German
Roman, das klingt nach Wörterbuch, nach Kulturinterferenz, nach
Komparatistik. So heißt der Held in Markus Michael Fischers germanistischem
Abenteuerroman, wenn man so sagen darf, ein Held, der wie Thomas Manns
Gustav von Aschenbach urplötzlich – freilich aber
nicht auf eigene Faust, sondern im Auftrag eines akademischen
Austauschdienstes – aus dem Heimeligen in die Fremde reist, um sein
innerstes Triebwerk neuen Impulsen gegenüber zu erschließen und ausfindig zu
machen, was so alles noch im Worte sei. German Roman: "die
wandelnde Germanisch-Romanische Monatsschrift", aber eben "kein
geschriebener Roman", fällt doch in seinem Nachnamen
der Akzent auf die erste Silbe, was schon am Anfang des Romans wie zum Spaß
erörtert wird. Gekonnt potenziert der Autor Assoziationen, Beurteilungen,
Vorurteile, Deutungen, mutige Entschlüsselungsversuche und ernüchternde
Fehlgriffe, die sich aus dieser Namengebung ableiten lassen: "I
knew it, you are not German, you are Romanian!" platzt es etwa gegen Mitte
des Romans aus einem "rundlichen" Ägypter hervor.
Jeder meint was zu wissen, das gilt auch in Afrika.
German, Sohn der
Deutschen : ein belesener
Mann, mehr, eine Sprache. Das Deutsche – so wie es sich selbst in der Welt
kleidet. German erlebt
in Kairo die Krise des Systems, das in Bonn den Geldhahn dreht, missmutig
Befehle erteilt und Dozenten über das Mittelmeer entsendet. Markus Michael
Fischer überlebt – anders als sein Held, sein Freund, seine Sprache – den
Untergang in Kairo.
Fünf
Jahre als Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in
Ägypten steckte der Autor in dieses literarische Werk, das offensichtliche
autobiographische Züge aufweist und wohl ein in seiner Sprachgewalt, in
seinem Ideengehalt, in seiner witzigen Polemik, in seinem aufklärerischen
Bestreben und seiner bei aller Ironie unverkennbaren Menschenverbundenheit
authentischeres Zeugnis ablegt als irgendein Bericht an irgendeine Akademie
in Bonn oder sonstwo, den man ja schreiben muss, wenn man so ein Amt
versieht. Deutscher Sprach-
und Literaturdozent zum Nutzen und Vorteil der Germanistik in arabischen
Landen, was nun? würde der Leser nach der Lektüre dieses Buches fast fragen.
Doch Kairo ist weit, und wir leben hier und heut’.
Ohne Bärentöter
und Henrystutzen, dafür aber mit seinem wissenschaftlichen Handapparat und
seinem forschenden Blick unterwegs in der Wüste: Markus Michael Fischer
beschwört den Untergang in Kairo sozusagen aus der Sicht eines sehr
Betroffenen, um ein Wort von
Wendelin Schmidt-Dengler auzuleihen, der sich vor zehn
Jahren in transcarpathica – und zwar in derselben Nummer, in der
Markus Fischers Beitrag "Germanistik in Ägypten und
an der Kairo Universität. Reflexionen zum Verhältnis von Inlands- und
Auslandsgermanistik" erschien – unter diesem Titel zum schon damals im
internationalen Diskurs breit angelegten und thematisierten allgemeinen
"Verhältnis von Inlands- und Auslandsgermanistik" äußerte.
Sein Buch vom Untergang einer Welt, die in Worten erfasst sein will,
erscheint fast ein Jahr nach dem arabischen Frühling. Es geht um die
anderen. Freilich: Irgendwann, irgendwo hören die anderen auf. Und dann geht
es um uns, um unsere Literatur, was hier heißen will: um die
deutschsprachige Literatur, die Literatur deutschsprachiger Ausdrucksweise.
Als
DAAD-Lektor in Kairo überleben: Wie schafft man das? Indem man mit Büchners
Woyzeck eine Zulage bekommt – als Belohnung dafür, dass man gehorsam ist,
dass man alles mit sich machen lässt, dass man vorschriftsgemäß wahnsinnig
wird, sich brav dem System fügt? Wie ist es, wenn jemand aus
dem Ländle aufbricht, ganz allein in die weite Welt hinein geht, Hermes
folgt, mit Stock und Hut, oder einem Mann bajuwarischen Schlages oder den
Stimmen von Marrakesch, den Klang fremder Sprachen erhascht, den Klang
fremder Münzen, fremder Flinten, das Brüllen einer Landeshymne erträgt?
Today’s Kara Ben
Nemsi in action: ein Nominalist unter den Germanisten. Runter zu den
Pharaonen, genauer, kräftig über den Nil hinweg gesetzt, ans andere Ufer, wo
die Toten liegen, mit ihren toten Sprachen, wo die ägyptische Germanistik
liegt, (auch Abteilung für Germanistik der Kairo Universität – oder einfach
"Mutter der Germanistik" – genannt), wo sie brachliegt, nein, darliegt, für
den deutschen Abenteurer des Geistes zugänglich, erreichbar, greifbar,
machbar. Doch halt! Germanistik darf man nicht "machen", nicht einmal
Auslandsgermanistik, denn die wäre dann schließlich wohl kaum mehr als ein
Machwerk.
Ein
Buch über die Macht der Germanistik, besser, über die Kulissen, über die
Schleier der Germanistik in Kairo – oder eben in Deutschland – , ein
durchdringender Blick, ein offenes Herz, eine solide Bildung und die nötige
Schneidigkeit, um sich in der Wüste der Paragraphen zurechtzufinden, in der
die deutsche Literatur gleichsam naturgemäß vom "Pharao"
autoritär verwaltet, angeeignet, gehandhabt, gehandelt wird. Das darf man in
dieser gelungenen, oft genug durchaus unterhaltsamen und anregend
gestalteten literarischen Erwägung der DAAD-Frage in Kairo ruhig erwarten.
Bei der
Abteilungsleiterin der "Mutter der
Germanistik": "Sie wissen, Herr Dr. Roman, unsere
Abteilung ist der wertvollste Edelstein im Diadem unserer Fakultät. (...)
Alle haben Achtung vor uns. (...) Ihr Vorgänger hat uns nicht die nötige
Achtung entgegengebracht. Er wusste nicht, was Respekt ist. Er hat sich zum
Beispiel geweigert, die Doktorarbeiten unserer Töchter zu schreiben." Und
die Arroganz der "Bonner
Evaluatoren" ("Frau Panzer mit Ihrem Adjutanten Berger") im Gespräch mit
German? "Wir sind ein Team, auch wenn ich und Herr Berger weit über Ihnen
stehen." Auch in Deutschland gibt es Pyramiden.
Der
Roman als Schatten des Autors, als Verselbstständigung
eines Ichs, das sich metaliterarisch definiert, ohne ins Über-Ich
auszuschlagen, als Echo, als Nachvollziehung dessen, was ist, dessen, was
sei. "German ging seiner Existenz nach, anstatt ihr
voranzugehen. Er ging sich selbst nach, wie eine alte Uhr, anstatt sich
federnd vorauszueilen." So der Klappentext. Und: "Eigentliche
Protagonistin des Romans ist die deutsche Literatur." Fragt sich nur noch:
Wie stehen die Bonner Evaluatoren, die so
weit über German stehen wollen,
zur deutschen Literatur?
Es kommt nicht
von ungefähr, dass sich German später im Roman über das Credo des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes, "Wandel durch
Austausch" (im Englischen auf der DAAD-Homepage bis auf den heutigen Tag
einfach durch "change by exchange" wiedergegeben),
auslässt, über die Verdrängung des tiefgründigen, fundierten
geisteswissenschaftlichen Diskurses durch eine vermeintlich kultur- und
bildungspolitisch "flächendeckende", wiewohl gar zu
ungereimte DaF-Allgegenwärtigkeit. Über einen Untergang, der von denen, die
ihn verursachen, ja betreiben, gar nicht begriffen wird, gerade weil sie
nichts zu sagen haben, selbst wenn sie das Sagen haben.
Markus
Michael Fischer alias German Roman ist in mehreren Sprachen, in mehreren
Kulturen, in mehreren Jahreszeiten so richtig zu Hause. Und dieser aus good
old Stuttgart stammende Autor kann das, was er zu sagen hat, sogar
schreiben: auf gut Hochdeutsch (und ein paar Worte sagt er im Roman sogar
auf Hocharabisch, denn das kann er auch). Dass German in Anlehnung an
Sebastian Münsters 1628 in Basel veröffentlichte Cosmogonia
zuallererst schon den Namen seiner Vaterstadt abtastet, gehört zur Sache:
Stuckgart, Stutgard, Studtgart, Schtuegart. In den Neckar rein und dann
nichts wie den Nil runter. So realistisch es da auch zugehen mag – und so
oft er auch in Fontanes Effi Briest herum blättert, es bleibt
sozusagen dabei: Universalia sunt nomina. Aber es gibt ja in Wirklichkeit
gar keinen Universalistenstreit in der Germanistik, sondern nur die eine
Faustregel, an die sich zu halten hat, wer nach oben spricht: We are all
friends. You run the show.
Zeit zum
Austausch: Stuttgart? "Großer Weinwachs". Das liest German bereits im ersten
Kapitel des Romans in Münsters Cosmogonia.
Ergo: "Wir essen Schwein und trinken Wein", fasst er dann später als kurz
und bündig synthetisierender Kulturvermittler gleichsam das Wesen des
Deutschtums, das Wesen des aktuellen deutschen Image Management zusammen.
Wandel durch Austausch. Man solle mit Englisch für Deutsch werben, denn wer
das Deutsche beherrsche, könne leichter Englisch lernen, so das neue
flächendeckende Prinzip. Mehr Sprache, weniger Literatur (im Endeffekt also
dann schließlich weniger Sprache oder doch jedenfalls weniger Deutsch).
German fragt sich: "Ob das Aufbrechen der Wörter tatsächlich einen Aufbruch
bedeutete, oder ob deren Zersprengung nicht vielmehr ihren Untergang
herbeiführte."
In
den trüben Wassern des Nils den Untergang beschwören: ein Unding, dem nicht
jedermann gewachsen ist. German, der über den Begriff des Urlaubs in Musils
Mann ohne Eigenschaften promovierte (und dabei "dokternd
mit Ulrichs Urlaub vom Leben zu kämpfen hatte"), der Canettis Masse und
Macht im Intercity von Stuttgart nach Bonn mit sich "schleppt"
– und Canetti
auch mal persönlich streift, der dem Stand der Berufstätigen das Attribut
"Berufstäter" beschert, entwickelt sich –
über das Assessment
Center des DAAD – vom Germanisten zum "Fuhrunternehmer",
lässt sich im Taxi zum Totenreich fahren, genauer, lässt sich zum
Kulturreferenten der Deutschen Botschaft in Zamalek fahren, bei dem er sich
denn auch zu Tode langweilen darf – und dann geht’s weiter zum
Pressereferenten, dem "Presefuzzi". Und zum Zentrum
der germanistischen Macht am Nil. Und in die Unterwelt.
Wer ist dieser
Mann schwäbischen
Schlages? Ein Doktor aus deutschen Landen: Doktor German,
wie ihn die Assistentinnen der Germanistik "nach
ägyptischer Manier", mit Vornamen, nennen. Er schleicht sich wie kein
zweiter an sein Ziel heran. Er ist kundig, einfühlsam, beliebt.
Er kann lachen. Er wird versetzt – out of Cairo.
Gehorsam
möge der deutsche Sprach- und Literaturdozent sein, darauf käme es vor allem
an. Hofierenkönnen, so lautet die geheime Formel des Erfolgs. Von Mum,
dem DAAD, "der
Mutter aller Institutionen", zum "Vater der
ägyptischen Germanistik": Es ist, als höre man den Autor durch die
Absurdität, durch das kunstvoll, auf inhaltlicher wie stilistischer Ebene
überzeugend gesponnene Gewebe des facettenreich inszenierten Untergangs
großenteils selbst für den Eingeweihten erstaunlicher Verhältnisse hindurch
fragen: Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?
Die Antwort fällt leicht:
Nein, es ist keine Komödie. Es ist keine Tragödie. Es ist bloß die Sprache.
Bloß die Literatur. Bloß die Macht. Bloß das Überleben.
Poetisch
ausgedrückt: "Nichts mehr war heil und intakt, alles
war Teil und zerhackt." Der Diskurs rund ums Deutsche wird ein Diskurs rund
um German, die neue Deutsche Universität
heißt German University, mit vollem Namen, nein, mit voller
Bezeichnung The German University of Cairo, wobei sie sich aber gar
nicht in Kairo befindet. "Eigentlich hätte man diese Universität The
German University in the desert nennen müssen, oder, noch präziser,
The German bad English speaking
University in the Egyptian desert on the way to Suez."
"Klare
Ordre aus Bonn".
Akzentverlagerung Richtung "Fachsprachen", Richtung "Sekundärkompetenzten".
Klartext: Abschaffen! "Im Fremden untergehen, um das Eigene
hervorzubringen?" German reflektiert. Er scheint dabei kaum Gesellschaft zu
haben. Durch die zweckmäßige Einschleusung des bereits erwähnten
Woyzeck-Zitats entsteht der Eindruck, dass sich German nun auch noch in der
dritten Person ansprechen lassen muss. "Er bekommt Zulage."
Aber
wenn der Autor schon mal zur Reflexion rund um seinen Doppelgänger, seinen
Helden, seine
Sprache, seinen Roman namens Roman einlädt, der die deutsche Literatur in
ihrem Selbstverständnis diesseits und jenseits der deutschen Grenze
verkörpert, personifiziert, ins ägyptische Fahrwasser bringt, aufblühen
lässt, zerplatzen lässt, sei noch zum Schluss beiläufig anhand des hierin
raffiniert gezeitigten Verhältnisses zwischen Autor und Text ein schlichtes
Axiom postuliert, dessen Geltungsbereich gewiss den Rahmen des Romans
sprengt und eine bis vor wenigen Jahren sozusagen real existierende
DAAD-Dozentur im Nachhinein "wie eine alte Uhr"
angemessen zum Ticken bringt.
Markus Michael Fischer: the best thing
that’s ever happened to German. |