Bisweilen
glaube ich, allen hier fremd und andersartig erscheinen zu müssen. Denn was
ich erlebe, reicht nicht einmal für ein Hallo in der Bäckerei von
gegenüber. Eigentlich erlebe ich gar nichts. Das eintönige Leben eines
Diplom-Arbeitslosen, der schwarz als Kfz-Schrauber den ganzen Tag unter
Autos liegt und Abends auf der Nachbarin. Ein vielzujähriger
Sperrmüll-Philosoph mit rhythmisch poliertem Denken, der durch seine
Lebensumstände zum Biomasseklotz mit geballter Lebensunfähigkeit degeneriert
ist.
Eltern halten ihre
Töchter, Hunde und Güte vor mir zurück, vielleicht weil mittlerweile
verfassungsfeindliche Motive auf meiner verkifften Haut tätowiert sind. Wenn
ich ausnahmsweise dann doch mal kurz mit anderen rede, fragen diese gar
nichts.
Sind das die Auswirkungen
der Arbeitslosigkeit? Durch die schwache Individuen, sogenannte krankhafte
Reformablagerungen geschaffen wurden. Die dazu auserwählt sind, von den
Erfolgreichen, den werteorientierten Neokapitalisten als ergebene Opfer
ausgenutzt, versklavt und gnadenlos rasiert zu werden. Das ganze nennt sich
Taschengeld-Empfänger-Reform, wo mit besten Absichten nur an das Wohl des
Volkes und nicht an den hellen Klang von Münzen gedacht wurde. Hartz, ein
aus unverständlichen Gründen verkanntes Genie (kann man den auch rauchen?).
Der durch göttliche Eingebungen plus geheiligtes Hirn in der Lage ist, einen
gerechten Schöpfungsplan für die geliebten Arbeitslosen aufzustellen, die
man dann als Frischfleisch an McDonald’s für den "McUnemployed" verhökert.
Merkeln die eigentlich gar nichts mehr?
Dann war es wieder soweit:
Einer jener Vormittage, an dem eine Kerze Licht und Faulgase Wärme spenden.
Die fettigen Haare hängen wie ungewaschene Topflappen vor den Augen, als die
Einladung der Bundesagentur für Arbeit eintrudelt. Oh, nein. Warum
ich und schon sobald? Mein ausrangierter Körper jammert nach künstlicher
Beatmung. Wie immer so auch jetzt wehre ich mich gegen Dich: Du
unergründliche Bürokratie. Im maroden Nebel kratzt du mechanisch an mir und
hinterlässt hemmungslos Spuren auf meinem Körper, dabei quälst du meine
Zuversicht. Willst mir abgestandene Pisse über den Kopf schütten. Habe ich
etwa die Arbeitslooser-Krise in unserer klingonischen, vielerbrechenden Welt
initialisiert? Weder die Nachbarin noch die Mao-Bibel hatten eine Antwort
darauf parat.
Die unerträgliche
Ansammlung von Verstörten hier im Amt bekommt eine seltsame Prägung, die
sich durch starken Lichteinfall der Neonlampen und jene Alubank, auf der sich
mein unelastischer Schließmuskel verteilt, noch verstärkt. Das ist so lustig,
wie besoffen auf einer afghanischen Beerdigungsfeier unzufällig seine
Kotzgrenze zu überschreiten.
Schon nach wenigen Stunden
vernehme ich meinen Namen: Herr Aschmann. Nicht ohne Kreativität und
dynamisch-zielstrebiger Verbalakrobatik wird hier mein englischer Nachname
Ashman ordnungsgemäß eingemeindet. Ich zucke zusammen und zeige
elementar gelangweilt die Zähne wie ein verhandlungsbereiter Leihvater.
Der vernichtende Blick des
bewusstseinserweichenden Arbeitsberaters trifft mich hart. "Zeigen Sie mal
Ihre Bewerbungen", fordert er ungeduldig. Nach zwei Sekunden kommt ein motivierendes
"Ist das alles? Nur 42 Bewerbungen in einer Woche? Sie müssen mal mehr Gas
geben!"
Ich spüre, wie mir ein
Rostrot in Wangen und Augäpfel steigt und das Herz anfängt zu rattern. Die
Systemauslastung scheint deutlich über 100% zu liegen. Dem Wunsch, hier und
jetzt einen individuellen 11. September zu realisieren und den Himmel über
der Wüste live zu erleben, kann ich mangels Flugzeug und unbequem sitzendem
Sprengstoffgürtel nicht gerecht werden. Doch ich plane eine Plünderungstour
mit anschließendem Seebegräbnis für die aufgedunsene Beamten-Fratze; einer
artverwandten Rasse der Genitalpolypen.
Auf dem Heimweg:
Mir ist zwar die harmonische Gemeinschaft des Hamburger (Eigentor zur Welt)
Großstadtverkehrs sehr ans Herz gewachsen. Trotzdem laufen mir Freudentränen
über die Wangen, als ich meine Schimmelbude mit automatischem Faltklo in dem
grauen vierzehnstöckigen Plattenbau am zweiundsiebzigsten Autobahnkreuz
wieder erreiche.
Endlich im abgestandenen,
faulen Mief zuhause angekommen, habe ich nur zweierlei im Sinn, nämlich 1
Liter Mumienkaffee und den mit Cannabis Sativa veredelten Gummibaum
wegzurauchen. Mainstream-Sauger bin ich nicht, einfach nur ein subtiles
Gemüt, des Lebens sehr müde. Lieber zuschauen als selbst gestalten, ist mein
Motto. Zug für Zug schießt Zufriedenheit in meine Knochen. Bizarre
Zufriedenheit gekoppelt mit herrlicher Gleichgültigkeit. Der Weichspüler
gegen virtuelle Abstürze penetranter Nichtstuer und Delirium-Mutanten wirkt
zuverlässig. Ganz entspannt kann ich vor manischen Depressionen und dem
Leidens- und Sterbedrama, welches Leben genannt wird, fliehen. Innerlich
entzückt entdecke ich schonungslose Untiefen von exzentrischen
Narkoleptikern mit der Illusion von Zeitlosigkeit in einer Art Wolke, die
von wogenden Farben durchzogen wird.
Alles in der Auflösung von
999 DPI. So fühle ich mich wohl. Wie ich da in meinen Ziegenfellmantel
gehüllt rückwärts auf dem selbstständigen Fernsehgerät sitze. Durch die
zerkratzte, silberne Schweißerbrille lese ich über notleidende Menschen in
West-Virginia. Das tue ich immer, wenn ich nicht weiß, was angesagt ist: der
Gravitation Einhalt zu gewähren, dem Arbeitsamt glauben zu schenken oder das
Erbe von Che Guevara anzutreten. |