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Belletristik

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Inhaltsübersicht

 


Vasile V. Poenaru

Eine Almani-Trilogie in Lower Saxony
Aller guten Dinge sind drei. Und fünf ist ja auch keine schlechte Zahl. Es geht nämlich im Folgenden um fünf Freunde (furchtlose Superhelden allesamt) und ein Kamel, die sich aus dem fernen Irak bzw. aus Algerien oder eben aus dem Sudan auf den Weg nach Niedersachsen machten, um in Erfahrung zu bringen, ob in Hannover an der Leine tatsächlich das allerbeste Deutsch weit und breit gesprochen wird und ob der Brocken (im Harz) ein wahrhafter Sprachbrocken sei. Toc de mac! Tandaradei! (01. 05. 2020)

 

Vasile V. Poenaru

Thirty years a zombie
Diesen Brief hab ich Anfang Juni in "Area 51" gefunden. Ich glaube natürlich kein Wort von dem, was drin steht, doch es ist meine patriotische Pflicht, diese sogenannte Dracula-Bulle zwecks ihrer ja hoffentlich bald zu erfolgenden wissenschaftlichen Widerlegung in den so wundersam kreativen Raum unserer Geschichtsschreibung zu stellen. (01. 07. 2019)

 

Vasile V. Poenaru

Unlogisch-philosophisches Traktat
Herrschaften! Zeit zum Auftauen. Die Eiszeit hat’s jetzt auch schon hinter sich. Kein Frost mehr in österreichischen Landen. Es ist toll, wieder so richtig da zu sein. Auf allen vier Buchstaben. Da: innerhalb der Sprache, innerhalb des Seins und all der wundersam artikulierten Dinge, die nun mal dazu gehören. Denn, jetzt mal Hand aufs Herz: Es geht um die Sprache. Um meine Sprache. Um die volle Sprache und um nichts als die Sprache. (08. 05. 2019)

 

Vasile V. Poenaru

Königliche Hoheit aus aktuellem Anlass
Vorweg eine gute Nachricht: Vorgestern hat mich ein Nachbar from the old country (also ein Austrian) angerufen und mir im Schwung des schönen Augenblicks mitgeteilt, dass ich soeben zum König gewählt wurde; und zwar von ihm selbst. Und wenn der Nachbar sagt, ich bin jetzt König, dann bin ich jetzt König. Mit oder ohne Krone. Das heißt … Right on! Ich brauch ‘ne Krone! (01. 09. 2018)

 

Vasile V. Poenaru

Ruckzuck-Ermittlung: Komödie der Großartigkeit
Die Handlung dieser überaus noblen Komödie der Großartigkeit ist natürlich in einer großartigen Großstadt angesiedelt. Es geht darum, eine im Rahmen der Initiative "Ordentliche Ordnungshüter" begangene Polizeistraftat systemintern ins Reine zu bringen. Leider wurde der Täter von einem den Ordnungshütern offensichtlich böse gesinnten Augenzeugen gefilmt. Die Medien schalten ein. Die Affäre dringt bis zum Innensenator. Das Department steht unter Druck. Die Ermittlung nimmt ihren Lauf...
(11. 07. 2018)

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Peter Hodina
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Auszüge aus einem Traum-Journal
Er hatte ein zusammengeflicktes Gesicht jetzt, trug Starbrille, war wüst von den Jahren gezeichnet, ranzigen Altlöwengeruch verbreitend parfümiert, hatte einen ganz altmodischen, schlotternden Dreireiher an. Mit der Linken auf einen Krückstock gestützt, umarmte er mich umständlich-theatralisch und wollte mich küssen: da erkannte ich, was ich ja immer schon ahnte ... (14. 04. 2016)

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Vasile V. Poenaru

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"Goethe, komm her!"
Kulturobjekte lassen sich leicht aneignen. Kulturdinge. Kulturgegenstände. Etwa ein Goethe, wenn’s sich so fügt. Nur, welches mag wohl die passende Art und Weise sein, so einen Goethe anzugehen, hinzukriegen, einzupacken? Die Antwort liegt sonnenklar in den Sternen: Es gibt nur eine Art, Texte zu lesen. Man muss einstürmen, sich Inhalte aneignen, Bedeutungen beimessen, kurz: sich nehmen, was immer auch zum Mitnehmen da ist. Und wenn’s Titanen-Texte sind: mit den Titanen ins Gespräch geraten. Es gibt nur eine Weise, mit Titaten ins Gespräch zu geraten. Man muss sie von ihrem Sockel runterholen. Man muss sie duzen, man muss sie umarmen. Man muss mal gemeinsam mit ihnen einen heben. Ganz gelassen auf sie zugehen. Kulturlüstern anstoßen. Bruderschaft trinken. Johann und Wolfgang auf die Schulter klopfen: "You guys are alright." (07. 11. 2015)

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Vasile V. Poenaru

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Deutscher Mann in Switzerland
Die Mehrheit der Schweizer stimmte im Februar 2014 für die SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung. Weil aber jede Münze auch eine Kehrseite hat, sei hier mal kurz (nicht mit rechtlichen, sondern bloß mit künstlerischen Mitteln) auf die andere Seite der brenzligen Kantönli-Frage der Freizügigkeitsplage hingewiesen. Dies ist die wahre Geschichte eines deutschen Mannes in Switzerland, die Geschichte von Dr. Tobias Schwab, einem gutmütigen Gastforscher mit begrenzter Haftung und unbegrenzter Alpensucht.  (10. 05. 2014)

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Peter Hodina

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Dämonen der Morgendämmerung
Als Kind saß man zu Füßen der Großen, auf dem Perserteppich, die Großen dagegen thronten auf schweren Möbeln. Eine Öde stank einen dort förmlich an, es war niemals lustig. Wir Kinder waren die Zierkinder, Belustigungs- und viel mehr noch Ermahnungsobjekte. Waren Gäste da, tat die Mutter mit uns nachsichtig, ziemlich schnell wurde mit Blicken, auch mit Worten abgemahnt, bis sich die Lage wieder beruhigte – Ohrfeigen gab es erst, nachdem die Gäste weg waren. Lange konnte ein Kind es dort, wenn Gäste da waren, nicht aushalten. Die Gespräche, die die Großen führten, bezogen die Kinder überhaupt nicht ein, obwohl dann wieder so getan wurde, als würde sich um die Kinder alles drehen, vor allem um deren Bravheit. Drei Brüder waren wir, und anfangs mussten wir, wenn Gäste kamen, uns aufreihen wie die Orgelpfeifen. Wir waren kaum mehr als Ornamente dieser licht- und luftdurchfluteten Öde ... (01. 11. 2009)

 

Irmgard Perfahl
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Eukalyptus
Nichts du duftendes Nichts/fall ein in meine verwilderte Seele/fall ein ins verkrüppelte harzige/Wurzelgeflecht meines Herzens/fall ein in das blühende Ginstergebüsch/an den Hängen meiner versandeten Träume
... (03. 08. 2007)

 

Martin Dragosits
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Der Teufel hat den Blues verkauft
Wahrscheinlich beendete Jesus nach/seinem vermeintlichen Tod/die gescheiterte Karriere als Sektenführer,/ging als Barmixer nach Indien,/verkaufte Fruchtsäfte an reiche, ältere Damen,/heiratete die Witwe eines Großgrundbesitzers, ...
(01. 07. 2007)

 

Marianne Leersch
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Die Infusion
S
ie weiß schon, das wird nichts. Schon als die junge Ärztin beim Hereinkommen in ihr Blickfeld getreten ist, hat sie die Unsicherheit förmlich riechen können. Der forsche Schritt und das Lächeln haben sie nicht täuschen können. Sie hat es sofort gewusst, die schafft das nicht, mit so einem jungen Gesicht kann die doch keine Erfahrung haben.
(01. 06. 2007)

 

Peter Hodina
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Rattus Liber
Eine behandschuhte Hand griff in den Käfig, um Laborratte 3 am Schwanz aufzuhängen, sie baumelte kopfunter von der Decke des Käfigs und setzte ihre Schulungsversuche unverdrossen fort. Es gehe darum, dozierte sie, den Opfergedanken vom Kopf auf die Füße zu stellen. "Wir leben in einer verkehrten Welt", sagte sie. "Seit ich hier kopfunter hänge, merke ich erst so wirklich konkret, was es bedeutet, in einer verkehrten Welt leben zu müssen. Von Stunde zu Stunde bin ich von der Notwendigkeit einer Revolution überzeugter."
(01. 06. 2007)

 

Angelo John Ashman
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Völlig arbeitslost
Der vernichtende Blick des bewusstseinserweichenden Arbeitsberaters trifft mich hart. "Zeigen Sie mal Ihre Bewerbungen", fordert er ungeduldig. Nach zwei Sekunden kommt ein motivierendes "Ist das alles? Nur 42 Bewerbungen in einer Woche? Sie müssen mal mehr Gas geben!"
(01. 06. 2007)

 

Peter Hodina
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Unter Philanthropen
"Was haben Sie gegen den Ozean voll Liebe?" fragte ich den örtlichen Wurstfabrikant, den Konditor, den Flutlichtanlagenhersteller und den Redakteur der schwarzen Lokalparteizeitung. Sie gaben mir keine Antwort. (01. 05. 2007)

 

Lothar Quinkenstein
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Komplizierte Dinge
Dass man also/den Phänomenen trauen könne,/ohne Materialist zu werden,/ die Seele glauben,/ohne dem Gnostizismus/huldigen zu müssen,/denn das Verhältnis dessen,/ was strahlt,/zu dem, was durchstrahlt wird,/ist nichts Äußerliches./Mit anderen Worten:/Die Hüllen/decken das Wesen/nicht zu, sondern auf. (01. 05. 2007)

 

Stephanie Doms
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Melpomene
Ich schließe die Augen, sie schmerzen vom aggressiven Licht dieses Sommertages. Das Rasenmähergeräusch erstirbt, der Grasschnitt wird auf den Kompost geworfen und der Motor von Neuem gestartet. Momente absoluter Stille sind selten. Nicht mal nachts wird es wirklich ruhig, denn dann beginnt der Garten in seiner fremden Sprache von Dingen zu sprechen, die ich nicht verstehe und die mir unheimlich sind. Dinge, die tiefer gehen, die ursprünglicher sind, als dass ein Mensch, so ernüchtert wie ich, sie verstehen könnte.
(01. 04. 2007)

 

Bert Kallenbach
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Der Champagner des Zaren
Das Berliner Kaufhaus "KaDeWe" bot im Juni 2004 eine Flasche Champagner aus dem Besitz des letzten russischen Zaren an. Sie lag einzeln und sorgfältig gebettet in einer Holzkiste in einem kleinen Raum des obersten Stockwerks. Neben der Kiste befand sich Schild, auf dem in zwei, drei Sätzen die Geschichte der Champagnerflasche umrissen wurde. Es folgte die Nennung des Preises: 4.350 €.
(01. 04. 2007)

 

Peter Hodina
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Die blamierte Mutter
Das Kind nimmt auf einem Hockerchen Platz und beginnt einfach nicht mit dem Spielen. Unruhe kommt auf. Die Mutter hetzt sie an: "Spiel doch! Spiel endlich! Worauf wartest du? Jetzt hast du die einzige Chance deines Lebens, spiel doch, eine solche Chance wirst du nie wieder bekommen!" Das Kind spielt aber nicht. Es sitzt vor dieser komischen Orgel und entwickelt keinen Ton.
(01. 04. 2007)

 

Lothar Quinkenstein
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Die Kronenmaschine
Studiert, aber nicht zu Ende, weder die so genannte germanische Philologie noch die Musikwissenschaft. Gearbeitet, aber selten lange am selben Ort. Unter anderem auf Erdbeerfeldern in einem recht angenehmen Winkel Deutschlands unweit der französischen Grenze. Später, während die Kommilitonen mit Beiträgen zur Stereoptypenforschung ihren Magister bosselten, bei einer Spedition in der Nähe von Stuttgart. Und gegenwärtig Betreiber eines Kopierkabuffs. Aber eigentlich? Was war ich eigentlich? Existierte ich eigentlichlos?
(01. 04. 2007)

 

Clemens Schittko
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Sag Ja zum Nein
"Sag Ja zum Nein, sag nur nicht Jein, wenn jedes Vielleicht schon zu einem Nein geworden ist. Es gibt so viele Definitionen von Liebe, wie es Menschen auf der Erde gibt, aber so wenige Definitionen darüber, was ein Mensch ist, wenn wir ihn nicht in zwei Geschlechter zerlegen.
(01. 03. 2007)

 

Heinz Pusitz
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Essenale
ER schüttelte Ketchup auf das weiße Schneidbrett. Zurückgestellt fuhr ERFinger in den Ketchup, bedeckte ihn ganz, und steckte ihn in ERMund. So verfuhr ER, ER, bis das weiße Schneidbrett wieder weiß war. ERFinger mit Ketchup vom Schneidbrett in ERMund. Bis weiß wieder ganz weiß war. Das Rot in ERMund. Versenkt.
(01. 03. 2007)

 

Angelo John Ashman
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randeinwärts am flaschenpostvenster
erst vorhin noch, lungerten wohl wohlwollend mit abgeschabten fangzähnen um das von geheimen diensten pudelbemützt beschattete objekt. sei es: schwarzbraun ist die haselnuss gleich stark verkehrt gelesen, beherbergt jede menge meistgesuchte botschaften, einige auch dazugegechnet, saszen fast arglos auf dem boden der tatsachen, gleich unter jener wäscheleine, der man nicht über den weg trauen konnte.
(01. 03. 2007)

 

Peter Hodina
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Molly und Dolly
Ich stehe irgendwie wie ein Museumswächter da, wie ein Museumswächter ohne jede Erklärungskompetenz. Wo der seine Gedanken hat, weiß man nicht. Ob er etwas denkt oder nur mit der Wahrung des Scheins seiner Unauffälligkeit beschäftigt ist. Er denkt vielleicht irgendetwas Sexuelles sich aus. Ob dieses Sexuelle nach außen kommt, ist die Frage. Der Wächter ist eine Flasche, sein Kopf der lustige Stöpsel drauf.
(01. 02. 2007)

 

Eva Fischer
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Miniatur
Ich saß im großen Ohrensessel, hielt mich in der Philosophie Demokrits auf, hörte von diesem, dass die Seele aus Feueratomen besteht.
(01. 02. 2007)

 

Lothar Quinkenstein
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Die Widerspur
D
ie beiden Männer, die auf dem in verschlungenen Mustern gepflasterten Hof dem schlammbespritzten Fiat entstiegen und im Laufschritt dem Eingang des herrschaftlichen Gebäudes zueilten, während jeder in der einen Hand eine kleine Reisetasche trug und versuchte, sich mit der anderen notdürftig gegen den Wolkenbruch zu schützen, mit einer Zeitung der eine, mit einer Windjacke der andere, dabei Haken um die Pfützen auf dem Kiesweg schlagend.
(03. 12. 2006)

 

Eva Fischer
...
Miniatur

E
gon nahm den schönen Satz und band ihn zu einer Krawatte. Ich wollte ihn davon abhalten, ein Knoten tut dem schönen Satz nicht gut, sagte ich, er blockiert seinen Energiefluss, schwächt seine Aussagekraft. Doch Egon bestand darauf, er hatte den Knoten bereits fachmännisch geformt und zog die Krawatte nun so fest, dass er fast keine Luft mehr bekam.
(02. 12. 2006)

 

H. W. Grössinger
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Namen sind Schall und Rauch
W
er zu viele Bekannte hat, vermag sie einfach nicht mehr auf seiner Mattscheibe festzuhalten. Einer aus dem Strom der Passanten lächelt und bleibt stehen. "Hallo, wie geht’s?" Der Angesprochene, der natürlich nicht weiß, wo er diesen hintun soll, kontert: "Und selber?" Und jetzt beginnt die Suche in allen Gehirn-Schubladen. Ist man per Du mit seinem Visavis oder per Sie? Woher kennt man ihn?
(01. 12. 2006)

 

Walter Wagner
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Almträumen
Wi
e soll ich über meine Alm reden, die in Wahrheit Faschinger gehört? fragte ich mich, als ich vom Kremsursprung kommend durch den Buchenwald hinaufwanderte, Stadler immer wenigstens zehn Schritte hinter mir, jeder schweigend, weil mit sich selbst beschäftigt (oder besser gesagt: mit dem genius loci, der uns im Gebirge immer und sogleich zur Hauptbeschäftigung wurde) und die unfassbare Stille unter den Laubdächern einsaugend – staunend und euphorisch wie immer, wenn es um die Alm ging.
(22. 10. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
Man s
ervierte uns wieder diesen besonderen Saft, die Essenz. Wir nippten und schon sahen wir Leute mit Seele, Seeleute in kleinen Booten zwischen großen Wellen.
(21. 10. 2006)

 

Hans Walter Grössinger
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Ottos abenteuerliche Möbelschau
Da
s vor Otto liegende Einladungsschreiben zur hypermodernen Wohnkultur-Show ist tiefschwarz mit kleinen, weißen, kaum lesbaren Schnörkelbuchstaben. Und in der Tat, was er dort zu sehen und zu spüren bekommt, ist zweifellos auch sehr seltsam. Die Gäste, die er in dieser Lack- und Leichtmetall-Kollektion trifft, sind etwa dieselben, die auch häufig die Ausstellungen abstrakter Gemälde oder Free-Jazz-Abende besuchen und hartnäckig auf Godot warten.
(21. 10. 2006)

 

Martin K. M. Menzinger
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In der Obdachlosigkeit des Schreibens
Ein literarisches Gespräch (Villa Roccamont. Neapel):
"Aber was erzähl ich Ihnen all dies. Als Literaturwissenschaftlerin haben Sie ja keine Ahnung von all dieser Einsamkeit all dieser Schreibarbeit. Und unsere Kinder sind die Opfer unserer Verrücktheit... Mein Gott. Unsere Töchter. Unsere Töchter... Paula. Pauline. Und Augustine. Dumm... Dumm aber hübsch. Mein ganzer Stolz."
(19. 09. 2006)

 

Eva Fischer
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Also denkt mein Zwerg
Mein Gartenzwerg hat eine fixe Idee. Er hält sich für  ein Kunstwerk. Niemand kann ihn davon abhalten. Der Zwerg hält es für sein Recht, selbst zu bestimmen, wofür er sich hält. Eine Diskussion über seinen Kunststatus hält er für überflüssig.
(16. 09. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
Meinst du etwa, dass dreifaltig dasselbe bedeutet wie dreifach einfältig, fragte mich Egon. Ich  konnte mir seine Frage nicht erklären.
(26. 07. 2006)

 

Hans Walter Grössinger
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"
Herr Johann" / "Die Kette im See"

I
m Schatten der Mauer unter dem hohen roten Dach der Kirche geht der Herr Johann. Er geht sehr langsam. Sein schwerer alter Körper ist weit nach vorn gebeugt. Den kahlen Schädel trägt er tief und müde zwischen den Schultern. Mit dem Stock tastet er unsicher über den holprigen Boden der Gasse. Herr Johann ist im vergangenen Monat 90 Jahre alt geworden.
(23. 06. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
Im Vogel behauptet sich das Selbst, las Egon mir aus dem Lexikon des Eigensinns vor. Es war Mittag und wir hörten Vivaldi. Egon liebt Lexika. Er schätzt die prägnanten Formulierungen, die er dort findet. Ich cremte mich gerade mit Musik ein, nahm deshalb, was Egon las, nur verschwommen wahr.
(21. 06. 2006)

 

Hans Walter Grössinger
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Noten im Wind
Ha
llo Alter", rief Müller junior, "wusstest du, dass Johann Sebastian Bach 1685 geboren wurde?" Der Junge war soeben vom Klavierunterricht nach Hause gekommen. "Tatsächlich?", staunte der Vater. "Und mir ist, als wäre es erst neulich gewesen. Wie die Zeit verfliegt!" "Du mit deinen Witzen", erwiderte der Junior, "aber die werden dir bald vergehen!"
(22. 05. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
Kunst ist eine
subjektive Behauptung, sagte ich zu Egon. Er spitzte die Lippen und blies ein Ornament in die Luft. Es verschlang meine Aussage. Da formte ich ein Figürchen mit schärferem Profil und warf es meinem Alter Ego an den Kopf.
(20. 05. 2006)

 

Marianne Leersch
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Das Kleid
L
angsam näherte sie sich dem schweren eichenen Eingangstor, das in der Mauer, welche den großen Garten vor neugierigen Blicken schützten sollte, eingelassen war. Kühl und abweisend blickten sie die Bohlen des sonst warmen Holzes an, sie hatten sie sofort als nicht zugehörig, als unwürdig durchschaut und hätten ihr, wäre es auf ihre schon zwei Jahrhunderte alte Weisheit angekommen, den Zutritt verweigert. Sie hätten sie um die Mauer herumdirigiert zur kleinen Pforte, die an der Rückseite des Gartens für ihresgleichen gedacht war. Eingehend betrachtete sie das schwere Tor, ihre Hände befühlten das kalte Metall der kunstvoll geschmiedeten Beschläge und streichelten sanft das Holz, um es zu besänftigen.
(23. 04. 2006)

 

Hans Walter Grössinger
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Der nächste Montag kommt bestimmt
Dr
außen vor dem Stadtzentrum stehen die Wohnsilos, aufgefädelt an frisch asphaltierten Gassen. Hinter der Tür Nummer 10 eines dieser Häuser wohnt die Sekretärin Gabriele von Montag bis Freitag. An Sams- und Sonntagen aber lebt sie auch noch drinnen. Denn das bereits etwas verblühte Mädchen erträgt das Dasein recht gewissenhaft gegen einen beachtlichen Betrag fünf Tage in der Woche zwischen den vier Wänden eines einfach möblierten Wohnzimmers.
(24. 03. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
I
ch sah die Tunnelröhre als Hohlhippe und ich sah Egon beim Versuch, sie mit einem Schweizer Kracher in die Luft zu jagen. Er werde sämtliche Hohlhippen Österreichs sprengen, hörte ich ihn sagen, und alle Hippen weltweit und darüber hinaus.
(23. 03. 2006)

 

Eva Fischer
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Miniatur
I
ch fange an, den Irrtum zu genießen, dachte ich, das Mäandrieren der Gedanken, wenn die Linien verfliedern. Mein Blick glitt zu Egon hinüber. In eine schilfgrüne Decke gehüllt saß er im Lehnstuhl, seine Augen waren auf mich gerichtet. Was wäre, wenn der Mensch Tier geblieben wäre, fragte er.
(01. 03. 2006)

 

Angelo John Ashman
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Organische Vermögenswerte
W
er kennt das nicht? Der Wecker klingelt. Ein 'Aus Vorhandenem Neues schaffen wollen' steht im Raum. Beim entschlossenen hin und her des 4ward2moreofwhat macht sich ein leichtes Kopfschütteln bemerkbar. Also weg mit dem Karma und weg mit den Trümmern des Akkordarbeiters. Zeitversetzt kreisen dressierte Gedanken um glaubwürdige Argumente zur Aufhellung der Hintergründe.
(27. 02. 2006)

 

Peter Hodina
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Lineamente einer Ethik der Unabgeschlossenheit
Es sollen ja auch Menschen unter uns leben, deren Naturell so glücklich veranlangt ist, daß sie weder sich noch andere besonders quälen, deren Leben nicht von Idealen – weder von hellen noch von dunklen – verzerrt wird, die aber deswegen noch lange nicht in einer trüben, unempfindlichen Mittelmäßigkeit versacken.
(27. 02. 2006)

 

Heinz Pusitz
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garnelendrive
i
m süden des landes gab es nie genug hütten. vielerorts führte dies zu überlegungen, ohnehin benötigten wohn/raum in weites land zu verwandeln und vielerlei leuten stellte die behörde ein motorrad zur verfügung. damit. der bau der hütten war in dieser nicht mehr notwendig. gertz war einer dieser besitzer eines behördenmotorrades. ohne zu wohnen war er, wie alle, zu hause. waschmaschinen gab es neben tankstellen, die wiederum in essensvergüngungs-stationen mündeten. so fahren unter weitem himmel die behördlich verfügten motorradfahrer.
(21. 01. 2006)

 

Angelo John Ashman
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Für eine Handvoll Digitales
E
s gibt mal wieder nur Interessantes an dem ersten Arbeitstag dieser dunstigen Woche, hier irgendwo in dem Dixie-Klo, welches sich flussabwärts durch Farbe und Geruch extrem auszeichnete und auf dem die Reiberichtung des durchsichtigen Reinigungspapiers frei wählbar war. Das ersparte einige Hautabschürfungen. So ein Tag, bestückt mit flüchtigen Momenten, die scheinbar über ein Eigenleben verfügen, bekommt eine dynamische Blindekuh-Melancholie, die einem die Luft aus den Fingernägeln zieht.
(21. 01. 2006)

 

Peter Hodina
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Freiheit als schöne Kunst betrachtet
Ich kenne einen säuerlichen Menschen, einen sechzigjährigen Philosophie-Professor, der einerseits häufig das kuriose Wort "Weltmisslingen" gebraucht, andererseits behauptet, das Leben – ein dem Menschen würdiges Leben – solle ein "Kunstwerk" sein. [...] Als ich ihm einmal schüchtern erzählte, wie sehr ich von Thomas Manns "Zauberberg" begeistert sei, betrachtete er mich wie einen Aussätzigen: "Euch sollte man von den Büchern wegsperren."
(22. 12. 2005)

 

Alexander Eilers
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Aber Witz
Der Rebstock ist die beste Krücke. / Wer seine Schulden begleicht, gerät leicht in Vergessenheit. / Eine Akademikerkarriere: Dissertation, Habilitation, Rehabilitation. / Standpunkte sind Ruhestätten der Wißbegierde. / Wie man andere in Widersprüche verwickelt? Einfach ausreden lassen. / Inquisition: Kreuzverhör. / Letzte Gewißheit: Auch Skeptiker müssen dran glauben.
(16. 09. 2005)

 

Tobias Sommer
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Dunkel / Waldsterben
Ich sitze im Dunkeln / alles aus dem Raum ziehende schwarze Seitenwände / führen zum künstlichen Licht / bannen meinen Blick / und fokussieren einen kleinen Jungen.
(15. 09. 2005)

 

Angelika Reitzer
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Sonnenschirme
N
un: ich trinke viel; ich schreibe viel: ich versuche, die Recherche für diesen Film hinzukriegen und morgen treffe ich mich mit irgendwem, der mich für irgendein Projekt als Assistentin haben will/vielleicht auch nicht. Der Unterschied schlägt sich nicht in Geld nieder. Der ist aber ein einigermaßen bekannter Regisseur oder so ein Szenetyp zumindest. Wenn ich mich einmal für eine richtige Stelle bewerben werde, wird der sicher ein gutes Wort für mich einlegen.
(19. 06. 2005)

 

Tanja Brandmayr
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Von der Unmöglichkeit
Im
wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt. Menschen mit unglaublich klaren Augen und gesund geröteten Wangen beschreiben den Wahnsinn so oft verniedlichend, als Wortspiel und dessen Gefährlichkeit ignorierend. Alles an solchen Menschen hält die andere Wange auch noch hin. Damit hat Helen aber nichts zu tun, sie ist keine Anhängerin irgendeiner Sekte, sondern ein Kind der Zivilisation und des Abendlandes, der Jetztzeit, der Aggression. Wer traut sich schon, still in seinem Zimmer zu sitzen und über sein Leben nachzudenken.
(21. 05. 2005)

 

Stefan T. Pinternagel
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In Memorandum Andersen
"Ich m
öchte zu der Schwester des berühmten Schriftstellers Andersen", sagte der Fleischklops. "Sie empfängt gerade einen Gast, wenn Sie verstehen, was ich meine", sagte sein Gegenüber, lässig an die Wand des Hauses gelehnt, die Kappe noch tiefer in das verhärmte Gesicht ziehend. Nur die Augen, kalt und blau, schienen aus dem dunklen Schattenwurf herauszuleuchten. "Wenn Sie sich noch etwas gedulden wollen", sagte der Lude, "es kann nicht allzu lange dauern."
(26. 04. 2005)

 

Heinz Pusitz
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Europa, eine Erinnerung
Geb
hard, zu Worms, ist eine Erinnerung des erinnernden Solomachus. Auf dem gas- und triebgenormten Erdteil ließ er Gebhard eine Burg aus germanischer Mythologie bauen und von einem tiefendunklen Wald umschließen. Larry King, und Burger King und King Lear warteten am Burggraben vor dem Tore auf der Brücke, gebaut aus Erinnerung. Larry King forderte eine TV-Erinnerung, Burger King musste sie verkaufen können und King Lear sollte sie zumindest zum Wahren und Edlen verhelfen.
(09. 02. 2005)

 

Christian H. Sötemann
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Sonnentheoretiker
Ei
n weiterer Sonnentheoretiker, der meinen Weg kreuzte, sprach mich nicht an, und doch wußte ich, daß er dem Wahnsinn verfallen war. Den Kopf immer und immer wieder schräg nach oben drehend, mit zusammengekniffenen Augenlidern, die sowohl vor dem einfallenden Sonnenlicht schützten als auch Argwohn vermuten ließen, stapfte er seines Weges, wie einer, der einem geraden Wege niemals mit voller Konzentration zu folgen vermocht hätte.
(20. 01. 2005)

 

Rupprecht Mayer
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Am Fluss
Ic
h wohne jetzt an einem Fluss. Er ist kalt und reißend, denn er kommt direkt aus dem Gebirge. So setze ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen, gehe ich an ihm spazieren. Die Freunde, denen ich schrieb "ich wohne jetzt an einem Fluss" sehen mich leichtfüßig zwischen den Ufern hin- und hertänzeln, aber das tun selbst die ganz jungen und kräftigen Flussanwohner nicht, denn dazu ist der Fluss zu breit. Wüssten die Freunde, wie kalt und reißend der Fluss ist, sie hätten Angst um mich.
(30. 12. 2004)

 

Christian H. Sötemann
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Gejammer
Das ewige Gejammer, oft als so störend abgekanzelt, beeindruckte mich gerade ob seiner Ewigkeit. Da suchen wir auch in unserem dann doch notwendig endlichen Leben nach Ewigkeit, und dann wird dieser formidable Greiner, Maunzer, Klager, Jammerer achtlos fortgeschickt - ohne daß wir auch nur im Entferntesten in Betracht zögen, wieviele Generationen der schon vollgejammert haben mag. Hier muß anders verfahren werden; der Jammerer muß erforscht werden. Folgender qualitativer Fragenkatalog könnte dienlich sein.
(20. 11. 2004)

 

Peter Hodina
...
Offener Brief an Peter Sichrovsky
Sehr geehrter Herr Sichrovsky, vor nicht ganz einer Woche habe ich an Sie einen Brief geschrieben, der leider etwas ausgeufert ist. Das Wort "Brief" kommt ja bekanntlich von lateinisch "brevis" = "kurz", und lange Briefe könnten durchaus als Zumutung empfunden werden. Angeregt worden war dieser lange Brief durch die Lektüre Ihres vor Jahren erschienenen Buches 'Seelentraining', das mir, wie Sie sehen werden, außerordentlich gut gefallen hat.
(08. 11. 2004)

 

Peter Hodina
...
Sich den Seelenschatz nicht abringen lassen
Meine Studienjahre gestalteten sich als ziemlich verzweifelte. Ich geriet zwischen die Mühlsteine des engen katholisch-konservativen Elternhauses einerseits und eines Universitätsgurus voller Herrenzynismus andererseits, der sich ständig über das "schlechte Studentenmaterial" beklagte. Eines gerissenen Manipulateurs und unberechenbaren Schreiers: eines Psychofaschisten also. Von mir wurden drastisch Unterwerfung und Selbstverzicht verlangt. Ich grub mich daher, damals konfliktscheuer und isoliert, immer tiefer ein.
(05. 11. 2004)

 

Carmen Caputo
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Großstadt bei Nacht
Der Lärm hängt als Eis / Zapfen von den Rinnen / in den Straßen des Tals / das zum Hafen hinführt / in glänzender Bläue / treibt eine Flasche / Post ins Meer / das letzte Boot schifft sich ein / dort wo das Becken zeltet.
(22. 10. 2004)

 

Reinhard Winkler
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Das Ichichich. Eine mitteilungsbedürftige Befindlichkeit
Mein Ich interessiert mich. Mehr oder weniger brennend. So brennend, wie es mir die ärztlich verordnete Reduktion meines Kopfes auf seine elementarsten Reflexe erlaubt. Der beste Therapeut ist man sich bekanntlich selbst. Einbildungen wurden ausgetrieben. Die Gefühle sind noch immer da, daran hat sich nichts geändert
.
(29. 09. 2004)

 

Angelika Reitzer
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Die Frau die du kennst
Die Scheibe ist kaputt, sah ich, nachdem ich meine schwere Tasche vier Etagen hoch geschleppt hatte, der Blick über die Dächer beeindruckend, nur die Tür lässt sich nicht abschlieszen und dieses Salle de Bains ist ein Loch, unter freiem Himmel beinahe. Durch das kaputte Fenster weht kühle Luft herein, kein warmer Hauch vom Mittelmeer dringt durch dieses kleine Loch, nur die kühle, die so mitteleuropäische Winterluft. Ich will die Fensterläden nicht zumachen, weil ich dann nur mehr in diesem Zimmer wäre mit seinen Geräuschen aus dem Treppenhaus, das mir nicht mehr geheuer ist.
(27. 09. 2004)

 

Raymond Zoller
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Vom rechten und unrechten Schreiben
Nun soll sie also wieder rückgängig gemacht werden, die vielbeschworene Rechtschreibereform; wirr und chaotisch soll sie enden, wie sie begonnen, das geschaffene Chaos weiter vergrößernd.
(26. 09. 2004)

 

Peter Hodina
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Auflösungen: Ein Journal
Eine Frau geht putzen, damit die Tochter sich Markenklamotten kaufen kann, um in ihrer Schule nicht zur Außenseiterin gemacht zu werden. Daran zeigt sich das ganze Elend dieser Gesellschaft. Wie sie sich darbringen. Wie sie sich fürchten. Wie sie sich anpassen.
(22. 08. 2004)

 

Raimond Zoller
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Briefe aus Tbilissi
Nachfolgendes ist weder Literatur noch sonst irgendwas G’scheites. Ganz einfach: Auszüge aus ein paar im letzten Julidrittel geschriebenen Briefen, die von allgemeinem Interesse scheinen. Mehr oder weniger im Rohzustand, fast unbearbeitet; nur ein paar Namen wurden unkenntlich gemacht und drei Fußnoten eingefügt. Eben: vielleicht noch interessant.
(19. 08. 2004)

 

Stefan T. Pinternagel
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Ein neuer Vati
Sascha ist eine europäische Kreuzung: Akkurat wie ein Engländer, ein Gourmet wie ein Franzose, feurig wie ein Spanier, anspruchslos wie ein Portugiese, warmherzig wie eine italienische Mama und treu bis zum letzten Blutstropfen – wie ein deutscher Landser. Und er ist sensibel kann ich dir sagen. Du glaubst gar nicht wie er mit den Kindern umgeht. So etwas habe ich noch nie gesehen! Da wird einem ganz warm ums Herz. Apropos warm: Im Bett ist er wie eine Rakete, gewaltig, feurig, schnell – und er kommt immer ans Ziel, wenn du verstehst was ich meine. Marija verstand. "Aber, er ist doch..." - "Sterilisiert? Natürlich, wo denkst du hin. "Du wirst es nicht glauben: Er lässt sogar meine Schuhe in Ruhe".
(28. 07. 2004)

 

Raimond Zoller
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Die Nashornfrage
Gibt es Nashörner im Tal der Füchse; oder gibt es keine? Kaum ein Problem, zu dessen Lösung so viel Geisteskraft aufgewendet worden wäre. Und doch: Nach wie vor tappen wir im Dunkeln. Krivoi-Krokovski, der in seinem Standardwerk über das Tal der Füchse davon ausgeht, daß es zu keiner Zeit dort Nashörner gegeben hat, gab bezüglich seiner Informationsquellen offen zu, daß er noch nie im Tal der Füchse gewesen ist und daß er auch nicht weiter nach Material gesucht hat, welche das Nashornproblem erhellen könnte.
(13. 07. 2004)

 

Stefan T. Pinternagel
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Lyrik (Teil 4)
Was hatte er doch für ein schönes Leben gehabt, / würde er denken, wenn es einmal soweit war: / Er drückte auf einen Schalter / und hatte Licht. / Er drehte am Knopf / und es wurde warm. / Er hatte nie wirklich Durst, / konnte sogar im Wasser baden. / Er musste nie ein Tier töten / und hatte doch genügend Fleisch zu essen. / Trotzdem wäre ein Lamborghini / nicht schlecht gewesen.
(10. 07. 2004)

 

Stefan T. Pinternagel
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Der Sitzenbleiber
Vor ihm parkt ein roter Passat aus dem Tietze aussteigt und näher kommt. Heinz hebt seine Alibizeitung ein Stückchen höher, gibt sich vertieft. Kaum ist Kollege Tietze am Wagen vorbei, lässt Heinz das Tagblatt wieder sinken und atmet erleichtert aus. Tietze hat er noch nie leiden können, der immer mit seiner ungemütlichen Art. Alles schnell schnell. Alles sofort. Stechender Blick und spitze Finger. Heinz blickt auf die Uhr im Cockpit seines Wagens. Noch elf Minuten bis Arbeitsbeginn. Elf Minuten Friede. Kein Telefon, keine dämlichen Anfragen, Beschwerden. Kein Fax, kein Blätterwald auf dem Schreibtisch. Keine Kollegen, die aufgeregt ihr fades Leben schildern.
(28. 06. 2004)

 

Carmen Caputo
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Feierabend
Schatten von S-Bahndrähten / rundum / getrockneter Asphalt / von Tagessonne getilgt / Auge in Auge / im Oel gestanden / Hallenluft / die Ohnmacht war / hab ich in Gedanken / die Sonne gepflückt / im fruchtbestickten Garten / Süße geschmeckt / herbeigesehnt / den Treppentrichter / hinter dem ich verschwinde / wie jedes Mal.
(26. 06. 2004)

 

Heinz Pusitz
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Fisch / Bär
Durch Regentropfen gewahrte er an einer Hausecke, eingelassen im oberen Drittel, einen Bären, der einen Fisch fraß, gehalten in der Farbe des Hauses. Die eigene Vergangenheit war ihm fremd geworden, warum sollte jemand einen fischfressenden Bären als Hausskulptur integrieren?
(14. 06. 2004)

 

Christian H. Sötemann
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Indifferenz
An der Säule geruckelt, die bewegte sich nicht, weitergegangen. Den Himmel angeschrieen, der reagierte nicht, weitergegangen. Auf die Erde getreten, die kam nicht ins Wanken, weitergegangen. Gegen den nächsten Baum gepustet, der schwankte nicht, weitergegangen. Die Türklinke böse angesehen, die errötete nicht, weitergegangen.
(11. 06. 2004)

 

Christian H. Sötemann
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Nachgedanken einer Spiegelprobe
Ich hielt mir einen kleinen Taschenspiegel vor die Nase. Er beschlug. Das bedeutete, daß ich atmete, und ich war beruhigt. Selbst wenn meine Nase mir nicht wirklich gefiel, so taugte sie doch immerhin zum Atmen. Das war auch wichtig. Besser wäre noch gewesen, wenn sie zum Atmen getaugt und mir dazu noch gut gefallen hätte. Aber ich sah ein, diese Nase war Realität. Dann setzte ich mich auf eine Terrasse und kam ins Nachdenken.
(08. 05. 2004)

 

Peter Hodina
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Gegenprägungen
Mein Leben ist vollkommen leer, ich lebe wochenlang, ohne mit jemandem ein Gespräch zu führen, ich schleppe einige Bücher in meine Höhle, ich schwitze jahreszeitgemäß, von unten dringt grobianischer Lärm herauf, ich schreibe Sprüche, die auf Hauswänden stehen, ab. Ich lese eine Zeitungs-Schlagzeile, die sich auf einen Jagdunfall bezieht: "Koch verwechselt Freund mit Wildschwein - tot!"
(23. 04. 2004)

 

Carmen Caputo
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Lyrik ( Auswahl)
Eine geschlossene Nähe / Stadt / von Nachtlicht gefaltet / Dämmerung / von Schatten zerschnitten. / Rückkehr der Sommervögel / Fußspuren streunender Hunde / geheul in Gassen / Hinterhofmüll streitender Zänker.
(11. 03. 2004)

 

Heinz Pusitz
                   
Sonnenaufgang
Die gruppe reiter erhöhte sich stetig und war gegen fünf ganz im sonnenaufgang sichtbar. Müde hielten sich sich im sattel, die pferde waren in ein interesseloses gehen verfallen, links eine blockhütte aus der zeit der eroberung, seit jahrzehnten unbenutzt. Die geier kreisten und nahmen sich stück für stück vom bild und verschluckten es gierig.
(28. 03. 2004)

 

Rupprecht Mayer
    
Unterwegs in die Stadt
Ich bin unterwegs in die Stadt und werde dort dreißig Personen kennenlernen. Im Lauf der Zeit natürlich noch mehr, auf eine jener flüchtigen Arten, derer es viele gibt, aber mit den Dreißig werde ich im selben Haus zusammenarbeiten. Ich werde also täglich mit ihnen sprechen, wozu ich mir ihre Familiennamen merken muß, später noch den ein oder anderen Vornamen.
(15. 03. 2004)

 

Manfred Ach
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Der Vollstrecker
Der Vollstrecker ernährte sich sehr sorgfältig von einer Diät. Er trank nicht, rauchte nicht und hütete sich vor Menschen und Tieren aller Art. Er hasste schiefgetretene Absätze und liebte konzentrische Kreise. Die Kunst des Tötens beherrschte er meisterhaft, auch sonst war er nicht unmusisch.
(07. 03. 2004)

 

Christian H. Sötemann
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Zur Lösung des Weltkugelschreiberproblems
Niemand hatte mir gesagt, daß man sich als Weltpräsident um alle Kugelschreiber kümmern müsse. Sicher, den einen oder auch den anderen - aber alle? Sie kennen das: zunächst wird einem Honig ums Maul geschmiert, das Jobprofil in warmen Pastellfarben geschildert, und hat man erst einmal angefangen, kommen auch schon die bösen Überraschungen. Wie das mit den Kugelschreibern eben. Aber das scheint der Gang der Dinge zu sein, und ich schätze, hier werde ich etwas verändern müssen als Weltpräsident.
(06. 03. 2004)

 

Heinz Pusitz
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Teichrückkehr
Die Schwäne waren weg, schon lange sieht man sie nicht mehr. Er wusste nicht, was mit ihnen geschah, ob sie sich im Weiß der Wolken auflösten oder vergiftet wurden. Sie gingen leise und hinterließen keine Spuren, außer in den Gedächtnissen derer, die sie einmal für einen Flügelschlag oder mehr sahen.
(25. 02. 2004)

 

Rupprecht Mayer
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Gemeinsame Wanderung
Ich werfe meine Finger nach vorn, daß sie fast schnalzen. Waagerecht halte ich meine Arme, vorne ist das Gefühl blau. Der Raum, der mir noch bleibt, wird kühler, und doch ist er willkommen. Wo gehen wir hin? Schön, daß ihr so zahlreich um mich seid. Doch wenn einmal der Augenblick kommt, dann werdet ihr zurückweichen.
(17. 02. 2004)

 

Stefan T. Pinternagel
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Lyrik (Teil 3)
In Augustnächten ist die Stadt / am schönsten; / obszön Kreischen die Trambahnen / Um die schmalen Kurven, / Gefolgt von kurzen / Autotorsos; / Rothaarige Junkyfrauen / Tragen ihren Duft durch / Die Straßen; / den Duft von Heroin und Lethargie; / Achtlos weggeworfene / Zaunkinder.
(13. 02. 2004)

 

Christian H. Sötemann
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Der Konferenzraum
Wenn Sie den Flur zu Ihrer Linken betreten, werden Sie am Ende des Ganges auf den Konferenzraum der Firma stoßen. Fast ununterbrochen werden dort Konferenzen, Meetings, wie das heute eben genannt wird, abgehalten. Kritiker beklagen, es werde dort nichts gesagt, doch das ist nicht wahr. Es wird im Gegenteil sehr viel gesprochen. Vielleicht haben sich die Kritiker auch nur darauf bezogen, daß die Inhalte, die dort zur Aussprache kommen, gelegentlich von einem Speicheltropfen begleitet, keine Änderung der Welt hervorrufen.
(04. 02. 2004)

 

Peter Hodina
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Ein Traum
Ein Traum: Ich soll eine Lesung halten in einer Gemeinschaftsmoschee zwischen Muslimen und Juden. Ich war angekündigt worden als einer der "Besten", doch nur ein Schulklassenzimmer voll Leute erschien. Und wie patzte ich bei dieser Lesung! Ich hatte eine Mappe mit losen Zetteln und Literaturzeitschriften dabei, einen ganzen Packen. Aber ich blätterte und blätterte und fand keinen geeigneten Text zum Vorlesen. Außerdem hatte sich meine Kurzsichtigkeit plötzlich so gesteigert, daß ich die Zettel immer ganz nah ans Gesicht halten oder mich zu ihnen hinunterbeugen mußte. Es zerfiel mir diese Lesung unter der Hand.
(14. 01. 2004)

 

Stefan T. Pinternagel
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Lyrik (Teil 2)
Und plötzlich ist es Herbst / und die Blätter liegen / wie tote Universen / auf dem Boden / und aus den Schuhgeschäften / und Jeansläden stampft / der neueste Sound / auf die Straße. / Bei der NORDSEE sind / die Lachssandwiches / schon wieder alle / und vor mir schiebt / eine breithüftige Frau / ihren Kinderwagen / und raucht dabei.
(05. 01. 2004)

 

Peter Hodina
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Laufschrift - Teil II
Einen Siebzehnjährigen zu beschimpfen, weil er im Leben noch nichts geleistet hätte, heißt, einen Siebzehnjährigen einfach deshalb zu beschimpfen, weil er ein Siebzehnjähriger ist. Aber natürlich kann ein Siebzehnjähriger nicht die hunderten Bücher studiert haben, die zu studieren unerläßlich ist, um sicher tritt fassen zu können. Rein zeitlich geht sich das nicht aus.
(30. 12. 2003)

 

Peer Langenfeld
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Frühling
"Blühendes Grün in des Frühlings Erwachen / Ließ mich das Süße im Dasein verspüren. / Wehmütig war mir, so wollt's mich verführen; / Ach! Wie vergnügt durft ich fühlen und lachen!  Leser: Das ist sehr schön. Dichter: Vielen Dank. Freilich hätte ich von Ihnen etwas mehr erwartet, da Sie ja sonst so vehement nach literarischen Diskussionen verlangen. Wäre es Ihnen zu so später Stunde eventuell noch möglich, sich genauer auszudrücken? Leser: Sie haben recht, Sie haben völlig recht. Man gewöhnt sich viel zu schnell daran, nichts zu sagen und dem auch noch Ausdruck zu verleihen.
(13. 12. 2003)

 

Manfred Ach
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Ganz gewöhnlicher Abend
Da fliegst du aus der Kneipe wegen ein paar Scherben, und alle andern haben schon dicht, fährst das Auto an einen Zaun und gehst zu Fuß durch die beinkalte Nacht, wirst von Nutten angequatscht und versicherst ihnen, die letzte Mark versoffen zu haben, fliegst in eine Baugrube und krabbelst wieder hoch mit zwei gebrochenen Rippen und einem Loch im Kopf, tropfst eine Halbe Blut auf die Straße, findest endlich das Haus, wo dein Mädchen wohnt, und die sagt dir dann.
(01. 12. 2003)

 

Stefan T. Pinternagel
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Lyrik (Teil 1)
Am Nachbartisch / hat der Typ seiner Alten / gerade eine geblitzt, / weil sie sich ne / Zigarette ansteckte / während er noch aß. / Ich wäre beinahe / aufgestanden und hätte / ihm die Meinung gegeigt; / ließ es dann aber / doch lieber bleiben; / zündete mir / – aus Protest – / eine Zigarette an / und blies den Rauch / verstohlen in / seine Richtung.
(19. 11. 2003)

 

Peter Hodina
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Laufschrift
Ich schrecke im geist vor überhaupt nichts zurück. Im tun schon, zum glück, da ist eine sicherung eingebaut, mehr ein feiner takt als ein gewissen. Ich will die abgründe erforschen, ich bin erfreut, mit abgründen bei anderen konfrontiert zu sein, vorausgesetzt, die distanz bleibt gewahrt. Mich entsetzt fast nichts. Wie ein porträtist, der die vielen sich wandelnden gesichter eines individuums – auch seiner selbst – festhält. Ich werde jetzt einmal auch texte in einer hamburger nuttenzeitung veröffentlichen. Mich fasziniert prostitution; denn ähnliches mach ich im kopf: ich gehe mit allen möglichen diversitäten ins bett und zeuge meine sukkuben.
(13. 10. 2003)

 

Stefan T. Pinternagel
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Malheur
Während wir die "Zigarette danach" rauchten, sagte sie mir, daß sie nie mit mir zusammen leben könnte. Ich antwortete "Das mußt du auch nicht" und fragte sie nicht, warum es so wäre. Ich konnte es mir ohnehin denken – es war wie immer, bei jeder Frau; ich war zu sehr Eigenbrötler um mein Brot und mein Bett und mein Leben mit jemanden teilen zu können.
(08. 10. 2003)

 

Manfred Ach
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Mein Kopf
Der schmerzt und Schuppen hat. Der hart und dick ist. Der mir verdreht wurde, und auf den man Hörner setzte. Auf dem ich manchmal stehe und auf den ich manchmal gefallen bin. Durch den ich mir manches gehen lassen soll, was nicht hineingeht. Den ich oft hängen lasse oder verliere, den ich aber wiederfinde und den ich mir aufsetze. Über den mir vieles wächst.
(21. 09. 2003)

 

Magdalene Geisler
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Kleine Hommage an das Tagebuch
Du blickst auf die Ereignisse eine Spur intensiver, suchst Worte, lebst interessanter für diese Zeit. Zum Beispiel dieser äußerst nervöse Mann, dessen Alter ganz schwer zu bestimmen ist. Er besteigt die Bahn und sofort taucht er seine ganze Umgebung in Unruhe. Abrupte Bewegungen und andere Ruckartigkeiten irritieren die Fahrgäste in der Nähe, in der auch du sitzt. Folgerichtig bemerkt er entschieden zu spät, dass er eigentlich aussteigen muß. Wie in einem Slapstick springt er an die Tür, die sich schon wieder schließt, schafft es, sich noch einmal hindurch zu zwängen und springt hektisch auf die Fahrbahn.
(18. 09. 2003)

 

Manfred Ach
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Immunisierung
Die Schuldgefühle gegenüber dem riesigen Gesundheitsapparat STAAT zu verlieren, hat zur Folge, als Revolutionär ins Haus für Nervenkosmetik deponiert zu werden, wo aus den Monitoren die synthetischen Stimmen von ironischen Moderatoren quengeln und über die Dialektik von Krankheit und Kapital referieren.
(28. 08. 2003)

 

Reinhard Wessely
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Rap the Punzel: the absolute penthouse chat
Im chat ließ es sich famos schaukeln, in luftiger sommerstimmung fanden sich die gefundenen in nie gespürter intimitätsrasanz. die prinzen hatten es punzel angetan. sie aß fast nichts mehr. einfach nur die prinzen, ja die prinzen wollte sie. die prinzen, einsamkeitsschwanger und bierhungrig, wollten punzel und gingen zum kühlschrank. kühles kann heiß machen, wenn es schäumt, fröhlich schäumt, es lässt sich dann auch besser über zitternde membrane schreiben. so waren die prinzen.
(19. 08. 2003)

 

Manfred Ach
...
Notiz zu einer Biographie
Jeder Schritt auf diesem Weg / gab ihm zumindest Vertrauen / flößte ihm etwas sehr Flüssiges / nämlich Zuversicht / ein / stärkte seinen ohnehin kleinen Mut / und steifte ihm den Rücken / bis er / endlich gepanzert / eine mutige Marionette / daherkam / aber als ihm / siedendheiß wie jede schnelle Erkenntnis / bewusst wurde / dass er sich der Lächerlichkeit preisgab / eine Prostitution / zumindest seiner aufgeblasenen Schwäche.
(04. 08. 2003)

 

Peter Hodina
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Namensvetternschaft
Was konnte nun dieser grundgutmütige Guggenberger dafür, daß in die Schulklasse, der er angehörte und in der er wohlintegriert zum Beispiel seine Jausenbrote verzehrte, nunmehr ein neuer Schüler eingemeindet wurde, ein in allem ihm entgegengesetzter kleinwüchsiger und schwächlicher, obendrein unsympathischer und wie sich bald herausstellen sollte: streberischer Typ, der fataler- und freilich zufälligerweise Unterguggenberger hieß?
(15. 07. 2003)

 

Heinz Pusitz
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Wr. Godot
Der Erste: Fad, sehr fad. Der Zweite: Rücksichtslos, wie immer. Der Erste: Noch immer fad. Der Dritte: Gibt’s denn nix anderes? Der Erste: Das ist unser Thema. Der Zweite: Welches? Der Erste: Das andere! Der Dritte: Habe ich was Falsches gesagt?
(14. 07. 2003)

 

Marianne Leersch
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Das Frühstück
Fröstelnd stand sie in der Küche und ließ den Blick schweifen. Durch das Fenster fluteten die ersten Sonnenstrahlen und lautes Vogelgezwitscher drang an ihr Ohr. Sie zog den Bademantel enger um sich. Mit Widerwillen betrachtete sie den blankgeputzten Herd, den klinischreinen Boden, die glänzende Kaffeemaschine, die bereits mit Wasser gefüllt, sich ihr aufdrängte, sie einzuschalten. Mit aller Kraft widersetzte sie sich dem Bedürfnis, sich auf den Boden zu kauern, den Bademantel über den Kopf zu ziehen, sich in ihrer künstlich errichteten Höhle langsam auf den Fußballen hin- und herzuwiegen.
(29. 06. 2003)

 

Reinhard Wessely
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Tolle Wolle. Eine Entstrickung
Eine witwe hatte zwei töchter, davon war die eine schön und fleissig, die andere hässlich und faul. sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie die rechte tochter war, viel lieber und die andere musste alle arbeit tun und das aschenputtel im haus sein. Marie, so hieß die stieftochter, war also eine verdammt scharfe braut, die aber eben nicht nur scharf war, sondern auch vollkommen korrekte dialoge mit waschmaschine und backrohr führen konnte.
(20. 06. 2003)

 

Rupprecht Mayer
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Ein Brief aus Ado-Suwa
"Das", sagte Blauer Seestern und strich sanft über die Innenseite meiner Arme zwischen Ellenbeuge und Achselhöhle, "nennen wir wailu-taga". Dann erfuhr ich, daß der kleine Knorpel oberhalb des Ohrläppchens als kiniti und die halbmondförmige weiße Stelle an der Daumennagelwurzel als harun-zilli bezeichnet wird.
(06. 06. 2003)

 

Helmut Bräuer
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Treff mit Ed
Ganz sicher hat Ed in diesem Keller musiziert. Ich drücke mich zwei Schritte in den Raum. Da drinnen spielt jetzt das Piano kurz an. Gespräche brechen ab. Lärm versackt. Aufmerksamkeit. Gespanntes Zuhören. Die Männer an Baß und Schlagzeug nehmen lässig den Rhythmus auf. - Erstes Solo. Diese Klarinette - aggressiv und dann wieder leicht und weich wie ein Falter ... das konnte eigentlich nur Ed.
(29. 05. 2003)

 

Magdalene Geisler
...
Ein altes Foto
Gerade habe ich ein Foto von meiner Großmutter eingescannt, damit es mir nicht verloren geht, das alte Ding. Das Bild stammt aus dem Besitz meines Onkels, den ich nur einmal in meinem Leben gesehen habe.
(13. 05. 2003)

 

Christian H. Sötemann
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Brotzödders Scheitern
Seit seiner Geburt wurde Dieter Brotzödder von einer schwangeren Frau verfolgt, die Jutta hieß. Nicht nur, daß sie all diese Jahre schwanger gewesen war, ohne je zu gebären, sondern sie hieß auch noch all diese Jahre Jutta, an sich kein schlimmer Name, aber eben nicht nur das: Wenn immer Dieter Brotzödder über die Straße ging, um einzukaufen, stand sie an der Haltestelle an der Ecke.
(10. 05. 2003)

 

Andrea Heinisch
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Meeting
Frieda öffnet ihre Tasche, ein riesiges, unförmiges Ding, kramt herum und zieht schließlich eine kleinere Tasche hervor. Mit einem Ratschen, das so endgültig klingt, so kompromisslos, dass Richard die Milch fast sauer wird, zieht sie den Reißverschluss auf. Warum sieht sie ihn so triumphierend an? Sicherheitshalber greift Richard nach einer politischen Theorie und hält sie sich vor die Brust. Man kann nie wissen, was Frieda so einfällt. "Der Krieg in Nahost", fängt er an, verliert aber sofort wieder den Faden, den roten. Wegen des Lippenstifts, den Frieda aus dem Täschchen gezogen hat. "Rot wie Blut", sagt sie. (28. 04. 2003)

 

Reinhard Winkler
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Annäherungen
Er saß bei ihr im Zimmer und redete. Oft wußte er gar nicht, wie er zu alledem kam, was ihm da nur so über die Lippen eilte. Während des Sprechens wunderte er sich, daß es so viel zu erzählen gab. Er kannte diesen Zustand, und er wußte nie genau, was das war. Später, wenn sich sein Reden erschöpft hatte, war die Sprache ganz weg. Er brauchte dann immer Tage, um den Willen für einen neuen Satz zu finden. Schon während des Redens ahnte er, was kommen würde: ein Sandloch erwartete ihn, in dem er geräuschlos versinken würde.
(08. 04. 2003)

 

Steffen Koch
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Ist hier noch frei ?
Ein Abteil für sich ganz allein. Fünf Sitzplätze hinter einer zugeschobenen Glastür. Ein kleines Heim mit Wohlfühlgarantie, frei von mitreisenden Fahrgästen. Kein Zeitungsrascheln cholerischer Seitenrumreißer, kein permanentes Räuspern von Froschverschluckern, kein Röcheln nasenatmender Schläfer. Dieses angenehme Reisen ist ein Geschenk der Bahn für das Vertrauen in die Bahn. Sind doch abgefallene Radreifen, angefahrene Häuser oder verlorene Waggons Grund genug, sich nicht auf das Abenteuer Bahn einzulassen.
(02. 04. 2003)

 

Peter Hodina
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Professor Greif
Vielleicht würde er sogar recht behalten, der Doktorvater, der zu mir sagte: So einer wie Sie wird berühmt werden, aber nichts erleben. Noch bin ich ja keineswegs berühmt. Und erst seit ich über dreißig bin, kommt durch meine Bemühung ein wenig dichte Zeit zustande. Man will es schließlich wissen. Andere sagen, das Leben leiere sich von dreißig ab eher aus; alles sei schon zu bekannt, drehe sich im Kreis; diese Kreisläufe ermüdeten einen. Das kann ich von mir nicht sagen. Erst jetzt kommt etwas Echtzeit auf. Und die ist erarbeitet und riskiert. Ich will bewußt Stufen hineinschlagen. Bis heute muß ich fürchten, als Obdachloser ermordet unter einer Brücke zu enden.
(19. 03. 2003)

 

Peter Hodina
...
Diversités
Einen Siebzehnjährigen zu beschimpfen, weil er im Leben noch nichts geleistet hätte, heißt, einen Siebzehnjährigen einfach deshalb zu beschimpfen, weil er ein Siebzehnjähriger ist.
(03. 03. 2003)

 

Reinhard Winkler
...
Symposion
Beim Betreten des Saals hatte ich das Gefühl des störenden Hineinplatzens in eine geschlossene Gesellschaft. Der Vortrag war schon einige Minuten in Gang. Ich bemühte mich leise zu sein - und schon krachte die Tür ins Schloss. In der hintersten Ecke des Raumes saß Manuel, ein Studienkollege, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er rückte um einen Sitzplatz weiter, als hätte er hier auf mich gewartet.
(20. 02. 2003)

 

Marianne Leersch
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Die Suppe
Seine Hände zitterten, vor ihm bewegte sich die Schlange der noch Wartenden, bald vor dem großen Kessel Stehenden, der Glücklichen, die vor ihm einen Blechnapf voll mit köstlicher warmer Suppe bekommen würden, langsam, schrittweise weiter. Ängstlich beobachtete er den Schöpfer, der immer wieder in den großen Kessel eintauchte, kurz darauf wieder gefüllt, so gefüllt, dass die Köstlichkeit auf der Seite heruntertropfte, herauskam, sich über den hingehaltenen Blechnapf langsam neigte und die Suppe mit einem zähen Schwall in den Blechnapf fließen ließ.
(19. 02. 2003)

 

Hermann Maier
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Ein Fänger
John Lennon hat mich berühmt gemacht und Salinger meine Geschichte erzählt. Glauben Sie mir, beiden bin ich unendlich dankbar! - Die Idee? Die Idee ist mir im Central Park gekommen. Beim Entenfüttern. Geh dorthin, habe ich mir gedacht, steck dir einen Revolver und Den Fänger ein und geh dorthin; in fünf Minuten ist die Sache erledigt. (01. 02. 2003)

 

Christian H. Sötemann
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Memento Mori
Ich befand mich in einer Phase meines Lebens, die vom Berufsstreß dominiert war. Es blieb mir in aller Regel recht wenig Zeit, mich um die Sauberhaltung meiner Dreizimmerwohnung zu kümmern, und so fiel ich, vom Büro spät abends zurückkehrend, nicht selten erschöpft in meinen Lieblingssessel. Doch, mir fiel selbstverständlich auf, wie sich Staub in meiner Wohnung ansammelte, in den Regalen, auf den Schränken, auf der Stereoanlage, schlichtweg überall. (31.01. 2003)

 

Reinhard Winkler
...
Im Kopf des Weihnachtsmannes
Finden wir da überhaupt Platz? Sind nicht Millionen anderer Männer schon da? Und Frauen? Hat der Weihnachtsmann Frauen im Kopf? (07. 01. 2003)

 

Gina Zapletal
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Christa T.
Gestern habe ich versucht, Deinen Geburtstag zu feiern. Ich habe gefeiert, daß Du geboren worden bist und gelebt hast. Habe fein gegessen und getrunken, Blumen schwimmen lassen und eine selbstgedrehte Honigkerze auf Deinem hölzernen Kerzenständer angezündet. Gut ein halbes Jahr nach Deinem Begräbnis habe ich mir das erste Mal die Kassette angehört mit der Musik, habe Deine Worte laut gelesen.
(23. 12. 2002)

 

Hermann Maier
...
Driving home for Christmas
Als das Telefon läutete, stand er am Fenster und sah zu, wie ein Mann den ersten Schnee wegschaufelte. Seine Mutter war dran und faselte etwas von Besuch, Essen und Alleinsein. Manchmal ließ er sich keine Ausrede einfallen und nahm die Einladung an. Zuletzt geschah das nicht mehr oft: Das Haus war ihm fremd geworden.
(22. 12. 2002)

 

Andreas Freinschlag
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FC Kleinsaming
Es war einmal ein Fußballklub, der nannte sich – was für eine Idee! - nach dem Dorf, aus dem seine Mitglieder stammten: der FC Kleinsaming. Auswärts glückte ihm zwar kein einziger Sieg, daheim jedoch, im eigenen Stadion, gab es eine regelrechte Flut von Siegen – über deren Umstände freilich gemunkelt wurde, dass. (20. 12. 2002)

 

Heinz Pusitz
...
Train oh train
Die Musik drückt sie im Bahnhofsbeisl tiefer in die Station. Paß auf hearst... Train to New Orleans... Musik aus. Ein Mann schleppt sich heraus. Neue Scheibe aus dem Musikautomaten: Baby Sue... Der Rock trommelt auf die Männer und Frauen drinnen. Die Oberfläche des Weissweines schlägt konzentrische Rillen.
(28.11.2002)

 

Reinhard Winkler
...
Autostop
Und irgendwie wurde es auf einmal echt dramatisch. Geradezu plötzlich fand ich mich in einer ganz neuen Situation. Eben noch an der Bushaltestelle, wartend und wartend, und es passierte nichts, sieht man von dem Vorbeifahren der Autos einmal ab. Und jetzt, im Gehen, das Gefühl: Ich lasse mich da auf etwas ein. Falls mich jemand mitnähme, würde ich etwas tun müssen. (12.11.2002)

 

Jens Richter
...
Der Weggucker
Die meisten Menschen können nicht weggucken. Sie starren auf einen Punkt direkt neben dem Behinderten und deprimieren ihn, oder sehen sich schöne Mädchen aus den Augenwinkeln an, schauen dann sofort in die Auslage mit den Bettbezügen und glauben, die eingehängten Ehefrauen hätten es nicht bemerkt. (11.11.2002)

 

Christian H. Sötemann
...
Gepäckträgerfederung
Nicht viele können sich bescheinigen, anderen Menschen, die sie nicht einmal persönlich kennenlernen, das Leben zu erschweren. Ich gebe zu, das ist eine privilegierte Ausnahmestellung, und das lasse ich mir im übrigen auch in meinem Auftreten anmerken, das einer gewissen Widerwärtigkeit nicht entbehrt. (04.11.2002)

 

Rupprecht Mayer
...
Die Rückkehr des Amerikaners
Als es um halb eins klingelte, waren seine Frau und die Kinder schon im Bett. Erich machte den Fernseher aus und öffnete. Es war ein sehr alter Mann, der draußen stand, nur Haut und Knochen unter einem verschlissenen Mantel, und er roch nicht gut. Erich schaltete die Gartenlaterne an und erkannte, daß das nur "der Amerikaner" sein konnte, der schon vor 150 Jahren ausgewandert war.
(07. 10. 2002)

 

Traude Veran
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Bonvivant
Jeder kennt ihn, den großen schweren Herrn im erstaunlich gut sitzenden grauen Anzug, welcher sein Geheimnis, von Hosenträgern gehalten zu sein, schon nach dem ersten Bier preisgibt. Der ungeheure Bauch verliert durch die zelebrative Bedachtsamkeit, mit der ihn sein Besitzer ins rechte Licht rückt, jeglichen Krankheitswert.
(21. 09. 2002)

 

Gunda Mann
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Anna und die Wunderkerzen
Die neunjährige Anna malte mit ihren Fingern eine Brücke in den Sand. Dann warf sie einen Stein ins Wasser und schaute zur Ostseite der Elbe hinüber. Ihr Blick wanderte über den leeren Strand, vorbei an den Drahtzäunen und verlassenen Häusern. Die Sonne sandte ihre warmen Strahlen zur Erde, aber Anna bekam eine Gänsehaut.
(17. 09. 2002)

 

Christian H. Sötemann
...
In gekrümmter Haltung
In gekrümmter Haltung reise ich den Apachen entgegen. Meine Schmerzen werden immer schlimmer, und ich habe nur vage Anhaltspunkte, wo ich die Indianer finden kann. Die Straßen vor mir sind staubig und eine Kurve folgt der nächsten, so daß ich Probleme habe, während der Autofahrt an etwas anderes zu denken als das jeweilig unmittelbar vor mir liegende Straßenstück.
(27. 08. 2002)

 

Christian H. Sötemann
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Der rote Stuhl
Besucher schleichen um den roten Stuhl, als sei er eine Art Mahnmal. Als läge der Positionierung des Stuhles an genau dieser Stelle eine finstere Wahrheit zugrunde, eine Tat, die symbolische Darstellung verdient, durch eben diesen Stuhl. Sie flüstern unentwegt, und ich bemerke, daß ihre Überlegungen weniger um den Stuhl kreisen, als um dasjenige, was er ihrer Meinung nach symbolisieren könnte.
(05. 08. 2002)

 

Manfred Ach
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Ich muss doch sehr bitten, Mr. Hyde
Werter Herr, verschiedene Umstände, die sich in letzter Zeit mehrfach ergeben haben, veranlassen mich zu diesem Schreiben. Ich muß Sie dringend bitten, auf die bisher doch zur beiderseitigen Zufriedenheit eingehaltene Trennung unserer Bereiche wieder stärker zu achten.
(22. 07. 2002)

 

Rupprecht Mayer
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Endstation Golgatha
Das Taxi setzte M. in der brütenden Mittagshitze an der Trambahnstation Straße des Kreuzwegs ab. Die schon ländlich wirkende Straße führte auf einen Hügel außerhalb dieser Stadt, die außer einigen Kirchen mit bröckeligen Barockfassaden und tropischen Bäumen mit Luftwurzeln keine Attraktionen aufwies, wenn man von ihren schönen Frauen absah. Touristen blieben deshalb höchstens zwei Tage.
(08. 07. 2002)

 

Olaf Reins
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Die Beerdigung des P. Laurenzio
Ferdinand Junkers war Journalist. Freiberuflich. Er arbeitete vom heimischen PC aus für die Internet-Ausgabe einer, wie es so schön heißt, "bedeutenden deutschen Tageszeitung". Im Grunde eine Notlösung, für ihn, denn eigendlich war Ferdinand Schriftsteller. Doch bedauerlicherweise auch ambitioniert. Und damit war eher Geld zu verlieren, denn zu verdienen.
(28. 06. 2002)

 

Reinhard Winkler
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Sterbenswörtchen
Einmal hatte sie ihm eine angebissene Schokolade unter den Teppich geschummelt.
(08. 06. 2002)

 

Manfred Ach
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Worte meines Vaters mein Leben betreffend
Alles mit Maß und Ziel der große Überblick und der goldene Mittelweg gutbürgerlich genügt fürs erste aller Anfang ist schwer das will gelernt sein Lernjahre sind keine Herrenjahre da heißt es die Zähne zusammenbeißen weißt ja selber vergiß nicht das Licht auszumachen den ganzen Tag sitzt du im Keller Menschenskinder ist hier eine Luft drin.
(16. 05. 2002)

 

Rupprecht Mayer
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Im Wald der Gummibäume
Er war seit drei Jahren wieder auf der Suche nach einem Menschen, zu dem er nett sein konnte. Er würde sich am Beckenrand hinter ihn stellen, ihn fest umarmen und sich während des Falls so drehen, daß er selbst zuerst mit dem Rücken das Wasser berühren, der umarmten Person also den Schmerz des Aufpralls ersparen würde.
(29. 04. 2002)

 

Heinz Pusitz
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Ansprache zur Entwicklung des Mutes
Der Eingang zur Nationalbibliothek war leicht zu nehmen. Konnte ich sicher sein? Rupert war da, wie so oft. Isabella kopierte hektisch und trotze den Wartenden. Ich arbeite an meiner Dissertation. So gesprochen. Den neuen Ritualartikel einbauen. Formaler Drama- und Performanceapproach.
(25. 04. 2002)

 

Manfred Ach
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L'art pour L'art
Jack the Ripper / hing die Därme von Mary Kelly / um einen Bilderrahmen an der Wand
. (10. 03. 2002)

 

Manfred Ach
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Bizarr
Last und Leid nach Lust und Laune, sie vom Scheitel bis zur Sohle in Samt und Seide, er nackt und bloß in Sack und Asche oder toll und voll mit Kappe und Schelle oder hinter Schloß und Riegel mit Spott und Hohn, wund und weh mit Wissen und Willen in Gedanken, Worten und Werken, ein Zurren und Zerren, ein Zippeln und Zappeln, ein Zittern und Zagen Zug um Zug. Sie hält ihn streng und nimmt ihn ins Gebet, so kriecht er zu Kreuze.
(12. 02. 2002)

 

Manfred Ach
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Königlich
Weiß eröffnet scharf und zweischneidig. Schwarz schlägt voll in die Flanke. Weiß bricht auf der g-Linie durch. Schwarz drückt den Damenflügel ein. Weiß kontrolliert die Brettmitte. Schwarz stemmt sich auf d5 entgegen. Weiß schwächt den Stützpunkt e6. Schwarz rollt die Frontstellung auf.
(19. 01. 2002)

 

Marianne Leersch
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Der Gruß
Mit gesenktem Blick stand M. starr in der überfüllten Fußgängerzone. Vor ihm, hinter ihm, rechts und links neben ihm herrschte geschäftiges Treiben. Gesprächsfetzen trafen immer wieder auf seine Ohren, prallten ab und wurden zurückgeworfen in die emsige Menge, die um ihn wogte.
(09. 01. 2002)

 

Manfred Ach
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Thanatos
Als ich ihn zum erstenmal sah, war ich noch ein Kind. Auch er hat sich seitdem sehr verändert. Damals sah ich ihn noch mit schwarzem Umhang, Degen und Dreispitz, wie er zu mir herauflächelte mit einem Gesicht aus Kalk, wenn ich oben im Fliederbaum saß und Ruten schnitt. Damals kam er nur selten und sprach kaum ein Wort. Erst später, als ich mit ihm auf dem Dachboden wilde Streiche ersann, blieb er länger.
(02. 12. 2001)

 

Manfred Ach
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Kyborg, Eulenspiegel
Der kybernetische Organismus (Kyborg) tut alles, was man ihm sagt, unter der Voraussetzung, daß man ihm das Richtige sagt. Sagt man ihm das Falsche, tut er ebenfalls das Richtige, nämlich nichts.
(15. 11. 2001)

 

Marianne Leersch
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Abgeschirmt
Ein durchdringender Summton bricht über die Schlafende herein, durchbohrt ihre Ohren und setzt sich in ihrem Kopf fest. Vergeblich versucht sie sich am Schlaf festzuklammern, dieser hat vor diesem durchdringenden Ton die Flucht ergriffen, hat seinen Schutz von ihr gerafft und sie verletzlich dem einbrechenden Morgen ausgeliefert. Sie hält ihre Augen fest geschlossen und tastet blind nach dem Ungetüm, welches es gewagt hat, ihren Schlaf zu stören. (05. 10. 2001)

 

Reinhard Winkler
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Überlegung
Wenn das Glück g bei einem Bedürfnis b gleich 1 ist, dann wissen wir, daß sich der Erlös e des Glücksgefühls auch bei kleinen Gefühlsschwankungen nicht ändern wird. Wenn daher der Erlös des Glücksgefühls bei allen Gefühlsschwankungen konstant bleibt, dann müssen wir eine Bedürfniskurve haben, die überall eine Elastizität von -1 aufweist. (02. 07. 2001)

 

Klaus Schwarz
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Was Nachdenkliches
Meine Eltern sind Hobbygärtner. Am Wochenende gehe ich sie immer in ihrem Garten besuchen. Sie haben da sehr viel zu tun, denn der Garten ist in Gosen und in Gosen wächst nichts. Außer Brennesseln - und die sind sehr unbeliebt. (29. 06. 2001)

 

Markus Murauer
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Die Ohrfeige
Erinnerung. Umkämpft und verhindert, jahrelang. Du wolltest nicht mehr dorthin, wo es weh tat. Immer noch, immer wieder. Und doch zieht es dich zurück, willst du über etwas sprechen, worüber man zu schweigen aufhören sollte. (16. 06. 2001)

 

Klaus Schwarz
...
Ein Kavalier der alten Schule
Knalliger Hochsommer in Deutschland. ßammer in se ßiti. Juli. Der Bademonat. Kleckerburgen, Eisessen, Strandvolleyball. Toll. Ich ziehe meinen Rollkragenpullover etwas höher und schließe die Regenjacke. (24. 05. 2001)

 

Christine Kuhlmann
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Eine Lektion
Für den Sommer 997 plante Almanzor einen neuen Feldzug gegen die Christen im Norden. Zwar regierte er das spanische Maurenreich nun schon mehr als 20 Jahre mit eiserner Hand, doch noch immer musste er beweisen, wer der wahre Herr in Còrdoba war. (13. 05. 2001)

 

Marion Mikenda
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Der Zwillingsmann
Ich sitze in einem Boot und schaue ins Wasser, ich starre die Wasseroberfläche an und hoffe, dass irgendetwas geschieht. Es könnte doch zumindest ein Fisch nach Luft schnappen. Und? Das weite Nichts, die unerträgliche Stille, die keine Hoffnung mehr zulässt. (23. 04. 2001) 

 

Klaus Schwarz
...
Rettet die Thunfische!
Thunfische sind lieb, sehen gut aus und grüßen immer freundlich. Sie lassen sich manchmal streicheln und erfreuen Taucher und Wasserleichen mit melodischen Gesängen. Thunfische sind sehr schüchtern und lange nicht so eitel wie Delphine. Doch Thunfische werden gern gefangen und in Büchsen gesperrt. Das ist schon Ölsardinen unangenehm, für Thunfische ist es eine Katastrophe. (20. 04. 2001)

 

Reinhard Winkler
...
Diese Übung, also: der tägliche Stuhlgang
...inszeniere ich gerne, das heißt, ich treffe Vorbereitungen, bastle mir vorher eine Zigarette, suche Zündhölzer, frage zuvorkommend alle Mitbewohner, ob sie nicht noch schnell ihr Muß erledigen wollen, weil ich nämlich dann, wenn ich endlich sitze, auch sitzenbleibe, und da kann der draußen vor der Tür noch so erbärmlich winseln. (16. 04. 2001)

 

Felix Mennen
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Der Heiner-Müller-Look
Ich steh bei Fielmann vor dem Ständer mit den Horngestellen und probier abwechselnd immer wieder vier verschiedene schwarze Modelle aus. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das steht. Ich trage seit Jahren ein dezentes Metallgestell, oval, silbern, so eine Mischung aus schick und intelligent. Das ist jetzt Heiner-Müller-Look, die schwarzen Gestelle, meine ich. Es sieht komisch aus, aber ich find das cool. So hab ich mich noch nie gesehen. (29. 03. 2001)

 

Klaus Schwarz
...
Morgen auf Arbeit werde ich müde sein
Ich schlafe unruhig, denn mir ist warm. Sehr warm. Und feucht. Ein böser Mann besprüht mich mit Wasser. Mit viel Wasser. Ein schlechter Scherz, finde ich. (22. 03. 2001)

 

Hermann Maier
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Ausatmen
Atmen heißt bekanntlich urteilen (Camus). Ihm war nach einer großen Entscheidung: Also hat er aufgehört zu atmen.
(20. 02. 2001)

 

Helmut Bräuer
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Vom Streit um die rechte Weltordnung
In den Fürsten- und Bistümern, in Städten, Dörfern und Klöstern des Heiligen Römischen Reiches schrieb man das Jahr 1701. Während dort von den Oberen in Schlössern und Rathäusern wacker regiert wurde, damit die Niederen im Gehorchen nicht aus der Übung kamen und etwa auf den Gassen, hinter den Kirchhofsmauern oder in den Vorstadthäuslein Gedanken der Unordnung oder gar des wilden Aufruhrs ausheckten, war am Großen Ratstisch im Schattenreich ein uralter Streit neu entbrannt: Welche Mittel könnten wohl geeignet sein, um das Erdendasein aller Leute lebenswerter zu machen und dieselben langsamer dahin zu bringen, wohin sie am Ende ohnehin zu gehen hatten. (15. 02. 2001)

 

Reinhard Winkler
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Matriarchale Vision
Das Patriarchat wird zugrunde gehen, es wird sich selbst zerstören und die ganze Menschheit mit. Aber vielleicht, wenn die Menschheit Glück hat, und nichts anderes ist das Überleben, werden diesen Zusammenbruch einige wenige überleben. Das sind dann die Glücklichen, denn wer am Ende ist, kann von vorne anfangen. (28. 01. 2001)

 

Klaus Schwarz
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Im Park ist ungesund
Ein mittelloser Bettelstudent läuft durch den Park. Ich laufe mittellos durch den Park und bin ein Bettelstudent. Absurd. Und mittellos. Und vergessen was ich studiere. (28. 01. 2001)

 

Traude Veran
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Leden
Leden ist tschechisch und heißt Januar, led ist das Eis. Eismonat, nicht Schneemonat nennt er sich, obwohl man Schneereichtum anpreist, hier in Luhacovice, dem Kurort am Fuß der Karpaten. (26. 01. 2001)

 

Susanne Sakel
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Versuchung
Der Tag hatte böse angefangen. Schon am frühen Morgen hatte nichts geklappt. Manchmal wird ein Tag, der schlecht begonnen hat, im Lauf der Stunden noch ganz erträglich. An diesem aber wurde es immer schlimmer. Der Abend schließlich versprach, alles in den Schatten zu stellen. Ich war fast am Ende. (04. 01. 2001)

 

Reinhard Winkler
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Resümee einer Selbstreflexion
Ich schreibe im vollen Manierismus, bediene mich naiver Klischees, halte mich über Seiten im Ton einer arroganten Melancholie, gefalle mir in Selbstgefälligkeiten, überrasche mich mit Zärtlichkeiten (heftige Umarmungsversuche meiner selbst), ich bin mir eine perfekte Ersatzbefriedigung. (30. 12. 2000)

 

Markus Murauer
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Begegnung mit einem vertrauten Fremden
Es gibt eine Zeit, in der die Haut zu schuppen anfängt, das Blut dicker wird und der Atem schneller. Er sieht in den Spiegel und erkennt sein aufgeschwemmtes Gesicht nicht. Die Augen im Spiegel durchstechen die Augen in seinem Gesicht. Das Starren starrt zurück. (28. 12. 2000)

 

Klaus Schwarz
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Rente wird abgeschafft
Ich blättere in den Wohnungsannoncen der Zeitung, aber auf der Seite "preiswerte Wohnungen" ist nur eine große Werbung für einen Wohnpark in Tschetschenien. Das ist mir zu abgelegen. (9. 11. 2000)

 

Kim Abl
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Flughäfen
Es ist beeindruckend, wie schwierig es ist, an einer Straßenecke zu stehen und auf niemanden zu warten, ja nicht einmal so zu tun, als ob man auf jemanden wartet. Kein Blick zur Uhr, keine Unruhe, einfach nur stehen und nicht wartend beobachten. (28. 10. 2000)

 

Siegfried Dierker
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Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität
Setze ich mich, um zu schreiben, so begebe ich mich auf eine Reise: tief in mich hinein und weit aus mir heraus. Das Licht der Straßenlaterne vor dem Fenster tanzt in wilden Schattierungen auf der Tapete, und die Geräusche der Straße beginnen sich mit meinen Gedanken zu vermischen. (23. 10. 2000)

 

Alfred Büngen
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Bundesrepublik
Wir hören jetzt viel vom Rechtsradikalismus in Deutschland. Herrscht Betroffenheit? Macht sich Angst in uns breit? Die Info erreicht uns, aber sie trifft uns nicht. Wir blättern um und lesen vom Massaker in Afrika. Grausamkeiten überall. Daten. Fakten. Und hier? Keine Info, sondern Angst. Der Albtraum des Opfers in bewegende Zeilen gebannt. (20. 10. 2000)

 

Kim Abl
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Liebesgeschichte auf 32 Zeilen
Ein Du, das in meinem Kopf umhergeistert. Es wacht mit mir auf, wacht ein wenig, und sieht dem Morgen zu, wie er sich durch die letzten schwachen Schatten der Nacht kämpft. (04. 10. 2000)

 

Markus Murauer / Reinhard Winkler
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Das Leben ist ein Geschenk (30. 09. 2000)

 

Markus Murauer
...
Das Leben ist ein Geschenk - Teil II (28. 09. 2000)

 

Gina und Iris
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Dies ist (k)eine Liste feministischer Forderungen
Entstanden auch nach einer sehr sehr kurzen Diskussion über die Sinnlosigkeit bzw. Sinnhaftigkeit des internationalen Frauentages, ohne dass wir uns einig geworden wären. (14. 09. 2000)

 

Elisabeth Schöffl-Pöll
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SONNEN - AUF - GESANG
Der erste Tag in Prinzendorf: Ein literarischer Bericht vom 6 - Tage - Spiel des Hermann Nitsch 1998
(10. 09. 2000)

 

Reinhard Winkler
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Ich hege
Ich hege (hege?) hin und wieder den Verdacht.
(19. 08. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Ein surrealistisch grauer Tag
Das Haustelefon ist mit Oropax zugestopft, den Radiowecker habe ich den Guppies zum Spielen gegeben. Den Funkwecker habe ich in der Waschmaschine eingesperrt. Nur das Telefon habe ich vergessen. Ich hebe ab und sage: "Hier ist der automatische Anrufbeantworter der Justizvollzugsanstalt Mitte. Zur Zeit sind alle unsere Zellen belegt. Bitte stellen sie sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal." Meine Mutter antwortet freundlich "Was Klaus, bist du denn noch nicht auf Arbeit?" (16. 08. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Ein Sonnabend
Ein Sonnabend im Februar. 8.00 Uhr. Die presenile Bettflucht treibt mich ins Bad. Alles ist schön blitzeblank, ich habe den ganzen Freitag Abend sauber gemacht. Auf Arbeit darf ich heute nicht gehen, die haben am Wochenende zu. Und es regnet draußen. Was soll ich heute tun? (07. 08. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Hektik
7.00 Uhr, der Wecker klingelt. Fit wie ein Turnschuh springe ich aus dem Bett unter die kalte Dusche und putze mir die Zähne. Dusche auf volle Pulle warm gestellt, raus aus der Dusche, rein in die Trainingshosen und schnell in die Küche gerannt. (22. 07. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Herbst
Es ist Herbst. Draußen regnet es in Strömen und Sturm ist auch. Vom Fenster aus könnte man die armen Menschen beobachten, die jetzt draußen rumlaufen müssen. Viele sind es nicht und die wenigen sehen kläglich aus. Ich sehe aber nicht aus dem Fenster. Auch laufe ich nicht draußen rum, ich fahre Fahrrad. (18. 07. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Eine Liebesgeschichte
Jede Nacht hören die Kräne das Klagelied der Bauarbeiter, jede Nacht wiegen sie ihre Ausleger im Takt der Dreiklänge. Man sagt, Kräne haben Herzen von Stahl, kalt und grausam, unbarmherzig und hart. Doch heute nacht weinen auch Kräne und füllen Baugrube um Baugrube mit dem salzigen Naß von Myriaden rostiger Tränen. (09. 06. 2000)

 

Reinhard Winkler
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G-tt
Gott sollte uns wieder einmal den Gefallen tun und uns ein Zeichen schicken. Eines, das uns unweigerlich an seine Existenz glauben lassen will. Er sollte, zum Beispiel, aus allen jemals aufgeschriebenen Wörtern Gott das o verschwinden lassen. In allen Büchern und katholischen Magazinen wäre dann nur mehr zu lesen: G-tt. Und wenn Kardinal Schönborn im Fernsehen beim Lesen der Osterpredigt wieder einmal das Wort Gott in den Mund nähme, hörten wir einen leisen Pipston anstelle des os. (04. 06. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Gesundheit und Bildung
Super heiß, windstill, dunkel. 21.00 Uhr, 95°C. Ein Mann sitzt einsam auf einer Holzbank. (22. 05. 2000)

 

Reinhard Winkler
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Freund?
Darf man jemanden mein Freund nennen, darf man sich jemandes Freund nennen, hat man die Fähigkeit, ein guter Freund zu sein, was ist ein guter Freund, wie viele Freunde hält der Mensch aus? (20. 05. 2000)

 

Wolfgang Schwarz
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Die Vernunft
Die Vernunft, zum Beispiel. Die Vernunft ist die, die nicht meine Freundin ist. Manchmal packt sie mich, die Vernunft, von hinten, und sie schlägt und schlägt von hinten gegen mich, als wäre sie völlig wahnsinnig. Ich höre sie stöhnen. Irgendwann dreh' ich mich um und schau sie an. Und sie sieht mir mitten ins Gesicht und sagt: Du schon wieder? (11. 04. 2000)
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