Umgeben von schlaffer,
gelber Haut, durchzogen von einem blauen Gewirr, streckt sich ein dünner Arm
der Ärztin entgegen. "Meine Haut ist so empfindlich,
wissen Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker hat so eine
kaputte Haut. Ich bin nervös, weil ich gestochen werde und Sie
sind nervös, weil Sie eine Vene finden müssen. Aber
der Stationsarzt, der kann das, der findet immer eine. Ja meine Haut, so
empfindlich, angegriffen durch das viele Cortison und Sie sehen ja, wie dünn
ich bin, wissen Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker
soll nie zu viel Gewicht haben". Unablässig sprudeln
die Worte aus dem alten Mund.
Die alte Dame liegt
zurückgelehnt im Bett. Spitzennachthemd, Bettjäckchen, die weißen Haare
kunstvoll frisiert, die Brauen sorgfältig gezupft, am Nachttisch sind die
Pflegeprodukte aufgebaut. Alles legt Zeugnis ab: Seht her, hier liegt sie,
die schöne gepflegte Dame, die so krank ist, die schon seit Jahrzehnten an
Asthma leidet, ihre Bürde, die sie immer wieder vorweisen kann, als
Schutzschild gegen alle Unbilden, die ihr begegnen könnten.
"Wissen
Sie Frau Doktor, ein Asthmakranker braucht besondere
Pflege, und frische Luft Frau Doktor, jedes Jahr diese Anfälle, alle paar
Monate müssen sie mich im Krankenhaus aufnehmen. Ich brauche diese
Infusionen doch, obwohl, seit wir dieses Haus in Pula
haben, na ja eigentlich hat es meine Tochter gekauft, die in Deutschland,
sie verdient ja einen Batzen Geld, dafür arbeitet sie auch, morgens um
sieben Uhr ins Büro und abends wird es meistens elf Uhr,
bis sie nach Hause kommt. Na ja, Sie wissen ja, die
rechte Hand vom Chef. Das Haus hat sie gekauft, obwohl eigentlich ist es für
Ausländer verboten, Grundbesitz zu erwerben, aber mit
Geld".
Vielsagend
fuchtelt die Hand unter dem Gesicht der Ärztin. "Und
wir haben ein Appartement dazugebaut. Kleine Küche, Schlafzimmer, Dusche,
aber so nett, und überall Kissen. Ich kann doch nicht auf einem harten Stuhl
sitzen, sie sehen ja, wie dünn ich bin, nur Haut und Knochen. Kennen
Sie die dicke Dame auf Station C,
auch Asthma, aber so fett, na die stopft auch, keiner kann mir was
erzählen, von wegen Diät, alles stopft die in sich hinein, obwohl ich ihr
immer wieder sage, ein Asthmakranker muss auf sein
Gewicht achten. Sie sehen ja Frau Doktor, ich esse wie ein Vogel, ein paar
Bissen, aber nur vom Besten, und kein schwarzes Brot.
Da hat mir doch die
Schwester ein dunkles Brot gebracht, ich habe sie doch heute morgen gebeten,
mir eine Kleinigkeit zum Essen zu bringen, ich kann doch die Schmerztablette
nicht auf nüchternem Magen nehmen, dann wird mir übel, so wie gestern, Frau
Doktor, stellen sie sich das vor, ich habe es gerade noch zum Waschbecken
geschafft, und diese Frechheit, beschwert sich doch die Schwester, dass das
Waschbecken voll ist. Soll ich bei meinem Zustand auch noch selber putzen?"
Leidgeprüft streicht die
beringte Hand zart über die eigene Stirn.
"Ja
also diese Luft am Meer, seit wir dort das Appartment haben, geht es mir ja
viel besser, seit März war ich nicht mehr im Krankenhaus, und auch jetzt
wäre ich noch am Meer, wenn dieses Unglück nicht geschehen wäre. Ein Brett,
ich stelle es zur Seite, und es fällt, fällt genau auf mein Bein und reißt
eine Wunde. Ich habe geblutet Frau Doktor, alles voll Blut, und mein Mann,
meint der doch noch, ich wäre ungeschickt, ich habe gleich gesagt,
du hättest es ja selbst zur Seite stellen können.
Wir sind so wie wir waren,
aber wir sind ja immer gepflegt in das Krankenhaus gefahren, die kennen mich
dort ja schon so gut. 'Guten Tag, gnädige Frau,'
hat mich der Herr Oberarzt gleich begrüßt, 'sie haben
aber auch ein Pech.' Ich habe ihm sofort gesagt:
'Nicht nähen, meine Haut heilt doch nicht, das muss
operiert werden,' und was machen die ? Fünf Nähte!
Schmerzen waren das, und hier mussten sie wieder entfernt werden. Wissen sie
Frau Doktor, bei der letzten Verletzung, da habe ich die Frau Oberarzt
angerufen. Kommen Sie sofort Frau Goldmann,
hat sie gesagt. Um halb elf war ich auf ihrer Station und der Herr
Professor, als der meine Wunde gesehen hat -'Sofort
operieren'- hat er gesagt.
Also um halb elf war ich
im Krankenhaus und um elf Uhr schon auf dem Operationstisch, sie haben mich
sofort vorgezogen. Und dieses Mal, seit einer Woche
liege ich schon da, immer nur Infusionen und diese Schmerzen, aber die Frau
Oberarzt hat ja kein Bett für mich gehabt. Wenn ich auf Ihrer
Station wäre, würden sie mich nicht so liegen lassen. Aber sie hat ja
gesagt, es tut ihr so leid, kein Bett, auf Wochen alles belegt. Beim
Verbinden lasse ich sie immer anpiepsen, damit sie meine Wunde sieht, damit
sie denen sagen kann, dass das nicht heilt.
Aber sie ist nie
erreichbar, sie hat ja so viel zu tun, vielbeschäftigt, immer da für ihre
Patienten. Dabei kennt sie meine Haut und der Herr Professor auch, wenn der
meine Wunde sehen würde. 'Sofort operieren',
würde er sagen. Ich kenne ihn ja den Herrn Professor, schon seit Jahren.
Aber bei der Chefvisite hat er ja keine Zeit, und immer ist alles so
verbunden. Er kann doch nicht durchsehen durch den dicken Verband. Sehen
Sie nur Frau Doktor !"
Die alte Dame zerrt an der
Bettdecke. Ein dickverbundenes Bein kommt zum Vorschein, die Nägel lackiert,
die Zehen verkrümmt, wie ausgedorrte Wurzeln übereinanderliegend, der Arm,
auf dem die Frau Doktor eine Vene anvisiert hat, wird weggezogen. Die Finger
der alten Dame streicheln zärtlich über ihren Fuß.
"Alles
geschwollen, sehen sie nur," mit schmerzverzogenem Gesicht massiert die alte
Dame mit beiden Händen ihren Fuß. "Sie müssen den Arm
ruhig halten," leicht ungeduldig ergreift die junge Ärztin den dünnen Arm.
Kraftlos sinkt die alte Dame zurück. Ergeben wartet sie.
Sie weiß schon, das wird
nichts. Schon als die junge Ärztin beim Hereinkommen in ihr Blickfeld
getreten ist, hat sie die Unsicherheit förmlich riechen können. Der forsche
Schritt und das Lächeln haben sie nicht täuschen können.
Sie hat es sofort gewusst, die schafft das nicht, mit so einem jungen
Gesicht kann die doch keine Erfahrung haben.
Ein paar Tränen perlen aus
den Augen der alten Dame. "Ich bin ja so empfindlich,
kein normal Sterblicher, sie können bei mir nicht einfach eine Infusion
legen, sie müssen ein Kunstwerk vollbringen. Kein plumpes Stechen, nein,
vorsichtig den Arm abtasten, eine meiner dünnen Venen zum Vorschein kommen
lassen und dann ganz sacht und behutsam mit der Nadel die dünne Haut
durchstechen.
Aber nicht doch Frau
Doktor! Nicht so hoch, doch nicht in der Beuge, dann kann ich den Arm nicht
mehr abbiegen. Ich muss mich doch waschen können,
Frau Doktor. Ich brauche keine Hilfe, na ja es fragt ja auch keiner, und
soll ich etwa zu diesen Schwestern etwas sagen? Nein, nein ich mach das
schon selbst. Sie müssten mich einmal sehen Frau Doktor, in der Dusche,
richtige Turnübungen muss ich da machen um mich zu
pflegen und keine Zeit wollen die anderen einem lassen. Klopfen einfach,
fragen, wie lange es noch dauert, eine Unverschämtheit. Es sehen doch alle,
wie eingeschränkt ich durch meinen Verband bin. Sicher könnte ich früher in
die Dusche gehen, aber ich brauche doch meinen Schlaf. Die anderen können
doch auch früher aufstehen.
Ich habe doch schon gesagt,
Frau Doktor, auf keinen Fall in die Beuge, Ich brauche doch meine Krücken,
und dann drückt die Nadel. Die Krücken gehören ja
eigentlich meinem Mann. Er hat sie mir mitgebracht, und wie ich aufpassen
muss. Dauernd will sie die Schwester wegräumen, dabei sind sie doch mein
Privateigentum, die gehören nicht dem Krankenhaus, wie der Rollstuhl. Den
Rollstuhl haben sie mir ja wieder weggenommen. Neben mein Bett hab ich ihn
gestellt. Ich kann doch nicht gehen mit meinem Bein. Es ist zu wenig Platz,
hat die Schwester gesagt, und jetzt ist er weg, unauffindbar. Ich habe schon
auf der ganzen Station gesucht, und dann habe ich meinen Mann angerufen. Der
leidet ja so mit mir. Hasi, hat er gesagt, natürlich bringe ich dir die
Krücken.
Er ist ja eine Seele von
Mensch, mein Mann, so was von lieb, und ganz verloren, wenn ich im
Krankenhaus bin. Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt, sie wissen schon
in dem Krankenhaus dort, da hat ihm die Frau Oberarzt sogar ein Bett neben
meinem angeboten. Sie hätte das schon gedreht, die Frau Oberarzt,
irgendwelche Untersuchungen hätte er halt machen müssen. Stellen sie sich
vor Frau Doktor, er hat glatt abgelehnt, und dabei habe ich so auf ihn
eingeredet. Der wollte doch einfach nicht bei mir im Krankenhaus bleiben.
Dabei wäre das so praktisch gewesen. Er hätte mir alles bringen können, zur
Frau Oberarzt hätte er auch immer gehen können, wenn ich etwas gebraucht
hätte. Na ja was solls, er wollte halt nicht, dabei ist er doch so verloren
ohne mich. Natürlich kann er alles selber, ich muss mich ja schon seit
Jahrzehnten permanent schonen, aber er braucht halt meine Anweisungen."
Gedankenverloren schaut
sich die alte Dame die Bemühungen der jungen Ärztin an.
"Hier,
ja das hier, wäre die richtige Stelle. Wie,
Sie finden hier keine Vene?
Aber der Herr Stationsarzt, der hat sie sofort
gefunden. Na sehen Sie, Frau
Doktor, hier ist doch eine." Plötzlich beißt die alte
Dame die Zähne zusammen: "Das tut weh! Was machen
Sie denn da, Frau Doktor.
Sehen Sie denn nicht , die Vene ist zu dünn, ich habe
es ja gleich gewusst!"
Entnervt zieht die junge
Ärztin die Nadel wieder heraus.
"Soll
ich ihnen die Infusion auf den Handrücken legen?" "Nein
das geht nicht. Das ist doch zu schmerzhaft. Sie können sie auch nicht
festkleben. Wissen sie, meine Haut verträgt doch kein Pflaster".
Vorwurfsvoll deutet sie auf die roten blutunterlaufenen Stellen auf ihrem
Arm.
"Sehen
Sie nur, hier war die vorige Leitung festgeklebt. Die
wollten mir die Leitung nicht entfernen, obwohl ich gesagt habe,
dass sie heraus muss. Ich habe sie doch schon
zwei Tage an derselben Stelle gehabt. Viermal habe
ich darum gebeten. Die muss raus, habe ich gesagt, da ist doch schon alles
rot und blau. Ich habe dann auch der Nachtschwester erzählt, dass sie mir im
anderen Krankenhaus immer einen Alkoholumschlag daraufgegeben haben, aber
glauben sie, die hat darauf reagiert. Einfach umgedreht hat sie sich, und
ist gegangen, ohne sich um mich zu kümmern.
Und jetzt haben
Sie leider die undankbare Aufgabe,
eine Vene zu finden und eine Leitung zu legen. Ich weiß Frau Doktor, sie
haben es schwer mit mir, aber was glauben sie, was ich schon alles
mitgemacht habe. So viele Untersuchungen, und mein Herz Frau Doktor. Diese
Nacht habe ich schon wieder Schmerzen in der Brust gehabt. Ich habe denen ja
gleich gesagt, ich brauche meine Tabletten, von wegen das EKG ist in Ordnung
und der Internist ist zufrieden. Ich kenne doch meinen Körper. Wie?
Sie können mir die Tabletten auch nicht geben?
Also ich muss mich doch irgendwie mit der Frau
Oberarzt von der Station C in Verbindung setzen, die kennt mich, die weiß
was ich brauche."
Die Ärztin nimmt die Nadel
und sticht vorsichtig zu. Sie hat eine Vene gefunden, gleich über dem
Handgelenk. Die Leitung ist gelegt. Die Fixierung mit einem Pflaster nimmt
die alte Dame mit Stirnrunzeln und missbilligendem
Blick zur Kenntnis. "Danke Frau Doktor, das haben
Sie gut gemacht." Erleichtert verlässt
die junge Ärztin fluchtartig das Krankenzimmer.
Der Ehemann der alten Dame
tritt an ihr Bett. Vorwurfsvoll streckt sie ihm ihren Arm entgegen.
"Schau doch nur, wie sie das wieder gemacht hat. Das
drückt doch, wenn ich meine Krücken nehme." |