Motto: "Lorsqu’on peut pas parler de quelque chose,
if faut donner la langue au chat."
(Wittgenstein, meine Übersetzung)
Wien-Linz-Bukarest-Salzburg.
Oder eben einfach Toronto-Hannover und zurück. Meine endgültigen
Lebensstationen. Mein vorläufiger Fahrplan. Mein wundersam beständiges
Zuhause. Der Ort, an dem ein mehr oder weniger loses Ich auf mehr oder
weniger ausgetretenen Pfaden der Selbsterkundung zu sich findet. Ja, zu mir.
Home, sweet home. Aber mehrsprachig. Deutsch. Englisch. Rumänisch.
Französisch. Alles da. Sonnenklar. Sowas gibt Mut und Kraft zu jeder Zeit.
Besonders das Deutsche.
Das Deitsche. Wie vor hunderttausend Jahren, als die ersten Wiener noch ganz
ohne kaiserlich-großstädtische Grandeur sozusagen total ahnungslos und
irgendwie sogar fast hofburgslos im schön vorweihnachtlich zugeschneiten
Eis-Busch herumlungerten und naturgemäß (die jüngste Eiszeit, auch
Kühlschrankzeit, Kaltes-Buffet-Zeit oder einfach Kaltzeit genannt, hatte
–
zum großen Entzücken aller Schi-und Schlittschuhläufer
–
gerade begonnen) am ersten vorgeschichtlichen Stanitzel lutschten. Der
Doppellutscher war zu der Zeit (Stichwort: graue Vor-Vorzeit)
wohlgemerkt noch nicht erfunden worden, und das Whatsappen eh net, wie die
g’schätzte Leserschaft bestimmt schon geahnt haben wird. Ein jeder musste
allein mit Facebook und Instagram zurechtkommen. Die neue Löschfunktion, von
der wir heute im vollen Bewusstsein der Unantastbarkeit unserer Privatsphäre
quasi jederzeit königlich und kaiserlich Gebrauch machen dürfen, lag damals
noch in ferner Zukunft. No kidding.
Kein Ring bewahrte die
Stadt vor Schneestürmen und Türkenangriffen. Die Ringparabel lag allerdings
bereits in der Luft, und weiter weg
Die Ringe des Saturn.
Auch nicht verkehrt.
Gefällt mir. Gefällt mir.
Gefällt mir. Kurzum, du kannst mir sehr gefallen. Sehr wichtig: Schon der
erste amtlich vermerkte Christbaum in österreichischen Landen sagte einige
Zeit nach der Zweiten Lautverschiebung (auch als Zweite Laubverschiebung
bekannt; früher grünte er ja nicht rund um die Uhr) zu einem Kollegen, der
zufälligerweise aus pädagogischen Überlegungen heraus gerade mal ebenfalls
grün trug: "Hier ist gut sein. Hier will ich Wurzeln schlagen. Lass uns mal.
Passt?"
"Yeah. Sure! Why not? Von
mir aus." Dem Kollegen war’s recht.
Gesagt,
getan. Sowas nennt man Personifizierung. Und es klappte reibungslos. Die
Nacht: still, heilig, vortrefflich zum allgemeinen Schlafen bzw. zum
einsamen Wachen geeignet. Das berühmteste Weihnachtslied aller Zeiten. Made
in Austria. Und des schönste Instagram, des mir ham, ist der Weihnachtsmann.
Auch er ein Österreicher. Im weitesten Sinne. Aus dem Heiligen Römischen
Reich.
Runner-up? A
Bundeskanzler, der sich sehen lässt. Instagram. Instagram. Instagram. Aber
das droht jetzt echt politisch und zeitgenössisch zu werden. O je …
Rechtsruck-Alarm.
Ergo: Ruckzuck! Jungs!
Mädels! Bleib’n ma unpolitisch-zeitlos. Einverstanden? Einverstanden.
Berg und Wasser: kein
Problem. Überall in größter Anschaulichkeit verfügbar. Die Wanderzeit, die
gibt uns Freud. Das gilt seit je. Aber hochwertige Seife gab’s damals leider
nicht einmal bei BIPA. Alles, was die Wiener hatten, war ihr Dialekt. Dies
sei mit Verlaub zur optimalen Vergegenwärtigung der gesamtösterreichischen
Ur-Umstände vor der Schmelze mit Nachdruck hervorgehoben. Des läuft wie beim
Espresso. Hohe Werte san guat. High
pressure: thumbs up!
Doppio, of course. Forza
Italia! Besonders der Norden. Und weil wir schon mal beim Thema Kaffeestube
und Stüberl sind: Was befehlen Herr Leutnant?
Okay, zugegeben, also die
Schipisten waren auch schon da. Und die Sessellifte. Und die Sprungschanzen.
Und die Hängematten. Sonst gab’s aber nix und wieder nix. Nur ein sanftes
Gesetz der Vorzeit, das jedoch die alteingesessenen Weaner Eisbären
wohlgemerkt nicht im Geringsten zu besänftigen schien, was übrigens mehrere
aus jener glorreichen Epoche ungenierter Hofburg-Habsburger-Verhaberungslust
avant la lettre in der Gefriertruhe erhaltenen Eiszapfen-Schriftstücke
eindeutig belegen. Sie brummten im Sprechchor. In Reih und Glied. Im
Brumm-Chor: "Brumm brumm brumm, i brumm herum. Wirbelwind rundumadum!" Und
ein jedweder Bär war sein eigener Herr. Total demokratisch und souverän.
Aber zugleich auch total kaiserlich. Und der Bärenkaiser brummte mit. Er
trug einen Extra-Pelzmantel. Just in case. Außerdem war er ja der Kaiser.
Dem
alten kalten Reich kann man so manches vorenthalten, wenn man es denn
unbedingt will, doch das Ur-Wien der allerersten Stanitzel-Lutscher war eine
recht aufgeschlossene, wiewohl auch recht zugefrorene Stätte des ungehemmten
Waren- und Kulturaustausches. Freizügigkeit ist das passende Wort dafür.
Seelöwen, Robben, Pinguine und reichlich Fische für Fischer Fritz tummelten
sich hier. Demokratisch. Brüderlich. Souverän. Freilich: Die bodenständigen
Weaner Eisbären waren und blieben on top of the food chain. Doch auch
für die weniger gut situierten Demokraten dichteten sie prompt a little
something als Trost: "Dulce et decorum est pro patria mori." Von den
Oberen Zehntausend aufgefressen zu werden: das höchste der Gefühle.
Los! Gehn ma! En marche!
Demokratisch. Brüderlich. Souverän.
Irgendwo in ferner Zukunft
begannen sich beim Nachbarstamm der Gallier die ersten Anzeichen des
grandios inszenierten Aufmarsches der Pro-Macron-Menschen spürbar zu machen.
Sie hatten was geträumt. Dass alle Krieger Europas, mehr, dass alle Krieger
im Mittelmeerraum Brüder werden oder so. Zugegeben, sie waren nicht die
ersten, die das geträumt hatten. Nur, sie stellten es sich gerne so vor. Das
soll Selbstbewusstsein und Ausdauer verbessern, brummte das Alpha-Exemplar
des Stammes. Ein standhaftes Postulat. Inzwischen hatten die Bären
bekanntlich Bern und Berlin kolonisiert und das Menschenrecht (mitsamt
Menschengestalt) angenommen. Als Common Law galt das Tatzen-Recht freilich
weiterhin; jahrtausendelang fast uneingeschränkt.
Ein nobler Traum. Von
Faustrecht zu Rechtsstaat. Von Rechtsruck zu En-marche-Ruckzuck. Ein weit
gestecktes Ziel. Ein prächtiges Ideal. Ziemlich verschwommen, aber fast
unverkennbar von jener überdurchschnittlichen Erbaulichkeit geprägt, die den
fremden Wesen, die wir jenseits der Wolken ahnen, doch wohl im hochgradigen
Maße eigen sein dürfte, wenn man’s recht bedenkt. Noch war allerdings nicht
ganz klar, ob der Traum mal in Wirklichkeit überschlägt, aber alle wollten
es jedenfalls gerne hoffen. Und das ist schon was.
"I had a dream!",
bekundete auch gleich mal Oberhäuptling Menasse vom Stamm der Ostarliuti. Er
selber meinte freilich, er gehöre zu den "deutschen Menschen" (ich glaube,
das ist der Stamm von Häuptling Benjamin, einem schreibenden Medizinmann aus
früheren Zeiten), also wohlgemerkt nicht zu den Österreichern. "I bin
nämlich a Träumer, a Schriftsteller", sagte Oberhäuptling Menasse noch wie
nebenbei an einem lichterloh brennenden Lagerfeuer des Börseneinmaleins des
Deutschen Tuchhandels, bevor er sich daran machte, weiter zu träumen.
Kopftuch, Kreuz, Kruzifix. Alles erlaubt. Alles geduldet. Ach! Europa. I
wer' narrisch.
Deutsche Menschen? No
sweat. Passt. Nevertheless: Geben wir’s doch zu, das versteht keiner.
"Wollen wir nur immer so
viel als möglich an der Gesinnung festhalten, in der wir herankamen", sagte
einst ein Freund von mir, der
–
seiner gesamten weiblichen Bekanntschaft total wohlgesinnt
–
mit ausgesprochen guter Laune aus dem Deutschbuch hervorgekrochen war. Ein
kräftig gebauter Kerl. "Wir werden, mit vielleicht noch wenigen, die Letzten
sein einer Epoche, die so bald nicht wiederkehrt."
Oisa ciao!
Kultur. Kultur. Kultur.
Aber eben wohl so bald auch wieder nicht. Kein Problem.
Und
sieh einer an! Schon stellte mein Freund sein Zelt auf den Ewigen
Jagdgründen der Weltliteratur auf. Dass nenn ich Willkommen und Abschied!
Abschied und Willkommen. Eben war er weg, und jetzt ist er wieder da, einen
Haufen Griechen and England’s greanest hills im Hinterkopf. "Natur!
Natur! Nichts so Natur als die deutschen Menschen!" Und flugs ein Bild
getweetet. Caspar David Friedrich. "Unsinn. Löschen wir’s. Es is ja bloß a
Wolkengucker! Cloud Computing: Original-Blödsinn. Ach, wie gut, dass wir
jetzt die neue Löschfunktion haben! Was die Mädels wohl an ihm finden
mögen?"
Das war früher Mode. Eine
wohlgemerkt strenge Mode, wie ein anderer Freund von mir zu berichten
wusste, als ich ihn mal fragte. Ein Schwabe. Vor dem Zeitalter der
Sesshaftigkeit und des
Mal-kurz-drüben-auf-der-Kausch-ein-Gösser-genießen-dürfen-wollen-und … Ach!
Schau mal! Liebste! Da bist du ja! O mei! So jung und morgenschön! Und deine
Augen sind so blau! Tirili, tirilo, tirila! … Minnesänger ohne Grenzen.
Tumbs up! Alle Wege führen nach Wien.
Howgh! Das hat er so
verdammt vortrefflich poetisch ausgedrückt, dass mir schon fast scheinen
will, ich hätte es bei noch so großer Mühe selber nicht besser
hinkriegen können. Freunde sind eine gute Sache. Und Träume auch. Und
Kraftkerle. Und österreichische Menschen. Wie gesagt: Natur! Natur! …Und
Shakespeare’s Menschen?
Nein, die nicht. Des san
die Brexiteers! Auf! Hinaus ins weite Feld! Pfusch di!
Pro-Macron, Cro-Magnon.
Jo, Austro … Tech. Genau, Austro-Tech. Austro-Pi-Tech. Es hat keinen Sinn,
uns unserer Vorfahren zu schämen. A man’s got to do what a man’s got to
do. It’s the nature of the beast. Wollen wir aus den Fehlern der
Vergangenheit lernen und es in Zukunft gemeinsam besser machen, soweit wir
das Zeug dazu haben. Wenn nicht, dann gibt’s immer noch ein Gösser im
Kühlschrank. Und die nächste Eiszeit winkt schon fröhlich aus den
Staubwolken unserer Fabriken.
Talk about Wolkengucker.
Da!
Der Eiffel-Turm! Tolles Design. C’est nickel! Vive la République! Die
europäische, biensûr. Oder doch wenigstens die österreichische. Die dritte.
In the making. Eine (möglichst nicht langweilige) breit angelegte
großösterreichische Republik europäischer Nation. Mit deutschen Menschen
oberösterreichischer Ausdrucksweise. Und meinetwegen auch mit lauter anderen
Menschen oberösterreichischer Ausdrucksweise. The rest is silence. Denn
darüber kann man nichts sagen. Deal?
Deal!
Europäische Integration
unter dem Hut des Kaisers und Kanzlers in Wien. Das ist ein Wort! Dieses
Bild will ich inbrünstig ergreifen. Mir im Innersten versinnbildlichen. In
die vier Winde tweeten.
Die bunten Zeiger meiner
urtümlichen Kultur-Uhr greifen unten nach dem flüchtigen Wind der Äcker und
der Dome, nach den ewigen Schipisten der Berge, nach der verbindlich übers
ganze Gesicht strahlenden Maisonne über dem lustigen Wiener Wald (was heißen
will: am Strome), um baldmöglichst einer tiefgründig empfundenen Wonne des
rotweißroten Daseins den Rhythmus zu kopieren, treue Chronisten der Dinge,
die im kollektiven Unbewussten der immer noch weitgehend auf nationaler
Zugehörigkeit basierenden Gesellschaft-Vorstellung unserer Tage einer
kolossalen Offenbarung harren. Überall hin latschen sie. Im barocken
Zickzack eines langfristigen Hier und Jetzt, dem mehr anhaftet als bloße
Richtbilder vorläufiger Zeitlosigkeit. Hier beginnt eine Geschichte. Was sag
ich denn da? Hier beginnt die Geschichte.
Das fühlt sich frisch an.
Und kernig-narrativ. Vorzüglich erquickend. Seltsam tickend. Gewaltig, cool
und kolossal. Oder um es mit Musil zu sagen … I wo, i soag’s amoa ohne
Musil. Der is ja eh goa net da. Ergo: Sein Zeug erweist sich als
unverwendbar. Tausend Seiten und keine gescheite Seitenansicht.
"Pfui, Robert! Pfui in
absentia! So ein unmöglicher Mensch! Kein quelque chose!", hat ein
wichtigtuerischer Kritiker ihn einst verdonnert, der dabei aber an etwas
ganz anderes dachte, denn eine bezaubernde Dame seiner näheren Bekanntschaft
war gerade … Na ja, egal!
Und die heutigen Kritiker
wiederholen einfach, was der Haberer damals vor sich hin plapperte. Und wir
wiederholen einfach, was die Kritiker plappern.
"Kaaquelque chose, wos?"
Da
lob ich mir doch den guten alten Gatsby, der’s wenigstens zu etwas gebracht
hat
–
und am Ende dann freilich dran glauben musste. Ja, Blei. Das ist nun mal so.
Tut mir leid. No Happy End in sight. Immerhin: The Self-Made American Man.
Dreaming the American Dream. "Amerika, du hast es besser als unser alter
Kontinent", dichtet der Dichter.
"Ach!", dichtet er weiter,
um mal kurz Atem zu schöpfen. Der Dichter kann sich das leisten.
Quatsch!, wage ich es, mal
ausnahmsweise dazwischen zu reden. Der gute alte Kontinent ist immer noch
der gute alte Kontinent. Und die Bären brummen in der Gartenlaube (ja, die
sitzen sogar am Tisch) und essen Steckfisch und Goldbären. Und die Motoren
brummen unter der Haube. Und die Wirtschaft brummt.
Magna cum laude.
Nur, wo steckt denn schon
wieder der österreichische Traum? What about the European Dream? The
Self-Made Austrian Man: Wo isser? C'est çala question.
Wie bitte? Ob ich ‘ne
Antwort parat habe? Aber selbstverständlich! I thought you’d never ask.
In jedem Österreicher
tickt was mit, wenn was mit tickt. Zum Beispiel in mir. Und in meinen
Eltern. Und in meinen Kindern. And I wonder: Ein Menschenskind
oberösterreichischen Schlages … Wie lässt sich sowas definieren? Als
virtuelles Glied einer Kette? Oder eben als gemütsontologische Wette.
Oberösterreich. Das bessere Österreich. Die g’schätzten Kollegen aus
Salzburg werden das aber freilich wohl kaum zugeben wollen.
Wappen? Zahl? Egal?
Whatever happens, we leave it all to chance.
Klingt vernünftig. Der
Kaiser hat nichts einzuwenden. Alles, was er will, ist sein Schmarrn.
Genauer gesagt, alles, was für ihn der Fall ist, ist sein Schmarrn. Die
Falle in der Pfanne. Befindet sich der Schmarrn im erlauchten Mund des
Kaisers, so kann er natürlich nicht sprechen. Und ist kein Schmarrn da, so
muss man sowieso schweigen, das leuchtet ein. Denn darüber, was man nicht
essen kann, muss man schweigen. Die Vöglein haben zum Beispiel im Walde
nichts zu essen. Poetisch. Genial. Logisch. Philosophisch. Österreichisch.
Und Russel lag meiner Meinung nach vollkommen recht, als er …
Doch
mein südbayerischer Bruder fällt mir ins Wort: "Wachet auf, wachet auf, es
krähet der Hahn!" … Ein gescheites Lied. Sonnenaufgang. Nix wie den Berg
rauf
–
und auf der anderen Seite der Zugspitze eben wieder mal schnell runter.
Hokuspokus preparatus. Fertig.
Done. We did it!
Spitzenbergsteiger! Wieder
auf österreichischem Grund und Boden. Ein ozeanisches Tiroler-Gefühl.
Jodeln! Jodeln! Jodeln! Und dann flugs Richtung Osten. In die katholische
Urtümlichkeit der Sinne. Richtung Salzkammergut. Land ob der Enns. Hoamat
bist du großer Söhne …Aber des Hoamatlied woa ja a bisserl anders.
Halt! Alpenstock hinlegen!
Vorschriftsgemäß verschnaufen. Pausieren. Nicht die Fassung verlieren. Jetzt
heißt es nämlich mal kurz nach gut altösterreichischer Façon wohlbedacht
parallel agieren. Schnell ein brüderliches Komitee bilden.
Deutsch-österreichisch. Großer Bruder, kleiner Bruder. Die Parallelaktion in
Gang bringen. Eine Melange mit Haut serviert kriegen: das höchste der
Gefühle. Danken. Schlürfen. Recht erhaben tun. Wie in der Oper oder … was
weiß ich. Also jedenfalls so durch und durch erhaben. Meinetwegen "Habe die
Ehre!"murmeln. Ein bisschen tänzeln
–
aber bitte wenigstens dieses eine Mal vom Begrapschen ablassen. "Pardon! Das
war nicht ich." Dann die Tasse wieder mit einer gewaltigen Geste aufs
Tablett zurückschmeißen wie der tapfere Oberhäuptling von Starbucks!
Das wirkt aber
selbstverständlich nicht mehr ganz so erhaben. Wurschtegal! Ja, wir sind so
frei. Wir dürfen. Mir san demokratische Menschen. Hochdeutsch: Wir sind eine
Republik!
Toll. Was nun?
Weiter geht’s. Alles noch
einmal! Aber jetzt bitte im Präteritum. Denn große Söhne, das klingt nach
tief angelegter Vergangenheit. Nach glorreichen, längst verpufften Zeiten,
nach erbaulichen Helden-Songs, heimischem Schnaps und unabdingbarer
Bodenständigkeit. Traumhafter geht’s wohl kaum.
Zum Wohl!
Nach Wurzeln und Mythen
klingt das. Und nach Purzeln und ungefakten Blüten. Alles bio, amore mio!
Und nach historisch markanten Purzelbäumen und berüchtigten Gassenbanden und
Baumhütten unter grünen Kronen.
Achtung!
Da kommt auch schon die Luger-Bande, wenn ich mich nicht irre. Alles in
Deckung! Die san nämlich unabdingbar deppert. Par excellence. Das kann nicht
einmal der Kaiser ändern. Und Macron erst recht nicht. Bei aller Demokratie
und Souveränität.
On second thought: In der
Vergangenheit waren wir ja eigentlich nur kleine Söhne, wohingegen wir erst
jetzt wohlgemerkt große Söhne sind. Große Söhne und große Töchter. Aber ich
hab ja gar keine Schwestern. Nur Brüder. Zwei.
Wie dem auch sei,
Präteritum it is! Hoamat, woast du? Oder woast du net? Des is the question.
Freilich hamma dabei das schöne uns gerade noch selbst auferlegte (im
weitesten Sinne: selbstverschuldete) Präteritum sozusagen im Tumult des
Augenblicks tunlichst verloren und san scho wieder im überdurchschnittlich
lang andauernden Präsens gelandet. No worries. It is what it is.
Bleibt nur noch zu klären, wo das schöne Präteritum denn bloß verschwunden
sei. Herr Zwiebelfisch! Heo-ho! …
"Tja, irgendwo in der
Vergangenheit, würd’ i amoa auf Anhieb sogn", meint der schlaue Fisch
–
und hüllt sich alsdann wieder in Schweigen, so wie es ja viele seiner
Artgenossen öfters zu tun pflegen, wenn was nicht der Fall ist. "Woas i
net", lautet jedoch die offizielle Antwort der Hoamat. A bisserl unheimlich
klingt sie schon, but I guess that’s the nature of the beast. Und
meinen Dialekt muss ich unbedingt loswerden.
Sieh einer an! Er ist weg!
Das ging aber schnell. I mean it!
Und
mein Bruder aus Newmarket, Ontario versucht’s nun seinerseits ausgesprochen
interkulturell: "Shakespeare, komm her! Sag wos!" Über die Jahrhunderte
hinweg. Im Namen Ihrer Majestät der Queen. Ganz laut oder eben im trauten
Flüsterton. Hamma die richt’gen Eigenschaften, hamma die falschen oder hamma
goar kane?
"Jetzt fällt mir aber
nichts mehr ein", erwidert das Originalgenie namens Willi. Keine Ursache.
Wir klatschen trotzdem zunächst gleich einmal Beifall. To be on the safe
side. "Hoch lebe der Kaiser und König. Hoch lebe die Weltliteratur!
Und die gnädige Frau Königin!"Shakespeare ab. Die Queen hinterher,
versteht sich.
Whatever: Sprache, das sei
akustisch gelebte Salzkammergut-Glut, dichtete einst der anonyme
Kaiser-Dichterling im Land der Dome. Ich hab ihn übrigens höchstpersönlich
dichten sehen. Das hat er gut gemacht.
Ding! Dong! …Recht hoams!,
sag ich dem Dichterling. Denn er hat recht.
Ein Glockenton? Ja, ein
Glockenton. Was sonst? Und schallt mal ’ne Glocke, so muss es bei mir
natürlich gleich der Großglockner sein (zugegeben: ganz oben war ich nie;
dafür aber immerhin ganz unten).
Besitz und Bildung.
Bildung und Besitz. Jeder hat was vom Heimatland. Das Heimatland hat was von
jedem. Masse? Klasse! Sparkasse. Nörgeln ma auf der Terrasse!
Besitz und Bildung.
Bildung und Besitz.
Wasabi? Hunger hab i! Am
Horizont ein Schnitzel. Ein prächtiges Stanitzel. Pizza vom Bizzl. Hafer.
Und stattliche Erdäpfel
–
die berüchtigten Fiaker im Blick, fröhlich bejahendes Wiehern der spanischen
Sorte, gestundete Zeit für härtere Tage made in Austria. Am Horizont
Freiheit, Demokratie und Souveränität.
Passt.
Den Dom. Den Don. Die
Pferdi-Schule. Das A und O der Freiheit. Feuertrunken: "Wieh, wieh, wieh,
wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh,
wieh."
Born to be free.
Cómo estás, Hüfchen-Ballerina? Todo bien? Todo bien. Kein Problem. Die
Hofburg. Das Burgtheater. Die wohlgeratenen Spielmänner. Ja, den Geist der
Musik in allen Wipfeln.
Wäre
ich kein Austrian gewesen, so hätte ich ganz bestimmt mal einer werden
wollen. Austria erit in orbe ultima. Die Österreicher werden immer die
Letzten sein. Oder Moment … Na ja, das ist nun mal so. Sehen Sie? Da! Schon
wieder. Die Deutschen wirbeln uns den ganzen Sand auf. Wie soll einer da
noch seine eigene Vorstellung von den Dingen haben?
Wollen wir einfach der
Staubwolke folgen? Vielleicht führt sie uns ja zur cloud (as in:
Cloud Computing hin und her, dazwischen kratzen’s mit dem Speer). Selbst
wenn good old Goethe wie gesagt was gegen Wolkengucker hatte.
Mal sehen. Ja, es scheint
sich um eine leidliche Staubwolke zu handeln. What’s not to like? Außerdem
reitet ein gescheiter Österreicher in der Regel mit den Deutschen,
net wider die Deutschen. Und die Piefkes, nichts für ungut,
g’schätzte Kollegen aus Almania, können sich jederzeit auf uns verlassen:
"Alles paletti. Das lustige Bergvolk schleicht wie immer brav hinterher. Wie
der Schilling hinter der D-Mark. Wie Innsbruck hinter München. Wie der
Donner hinter dem Blitz. Ja, wie die Austrian Airlines hinter der
Lufthansa."
"Von wegen wie immer!",
brüllt der aus lauter Entrüstung auf Widerruf kurz aus dem Totenschlaf
erwachte Kaiser Richtung Berlin, bevor er sich wieder umdreht. "Alles
Erdreich ist Österreich untertan! Bis 1806 gab’s noch Anstand und Sitte auf
diesem Kontinent. It’s the tradition, stupid! A.E.I.O.U. Merkt euch
das, verdammt nochmal! A.E.I.O.U. Seid ihr deppert oder wos?"
Also wenn ich bitten darf:
A, B, C, D, E, F, G … H, I, J, K, L M, N, O, P. Gern mit Notenschlüssel.
Ins
Spanisch-Österreichisch-Wieherische übertragen: Wieh, wieh, wieh, wieh,
wieh, wieh, wieh … Wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wieh, wiehwieh, wieh.
Vorzüglich auf den Punkt gebracht. Und deppert san ma net. It’s the right
tune that counts. The right spark. The right joy. Freude, schöner
Götterfunken. Gesamteuropäisch. Anders gesagt: nicht-lokal, zeitlos,
über-österreichisch. You bet! Oberösterreichisch.
In orbe wie nie zuvor! Was
das Zeug hält! Olle gemeinsam! Wir an der Spitze.
Königliche
Gracht, kaiserliche Pracht. Schmelzende Schönheit vom munteren Nachbarstamm
der Schwaben; dort gibt’s übrigens ebenfalls stattliche Pferde und prächtige
Dichtergestalten und gewiefte Germanisten, die auch mal gern ohne weiteres
bedenkenlos vom Neckar zum Nil reiten, wenn’s denn sein muss, und ewige
Knaben in ewigen Knabeninternaten. Eine Dame kümmert sich um sie.
So … Einen doppelt
Destillierten! Einen oberösterreichisch-schwäbischen bitte. Das sind die
besten. "Wenn man nicht trinken kann, soll man nicht lieben." Das ist meine
Meinung, und die darf ich doch hoffentlich noch sagen. Erweichen wir also
das allzu erstarrte Coeur en hiver.
Alors! Herrschaften! Zeit
zum Auftauen. Die Eiszeit hat’s jetzt auch schon hinter sich. Kein Frost
mehr in österreichischen Landen. Schmelze und Schwemme. Die Biene sagt was
zu dem Stachelschwein. Wärme des Gemüts. Einstimmung total.
Mit der Kälte nimmt aber
freilich auch die Klarheit ab. Häuptling Bernhard hat das eruiert. Ein
kurzentschlossener Philosoph galoppiert mit seiner logisch-philosophischen
Ware unbeirrt in den zunehmend trüben Wassern des direkt aus Schwaben
importierten Begriffs des Erhabenen. Sein Gaul strauchelt. Er kommt zu Fall.
"Alles, was der Fall ist, ist der Fall!", brüllt der Philosoph den
Zeitgenossen noch mit allerletzten Kräften entgegen. "Verstanden?"
Ja, passt. Nur keine
Sorge. Kapiert. Und puff! Weg isser.
Dreißig Jahre später
taucht er wieder auf. Genau, Eile mit Weile. Außerdem hat sich der Philosoph
in der Zwischenzeit ja auch noch rasieren müssen. Kaiserlich. Königlich.
Blaue Donau. Ungarn-Österreich. Ein Straßenköter heult. Der Philosophen-Gaul
strauchelt. Kommt wieder zu Fall. So will es die Logik der Sache. Inzwischen
hat es sich der Philosoph aber anders überlegt. "Nichts, von dem, was der
Fall ist, ist der Fall! Verstanden? Und sein S' jetzt ganz stad." Der
Straßenköter heult nicht mehr.
Gern. Passt ebenfalls. Zu
Befehl! Was darf’s sonst noch sein?
Der
wie ein rasender Roland durch die modernen Geisteswissenschaften
galoppierende Philosoph österreichischen Schlages hat das Geschichtsbuch aus
Versehen offen gelassen, bevor er in großen Zügen über die Grenzen des
Sprachlichen hinweg setzte und sich in Silent County niederließ, wo sein
Streitross übrigens leidlich grasen konnte. Da spürte er kaum einen Hauch.
Zu resolut? Sag ich doch!
Maisc’est pas ma faute. Der Goethe ist dran schuld. Er allein. Und sein
Kumpel, der Schiller. Die waren aber keine Österreicher. In Österreich wäre
sowas verboten.
Na ja, alles, was der Fall
ist.
Uns macht das Ganze weiter
nichts aus. Zwischen den Zeilen wird’s jetzt allerdings a bisserl laut. Also
gar nicht so leise wie anempfohlen. Manches will neu geschrieben werden. Die
Ausreiß nehmenden Türken der guten alten Zeiten längst verklungener
Türkenkriege erheben wieder ihre Stimme. Mā schā'a llāh! Zum ersten Mal seit
Jahrhunderten. Ihre Turbane wackeln voller Ungeduld. Sie wollen aus dem Buch
raus. Wie der alte Geheimrat. Die Wirklichkeit aufs Neue innovativ mit
gestalten. Das ist nicht verkehrt. Aferim! Passt.
Die Feiertage so nehmen,
wie sie kommen. Warum auch nicht?
That’ll do the trick.
Wir nehmen alles wahr, was
wir wahrhaben wollen, und zwar jeweils genau so, wie wir es wahrhaben
wollen. If this is the case, this is the case. Kurz und bündig. Im
Visier das fröhliche Rotweißrot der Fahne, den ermutigenden Rauch der
Kanonen, die trefflich lackierten Klauen des Adlers über den Besiegten.
Natürlich mit fürstlich steifem, zutiefst majestätisch anmutendem
Imponiergehabe. Super cool glänzende CityBikes, die mit allergrößter
Geschwindigkeit in die vier Windrichtungen sausen. Die ersten 59 Minuten
sind kostenlos. Wer länger fährt, ist selber schuld. Ein köstliches Gewimmel
der Begrifflichkeit, der Sinne, der althergebrachten Minne, immerfort zwei
entsprechend gekleidete Hofdamen aufm Schoß und den vollen Krug in der Hand.
Ritterlichkeit im Superlativ. Hohe und niedere Minne zweckmäßig gebündelt.
Denn das ist Wien. You’ve got to do
it right.
Superangebot in
Freitagsgröße!
"Jetzt bin i da!", bekunde
ich voller Wucht und Heimatliebe. "Jetzt bist du da", bestätigt die Stadt
gemächlich. Diese Stadt mag mich. Sie glänzt verführerisch. Der liebe
Augustin lächelt wohlwollend. Das Volk winkt mir begeistert zu. Klatscht
Beifall. Es hat sich auf dem Heldenplatz versammelt. Ich glaube, ich bin
jetzt ein österreichischer Held. Ja, ganz gewiss bin ich einer. And
that’s a fact. Folglich darf man darüber auch sprechen. Der
Bürgermeister ist mal kurz weggeradelt, um die frisch vergoldeten Schlüssel
der Hofburg zu holen. Ganze 58 Minuten lang ist er unterwegs. Vierhundert
Biking Stations, das will schon was heißen. Bald wird er mich zum Ritter
schlagen wollen. Ich bin bereit.
- Servus.
- Servus.
- Gehn ma.
- Gehn ma.
Oder foan ma!
Habe
die Ehre. Früher gab’s kane Insel. Jetzt hamma ane. Wie Paris. Wie Montreal.
Wie Manhattan. Okay, Manhattan ist eine Insel, und Montreal auch.
Aber eins gilt nach wie vor in Bezug auf den Insel-Trieb der modernen
Städte, den grundlegenden Impuls zum Überleben, der dem authentischen
Möglichkeitsmenschen unserer Zeit innewohnt: Entweder Manhattan oder man
hatt’n nicht. Ein echter Wiener geht nie unter. Auch dann nicht, wenn er mal
kurz von der Insel fällt. Die Parallelaktion läuft weiter.
Jetzt muss ich aber
unbedingt was loswerden: Es ist toll, wieder so richtig da zu sein. Auf
allen vier Buchstaben. Da: innerhalb der Sprache, innerhalb des Seins und
all der wundersam artikulierten Dinge, die nun mal dazu gehören. Das sind
absolut reale Objekte mit akkurat messbaren Eigenschaften. Unwiderruflich
zugegen und greifbar. Handfeste Tatsachen des Gemüts, der Logik, der Sinne.
Schlagfertige Tatworte. Intuitiv abrufbare Begebenheiten, die einen im
Innersten ausmachen, wenn man’s recht bedenkt.
Dabei weiß ich eins. I
woas: Mir san nie voll und ganz da. Schon seit Heisenbergs Zeiten nicht
mehr. Wir sind stets nebenan. A bisserl abseits, um es, Nichtlokalität hin
und her, mal ausnahmsweise räumlich auszudrücken; so durch und durch
tiefen-psychologisch.
Österreichische
Geworfenheit, europäische Entfaltung. Ja doch! Wie beim bereits erwähnten
Robert Menasse
und seinen Mannen! Wir wollen das Vermächtnis unseres Erdteils neu
buchstabieren. Ein neues Lied, ein besseres Lied wollen wir komponieren. Ein
neues Europäisches Alphabet.
Mit Karl-Markus
Gauß.
Ach was, ohne Gauß. Noch besser als Gauß. Aufs Ganze gehen wollen
wir. Mit einem Schwung da sein. Na das wär schon was! Und: Wir, das
ist jetzt weit ausgeholt. Bitte sehr! Immer nur rein!
Europa! Europa! Nichts so
Europa als Österreichs Menschen!
Wir
schmachten unentwegt einem Spiegelbild entgegen, das uns unentwegt entgegen
schmachtet. Ein Inbegriff der Hoffnung, es bald in die höheren Schichten des
Seins zu schaffen. Dort, wo die Wahrscheinlichkeit aufhört, lediglich
Mögliches auszumachen und sich dazu schickt, Wirklichkeit zu werden.
Wirklichkeit und Wahrheit für alle. Das ist die verheißene europäische
Demokratie, von der die Herrschaften jetzt gerade mal wieder so viel
Aufhebens machen. Das Märchen Europa. Für den Feinschmecker überaus
bekömmlich zubereitet. Ein zutiefst österreichisches Ding. Der
Möglichkeitsmensch in corpore sano. Und meine Meinung ist nicht übertrieben.
Das zugrunde liegende
Narrativ greift. Ich, du, Über-Ich, Müllers Kuh. Er, sie, es trinken Ness.
Und das Monster von Loch Ness macht mit. Wahrlich, yes! In dieser
großzügigen Vorstellung der Dinge haben alle Platz, egal ob nun rechts,
links oder Mitte. Olle gemeinsam. In Reih und Glied. Achtung! Fertig! Los!
Europa-Paradeiser
schmecken! Das sagten ja schon immer Häuptling Gauß und seine Recken.
Zeitgenössische österreichische Essayistik als europäisches
Identitätsparadigma. Keine leere Phrase, sondern eine laufend neu
reflexionsreich abgefüllte.
Wer wir sind. Was wir
waren. Wohin wir uns wenden. Gute Fragen. Sehr gute Fragen. Die Antwort gibt
uns Herr von Hagen. Ni droite, ni gauche.
Right! The answer was there all the time.
"Wieh, Pferdi! Wieh!" Der
Kutschgaul wiehert. Wir fragen nicht, für wen er wiehert. Er wiehert für
uns. Und für die Republik. Unser Traum ist pure Wahrheit geworden. Er hat
sich verwirklicht. Die Dritte Republik ist da. Freibier für alle! Der Kaiser
und Kanzler nickt kurz. Er ist einverstanden.
Wir sind auch
einverstanden. Doch vieles von dem, was uns Lebewesen der Spezies homo
sapiens sapiens auf erkenntnistheoretischer wie auf intuitiver Ebene bewegt,
ist weder logisch noch philosophisch, and that’s the way it is.
Selbst wenn man sich das Gesicht rotweißrot bemalt.
Wo
kommt einer her?, will das Ich wissen. Ja halt aus vielen Richtungen!, will
das Über-Ich wissen. Aus vielen Ecken des Seins. Aus dem in den
bedeutungsvollen Rauchzeichen lichterloher Lagerfeuer festgehaltenen Anfang
einer total sinnvollen und zweckmäßigen G’schichte, in deren Mittelpunkt wir
uns wähnen. Von vielen Hängematten, die ganz bestimmt immer noch irgendwo
herumhängen, wenn’s sich halt so ergeben hat.
Man muss nur danach
suchen.
Wer ma san? Mir san mir!
Sonnenklar. Das Mysterium der Identitätsvermittlung erreicht die inneren
Sphären menschlicher Besinnung in der öfters ideologisch fingierten
Erscheinungsform Heimat, einer Erscheinungsform, der wir uns auf den
windigen Laufstegen und den steilen Wanderpfaden gemütlich erfassbarer
Begrifflichkeit zuwenden. Da ist die verlorene Zeit. Und sie war ja
eigentlich nie verloren, sondern bloß gestundet. Auf Widerruf, wie die
Dichterin einst sagte.
Jeder kommt wo her. Aus
Büchern. Aus Heften. Aus Träumen. Aus den bunten Blättern
oberösterreichischer Herbstgelüste, aus dem erfrischenden Geflüster
deutscher Wintermärchen, rumänischer Frühlingspracht oder kanadischer
Sommerhütten. Es dauert immer eine Weile, bis die rechte Färbung eintritt.
Es dauert immer eine kleine Ewigkeit. Aber man braucht keine Angst zu haben.
Feuertrunken san ma. Und was wir betreten, ist wirklich ein Heiligtum. Ein
Heiligtum der Sinne, der Gedanken, der Freude als Begriff und
Erlebnispotential.
Mir san mir. San’s scho
imma g’wesn. Werdn’s imma sein. Kein Echo geht je verloren. Die ersten
Fußstapfen im Schnee sind immer noch die ersten Fußstapfen im Schnee – am
anderen Ufer des Pichlingersees, der Traun, der Donau. Am anderen Ufer des
Atlantiks.
Ein k. und k. Kanu wird
sichtbar am Horizont. Kanada-Zeit. Wasserzeit. "Ahoi there!", schreit der
Mann im Kanu. "Land in Sicht!"
Ein Blick durchs Fernrohr:
Der Mann im Kanu hat auch ein Fernrohr. Ich beuge mich nach vorne, um ihn
besser zu sehen – und falle kopfüber in einen großen See bei Wien, nein, bei
Toronto. Die dichterische Landschaft? Entsprechend überdimensioniert. Ein
freundlicher Braunbär winkt mit seinen bezaubernd braunen Braunbär-Tatzen.
Ich winke zurück. Schwimme
tunlichst zum Kanu. Der Mann im Kanu ist ebenfalls kopfüber in den See
gefallen. Denn er hatte sich nach vorne gebeugt, um mich besser anschauen zu
können. Jetzt schwimmt er tunlichst zum Kanu. Treues Ebenbild. Romanischer
Doppelgänger. Heb mal die rechte Hand.
Zwei Männer fallen, ach!
aus dem Kanu. Ein ozeanisches Gefühl macht sich in uns breit, und der
Atlantik wird ganz klein. Winzig wird er. Lützel.
Zweimal eins macht eins.
Als
ich geboren wurde, fasste ich den Entschluss, vom Wasser zu lernen. Meinen
Eltern war’s recht. Die Wien lächelte mir freundlich zu. In ihren irgendwie
lose durch die Stille der Vorvergangenheit flatternden Arien widerspiegelte
sich das Echo einer bewegten Zukunft, die, so glaube ich es jetzt im
Nachhinein schon damals intensiv gespürt zu haben, noch mein werden sollte.
Okay, und dein und sein
(Jetzt spreche ich zu meinen Brüdern). Rotweißrot. Keine Schattierung. Und
als mir die Eltern das Wandern beibrachten, ging’s los.
Über allen Gipfeln des
Alpenlandes –
und weit hinweg bis zu den Vorläufern der Karpaten und der Rockies
–
war mein Jagdgeschrei zu vernehmen. Und über allen Seen, ob nun groß oder
klein. Der liebe Augustin spendete freundlicherweise eine unsichtbare
Schwimmveste (ungefähr sowas wie Siegfrieds Tarnkappe). Deswegen ging ich
nie unter. Trink’ma anen drauf!
Indeed: Austria erit in
orbe ultima. Die tapferen Krieger der alten Zeiten haben das gesagt, und ich
kann’s bestätigen. Yes, sir! Und wenn ich noch einmal auf die Welt käme,
würde ich denselben Weg einschlagen. Und mein Herz würde dasselbe Blut durch
die Adern meiner inwendigen Landschaft hindurchpumpen. Die Alpen, die
Karpaten, die Rockies wären mein Spiegelbild aller guten Dinge: so wie
jetzt. Alles wär super. Alles ist super.
Jeder Augenblick ein
Wahrzeichen. Jedes Wahrzeichen ewig haltbar. Heimat in Worten.
Und die Ecken der
Schreibweise wären noch immer allesamt da. Und ich würde mich daran
festhalten und ich würde darüber hinweg setzen und ich würde mich mit allen
Wassern der Donau, des Schwarzen Meers und des Ontariosees waschen und ein
waschechter Wassermann sein und in eine Welt empor sausen, in der Klang,
Gebild’ und Wort einerlei sind. Howgh!
So
sprach der Dichter in mir. Und was er damals sagte, hör ich, so will mir
mitunter scheinen, immer wieder aufs Neue. Time and again.
Das Echo seines
Narratives? Wasserdicht erstarrt. In meiner resonanzfreudigen Ohrmuschel. In
das Ding an sich rein geschraubt, das wir unser nennen. Sein Plätschern am
Strand: garantiert real. Mindestens bis auf Widerruf. Die Fährte
unübersehbar.
Große Schuhnummer bei
Wien. Mokassins made in Ontario. Jetzto kommt die Zeit heran! Die
Wanderzeit, die gibt uns Freud! Österreichisch-kanadisch ever after.
Aber der Dichter hat ja
seinen Abschied genommen. Ein neuer Pfad wird sichtbar am Horizont. Man
könnte sogar meinen, dass es sich um einen sehr poetischen Pfad handle, doch
er ist, wiewohl eigentlich jaziemlich ätherisch geraten, durchaus dingfest,
um es mal unvermittelt in der klanghaften Sprache der einfachen Leut’ zu
sagen, die da am Pfad lagern. Am Wegrand. Auf dem Steg.
Blaue Donau, bist du noch
da? Bist du noch blau?
Vielleicht hilft ein Blick
auf meine höchstpersönliche Erlebnis-Landkarte. Sie wird
–
dem jeweils geltenden Sternbild entsprechend
–
ständig aktualisiert. Which is a good thing. Denn alle Galaxien sausen ja
immer wo hin.
Ich laufe dann also von
Wien nach Salzburg, wenn’s recht ist. Eine Woche oder so. Abstecher in Linz
an der Donau. That’s the Capital City of Upper Austria. Land ob der Enns.
Home of the Urfahranermarkt. Elektronische Kunst. Pöstlingberg. VOEST.
Vorzüglich saniert. Stahl for y’all. Und eine Krümmung der Donau, die von
den guten alten Römern Lentos genannt wurde.
Ja, Krümmung.
Große
Landschaft bei Linz, würde die Bachmann jetzt dichten, wenn … Okay, die
Bachmann ist ja eigentlich nie in Linz ausgestiegen. Aber wir wollen
in Linz einsteigen. Jetzt bin ich nämlich echt müde. Die Straßenbahn fährt
Richtung Innenstadt. Eduscho. Dreifaltigkeit-Säule. Die Donau, das
Dampfschiff, der Kapitän, die Mütze, die Fahrt. Cargo ships from all over
the world. Und zum Aufmuntern einen Linzer. Die Süßigkeit ist dem
Menschen zumutbar.
Knoten Linz. Gar nicht so
schwer zu lösen, wenn du die Ozeane kennst. Right on! Lösen … Wo steckt denn
bloß mein Schwert?
Die Ozeane kennen wir
sehr gut. Und die Großen Seen auch. Dazu die kleinen, da türmen sie
sich, wollen mein ureigenes Augenbild sein (was sie ja sowieso sind), allen
voran der Pichlingersee, der mir, bitte merken, sehr wichtig ist, denn in
seinen Wassern widerspiegelt sich meine Zukunft – so wie sie mal
aussah.
But then again, the future
isn’t any longer what it used to be, wie die Trapper in Ontario zu berichten
wissen. Und dann weiter weg. Österreich kann ich leiden.
Und Rumänien kann ich auch
leiden. Da gibt es noch naturgemäß frischen Käse vom Schäfer (und bissige
Schäferhunde – und der alte Schäfergeist, der Geist der Transhumanz,
geistert da auch öfters umher).
Und Kanada mag ich erst
recht. Denn hierzulande wird es dem Durchschnittsmenschen ermöglicht, so
richtig aus vollen Touren auf ein fernes Ziel hin zu rudern, das man sich am
Horizont je nach Bedarf ausmalen kann, wenn man will. Und Eishockey zu
spielen, denn viel Eis hamma a. Nördlich der Great Lakes ist die Eiszeit
nämlich noch lange nicht zu Ende.
Yes. And baseball.
Aber ich will jetzt ja gar
nicht rudern. Ich will nicht Eishockey spielen. Und Baseball erst recht
nicht. Ich will ein echtes Wiener Café aufsuchen
–
Wie meinen? Was befehlen? Wie belieben?
G’schamster Diener!
–
und mir die Frage stellen: Was ist echt? Was kann's noch sein? Freunde
treffen, die wissen, was k. und k. bedeutet (bei mir ist mittlerweile jedes
K ein kanadisches, und der Musil ist mir ein Mann aus Ottawa, ein
waschechter Kanadier, und zwar einer mit Eigenschaften – ich hab ihn
übrigens mal hier in good old Toronto
getroffen
– und Diotima a).
Ich
will ein leckeres Karpaten-Gericht in vollen Zügen genießen (darf ruhig
siebenbürgisch sein), etwa bei dem rumänischen Dichter Mircea Dinescu, einem
Meister nicht nur der Sprache (was ja freilich in seinem Falle jedenfalls
gereicht hätte), sondern auch der Gastronomie. Er hat, so erzählen es die
tapferen Krieger am Ontariosee, eine Festung an der Donau. Eine
Kultur-Festung. Und die darf man auch stürmen. Und die wird auch
gestürmt. Dieser Dichter bietet sogar eine Interview-Serie im rumänischen
Fernsehen an. Lockere Gespräche mit rumänischen Persönlichkeiten. Da wird
gekocht, getafelt und geplaudert. Manchmal höre ich mit, wenn sich meine
Frau auf ihrem iPhone seine Sendung vornimmt. Ess- und Quatschkultur in den
reinsten Farbtönen. Rumänien-Österreich. Wer will das denn jetzt so genau
auseinanderhalten.
Hier sind wir.
Drüben sind die anderen. So haben wir’s schon immer gehalten. So wird’s
immer sein. Und wenn wir zu den anderen gehen, dann sind wir nicht mehr das,
was wir sind und waren. Dann sind wir die anderen, dann sind wir zu anderen
geworden. Ich und Selbst? Einfach. Einfach verrückt.
Kleine Frage:
Wer sind wir, wer sind die anderen? Und wann sind wir wir?
Kleine Antwort:
Nie – oder jedenfalls nie ganz.
Kleine
Erläuterung. Nebenan ist die
andere Seite. Die ist grüner. Nebenan beginnt ein klangvolleres Leben, eins,
das besser ins Wort passt. Nebenan ist’s nicht so weit weg zum Innersten.
Zur Lösung unseres ontologischen Kreuzworträtsels, unserer mehrsprachigen
ADN-Seins-Tüchtigkeit.
Ich bin, du bist, er sie,
es ist … ja, nebenan. Je suis, tu est.
Jeder sagt’s a bisserl
anders, wenn ich mich nicht irre, and that’s the way it goes. C’est quoi
ton nom?, fragen die französischen Kanadier (French Canadiens) in
Anlehnung an das Englische What’s your name?, wohingegen man in the
old country eher Comment tu t’appelles? oder eben Comment
t’appelles-tu? sagt. Je m’appelle … Nein! Mon nom à moi c’est… Na
ja.
So und so.
No contest: La Belle
Province, c’est nickel! Hab mich da oft herumgetrieben. Herumgeschlichen.
Herumgeblättert. Ja, geblättert. Ein letzter Häuptling der Kanadier hat
meinen Kindern mal beigebracht, wie man das macht: Chief Top Leaf (of the
Mohawk). Meine Kinder haben’s mir beigebracht. So lernt man.
Jeder rudert a bisserl
anders. Eine Million Seen, now that’s a lot! Verbindung über Wasserwege.
Überall hin. Jeder hat seine eigene Perspektive, seine eigene Geworfenheit
der Dinge, die da auf einen zukommen, auf einen zurückfallen (denn
Schwerkraft ist eine seit je vorprogrammierte Erscheinungsform der Sinne,
der sinnlichen Wahrnehmung). Hierzulande kommt die Sprache vom Wasser, aus
dem Wasser, durchs Wasser hindurch.
For this is Canada.
Land der Seen, Land am Strome.
Augenkraft und
Seelendynamik für den Mann auf der Straße, für den Mann im Kanu: Blickt man
von Parliament Hill aus ins Weite, so sieht man jenseits des Ottawa River
die französische Sprache. Ja, ja, ja, c’est vrais, man kann sie sehen.
Und hören kann man sie
ebenfalls. Doch nicht nur jenseits, sondern auch diesseits des Flusses ist
das Französische durchaus zu Hause, etwa auf dem beliebten Byward Market, in
der gemütlichen Librairie du Soleil oder etwa rund um Rideau Hall, der
Residenz des Generalgouverneurs. Er hält die Festung, wenn die Königin
anderswo verweilt. Je suis correct: I’m alright (that’s French Canadian –
kann man nichts machen).
Früher
haben sich die Briten und die Franzosen fürchterliche Schlachten um den
nördlichen Teil des Kontinents geliefert (den ein Voltaire mit seiner
wundervollen sprachlichen Begabung freilich aus Versehen gleich mal zu einem
kümmerlich eingeschneiten Stück Nichts verdonnerte), und feindliche Leute
sprachen, das leuchtet ein, feindliche Sprachen; aber jetzt sind wir alle
Freunde. Friends. Amis.
Ich schleudere meinen
Tomahawk weit übers globale Indianerdorf hinweg. Er saust mit 300
Stundenkilometern (also gleich dreimal schneller als ein Cheeta) Richtung
feindliches Lexem. Der eine Teil, von dem es immer geheißen hatte, er sei
unabhackbar, wird abgehackt.
Da sagt der Landmann: Es
ist gut. Und das Zeug, von dem es früher immer geheißen hatte, es sei
unverwendbar, wird verwendet. Wiederverwendet. Recycelt. Ein Ur-Theil wird
vom Zeug abgehackt. Dem Zeug macht das nichts aus, es ist immer noch heil
und intakt, wie es vor ein paar wenigen Jahren ein ob der Unendlichkeit des
Wassers und der Worte und der deutschen Sprache am pyramidalen Orte
vollkommen sprachloser Dichter schwäbischen Schlages einst sagte. The name’s
Roman,
German Roman.
Und ein anderer Dichter
hatte mal, so glaube ich, vor ein paar wenigen Jahrhunderten, vollkommen
richtig festgestellt: "A alter Teil von anem Fell: des is a Urteil, gell?"
Sein Name war Friederl von Hölderl, und er konnte unter Umständen recht
romantisch werden, wie mehrere Damen seiner näheren Bekanntschaft unlängst
mehreren ihrer jeweils Romantik-hörigen Verehrern gegenüber im trauten
Privatgespräch kundtaten. Das ist Weltliteratur. Damit kann man was
anfangen. Das ist die intellektuelle Hörigkeit.
Urteil und Sein. Zeug und
Zeit. Zeit und Leid. Österreich den Österreichern! Aber wir sind ja alle
Österreicher. Und alles ist Österreich. Also alles allen! Pax vobiscum. Pax
romana. Gewichtung und Bargeld. Müllers Esel, der bist du. Besser gesagt,
Fiakers Gutschgaul.
Und
Poesie führt weit, weit weg. Und es gibt freilich Textsorten, die noch
weiter weg führen, noch viel, viel weiter weg: Hütte. Des Ingenieure
Taschenbuch. Zwei Bände, die jahrzehntelang ihren Platz in der
Bibliothek meiner Eltern behaupteten – und ich schaue da immer noch
gelegentlich sehr gerne rein, wenn ich wieder mal das Elternhaus aufsuche.
Mit Textsorten umgehen, das ist mir wichtig.
Was sonst noch wichtig
ist: dass wir wissen, wer wir sind, wer wir waren. Wo wir herkommen. Wo wir
hingehen.
Manchmal frag’ ich meine
Brüder, ob sie noch den Schlüssel zur unterirdischen Hütte in der Nähe der
Kläranlage haben, den Schlüssel zur Baumhütte auf dem Gelände der ESG, den
Hausschlüssel, den Notenschlüssel, ob sie noch die Zahlen kennen, die
Figuren, die Schlüssel aller Kreaturen, die ...
Nein, die Baumhütte hatte
keinen Schlüssel, sie hatte ja nicht einmal eine Tür. Die unterirdische
Hütte aber schon. Die hatte eine ordentliche Tür. Einen ordentlichen
Schlüssel. Da konnte einer noch so richtig untertauchen. Das nenn‘ ich mir
einen underground der österreichischen Sorte! Total unterirdisch.
Total unsichtbar. Total geheim. Ja, österreichisch. Und einen kaputten
Fernseher hatte die auch. Alles war super. Strom gab’s sowieso nicht.
Also spätestens wenn der
Mühlbach in die Traun mündet, weiß man, dass da, wo keine Au mehr ist, mal
eine Au war. Und ein Überschwemmungsgebiet. Und großartige hausg’mochte
Geschichten. Spiegelg’schicht’n mit dabei. Denn die führen ja
bekanntlich weit zurück. Bis zum Augenblick der Geburt. Bis zu den Anfängen
der österreichischen Nachkriegsliteratur.
Wo wollen wir schlafen?
In "der Hängematten"?
Das
Indianerbuch, das The Magnificent Three, meine zwei Brüder und ich,
gemeinsam zu schreiben gedachten, kriegten wir nie so richtig hin. Genauer
gesagt, irgendwie merkten wir schon nach der ersten Seite, dass unsere
Erzählung doch sehr nach einem deutschen Autor aus Radebeul klang. The
name’s May, Karl May.
Stimmt, wir hatten seine
Bücher gelesen und uns die Verfilmungen seiner Werke naturgemäß im Fernsehen
angeguckt – und später sollte es mich dann tatsächlich mal nach Radebeul
(bei Dresden) verschlagen. Zum berüchtigten Stamm der Sachsen.
Die Uhr. Der Bärentöter.
Der Henrystutzen. Die Silberbüchse. Realität und Fiktion: alles da. Alles
Oberösterreich. Und irgendwo
– weiter nördlich, und ein bisschen
nach links, bitte, ja, da, genau, ein diskreter Schatten. Der Schatten des
letzten Mohikaners. In Reichweite.
Was sonst noch da ist? Ja
wo soll ich denn bloß anfangen … Ganz am Anfang oder? …
Ich weiß: Sie wollen alles
wissen. Ich will ja auch alles wissen. Ich will die Dinge besser
kennenlernen, die hinter den eigentlichen Dingen stecken. Vor allem
sprachlich. Ach, wie gut! … Oder einfach: Ach! …
Denn es gibt eine gewisse
Urtümlichkeit der Sprache, und die hab ich in meiner Kindheit besonders
bildhaft wahrgenommen, weil meine Familie, daran kann ich mich immer noch
sozusagen felsenfest und unerschüttert erinnern, eigentlich streng genommen
eine Sprachfamilie war. Metaphorisch betrachtet, versteht sich.
Mir blieb nichts anderes
übrig, als mich dem überindividuellen Spracherlebnis hinzugeben, das man von
Salzkammergut bis Innviertel
– und weit darüber hinweg
–
auch Leben nennt. Und wenn einer durchs Leben läuft, dann hat er seinen
Lebenslauf.
Irgendwas war da. Am
liebsten hätte ich der Schönheit des Augenblicks gefront. Nur war er eben
schon gleich wieder weg, der schöne Augenblick. Mit dem Maikäfer abgeflogen.
Richtung Pommerland. Alles, was es da noch zu tun gab, war: Schmetterlinge
jagen.
"I just wanna feel this
moment!", singt die Herrin des Nibelungendichters, reizende Verkörperung von
hoher und niederer Minne in Einem. Ja, schöner Götterfunken, da singen wir
gerne mit. Die Bremer Philharmonie hilft. Vier Mann stark ist sie.
Dasein, Dasein …
Allerhand! Who’s pulling the strings?
Die superstring theory
besagt bekanntlich, dass strings super sind. Die fünf Saiten des Weltalls
schaffen eine Urtümlichkeit, in der wir uns gerne wähnen. Und zwar von klein
auf.
Im Englischen gibt es den
schönen Ausdruck: calling to mind.
Meine
ersten Erinnerungen sind in Klang gefärbt. Im Klang des Österreichischen,
des österreichisch gefärbten Deutschen. Deswegen ist für mich der Fluss der
Sprache, den wir in der Regel unter der netten englischen Bezeichnung
flow of language literaturtheoretisch einpacken, wenn’s mal auf
semantischer Ebene wo hin gehen soll, immer auch der Fluss, an dessen Ufer
ich geboren wurde, die Wien, und der Fluß, an dessen Ufer ich aufwuchs, die
Traun. "Und mit den Flüssen ist das so ‘ne Sache", weiß es der Medizinmann
aus Oberösterreich wie derjenige aus Upper Canada axiomatisch hinzustellen,
"die fließen immer wo hin".
Und der Mühlbach mündet in
die Traun, und die Traun mündet in die Donau, und die Donau mündet ins
Schwarze Meer –
and here I am.
In good old Canada. Am
Ontariosee. Cheers! I bin a Kanadier.
Ja, also manchmal frag ich
meine Brüder: How come? Der eine wohnt jetzt wie gesagt in Bayern, der
andere in Ontario. And I won’t take "Des woas i net" for an answer.
Aus dem Buchprojekt wurde
nun mal leider nichts, aber der Schlüssel ist in uns. Wir sind der
Schlüssel.
Wir waren Österreicher. As
Austrian as it gets: das Bogenschießen im Blut (und des Schifoan freilich
a), stets unter der Sonne und ihrer goldenen Bahn, ein Stückchen
Kleinmünchen im Gemüt, a bisserl Urfahranermarkt durch Mark und Bein, wenn’s
etwa mal dazu kam, Raumschiff Enterprise zu boarden, den prächtigen Adler im
Sinn, den hochverehrten Groschen in der Hosentasche, die
Dreifaltigkeit-Säule im inneren Augenbild, den Pöstlingberg in den Lungen,
und die VOEST ebenfalls – oder … na ja, die VOEST lieber nicht, das heißt,
lieber nicht in den Lungen.
Wir
waren Österreicher. Und es gab nichts, was das je hätte ändern können.
Tonnenweise Hoamatland in unserer Brust. Marmorkugeln und Niki Lauda und
Donald Duck und der Glücksvogel Gustav und Onkel Dagobert und die
Panzerknacker? Alles Österreich. Besonders Onkel Dagobert. Immer voll und
ganz den Taler wert.
Wir waren Österreicher.
Jenseits von Linz gab’s bekanntlich den Mostbauer, und manchmal den
Kirschschlag, besonders im Winter. Oder St. Florian und Wels oder so.
Wien auch. Aber Wien war
ja weit weg. Irgendwo in der Urzeit geborgen. Forever and ever.
Über den Brenner Sattel
ging’s jedes Jahr in eine andere Welt. Und manchmal wurde das Pferd über den
Staller gesattelt. Va bene. Va multo bene. Und dann ging’s wieder zurück ins
Apfelstrudelland. Meine Mutter sagte nämlich immer, das Leben sei eine lange
Reihe von Apfelstrudeln.
Und Mozartkugeln, würde
ich jetzt mal – aus dem irgendwie hoffnungsvoll rückblickenden
Erwartungshorizont des Erwachsenen heraus – sozusagen spiegelg’schichtlich –
hinzufügen. Äcker. Dome. Berge. Strome. Alles in Stellung. Here and now.
Ich spanne meinen Bogen,
schleudere meinen Tomahawk, rauche meine Friedenspfeife, so durch und durch
Kanadier, esse meinen Schafskäse, ein waschechter Rumäne, träume meine
Träume – auf gut Französisch, bien sûr, trommle einen glanzvollen Schatz
zusammen, der in mir tickt: meinen Wortschatz.
Irgendwo auf dem weiten
semantischen Feld des Seins: das Deutsche, oder besser gesagt das
Oberdeutsche. In Sichtweite. Ja, die Sprache kann man sehen. Riechen.
Spüren.
Und so war’s auch
damals.Als ich zum ersten Mal die Augen öffnete, sah ich sie: meine
Sprachfamilie. Wir waren Österreicher. Sind’s immer noch. Zuallererst. And
that’s all I’ve got to say.
It’s a simple story. A
beautiful story.
Also
Wien-Linz-Bukarest-Salzburg-Toronto. Mein Geheimrezept. Mein ureigenes
Paradigma-Ding – oder wollen wir es Konstrukt nennen?
Schrödingers
Katze miaut das Lied vom Paradox, der arme Spielmann spielt brav weiter, und
Heisenberg berechnet noch einmal ganz fleißig das Mysterium rund um Impuls
und Position. Weit weg, im fernen Ontario, stellen Fallensteller ihre
Fallen. Und die Fragesteller stellen ihre Fragen. Wer? Wann? Wo? Warum und
wie?
Ist es tatsächlich
möglich, zugleich an verschiedenen Orten anwesend zu sein? Ist es
tatsächlich möglich, an verschiedenen Orten geboren worden zu sein? An
verschiedenen Orten das Zeitliche zu segnen?
Der Magistrat sagt
O-la-la! Er war gerade auf Palma De Mallorca. Aber der Magistrat sagt ja
immer O-la-la. Auf der Suche nach einer passableren Antwort landen wir bei
Goethes Mephisto: Falsch Gebild’ und Wort. Seid hier und dort!
Der Medizinmann deutet den
Spruch. Klar: hier und dort. Total möglich. Unserem schönen
multibiographischen Identitätsparadigma der österreichischen Sorte kann
niemand was anhaben. Der Medizinbeutel aus der Traunau wirkt auch im
kanadischen Urwald.
Magie intakt. Mir san mir.
Mia.
Vorprogrammiert – denn
unser Programm steht längst fest, wurde vor einer kleinen Ewigkeit erstellt,
geschrieben, begutachtet, genehmigt, initialisiert: in sinnvollen, schmucken
ADN-Sequenzen, in einwandfrei logischen Subroutinen des Gemüts, ein
wohldosiertes Gemisch aus Fatalität und freiem Willen, aus entfalteter
Sprache und eingebauter Urtümlichkeit.
Und bricht dieses schöne
interkulturelle Identitätsparadigma, das ja strenggenommen so mühsam in den
geheimen Triebwerken überregionaler Seins-Erkundung erstellt wurde, je
zusammen, so haben wir einen prächtigen Paradigmenzusammenbruch. Und dann
wird was formuliert. Sprachlich formuliert.
Das
mutmaßliche Ergebnis dieses Akts des Formulierens? Allerhöchstwahrscheinlich
kein Indianerbuch oberösterreichischer Ausdrucksweise; aber immerhin wird es
sich wohl um denselben Geist handeln, der auch jenes unser Projekt
seinerzeit vorangetrieben hatte und den wir hier mal kurz der
Verständlichkeit halber
Indianerbuch-oder-sonstiges-Zeug-schreiben-wollen-Geist nennen. So machen’s
die großen Denker. So wollen’s auch wir halten. Howgh again!
Oder um es mit den
Bleichgesichtern zu sagen: Howdy!
Na ja, also jetzt mal Hand
aufs Herz: Es geht hier um erlebte Sprache. Darum, mit der Sprache
rauszurücken. Ins Feld zu rücken. Ins semantische Feld.
Es geht um die Sprache.
Um meine Sprache. Um die volle Sprache und um nichts als die Sprache.
Die g’schätzte Leserschaft
darf selbstverständlich jederzeit mitmachen. Am besten, wir schreiben vor
dem Einschlafen noch etwas Programmatisches. Von weit her gezielt, aber ganz
nah verankert. Möglicherweise wird es eine Weile dauern. Möglicherweise wird
das Schriftbild nicht das beste sein. Ja, möglicherweise. Ein paar
Tippfehler nehmen wir unter Umständen auch gerne in Kauf. Ein paar
Sprachfehler. Ein paar Denkfehler. Errare humanum est.
Die Hoffnung und
Beständigkeit. No more, no less.
Doch ist die Inspiration
erst einmal wirklich Herrin der Sache, hat der Blitz der Offenbarung erst
einmal so richtig eingeschlagen, so wird das Zeug, von dem mir manchmal bei
Nacht träumt, wenn ich im vollen Bewusstsein einer subtileren Kommunion des
menschlichen Geschlechts der andauernd verspäteten Spätmoderne allein, aber
keineswegs einsam zu den Sternen empor blicke, im Nu syntagmatisch
festgehalten. Das ist dann ein erster gewaltiger Schritt Richtung Selbstsein
(anderweitig selbstredend Anderssein genannt).
Manche bezeichnen sowas
als Tat, andere wiederum sprechen von Wort und Geist. Doch alle ahnen: Es
ist ein grundlegendes Bekenntnis zu einer schon eher intuitiv als
begrifflich umrissenen Berufung des Menschlichen, dem wir uns hingeben, wenn
wir uns unserem Selbst nahen; wenn wir uns selber auf der Spur sind.
Dazu braucht man freilich
reichlich Tinte.
"Was willst du denn
schreiben, du suam?", fragt mich ein dialektal veranlagter Dichter
österreichischen Schlages durch die Zeiten hindurch. Und ich fange an
nachzudenken.
Da!
Die Antwort: Ja was ich halt so alles über all das zu sagen habe, was mich
angeht.
"Und was geht dich an?",
fragt der Dichter weiter. Warum er's fragt, weiß ich nicht. Woas i net. Woas
i net. Vieles geht mich jetzt an. Die breiteren Zusammenhänge. Poetisches
Zeug. Technische Überlegungen. Das Dasein, das Nicht-mehr-da-Sein, das
Verschwinden, das Auftauchen, das Nicht-mehr-zurückkehren-Können.
Der Abschied, die
Hoffnung, das Je-ne-sais-quoi in mir, in uns, über uns hinweg, um uns herum.
Etwas Unsagbares. Ist das so schwer zu begreifen?
Vielleicht hilft ja einer
der besseren Poeten, die innerhalb der Rahmen jener anschaulichen Bilder
herumlungern, die unser Verständnis von den windigen Begriffen Kunst, Welt,
Zweck, Sinn und Selbst mit prägen, soweit einer freilich seinen Blick nicht
abwendet. Weit weg, in jenen fernen Galaxien, die wir ahnen, schwingen die
elektromagnetischen Wellen, die in unserem Hirn und in unserem Herzen und in
unserer Seele ihren Ursprung haben, auf die unendliche Projektionsfläche
eines meta-linguistischen Bedeutungsfeldes hinüber, von der aus wir uns gut
sehen können: in den paar Dimensionen dieser Welt, unserer Welt, befangen.
Im Ernst.
Mit unserer Sinnlichkeit.
Mit unserer Begrifflichkeit. Mit unserer Sehnsucht. Einmal hin und zurück.
Okay, zweimal.
You know what? Make it
three.
Geschehn ist's, so sei's
getan. Wenn uns ein großer Dichter hilft, findet unsereiner, das
Pfadfinder-Geschlecht des dritten Jahrtausends, natürlich am leichtesten den
bestmöglichen Weg zur eigenen Ausdrucksweise.
Goethe, komm her!
Sag was Erbauliches! Du sollst herkommen! Hast du nicht gehört?
Ergo:
Wenn wir schreiben, geht es eigentlich immer um mehr als das, woran wir
gerade schreiben. Wenn wir atmen, geht es um mehr als das, was wir ein- und
ausatmen. Wenn wir sprechen, um mehr als das, was wir sagen, und wenn wir in
den Spiegel blicken, dann geht es um mehr als ein schlichtes Spiegelbild.
Right? Right!
Wir sprechen nie ein
einziges Lexem aus. ADN-Sequenzen aus Flüssen, Worten und Liebe: Hoamat. Die
Art und Weise, in der wir programmiert werden, ist nie bloß die Art und
Weise, in der wir programmiert werden.
Ein kräftiger Schwung der
Feder, und wir setzen weit über die erste Seite des Seins hinweg, schlagen
uns ins zugrundeliegende Narrativ eines Konstrukts durch, das wir Selbst
nennen. Schreiben drauf los, um so richtig zu sein, um so richtig zu werden.
Bitte sehr! Setzen wir uns
hin. Und was hamma nu? Eine Selbstsetzung. Super geil! Ein
oberösterreichisches Konzept der kanadischen Sorte. Wir sind nie "nur" wir.
In seinem Innersten bekennt sich nämlich jeder zu einem unendlichen
Kontinuum, das sich nichtsdestoweniger ganz leidlich bis auf Widerruf
einpacken lässt –
etwa zu einer Sprache.
Irgendwas wird schon draus
werden, wenn die Vergangenheit in die Zukunft, wenn die Zukunft in den
Konjunktiv will. Kein Indianerroman, soweit so gut, aber vielleicht immerhin
eine mittelfristig haltbare Spiegelgeschichte (wer weiß, möglicherweise
findet sich ja darin das Spiegelbild aller Dinge, die wir unser nennen, das
Spiegelbild aller Dinge, die wir Heimat nennen, das Spiegelbild einer
unendlichen literaturgeschichtlichen Familienangelegenheit, die irgendwann
irgendwie irgendwo anfangen muss und die nie aufhören will). Sagen wir etwa
die Geschichte vom Freund, vom Essen und von "der Hängematten". Ein
zumutbarer Anfang.
Kann ja mal vorkommen: Der
Freund läuft hinter dir her. Er hat einen Spiegel. Du gibst ihm den Spiegel.
Soeben hast du in den Spiegel geblickt. Setz dich. Jetzt hat dir der Freund
die Hand gereicht. Bald sagt er Adieu. Noch einmal anstoßen? Ja, doppelt.
Und der Kaffee schmeckt auch. Gerade habt ihr den Kuchen gegessen. Jetzt
kommt der Rinderbraten. Der Freund erwartet dich. Hier! Zur Stärkung. Du
betrittst seine Wohnung. Jetzt macht er die Tür auf. Du klingelst. Geh zum
Bus! Jetzt steigst du aus. Fährst zu ihm. Jetzt steigst du ein. Zieh dich
an, der Freund erwartet dich. "Wollen wir gemeinsam einen heben? Ja, bei
mir." Bei ihm. Das Telefon klingelt. Jetzt ruft er an. Jetzt stehst du vor
dem Spiegel. Jetzt steht ein Spiegelbild vor dir.
THE BEGINNING
in der Hängematten der
Hängematten der Hängematten