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Sprachlos am Nil

Markus Michael Fischer überlebt den Untergang in Kairo

Als Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Kairo überleben:
Wie schafft man das? Indem man mit B
üchners Woyzeck eine Zulage bekommt –
Als Belohnung dafür, dass man gehorsam ist, dass man alles mit sich machen lässt,
dass man vorschriftsgemäß wahnsinnig wird, sich brav dem System fügt?

Von Vasile V. Poenaru
(30. 06. 2012)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 
 


 

 

 Markus Michael Fischer. Untergang in Kairo.
Verlag Neue Literatur,
2012, 348 S.
ISBN:
3940085561

 

 

 

 

German erlebt in Kairo
die Krise des Systems, das
in Bonn den Geldhahn
dreht, missmutig Befehle
erteilt und Dozenten über
das Mittelmeer entsendet.

 

 


 

 


(c) Verlag Neue Literaur

Markus Michael Fischer, geboren 1957 in Stuttgart, studierte in Tübingen und Cambridge Germanistik und Evangelische Theologie.
Danach arbeitete er u.a. als
Rundfunkjournalist und wurde später wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Heidelberg. Nach germanis-
tischen Lehraufträgen an den
Universitäten Tübingen und
Heidelberg führten ihn zwei
längere Auslandsaufenthalte
nach Rumänien und Ägypten,
wo er an der Universität
Bukarest (1992-1997) und
an der Kairo Universität (2000-
2005) als Dozent für deutsche
Literatur wirkte. Seit 2008
lebt er als freischaffender
Kulturjournalist und Publizist
in Bukarest.

 


 

 

Linktipp

http://cairo.daad.de
 

 


 

 

"Ihr Vorgänger hat uns
nicht die nötige Achtung
entgegengebracht. Er wusste
nicht, was Respekt ist. Er
hat sich zum Beispiel geweigert, die Doktorar
-
beiten unserer Töchter
zu schreiben."

 


 

 

Linktipp

www.guc.edu.eg

 



 


"Eigentlich hätte man
diese Universität The
German University in the
desert
nennen müssen,
oder, noch präziser,
The
German bad English
speaking University in the
Egyptian desert on the
way to Suez."

 

 

 

 

 

"Nichts mehr war heil
und intakt, alles war Teil
und zerhackt."

 

 

 

 

 

 

"Eigentliche Protagonistin
des Romans ist die
deutsche Literatur." Fragt
sich nur noch: Wie stehen
die Bonner Evaluatoren,
die so
weit über German
stehen wollen,
zur
deutschen Literatur?

 


 

 

 

Wer ist dieser Mann
schw
äbischen Schlages?
Ein Doktor aus deutschen
Landen: Doktor German,
wie ihn die Assistentinnen
der Germanistik
"nach
ägyptischer Manier", mit
Vornamen, nennen. Er ist
kundig, einf
ühlsam, beliebt
.
Er kann lachen. Er wird
versetzt – out of Cairo.

 

   German Roman, das klingt nach Wörterbuch, nach Kulturinterferenz, nach Komparatistik. So heißt der Held in Markus Michael Fischers germanistischem Abenteuerroman, wenn man so sagen darf, ein Held, der wie Thomas Manns Gustav von Aschenbach urplötzlich – freilich aber nicht auf eigene Faust, sondern im Auftrag eines akademischen Austauschdienstes –  aus dem Heimeligen in die Fremde reist, um sein innerstes Triebwerk neuen Impulsen gegenüber zu erschließen und ausfindig zu machen, was so alles noch im Worte sei. German Roman: "die wandelnde Germanisch-Romanische Monatsschrift", aber eben "kein geschriebener Roman", fällt doch in seinem Nachnamen der Akzent auf die erste Silbe, was schon am Anfang des Romans wie zum Spaß erörtert wird. Gekonnt potenziert der Autor Assoziationen, Beurteilungen, Vorurteile, Deutungen, mutige Entschlüsselungsversuche und ernüchternde Fehlgriffe, die sich aus dieser Namengebung ableiten lassen: "I knew it, you are not German, you are Romanian!" platzt es etwa gegen Mitte des Romans aus einem "rundlichen" Ägypter hervor. Jeder meint was zu wissen, das gilt auch in Afrika.

German, Sohn der Deutschen: ein belesener Mann, mehr, eine Sprache. Das Deutsche – so wie es sich selbst in der Welt kleidet. German erlebt in Kairo die Krise des Systems, das in Bonn den Geldhahn dreht, missmutig Befehle erteilt und Dozenten über das Mittelmeer entsendet. Markus Michael Fischer überlebt – anders als sein Held, sein Freund, seine Sprache – den Untergang in Kairo.

   Fünf Jahre als Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Ägypten steckte der Autor in dieses literarische Werk, das offensichtliche autobiographische Züge aufweist und wohl ein in seiner Sprachgewalt, in seinem Ideengehalt, in seiner witzigen Polemik, in seinem aufklärerischen Bestreben und seiner bei aller Ironie unverkennbaren Menschenverbundenheit authentischeres Zeugnis ablegt als irgendein Bericht an irgendeine Akademie in Bonn oder sonstwo, den man ja schreiben muss, wenn man so ein Amt versieht. Deutscher Sprach- und Literaturdozent zum Nutzen und Vorteil der Germanistik in arabischen Landen, was nun? würde der Leser nach der Lektüre dieses Buches fast fragen. Doch Kairo ist weit, und wir leben hier und heut’.

Ohne Bärentöter und Henrystutzen, dafür aber mit seinem wissenschaftlichen Handapparat und seinem forschenden Blick unterwegs in der Wüste: Markus Michael Fischer beschwört den Untergang in Kairo sozusagen aus der Sicht eines sehr Betroffenen, um ein Wort von Wendelin Schmidt-Dengler auzuleihen, der sich vor zehn Jahren in transcarpathica – und zwar in derselben Nummer, in der Markus Fischers Beitrag "Germanistik in Ägypten und an der Kairo Universität. Reflexionen zum Verhältnis von Inlands- und Auslandsgermanistik" erschien – unter diesem Titel zum schon damals im internationalen Diskurs breit angelegten und thematisierten allgemeinen "Verhältnis von Inlands- und Auslandsgermanistik" äußerte. Sein Buch  vom Untergang einer Welt, die in Worten erfasst sein will, erscheint fast ein Jahr nach dem arabischen Frühling. Es geht um die anderen. Freilich: Irgendwann, irgendwo hören die anderen auf. Und dann geht es um uns, um unsere Literatur, was hier heißen will: um die deutschsprachige Literatur, die Literatur deutschsprachiger Ausdrucksweise.

   Als DAAD-Lektor in Kairo überleben: Wie schafft man das? Indem man mit Büchners Woyzeck eine Zulage bekommt – als Belohnung dafür, dass man gehorsam ist, dass man alles mit sich machen lässt, dass man vorschriftsgemäß wahnsinnig wird, sich brav dem System fügt? Wie ist es, wenn jemand aus dem Ländle aufbricht, ganz allein in die weite Welt hinein geht, Hermes folgt, mit Stock und Hut, oder einem Mann bajuwarischen Schlages oder den Stimmen von Marrakesch, den Klang fremder Sprachen erhascht, den Klang fremder Münzen, fremder Flinten, das Brüllen einer Landeshymne erträgt?

Today’s Kara Ben Nemsi in action: ein Nominalist unter den Germanisten. Runter zu den Pharaonen, genauer, kräftig über den Nil hinweg gesetzt, ans andere Ufer, wo die Toten liegen, mit ihren toten Sprachen, wo die ägyptische Germanistik liegt, (auch Abteilung für Germanistik der Kairo Universität – oder einfach "Mutter der Germanistik" – genannt), wo sie brachliegt, nein, darliegt, für den deutschen Abenteurer des Geistes zugänglich, erreichbar, greifbar, machbar. Doch halt! Germanistik darf man nicht "machen", nicht einmal Auslandsgermanistik, denn die wäre dann schließlich wohl kaum mehr als ein Machwerk.

   Ein Buch über die Macht der Germanistik, besser, über die Kulissen, über die Schleier der Germanistik in Kairo – oder eben in Deutschland – , ein durchdringender Blick, ein offenes Herz, eine solide Bildung und die nötige Schneidigkeit, um sich in der Wüste der Paragraphen zurechtzufinden, in der die deutsche Literatur gleichsam naturgemäß vom "Pharao" autoritär verwaltet, angeeignet, gehandhabt, gehandelt wird. Das darf man in dieser gelungenen, oft genug durchaus unterhaltsamen und anregend gestalteten literarischen Erwägung der DAAD-Frage in Kairo ruhig erwarten.

Bei der Abteilungsleiterin der "Mutter der Germanistik": "Sie wissen, Herr Dr. Roman, unsere Abteilung ist der wertvollste Edelstein im Diadem unserer Fakultät. (...) Alle haben Achtung vor uns. (...) Ihr Vorgänger hat uns nicht die nötige Achtung entgegengebracht. Er wusste nicht, was Respekt ist. Er hat sich zum Beispiel geweigert, die Doktorarbeiten unserer Töchter zu schreiben." Und die Arroganz der "Bonner Evaluatoren" ("Frau Panzer mit Ihrem Adjutanten Berger") im Gespräch mit German? "Wir sind ein Team, auch wenn ich und Herr Berger weit über Ihnen stehen." Auch in Deutschland gibt es Pyramiden.

   Der Roman als Schatten des Autors, als Verselbstständigung eines Ichs, das sich metaliterarisch definiert, ohne ins Über-Ich auszuschlagen, als Echo, als Nachvollziehung dessen, was ist, dessen, was sei. "German ging seiner Existenz nach, anstatt ihr voranzugehen. Er ging sich selbst nach, wie eine alte Uhr, anstatt sich federnd vorauszueilen." So der Klappentext. Und: "Eigentliche Protagonistin des Romans ist die deutsche Literatur." Fragt sich nur noch: Wie stehen die Bonner Evaluatoren, die so weit über German stehen wollen, zur deutschen Literatur?

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich German später im Roman über das Credo des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, "Wandel durch Austausch" (im Englischen auf der DAAD-Homepage bis auf den heutigen Tag einfach durch "change by exchange" wiedergegeben), auslässt, über die Verdrängung des tiefgründigen, fundierten geisteswissenschaftlichen Diskurses durch eine vermeintlich kultur- und bildungspolitisch "flächendeckende", wiewohl gar zu ungereimte DaF-Allgegenwärtigkeit. Über einen Untergang, der von denen, die ihn verursachen, ja betreiben, gar nicht begriffen wird, gerade weil sie nichts zu sagen haben, selbst wenn sie das Sagen haben.

   Markus Michael Fischer alias German Roman ist in mehreren Sprachen, in mehreren Kulturen, in mehreren Jahreszeiten so richtig zu Hause. Und dieser aus good old Stuttgart stammende Autor kann das, was er zu sagen hat, sogar schreiben: auf gut Hochdeutsch (und ein paar Worte sagt er im Roman sogar auf Hocharabisch, denn das kann er auch). Dass German in Anlehnung an Sebastian Münsters 1628 in Basel veröffentlichte Cosmogonia zuallererst schon den Namen seiner Vaterstadt abtastet, gehört zur Sache: Stuckgart, Stutgard, Studtgart, Schtuegart. In den Neckar rein und dann nichts wie den Nil runter. So realistisch es da auch zugehen mag – und so oft er auch in Fontanes Effi Briest herum blättert, es bleibt sozusagen dabei: Universalia sunt nomina. Aber es gibt ja in Wirklichkeit gar keinen Universalistenstreit in der Germanistik, sondern nur die eine Faustregel, an die sich zu halten hat, wer nach oben spricht: We are all friends. You run the show.

Zeit zum Austausch: Stuttgart? "Großer Weinwachs". Das liest German bereits im ersten Kapitel des Romans in Münsters Cosmogonia. Ergo: "Wir essen Schwein und trinken Wein", fasst er dann später als kurz und bündig synthetisierender Kulturvermittler gleichsam das Wesen des Deutschtums, das Wesen des aktuellen deutschen Image Management zusammen. Wandel durch Austausch. Man solle mit Englisch für Deutsch werben, denn wer das Deutsche beherrsche, könne leichter Englisch lernen, so das neue flächendeckende Prinzip. Mehr Sprache, weniger Literatur (im Endeffekt also dann schließlich weniger Sprache oder doch jedenfalls weniger Deutsch). German fragt sich: "Ob das Aufbrechen der Wörter tatsächlich einen Aufbruch bedeutete, oder ob deren Zersprengung nicht vielmehr ihren Untergang herbeiführte."

   In den trüben Wassern des Nils den Untergang beschwören: ein Unding, dem nicht jedermann gewachsen ist. German, der über den Begriff des Urlaubs in Musils Mann ohne Eigenschaften promovierte (und dabei "dokternd mit Ulrichs Urlaub vom Leben zu kämpfen hatte"), der Canettis Masse und Macht im Intercity von Stuttgart nach Bonn mit sich "schleppt"  und Canetti auch mal persönlich streift, der dem Stand der Berufstätigen das Attribut "Berufstäter" beschert, entwickelt sich  über das Assessment Center des DAAD –  vom Germanisten zum "Fuhrunternehmer", lässt sich im Taxi zum Totenreich fahren, genauer, lässt sich zum Kulturreferenten der Deutschen Botschaft in Zamalek fahren, bei dem er sich denn auch zu Tode langweilen darf – und dann geht’s weiter zum Pressereferenten, dem "Presefuzzi". Und zum Zentrum der germanistischen Macht am Nil. Und in die Unterwelt.

Wer ist dieser Mann schwäbischen Schlages? Ein Doktor aus deutschen Landen: Doktor German, wie ihn die Assistentinnen der Germanistik "nach ägyptischer Manier", mit Vornamen, nennen. Er schleicht sich wie kein zweiter an sein Ziel heran. Er ist kundig, einfühlsam, beliebt. Er kann lachen. Er wird versetzt – out of Cairo.

   Gehorsam möge der deutsche Sprach- und Literaturdozent sein, darauf käme es vor allem an. Hofierenkönnen, so lautet die geheime Formel des Erfolgs. Von Mum, dem DAAD, "der Mutter aller Institutionen", zum "Vater der ägyptischen Germanistik": Es ist, als höre man den Autor durch die Absurdität, durch das kunstvoll, auf inhaltlicher wie stilistischer Ebene überzeugend gesponnene Gewebe des facettenreich inszenierten Untergangs großenteils selbst für den Eingeweihten erstaunlicher Verhältnisse hindurch fragen: Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Die Antwort fällt leicht: Nein, es ist keine Komödie. Es ist keine Tragödie. Es ist bloß die Sprache. Bloß die Literatur. Bloß die Macht. Bloß das Überleben.

Poetisch ausgedrückt: "Nichts mehr war heil und intakt, alles war Teil und zerhackt." Der Diskurs rund ums Deutsche wird ein Diskurs rund um German, die neue Deutsche Universität heißt German University, mit vollem Namen, nein, mit voller Bezeichnung The German University of Cairo, wobei sie sich aber gar nicht in Kairo befindet. "Eigentlich hätte man diese Universität The German University in the desert nennen müssen, oder, noch präziser, The German bad English speaking University in the Egyptian desert on the way to Suez."

"Klare Ordre aus Bonn". Akzentverlagerung Richtung "Fachsprachen", Richtung "Sekundärkompetenzten". Klartext: Abschaffen! "Im Fremden untergehen, um das Eigene hervorzubringen?" German reflektiert. Er scheint dabei kaum Gesellschaft zu haben. Durch die zweckmäßige Einschleusung des bereits erwähnten Woyzeck-Zitats entsteht der Eindruck, dass sich German nun auch noch in der dritten Person ansprechen lassen muss. "Er bekommt Zulage."

   Aber wenn der Autor schon mal zur Reflexion rund um seinen Doppelgänger, seinen Helden, seine Sprache, seinen Roman namens Roman einlädt, der die deutsche Literatur in ihrem Selbstverständnis diesseits und jenseits der deutschen Grenze verkörpert, personifiziert, ins ägyptische Fahrwasser bringt, aufblühen lässt, zerplatzen lässt, sei noch zum Schluss beiläufig anhand des hierin raffiniert gezeitigten Verhältnisses zwischen Autor und Text ein schlichtes Axiom postuliert, dessen Geltungsbereich gewiss den Rahmen des Romans sprengt und eine bis vor wenigen Jahren sozusagen real existierende DAAD-Dozentur im Nachhinein "wie eine alte Uhr" angemessen zum Ticken bringt. Markus Michael Fischer: the best thing that’s ever happened to German.

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