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Die Infusion
...

Sie weiß schon, das wird nichts. Schon als die junge Ärztin beim Hereinkommen
in ihr Blickfeld getreten ist, hat sie die Unsicherheit förmlich riechen können. Der forsche Schritt
und das Lächeln haben sie nicht täuschen können. Sie hat es sofort gewusst, die schafft
das nicht, mit so einem jungen Gesicht kann die doch keine Erfahrung haben.

V
on Marianne Leersch
(01. 06. 2007)

...




Marianne Leersch
o.leersch@ainet.at

arbeitet als Sonderschul-
lehrerin in Judenburg
(Steiermark).


Buchtipp

Marianne Leersch.
Cave verba. Hüte dich
vor den Worten.
Wolfgang Hager Verlag,
2004. 79 S.
ISBN: 3902400560

 

Mehr Texte von
Marianne Leersch:

Die Suppe

Das Kleid

Das Frühstück

   Umgeben von schlaffer, gelber Haut, durchzogen von einem blauen Gewirr, streckt sich ein dünner Arm der Ärztin entgegen. "Meine Haut ist so empfindlich, wissen Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker hat so eine kaputte Haut. Ich bin nervös, weil ich gestochen werde und Sie sind nervös, weil Sie eine Vene finden müssen. Aber der Stationsarzt, der kann das, der findet immer eine. Ja meine Haut, so empfindlich, angegriffen durch das viele Cortison und Sie sehen ja, wie dünn ich bin, wissen Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker soll nie zu viel Gewicht haben". Unablässig sprudeln die Worte aus dem alten Mund.

Die alte Dame liegt zurückgelehnt im Bett. Spitzennachthemd, Bettjäckchen, die weißen Haare kunstvoll frisiert, die Brauen sorgfältig gezupft, am Nachttisch sind die Pflegeprodukte aufgebaut. Alles legt Zeugnis ab: Seht her, hier liegt sie, die schöne gepflegte Dame, die so krank ist, die schon seit Jahrzehnten an Asthma leidet, ihre Bürde, die sie immer wieder vorweisen kann, als Schutzschild gegen alle Unbilden, die ihr begegnen könnten.

   "Wissen Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker braucht besondere Pflege, und frische Luft Frau Doktor, jedes Jahr diese Anfälle, alle paar Monate müssen sie mich im Krankenhaus aufnehmen. Ich brauche diese Infusionen doch, obwohl, seit wir dieses Haus in Pula haben, na ja eigentlich hat es meine Tochter gekauft, die in Deutschland, sie verdient ja einen Batzen Geld, dafür arbeitet sie auch, morgens um sieben Uhr ins Büro und abends wird es meistens elf Uhr, bis sie nach Hause kommt. Na ja, Sie wissen ja, die rechte Hand vom Chef. Das Haus hat sie gekauft, obwohl eigentlich ist es für Ausländer verboten, Grundbesitz zu erwerben, aber mit Geld".

Vielsagend fuchtelt die Hand unter dem Gesicht der Ärztin. "Und wir haben ein Appartement dazugebaut. Kleine Küche, Schlafzimmer, Dusche, aber so nett, und überall Kissen. Ich kann doch nicht auf einem harten Stuhl sitzen, sie sehen ja, wie dünn ich bin, nur Haut und Knochen. Kennen Sie die dicke Dame auf Station C, auch Asthma, aber so fett, na die stopft auch, keiner kann mir was erzählen, von wegen Diät, alles stopft die in sich hinein, obwohl ich ihr immer wieder sage, ein Asthmakranker muss auf sein Gewicht achten. Sie sehen ja Frau Doktor, ich esse wie ein Vogel, ein paar Bissen, aber nur vom Besten, und kein schwarzes Brot.

   Da hat mir doch die Schwester ein dunkles Brot gebracht, ich habe sie doch heute morgen gebeten, mir eine Kleinigkeit zum Essen zu bringen, ich kann doch die Schmerztablette nicht auf nüchternem Magen nehmen, dann wird mir übel, so wie gestern, Frau Doktor, stellen sie sich das vor, ich habe es gerade noch zum Waschbecken geschafft, und diese Frechheit, beschwert sich doch die Schwester, dass das Waschbecken voll ist. Soll ich bei meinem Zustand auch noch selber putzen?"

Leidgeprüft streicht die beringte Hand zart über die eigene Stirn.

"Ja also diese Luft am Meer, seit wir dort das Appartment haben, geht es mir ja viel besser, seit März war ich nicht mehr im Krankenhaus, und auch jetzt wäre ich noch am Meer, wenn dieses Unglück nicht geschehen wäre. Ein Brett, ich stelle es zur Seite, und es fällt, fällt genau auf mein Bein und reißt eine Wunde. Ich habe geblutet Frau Doktor, alles voll Blut, und mein Mann, meint der doch noch, ich wäre ungeschickt, ich habe gleich gesagt, du hättest es ja selbst zur Seite stellen können.

   Wir sind so wie wir waren, aber wir sind ja immer gepflegt in das Krankenhaus gefahren, die kennen mich dort ja schon so gut. 'Guten Tag, gnädige Frau,' hat mich der Herr Oberarzt gleich begrüßt, 'sie haben aber auch ein Pech.' Ich habe ihm sofort gesagt: 'Nicht nähen, meine Haut heilt doch nicht, das muss operiert werden,' und was machen die ? Fünf Nähte! Schmerzen waren das, und hier mussten sie wieder entfernt werden. Wissen sie Frau Doktor, bei der letzten Verletzung, da habe ich die Frau Oberarzt angerufen. Kommen Sie sofort Frau Goldmann, hat sie gesagt. Um halb elf war ich auf ihrer Station und der Herr Professor, als der meine Wunde gesehen hat -'Sofort operieren'- hat er gesagt.

Also um halb elf war ich im Krankenhaus und um elf Uhr schon auf dem Operationstisch, sie haben mich sofort vorgezogen. Und dieses Mal, seit einer Woche liege ich schon da, immer nur Infusionen und diese Schmerzen, aber die Frau Oberarzt hat ja kein Bett für mich gehabt. Wenn ich auf Ihrer Station wäre, würden sie mich nicht so liegen lassen. Aber sie hat ja gesagt, es tut ihr so leid, kein Bett, auf Wochen alles belegt. Beim Verbinden lasse ich sie immer anpiepsen, damit sie meine Wunde sieht, damit sie denen sagen kann, dass das nicht heilt.

Aber sie ist nie erreichbar, sie hat ja so viel zu tun, vielbeschäftigt, immer da für ihre Patienten. Dabei kennt sie meine Haut und der Herr Professor auch, wenn der meine Wunde sehen würde. 'Sofort operieren', würde er sagen. Ich kenne ihn ja den Herrn Professor, schon seit Jahren. Aber bei der Chefvisite hat er ja keine Zeit, und immer ist alles so verbunden. Er kann doch nicht durchsehen durch den dicken Verband. Sehen Sie nur Frau Doktor !"

   Die alte Dame zerrt an der Bettdecke. Ein dickverbundenes Bein kommt zum Vorschein, die Nägel lackiert, die Zehen verkrümmt, wie ausgedorrte Wurzeln übereinanderliegend, der Arm, auf dem die Frau Doktor eine Vene anvisiert hat, wird weggezogen. Die Finger der alten Dame streicheln zärtlich über ihren Fuß.

"Alles geschwollen, sehen sie nur," mit schmerzverzogenem Gesicht massiert die alte Dame mit beiden Händen ihren Fuß. "Sie müssen den Arm ruhig halten," leicht ungeduldig ergreift die junge Ärztin den dünnen Arm. Kraftlos sinkt die alte Dame zurück. Ergeben wartet sie.

Sie weiß schon, das wird nichts. Schon als die junge Ärztin beim Hereinkommen in ihr Blickfeld getreten ist, hat sie die Unsicherheit förmlich riechen können. Der forsche Schritt und das Lächeln haben sie nicht täuschen können. Sie hat es sofort gewusst, die schafft das nicht, mit so einem jungen Gesicht kann die doch keine Erfahrung haben.

   Ein paar Tränen perlen aus den Augen der alten Dame. "Ich bin ja so empfindlich, kein normal Sterblicher, sie können bei mir nicht einfach eine Infusion legen, sie müssen ein Kunstwerk vollbringen. Kein plumpes Stechen, nein, vorsichtig den Arm abtasten, eine meiner dünnen Venen zum Vorschein kommen lassen und dann ganz sacht und behutsam mit der Nadel die dünne Haut durchstechen.

Aber nicht doch Frau Doktor! Nicht so hoch, doch nicht in der Beuge, dann kann ich den Arm nicht mehr abbiegen. Ich muss mich doch waschen können, Frau Doktor. Ich brauche keine Hilfe, na ja es fragt ja auch keiner, und soll ich etwa zu diesen Schwestern etwas sagen? Nein, nein ich mach das schon selbst. Sie müssten mich einmal sehen Frau Doktor, in der Dusche, richtige Turnübungen muss ich da machen um mich zu pflegen und keine Zeit wollen die anderen einem lassen. Klopfen einfach, fragen, wie lange es noch dauert, eine Unverschämtheit. Es sehen doch alle, wie eingeschränkt ich durch meinen Verband bin. Sicher könnte ich früher in die Dusche gehen, aber ich brauche doch meinen Schlaf. Die anderen können doch auch früher aufstehen.

   Ich habe doch schon gesagt, Frau Doktor, auf keinen Fall in die Beuge, Ich brauche doch meine Krücken, und dann drückt die Nadel. Die Krücken gehören ja eigentlich meinem Mann. Er hat sie mir mitgebracht, und wie ich aufpassen muss. Dauernd will sie die Schwester wegräumen, dabei sind sie doch mein Privateigentum, die gehören nicht dem Krankenhaus, wie der Rollstuhl. Den Rollstuhl haben sie mir ja wieder weggenommen. Neben mein Bett hab ich ihn gestellt. Ich kann doch nicht gehen mit meinem Bein. Es ist zu wenig Platz, hat die Schwester gesagt, und jetzt ist er weg, unauffindbar. Ich habe schon auf der ganzen Station gesucht, und dann habe ich meinen Mann angerufen. Der leidet ja so mit mir. Hasi, hat er gesagt, natürlich bringe ich dir die Krücken.

Er ist ja eine Seele von Mensch, mein Mann, so was von lieb, und ganz verloren, wenn ich im Krankenhaus bin. Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt, sie wissen schon in dem Krankenhaus dort, da hat ihm die Frau Oberarzt sogar ein Bett neben meinem angeboten. Sie hätte das schon gedreht, die Frau Oberarzt, irgendwelche Untersuchungen hätte er halt machen müssen. Stellen sie sich vor Frau Doktor, er hat glatt abgelehnt, und dabei habe ich so auf ihn eingeredet. Der wollte doch einfach nicht bei mir im Krankenhaus bleiben. Dabei wäre das so praktisch gewesen. Er hätte mir alles bringen können, zur Frau Oberarzt hätte er auch immer gehen können, wenn ich etwas gebraucht hätte. Na ja was solls, er wollte halt nicht, dabei ist er doch so verloren ohne mich. Natürlich kann er alles selber, ich muss mich ja schon seit Jahrzehnten permanent schonen, aber er braucht halt meine Anweisungen."

Gedankenverloren schaut sich die alte Dame die Bemühungen der jungen Ärztin an.

   "Hier, ja das hier, wäre die richtige Stelle. Wie, Sie finden hier keine Vene? Aber der Herr Stationsarzt, der hat sie sofort gefunden. Na sehen Sie, Frau Doktor, hier ist doch eine." Plötzlich beißt die alte Dame die Zähne zusammen: "Das tut weh! Was machen Sie denn da, Frau Doktor. Sehen Sie denn nicht , die Vene ist zu dünn, ich habe es ja gleich gewusst!"

Entnervt zieht die junge Ärztin die Nadel wieder heraus.

"Soll ich ihnen die Infusion auf den Handrücken legen?" "Nein das geht nicht. Das ist doch zu schmerzhaft. Sie können sie auch nicht festkleben. Wissen sie, meine Haut verträgt doch kein Pflaster". Vorwurfsvoll deutet sie auf die roten blutunterlaufenen Stellen auf ihrem Arm.

"Sehen Sie nur, hier war die vorige Leitung festgeklebt. Die wollten mir die Leitung nicht entfernen, obwohl ich gesagt habe, dass sie heraus muss. Ich habe sie doch schon zwei Tage an derselben Stelle gehabt. Viermal habe ich darum gebeten. Die muss raus, habe ich gesagt, da ist doch schon alles rot und blau. Ich habe dann auch der Nachtschwester erzählt, dass sie mir im anderen Krankenhaus immer einen Alkoholumschlag daraufgegeben haben, aber glauben sie, die hat darauf reagiert. Einfach umgedreht hat sie sich, und ist gegangen, ohne sich um mich zu kümmern.

   Und jetzt haben Sie leider die undankbare Aufgabe, eine Vene zu finden und eine Leitung zu legen. Ich weiß Frau Doktor, sie haben es schwer mit mir, aber was glauben sie, was ich schon alles mitgemacht habe. So viele Untersuchungen, und mein Herz Frau Doktor. Diese Nacht habe ich schon wieder Schmerzen in der Brust gehabt. Ich habe denen ja gleich gesagt, ich brauche meine Tabletten, von wegen das EKG ist in Ordnung und der Internist ist zufrieden. Ich kenne doch meinen Körper. Wie? Sie können mir die Tabletten auch nicht geben? Also ich muss mich doch irgendwie mit der Frau Oberarzt von der Station C in Verbindung setzen, die kennt mich, die weiß was ich brauche."

Die Ärztin nimmt die Nadel und sticht vorsichtig zu. Sie hat eine Vene gefunden, gleich über dem Handgelenk. Die Leitung ist gelegt. Die Fixierung mit einem Pflaster nimmt die alte Dame mit Stirnrunzeln und missbilligendem Blick zur Kenntnis. "Danke Frau Doktor, das haben Sie gut gemacht." Erleichtert verlässt die junge Ärztin fluchtartig das Krankenzimmer.

   Der Ehemann der alten Dame tritt an ihr Bett. Vorwurfsvoll streckt sie ihm ihren Arm entgegen. "Schau doch nur, wie sie das wieder gemacht hat. Das drückt doch, wenn ich meine Krücken nehme."

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