriegt einer schon wieder mal Kopfweh. Viele
kennen das Gefühl, viele wissen, was Kopfweh bedeutet. Unser Auftrag wird
immer schwieriger.
Hört gut zu, ihr jungen
Leute! Im Anfang waren die alten Germanen. Im Anfang waren die Schwerter.
Und die Götter. Und die Drachen. Und Hildebrand und Hadubrand – und Attila,
der vom Nibelungenlied zur schönen literarischen Figur Etzel stilisiert
wurde und der – nur als stilisierte wie stilvolle literarische Figur,
versteht sich – gerne schlichten wollte, wiewohl ihm das Schlichten freilich
nie so recht gelungen ist, jedenfalls nicht im Nibelungenlied. Und in der
historischen Wirklichkeit wollte er ja gar nicht schlichten; ganz im
Gegenteil. Und Hildebrand und Hadubrand, die beiden Herren, trafen sich mal
zwischen den beiden Heeren. Und sie kämpften, so erzählt man’s sich
hierzulande an allen Lagerfeuern, bis sie lützel wurden. Nicht Hildebrand
und Hadubrand. Ihre Schilde. Von althochdeutschen Tomahawks zu winzigen
Scheiten zerhackt, zu Splittern, zu Fasern.
Doch was führten sie
eigentlich im Schilde? Das ist die Hildebrandsfrage. Und weil wir nun schon
mal von Schildern sprechen: Was führen denn wir im Schilde? Wir Germanisten.
Wir Kulturwissenschaftler. Wir Herumschnüffler mit beschränktem Spürsinn,
die wir uns einbilden, immer genauestens zu wissen, was wann wer im Schilde
führt. Schildbürger in der Literatur, in der Literaturkritik, in der
Literaturwissenschaft.
Schreib uns eine schöne
Geschichte, hatte einst ein überregional maßgebender Grieche zu einem
Herodot gesagt. Und dieser schrieb was nieder. So entstand die Geschichte
der Germanistik und der generativen Grammatik und der … Unsinn, so entstand
die Geschichte schlechthin, nein, die Gechichtsschreibung. Und der Beruf des
Schreiberlings.
Ich merke schon, es wird
wieder einmal verdammt schwierig, einen einfachen, an sich ja klar
umrissenen Gedanken kurz und bündig zu formulieren – so wie es der gesunde
Menschenverstand verlangt, gebietet, anempfiehlt, nahelegt. Aber so sind wir
Germanisten nun mal, wir Vermittler zwischen Sinn und Wort, wir schreiben
drauf los, was das Zeug hält – und am Ende gewinnt das Ganze dann
hoffentlich auf einmal irgendwie doch noch ganz gewaltig an Prägnanz.
Schreib Er was Schönes –
und gedenke Er nur immer brav der althergebrachten Hierarchien, auf denen
der Betrieb beruht. Halte Er die Augen offen. Aber nicht zu weit offen.
Schreibt Er, wie ihm
befohlen, so ist das Wissenschaft (Diplome, Stempel, Würdigungen und
akademische Gütesiegel? Reichlich vorhanden!). Schreibt Er nicht, wie ihm
befohlen, so ist das Mist. Und unsere ewige Rache ist ihm gewiss.
Damit war der Anfang der
Gefälligkeitsrezensionen gemacht. Und weil Gefälligkeiten eben auch mal ganz
kurz, ganz schnell erwiesen werden wollen, wucherte bald die Kurzrezension:
Thumbs up! Five stars! Unkonventionell konventionell! Zeitlos zeitlich!
Synchronisch asynchronisch! Erwartungsgemäß unerwartet! Ja,
Kurzrezensionen sind noch immer das Beste. Übernimmt einer die paar gängigen
Floskeln des Betriebs, so muss er sich nicht mehr den Kopf zerbrechen. Und
den Kram lesen, über den er schreibt? Guess what? Muss er auch nicht mehr.
Dann hat der germanistisch
veranlagte Herodot keine Feinde. Dann wird ihm Tiefsinnigkeit bescheinigt,
und zwar dieselbe Art Tiefsinnigkeit, die er dem jeweils rezensierten Werk
bescheinigt. Schreib was. No pressure. Du bist ein ausgezeichneter Kritiker
und Germanist, mein Freund, mein Busenfreund.
Das immer noch beliebteste
Rezept der Erfolgsrezension? Einfach den Klappentext abschreiben (denn ohne
Inspiration geht’s ja eher langsam voran, und Richtlinien haben noch
niemandem geschadet, der ohne nicht so recht weiß, wo’s langgeht). Und mit
dem Klappentext wird’s – das verrät schon der Name – garantiert klappen.
Die kleine deutsche
Sprache in der großen weiten Welt: Run, little German, run for your life!
They’re after you!, höre ich eine Stimme im Elysium. So spricht ein
guter Geist (okay, also gesehen hat den noch niemand, doch dass es ein guter
Geist ist, der da spricht, das wollen wir vorerst mal allesamt sehr stark
annehmen, denn ein böser Geist wird’s ja hoffentlich nicht gewesen sein,
oder?) So spricht man unter Linguisten. So haben wir’s schon immer gehalten,
wir Germanisten. Good guys, bad guys. Man muss sich da nur Klarheit
verschaffen. Fragestellung gut, alles gut. Merkeln wir uns das Eine:
Schaff’n’ma scho’.
Ehrensache: Dein Leben hat
nur einem Herrn gehört, denn ein Samurai bleibt immer treu. So sprach der
Ritter der Germanistik, so sprach der Haberer im kulturwissenschaftlichen
Reich der Mitte, so sprach der Vermittler, der Übergermanist, der
Hochstapler, der oberste Befehlshaber des Betriebs. Und wir dürfen das Lied
anstimmen, das uns als Maß aller Dinge anempfohlen wird. Der einzige
Nachteil dieser erbaulichen neofeudalen Lebensphilosophie: Was wir so alles
hinschmeißen, um einander vermittels der leisetreterischen Kraft der
sogenannten Wissenschaft aufzublasen, klingt verdammt blöd. Aber hoffentlich
liest das ja keiner.
Und irgendwann reitet ein
postmoderner Don Quijote dann wieder hinaus ins Weite: zum Kongress,
versteht sich. Er hat kein Pferd, sondern bloß einen Stecken. Und er ist
natürlich kein echter Ritter. "Germanistik ist mein Steckenpferd", sagt er,
als man ihm die Kongress-Tür öffnet. In seinem akademischen Ranzen liegt die
deutsche Sprache. Brav zusammengeknödelt. Sie hatte sich in den Windmühlen
der Germanistik verfangen. Jetzt ist sie wieder da – und wird in einem
einmaligen, unwahrscheinlichen Akt kollegialer Solidarität dem Samurai
überreicht, damit der schnell das Beutegeld vom Deutschen Akademischen
Austauschdienst kassieren kann. Der Samurai schreibt im Nu seinen
Abschlussbericht und beauftragt den besten Bogenschützen im Fernen Osten,
der zugleich der Besitzer des Bogens ist, mit dem ein gewisser Lessing mal
wie besessen um sich herum geschossen hatte, mit dem final shot –
cause you’ve only got one shot at German. Ich machen: Sprache
zurück. Mission accomplished.
Den Deutschen Akademischen
Austauschdienst in Bonn hat der Bogenschütze verfehlt, an der Dresdner Bank,
wo die Überweisung getätigt werden sollte, ging der Pfeil auch vorbei. Doch
er traf – ganz im Goetheschen Sinne des Wortes, was hier meinen will: im
wörtlichen Sinnes des Goetheschen Wortes – den ungefügigen Rezensenten. Die
bestmögliche Wendung. Treue. Schulterschluss. Gefälligkeit. Unser ewiger
Wahlspruch. Unser Maß aller Dinge. Eine Hand wäscht die andere. Der Feind
liegt tot am Boden. Wir haben gesiegt. That’s all that really matters.