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Der Champagner des Zaren
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Eine dokumentarische Erzählung
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Das Berliner Kaufhaus "KaDeWe" bot im Juni 2004 eine Flasche Champagner
aus dem Besitz des letzten russischen Zaren an. Sie lag einzeln und sorgfältig gebettet in
einer Holzkiste in einem kleinen Raum des obersten Stockwerks. Neben der Kiste
befand sich Schild, auf dem in zwei, drei Sätzen die Geschichte der Champagner-
flasche umrissen wurde. Es folgte die Nennung des Preises: 4.350 €.

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V
on Bert Kallenbach
(01. 04. 2007)

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Bert Kallenbach
BertKallenbach@t-online.de

geboren 1954 in Storkow/Mark
(Deutschland).
1976-1980
Studium der Germanistik und
Theologie. Seit 1982 als Lehrer
in Alfeld (Niedersachsen).
1982- 1995 Verleger und
Herausgeber (Verlag der
Handzeichen, Düsseldorf/
Sulzbach/Alfeld und Alfelder
Bücher Cie). 2002 Wieder-
aufnahme schriftstellerischer
Arbeiten

 

"Graublau schwamm der Himmel über einer aufgewühlten Nordsee und Möwen zerschnitten mit ihren heiseren Schreien die Wolken. Das Unterseeboot stampfte zu seiner ersten Probefahrt durch das Wasser, Gischt flog zischend auf. Die Menschen am Kai wurden immer kleiner, am Horizont lockte der dünne Faden der Unendlichkeit zwischen Himmel und Meer."

 

 

 

 

 

 

 

1907

   Irgendwann im Herbst 1907 krochen Arbeiter aus ihren Betten und stapften mit schwerem Mut und müden Armen und Beinen die Wege hinein in die Weinberge. Der Morgen lag noch in leichtem Nebel, auf den Herdplatten zerkochte die restliche Milch für den Kaffee und von der Nacht zerzauste Katzen schlichen misstrauisch um achtlos hingestellte Näpfe.

Länger als zwei Wochen hatten die Männer schon in den Weinbergen gearbeitet. Während dieser Tage war die Luft erfüllt vom Geruch der gepressten Trauben. Er hing über jedem Dorf der Champagne, webte langsam einen Mantel aus Frieden und Glückseligkeit und machte die Menschen so froh, dass sie – so wie in jedem Jahr – zum Abschluss der Lese ein Fest feierten.

   Sie drehten sich zur Musik im Kreis auf den blanken Holzbohlen und hielten sich – Männer und Frauen – mit ihren braungebrannten Händen an den Hüften fest. Jemand fiel atemlos in eine Ecke und griff nach den Gläsern, in denen der Champagner die schönsten Perlenketten der Vergänglichkeit, die es nur geben konnte, hervorrief. Dem Mädchen, das er in seinen Armen hielt, flüsterte ein anderer kurz vor den schönsten Küssen, die ihm der Herbst schenken konnte, Liebesworte zu. Kinder krochen vergnügt unter Tischen, zwischen Stühlen hindurch und freuten sich, dass man vergaß, sie ins Bett zu bringen.

Während diese Gefühle sich so in ihnen allen versenkt hatten, lagen viele Meter unter ihnen in kilometerlangen Stollen Tausende von Champagnerflaschen. Auf Schiefertafeln waren bereits Hinweise für spätere Besitzer hineingeritzt worden. Viele Hunderte der Flaschen waren für den russischen Zaren bestimmt. Sie sollten unter dem Namen "Heidsieck & C. Monopole Goût Américaine Vintage 1907" berühmt werden. Noch aber lagen sie – von geübten Händen in bestimmten Intervallen jeden Tag ein kleines Stück gedreht – Tag für Tag, Nacht für Nacht, Sommer und Winter in gleichbleibend kühler Dunkelheit.

1911

   Es war die Kälte des Stahls, die ihnen das Gefühl einflößte, sie hätten die Kraft, alles zu beherrschen. Die Männer standen in der großen Halle und ballten mit einer beherrschten Genugtuung die Fäuste in den Taschen ihrer ölverschmierten Hosen. Der in ganz Europa herrschende Imperialismus hatte ihr Gehirn infiziert. Dessen Zellen waren nun geglättet und für jede Art von Kritikfähigkeit immun.

So breitete sich der blinde Stolz ungehindert in ihnen aus. Sollte der Krieg ruhig kommen: sie hatten das Unterseeboot Nummer 22, das jetzt mit einem metallenen Schmirgeln langsam auf Schienen in das Wasser glitt, in monatelanger Arbeit gebaut, nachdem ihre Werft im November 1910 den Auftrag hierfür erhalten hatte.

Graublau schwamm der Himmel über einer aufgewühlten Nordsee und Möwen zerschnitten mit ihren heiseren Schreien die Wolken. Das Unterseeboot stampfte zu seiner ersten Probefahrt durch das Wasser, Gischt flog zischend auf. Die Menschen am Kai wurden immer kleiner, am Horizont lockte der dünne Faden der Unendlichkeit zwischen Himmel und Meer.

1916

   Der zwanzig Meter lange Zweimaster Jönköping, ein schwedischer Schoner, der 1896 gebaut worden war, hatte am 28. Oktober 1916 den schwedischen Hafen Gävle verlassen. Er befand sich mit Konterbande beladen auf dem Weg nach Raumo im heutigen Finnland, damals zum Russischen Reich gehörend. Eine verbotene Menge Stahl, den Kriegsverlauf nicht beeinflussender Bordeauxwein (zwei Drittel der Ladung ausmachend), militärisch nur für höhere Ränge bedeutsamer Cognac sowie fünfzig hölzerne Kisten mit insgesamt 2.800 Flaschen Champagner "Heidsieck & C. Monopole Goût Américaine Vintage 1907", die für den Hof des russischen Zaren Nikolaus II. bestimmt waren, befanden sich im Bauch dieses kleinen Schiffes, das wie eine Nussschale den Weg über die Ostsee suchte.

Es war eine der letzten Lieferungen für den Zaren, die über Schweden nach Sankt Petersburg exportiert werden sollte, dort aber nie ankam. Denn am Morgen des 3. November 1916 wurde der Zweimaster am Bottnischen Meerbusen von dem deutschen U-Boot U 22 gestoppt. Der Besatzung des Schoners wurde unmissverständlich klar gemacht, sie habe augenblicklich das Schiff zu verlassen; Erikson, der Kapitän der Jönköping, machte noch vergeblich das Angebot, die Ladung über Bord zu werfen oder in den nächsten deutschen Hafen zu bringen. Bruno Hoppe, der deutsche U-Boot-Kommandant lehnte ab. Er schlug den Kragen seines graublauen Ledermantels hoch, wandte sich mit einer kurzen, kantigen Bewegung ab und verschwand mit einer gleitenden Bewegung durch eine ovale Röhre im Stahlmantel seines Unterseebootes. Kurze Zeit später ließ er die Jönköping versenken.

Im fernen Moskau stand zu diesem Zeitpunkt der Zar mit seinen glücklosen Generälen über Karten gebeugt. Noch ein Jahr lang würden sie dies Tag für Tag wiederholen können, bevor sie die Oktoberrevolution hinwegfegen würde.

1997

   Mehr als achtzig Jahre lang lag das Schiff in einer Tiefe von 64 Metern, etwa 30 Kilometer vor der finnischen Küste. Die ungewöhnlich niedrige und beständige Wassertemperatur um vier Grad Celsius und der Wasserdruck, der dem Druck innerhalb der Flaschen entsprach, hielten die Korken fest in den Flaschenhälsen.

Somit herrschten bis 1997, als die Jönköping von schwedischen Tauchern der C Star Diving geortet und mit einem Schwimmkran geborgen wurde, ideale Lagerbedingungen, die auch den unglaublich guten Erhaltungszustand des Inhalts der Flaschen erklärten.

Davon konnten sich Teilnehmer einer ersten Verkostung nach der Bergung überzeugen: Der Champagner hatte die acht Jahrzehnte auf dem Meeresgrund nicht nur überlebt vielmehr offenbarte der Inhalt der Flaschen eine geradezu sensationelle Verfassung. Und Tom Stevenson, Autor einer bekannten Champagnerenzyklopädie, vermutete in einem ekstatischen Urteil, dass die Lagerung in der Ostsee dem Champagner eine vorteilhaftere Entwicklung habe nehmen lassen, als wenn die Flaschen in dem tiefsten Gewölbe der Champagne gelegen hätten.

2001

   Am Samstag, dem 16. Juni 2001, kam im Hamburger Hotel "Vier Jahreszeiten" eine Champagner-Rarität der besonderen Art unter den Hammer: 15 Flaschen "Heidsieck & C. Monopole Goût Américaine Vintage 1907". Sie waren einer der Höhepunkte der 36. Weinauktion von Koppe & Partner.

Die 15 Flaschen wurden auf Grund schriftlicher Gebote zu Preisen zwischen 970 Mark und 1.310 Mark aufgerufen und zwischen 1.120 Mark und 1.490 Mark zugeschlagen. Ingesamt brachten die 15 Lots die Summe von 19.310 Mark. Damit blieb die Versteigerung hinter den Erwartungen zurück, denn das Auktionshaus hatte ursprünglich mit Spitzenpreisen jenseits von 2.000 Mark gerechnet. Gegenüber früher erzielten Preisen gingen die Flaschen in Hamburg quasi zu "Schnäppchenpreisen" über den Tisch.

   Später schrieb Mario Scheuermann, eine erste Überraschung sei die Farbe des Champagners gewesen: ein helles, glockenreines Goldgelb, brillant und leuchtend. Der Duft sei dem eines reifen Burgunders ähnlich gewesen: Haferflocken, etwas Nuss und Müsli, viel Honig, Karamell und Vanille, dazu wunderbar reiche tropische Frucht. Am Gaumen habe er zwar schon ein weitgehend reduziertes Mousseux gezeigt, aber dennoch frisch nach reifer Ananas, Mango und Grapefruit geschmeckt. Erst nach zehn bis zwanzig Minuten habe ein Oxydationsprozess begonnen, wobei die Veränderung in Richtung eines sehr feinen halbtrockenen Fino Sherrys gegangen sei. Insgesamt, so urteilte Scheuermann, handle es sich um einen Superchampagner, dem es lediglich auf Grund des Alters etwas an Perlage und auch etwas an der Länge des Abgangs fehle.

Eine Flasche, die vor der Auktion geöffnet wurde, war in ähnlich gutem Zustand, vielleicht sogar noch eine Spur frischer. Und Hardy Rodenstock berichtete über zwei Flaschen, die er in Hongkong blind verkostet hat, dass sie ebenfalls von einer eindrucksvollen Frische und Jugend gewesen seien, so dass man sie nie für über 90 Jahre alt gehalten hätte.

Epilog

   Die meisten der ursprünglich 2.800 Flaschen wurden in den USA verkauft, teilweise über normale Handelskanäle. Einige wurden versteigert, wie zum Beispiel bei Christies in London, wo ca. 3.800 Dollar für eine Flasche gezahlt wurden. In den Staaten, wo es einige Auktionen in New York gab, lagen die Preise teilweise weit darüber, nämlich zwischen 5.000 und 13.000 Dollar.

Die Hamburger Auktion sollte nach Aussagen von Crewmitglied Claes Bergvall, der zusammen mit seinem Kollegen Dan Lindhé die Flaschen in Hamburg präsentierte, die letzte in Europa sein. Danach werde es nur noch eine Versteigerung mit einem allerdings großen Lot im asiatischen Raum geben.

Die Schatzsucher versenkten das Schiff, das sie tags zuvor vom Meeresgrund geborgen hatten, wieder in der Ostsee. Es sei zu stark beschädigt gewesen, um an Land geschleppt zu werden, sagte einer der Expeditionsteilnehmer. Etwa fünfhundert Flaschen sollen sich noch im Besitz des Teams befinden.

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