
Bert Kallenbach
BertKallenbach@t-online.de
geboren
1954 in Storkow/Mark
(Deutschland). 1976-1980
Studium der Germanistik und
Theologie.
Seit 1982 als Lehrer
in Alfeld (Niedersachsen).
1982- 1995 Verleger und
Herausgeber (Verlag
der
Handzeichen, Düsseldorf/
Sulzbach/Alfeld und Alfelder
Bücher Cie).
2002 Wieder-
aufnahme schriftstellerischer
Arbeiten
"Graublau schwamm der
Himmel über einer aufgewühlten Nordsee und Möwen zerschnitten mit ihren
heiseren Schreien die Wolken. Das Unterseeboot stampfte zu seiner ersten
Probefahrt durch das Wasser, Gischt flog zischend auf. Die Menschen am Kai
wurden immer kleiner, am Horizont lockte der dünne Faden der Unendlichkeit
zwischen Himmel und Meer."
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1907
Irgendwann
im Herbst 1907 krochen Arbeiter aus ihren Betten und stapften mit schwerem
Mut und müden Armen und Beinen die Wege hinein in die Weinberge. Der Morgen
lag noch in leichtem Nebel, auf den Herdplatten zerkochte die restliche
Milch für den Kaffee und von der Nacht zerzauste Katzen schlichen
misstrauisch um achtlos hingestellte Näpfe.
Länger als zwei Wochen
hatten die Männer schon in den Weinbergen gearbeitet. Während dieser Tage
war die Luft erfüllt vom Geruch der gepressten Trauben. Er hing über jedem
Dorf der Champagne, webte langsam einen Mantel aus Frieden und
Glückseligkeit und machte die Menschen so froh, dass sie – so wie in jedem
Jahr – zum Abschluss der Lese ein Fest feierten.
Sie
drehten sich zur Musik im Kreis auf den blanken Holzbohlen und hielten sich
– Männer und Frauen
– mit ihren braungebrannten Händen an den Hüften fest.
Jemand fiel atemlos in eine Ecke und griff nach den Gläsern, in denen der
Champagner die schönsten Perlenketten der Vergänglichkeit, die es nur geben
konnte, hervorrief. Dem Mädchen, das er in seinen Armen hielt, flüsterte ein
anderer kurz vor den schönsten Küssen, die ihm der Herbst schenken konnte,
Liebesworte zu. Kinder krochen vergnügt unter Tischen, zwischen Stühlen
hindurch und freuten sich, dass man vergaß, sie ins Bett zu bringen.
Während diese Gefühle sich
so in ihnen allen versenkt hatten, lagen viele Meter unter ihnen in
kilometerlangen Stollen Tausende von Champagnerflaschen. Auf Schiefertafeln
waren bereits Hinweise für spätere Besitzer hineingeritzt worden. Viele
Hunderte der Flaschen waren für den russischen Zaren bestimmt. Sie sollten
unter dem Namen "Heidsieck & C. Monopole Goût Américaine Vintage 1907"
berühmt werden. Noch aber lagen sie – von
geübten Händen in bestimmten Intervallen jeden Tag ein kleines Stück gedreht
– Tag für Tag, Nacht für Nacht, Sommer und Winter in gleichbleibend kühler
Dunkelheit.
1911
Es war
die Kälte des Stahls, die ihnen das Gefühl einflößte, sie hätten die Kraft,
alles zu beherrschen. Die Männer standen in der großen Halle und ballten mit
einer beherrschten Genugtuung die Fäuste in den Taschen ihrer ölverschmierten Hosen. Der in ganz Europa herrschende Imperialismus
hatte ihr Gehirn infiziert. Dessen Zellen waren nun geglättet und für jede
Art von Kritikfähigkeit immun.
So breitete sich der
blinde Stolz ungehindert in ihnen aus. Sollte der Krieg ruhig kommen: sie
hatten das Unterseeboot Nummer 22, das jetzt mit einem metallenen Schmirgeln
langsam auf Schienen in das Wasser glitt, in monatelanger Arbeit gebaut,
nachdem ihre Werft im November 1910 den Auftrag hierfür erhalten hatte.
Graublau schwamm der
Himmel über einer aufgewühlten Nordsee und Möwen zerschnitten mit ihren
heiseren Schreien die Wolken. Das Unterseeboot stampfte zu seiner ersten
Probefahrt durch das Wasser, Gischt flog zischend auf. Die Menschen am Kai
wurden immer kleiner, am Horizont lockte der dünne Faden der Unendlichkeit
zwischen Himmel und Meer.
1916
Der
zwanzig Meter lange Zweimaster Jönköping, ein schwedischer Schoner, der 1896
gebaut worden war, hatte am 28. Oktober 1916 den schwedischen Hafen Gävle
verlassen. Er befand sich mit Konterbande beladen auf dem Weg nach Raumo im heutigen
Finnland, damals zum Russischen Reich gehörend. Eine verbotene Menge Stahl,
den Kriegsverlauf nicht beeinflussender Bordeauxwein (zwei Drittel der
Ladung ausmachend), militärisch nur für höhere Ränge bedeutsamer Cognac
sowie fünfzig hölzerne Kisten mit insgesamt 2.800 Flaschen Champagner "Heidsieck & C. Monopole Goût Américaine Vintage 1907", die für den Hof des
russischen Zaren Nikolaus II. bestimmt waren, befanden sich im Bauch dieses
kleinen Schiffes, das wie eine Nussschale den Weg über die Ostsee suchte.
Es war eine der letzten
Lieferungen für den Zaren, die über Schweden nach Sankt Petersburg
exportiert werden sollte, dort aber nie ankam. Denn am Morgen des 3.
November 1916 wurde der Zweimaster am Bottnischen Meerbusen von dem
deutschen U-Boot U 22 gestoppt. Der Besatzung des Schoners wurde
unmissverständlich klar gemacht, sie habe augenblicklich das Schiff zu
verlassen; Erikson, der Kapitän der Jönköping, machte noch vergeblich das
Angebot, die Ladung über Bord zu werfen oder in den nächsten deutschen Hafen
zu bringen. Bruno Hoppe, der deutsche U-Boot-Kommandant lehnte ab. Er schlug
den Kragen seines graublauen Ledermantels hoch, wandte sich mit einer
kurzen, kantigen Bewegung ab und verschwand mit einer gleitenden Bewegung
durch eine ovale Röhre im Stahlmantel seines Unterseebootes. Kurze Zeit
später ließ er die Jönköping versenken.
Im fernen Moskau stand zu
diesem Zeitpunkt der Zar mit seinen glücklosen Generälen über Karten
gebeugt. Noch ein Jahr lang würden sie dies Tag für Tag wiederholen können,
bevor sie die Oktoberrevolution hinwegfegen würde.
1997
Mehr als achtzig Jahre
lang lag das Schiff in einer Tiefe von 64 Metern, etwa 30 Kilometer vor der
finnischen Küste. Die ungewöhnlich niedrige
und beständige Wassertemperatur um vier Grad Celsius und der Wasserdruck,
der dem Druck innerhalb der Flaschen entsprach, hielten die Korken fest in
den Flaschenhälsen.
Somit herrschten bis 1997,
als die Jönköping von schwedischen Tauchern der C Star Diving geortet
und mit einem Schwimmkran geborgen wurde, ideale Lagerbedingungen, die auch
den unglaublich guten Erhaltungszustand des Inhalts der Flaschen erklärten.
Davon konnten sich
Teilnehmer einer ersten Verkostung nach der Bergung überzeugen: Der
Champagner hatte die acht Jahrzehnte auf dem Meeresgrund nicht nur überlebt
– vielmehr offenbarte der Inhalt der Flaschen eine geradezu sensationelle
Verfassung. Und Tom Stevenson, Autor
einer bekannten Champagnerenzyklopädie, vermutete in einem ekstatischen
Urteil, dass die Lagerung in der Ostsee dem Champagner eine vorteilhaftere
Entwicklung habe nehmen lassen, als wenn die Flaschen in dem tiefsten
Gewölbe der Champagne gelegen hätten.
2001
Am Samstag, dem 16. Juni
2001, kam im Hamburger Hotel "Vier Jahreszeiten" eine Champagner-Rarität der
besonderen Art unter den Hammer: 15 Flaschen "Heidsieck & C. Monopole Goût
Américaine Vintage 1907". Sie waren einer der Höhepunkte der 36. Weinauktion
von Koppe & Partner.
Die 15 Flaschen wurden auf
Grund schriftlicher Gebote zu Preisen zwischen 970 Mark und 1.310 Mark
aufgerufen und zwischen 1.120 Mark und 1.490 Mark zugeschlagen. Ingesamt
brachten die 15 Lots die Summe von 19.310 Mark. Damit blieb die
Versteigerung hinter den Erwartungen zurück, denn das Auktionshaus hatte
ursprünglich mit Spitzenpreisen jenseits von 2.000 Mark gerechnet. Gegenüber
früher erzielten Preisen gingen die Flaschen in Hamburg quasi zu
"Schnäppchenpreisen" über den Tisch.
Später schrieb Mario
Scheuermann, eine erste Überraschung sei die Farbe des Champagners gewesen:
ein helles, glockenreines Goldgelb, brillant und leuchtend. Der Duft sei dem
eines reifen Burgunders ähnlich gewesen: Haferflocken, etwas Nuss und Müsli,
viel Honig, Karamell und Vanille, dazu wunderbar reiche tropische Frucht. Am
Gaumen habe er zwar schon ein weitgehend reduziertes Mousseux gezeigt, aber
dennoch frisch nach reifer Ananas, Mango und Grapefruit geschmeckt. Erst
nach zehn bis zwanzig Minuten habe ein Oxydationsprozess begonnen, wobei die
Veränderung in Richtung eines sehr feinen halbtrockenen Fino Sherrys
gegangen sei. Insgesamt, so urteilte Scheuermann, handle es sich um einen
Superchampagner, dem es lediglich auf Grund des Alters etwas an Perlage und
auch etwas an der Länge des Abgangs fehle.
Eine Flasche, die vor der
Auktion geöffnet wurde, war in ähnlich gutem Zustand, vielleicht sogar noch
eine Spur frischer. Und Hardy Rodenstock berichtete über zwei Flaschen, die
er in Hongkong blind verkostet hat, dass sie ebenfalls von einer
eindrucksvollen Frische und Jugend gewesen seien, so dass man sie nie für
über 90 Jahre alt gehalten hätte.
Epilog
Die meisten der
ursprünglich 2.800 Flaschen wurden in den USA verkauft, teilweise über
normale Handelskanäle. Einige wurden versteigert, wie zum Beispiel bei
Christies in London, wo ca. 3.800 Dollar für eine Flasche gezahlt wurden. In den Staaten, wo es
einige Auktionen in New York gab, lagen die Preise teilweise weit darüber,
nämlich zwischen 5.000 und 13.000 Dollar.
Die Hamburger Auktion
sollte nach Aussagen von Crewmitglied Claes Bergvall, der zusammen mit
seinem Kollegen Dan Lindhé die Flaschen in Hamburg präsentierte, die letzte
in Europa sein. Danach werde es nur noch eine Versteigerung mit einem
allerdings großen Lot im asiatischen Raum geben.
Die Schatzsucher
versenkten das Schiff, das sie tags zuvor vom Meeresgrund geborgen hatten,
wieder in der Ostsee. Es sei zu stark beschädigt gewesen, um an Land
geschleppt zu werden, sagte einer der Expeditionsteilnehmer. Etwa fünfhundert Flaschen
sollen sich noch im Besitz des Teams befinden.
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