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Unter Philanthropen
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"Was haben Sie gegen den Ozean voll Liebe?" fragte ich den örtlichen Wurstfabrikant,
den Konditor, den Flutlichtanlagenhersteller und den Redakteur der
schwarzen Lokalparteizeitung. Sie gaben mir keine Antwort.

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V
on Peter Hodina
(01. 05. 2007)

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Peter Hodina
peterhodina@hotmail.com

geboren 1963 in Salzburg.
Studium der Theologie,
Philosophie, Politikwissenschaft
und Publizistik in Salzburg.
Lebt und arbeitet als freier
Autor in Gallneukirchen
(Österreich) und Berlin.

Preise

Harder Literaturpreis
(2000). Förderpreis der
Rauriser Literaturtage (2004).

Veröffentlichungen

Die Meuterei der Lemminge,
Essay (Hecht-Druck, 2001).

Aurora-Homepage
Peter Hodina

 

 

 

 

 

 

   Kritisches Denken müsse er unbedingt vermitteln. Und auch seine schon früh gekostete Bitterkeit, in der er sich gefiel, anderen aufdrücken. Die Welt sei kein bequemes Bett. Man müsse es den anderen so unbequem und unerträglich wie nur möglich machen.

"Besser ein Tropfen Gutes als ein Ozean voll Liebe", diesen Spruch aus einem Elitebewegungskalender hatte er allzeit parat. Zu vorgerückter Stunde lallte er jedoch: "Besser ein guter Tropfen als ein Ozean voll Liebe!" Und soweit ihnen noch möglich, erhoben die Umsitzenden ihre Gläser.

Der Besitzer der örtlichen Wurstfabrik, der mit dem Slogan "Tausend Prozent" warb (wobei nicht klar wurde, worauf sich dieses "Tausend Prozent" beziehen sollte), der reichste Mann des Ortes, dessen Vater sich urplötzlich erhängt hatte (wo doch die Geschäfte florierten und weiter florieren würden), ließ den Spruch mit dem "Tropfen Gutes" sogar neben den Geschäftseingang schrauben, auf einem Schild aus Plexiglas. So gut musste ihm dieser Spruch zu Munde sein.

   Aber der Spruch war mit einem roten Streifen durchgestrichen, der sich als Diagonale von links oben nach rechts unten zog. Nicht ein Gegner dieses Spruches hatte ihn durchgestrichen, sondern der ihn schrauben lassende Fleischermeister selbst. Und sämtliche Briefe und Aussendungen, die sowohl von seiner Firma als auch von dem übrigens weltweit agierenden Eliteclub ausgingen, hatten als Charakteristikum diesen alles wieder durchstreichenden Balken. Sollte er eine Schärpe andeuten, ein Zeichen ganz besonderer Güte? Oder waren diese Männer so weit gekommen, dass sie selbst ihre Wahr- und Merksätze für die Eingeweihten durchstrichen? Auch der Slogan "1000 Prozent" war durchgestrichen.

'Die streichen sich ja alle selber durch’, dachte ich bei mir. Mich wollten sie anwerben, mit ihrem Tropfen Gutes bzw. ihrem guten Tropfen, diese alten Inkontinenzler. Den Ozean voll Liebe wollten sie mir ausreden. Durch Puff und Püffe.

   "Auch Baudrillard mag die ozeanische Liebe nicht", sagte mein bitterer Lehrmeister, "und zieht stattdessen den Begriff 'Verführung' vor." Was sollte mich das eher geneigt machen? Sollte der überhebliche, vom Lasterleben gezeichnete feige Bitterling doch auch noch andere beliebte Geschütze anfahren, wie unseren alten Pulverkopf Nietzsche, es würde bei mir nichts nützen. Es ist zwar der Ozean voll Liebe auch nicht gerade verteidigenswerter als ein wolkenloser Himmel oder eine wohlgeformte, glatt abgegangene schmerzlose Wurst in der Klomuschel, aber deswegen ist der Tropfen Gutes noch lange nicht mein Freund. Der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Sollen die Herrschaften doch hintropfen lassen, wohin sie wollen, das kratzt mich nicht und macht mich ihnen nicht geneigter. Wieso hatten sie es darauf angelegt, mir diesen Hirnfick zu verpassen, diese Hirnficker?

Der akademische Hirnficker zusammen mit dem Wurstfabrikant, dem Konditor und dem Flutlichtanlagenhersteller und dem Redakteur der schwarzen Lokalparteizeitung.

"Der Tropfen Gutes ist wie die kandierte Kirsche auf dem Punschkrapferl." Der Konditor glaubte, geistreich sein zu müssen.

   Ich verstand ihre Mühe nicht. Dass sie mich wegen eines derartig abgeschmackten Spruches förmlich belagerten. Dass dieser Tropfen Gutes unbedingt als Pille gegen den Ozean voll Liebe von mir hinuntergeschluckt werden müsse, als Vorbedingung zu allem Weiteren.

"Was haben Sie gegen den Ozean voll Liebe?" fragte ich sie. Sie gaben mir keine Antwort. "Was meinen Sie denn mit Ozean voll Liebe? Meinen Sie ein gewisses Wohlgefühl, das sich ausdehnen möchte? Wärme? Oder steht Ozean voll Liebe in Ihrem elitären Männerbund als Metapher für das Weibliche, der Tropfen für das Männliche? Oder ist der Ozean menschheitsverbrüderungsverdächtig, während der Tropfen die Kirche im Dorf lasse? Was bringt den Tropfen Gutes denn unbedingt in einen Gegensatz zum Ozean voll Liebe? Wieso diese Anstrengungen, einen Ozean voll Liebe durch das Hinfallenlassen des einen oder anderen Tröpfelchens zu bekämpfen?"

Die Herren nickten nur wisserisch und ablehnend. Sie hatten in mir den typischen Belehrungsfall vor sich sitzen, der sich nicht widerstandslos schanghaien lassen würde.

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