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Völlig arbeitslost
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Der vernichtende Blick des bewusstseinserweichenden Arbeitsberaters trifft mich
hart. "Zeigen Sie mal Ihre Bewerbungen", fordert er ungeduldig. Nach zwei Sekunden
kommt ein motivierendes "Ist das alles? Nur 42 Bewerbungen in einer
Woche? Sie müssen mal mehr Gas geben!"

V
on Angelo John Ashman
(01. 06. 2007)

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Angelo John Ashman
mr.ashman@gmx.de

war bis zum 02. Juni 1958
noch tot. Dann als verschla-
gener Halbengländer im rus-
sischen Teil von Hamburg aus
der Box gerollt. Sogleich
entschloss er sich für freie
Hieroglyphen und unabhängige
Grammatik, lose begründet auf
der deutschen Rechtschreibung.
Mittlerweile wohnt er abwech-
selnd in Hamburg, Hamburg
und Hamburg und arbeitet
als It-Spezialist.


Publikationen

Seit 1995 kontinuierliche
Aktivitäten in der literarischen
Subkultur. Diverse Internet-
Projekte, Redaktionelle Mitar-
beit beim Valle Boten, Satire-
zeitschrift HERBST, ZYN! und
KulturaX. Oder im Radio:
Factory27, Radio Bremen.


Mehr Texte von
Angelo John Ashman:

randeinwärts am flaschenpostvenster

Organische
Vermögenswerte

Für eine Handvoll
Digitales

   Bisweilen glaube ich, allen hier fremd und andersartig erscheinen zu müssen. Denn was ich erlebe, reicht nicht einmal für ein Hallo in der Bäckerei von gegenüber. Eigentlich erlebe ich gar nichts. Das eintönige Leben eines Diplom-Arbeitslosen, der schwarz als Kfz-Schrauber den ganzen Tag unter Autos liegt und Abends auf der Nachbarin. Ein vielzujähriger Sperrmüll-Philosoph mit rhythmisch poliertem Denken, der durch seine Lebensumstände zum Biomasseklotz mit geballter Lebensunfähigkeit degeneriert ist.

Eltern halten ihre Töchter, Hunde und Güte vor mir zurück, vielleicht weil mittlerweile verfassungsfeindliche Motive auf meiner verkifften Haut tätowiert sind. Wenn ich ausnahmsweise dann doch mal kurz mit anderen rede, fragen diese gar nichts.

   Sind das die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit? Durch die schwache Individuen, sogenannte krankhafte Reformablagerungen geschaffen wurden. Die dazu auserwählt sind, von den Erfolgreichen, den werteorientierten Neokapitalisten als ergebene Opfer ausgenutzt, versklavt und gnadenlos rasiert zu werden. Das ganze nennt sich Taschengeld-Empfänger-Reform, wo mit besten Absichten nur an das Wohl des Volkes und nicht an den hellen Klang von Münzen gedacht wurde. Hartz, ein aus unverständlichen Gründen verkanntes Genie (kann man den auch rauchen?). Der durch göttliche Eingebungen plus geheiligtes Hirn in der Lage ist, einen gerechten Schöpfungsplan für die geliebten Arbeitslosen aufzustellen, die man dann als Frischfleisch an McDonald’s für den "McUnemployed" verhökert. Merkeln die eigentlich gar nichts mehr?

Dann war es wieder soweit: Einer jener Vormittage, an dem eine Kerze Licht und Faulgase Wärme spenden. Die fettigen Haare hängen wie ungewaschene Topflappen vor den Augen, als die Einladung der Bundesagentur für Arbeit eintrudelt. Oh, nein. Warum ich und schon sobald? Mein ausrangierter Körper jammert nach künstlicher Beatmung. Wie immer so auch jetzt wehre ich mich gegen Dich: Du unergründliche Bürokratie. Im maroden Nebel kratzt du mechanisch an mir und hinterlässt hemmungslos Spuren auf meinem Körper, dabei quälst du meine Zuversicht. Willst mir abgestandene Pisse über den Kopf schütten. Habe ich etwa die Arbeitslooser-Krise in unserer klingonischen, vielerbrechenden Welt initialisiert? Weder die Nachbarin noch die Mao-Bibel hatten eine Antwort darauf parat.

   Die unerträgliche Ansammlung von Verstörten hier im Amt bekommt eine seltsame Prägung, die sich durch starken Lichteinfall der Neonlampen und jene Alubank, auf der sich mein unelastischer Schließmuskel verteilt, noch verstärkt. Das ist so lustig, wie besoffen auf einer afghanischen Beerdigungsfeier unzufällig seine Kotzgrenze zu überschreiten.

Schon nach wenigen Stunden vernehme ich meinen Namen: Herr Aschmann. Nicht ohne Kreativität und dynamisch-zielstrebiger Verbalakrobatik wird hier mein englischer Nachname Ashman ordnungsgemäß eingemeindet. Ich zucke zusammen und zeige elementar gelangweilt die Zähne wie ein verhandlungsbereiter Leihvater.

   Der vernichtende Blick des bewusstseinserweichenden Arbeitsberaters trifft mich hart. "Zeigen Sie mal Ihre Bewerbungen", fordert er ungeduldig. Nach zwei Sekunden kommt ein motivierendes "Ist das alles? Nur 42 Bewerbungen in einer Woche? Sie müssen mal mehr Gas geben!"

Ich spüre, wie mir ein Rostrot in Wangen und Augäpfel steigt und das Herz anfängt zu rattern. Die Systemauslastung scheint deutlich über 100% zu liegen. Dem Wunsch, hier und jetzt einen individuellen 11. September zu realisieren und den Himmel über der Wüste live zu erleben, kann ich mangels Flugzeug und unbequem sitzendem Sprengstoffgürtel nicht gerecht werden. Doch ich plane eine Plünderungstour mit anschließendem Seebegräbnis für die aufgedunsene Beamten-Fratze; einer artverwandten Rasse der Genitalpolypen.

Auf dem Heimweg: Mir ist zwar die harmonische Gemeinschaft des Hamburger (Eigentor zur Welt) Großstadtverkehrs sehr ans Herz gewachsen. Trotzdem laufen mir Freudentränen über die Wangen, als ich meine Schimmelbude mit automatischem Faltklo in dem grauen vierzehnstöckigen Plattenbau am zweiundsiebzigsten Autobahnkreuz wieder erreiche.

   Endlich im abgestandenen, faulen Mief zuhause angekommen, habe ich nur zweierlei im Sinn, nämlich 1 Liter Mumienkaffee und den mit Cannabis Sativa veredelten Gummibaum wegzurauchen. Mainstream-Sauger bin ich nicht, einfach nur ein subtiles Gemüt, des Lebens sehr müde. Lieber zuschauen als selbst gestalten, ist mein Motto. Zug für Zug schießt Zufriedenheit in meine Knochen. Bizarre Zufriedenheit gekoppelt mit herrlicher Gleichgültigkeit. Der Weichspüler gegen virtuelle Abstürze penetranter Nichtstuer und Delirium-Mutanten wirkt zuverlässig. Ganz entspannt kann ich vor manischen Depressionen und dem Leidens- und Sterbedrama, welches Leben genannt wird, fliehen. Innerlich entzückt entdecke ich schonungslose Untiefen von exzentrischen Narkoleptikern mit der Illusion von Zeitlosigkeit in einer Art Wolke, die von wogenden Farben durchzogen wird.

Alles in der Auflösung von 999 DPI. So fühle ich mich wohl. Wie ich da in meinen Ziegenfellmantel gehüllt rückwärts auf dem selbstständigen Fernsehgerät sitze. Durch die zerkratzte, silberne Schweißerbrille lese ich über notleidende Menschen in West-Virginia. Das tue ich immer, wenn ich nicht weiß, was angesagt ist: der Gravitation Einhalt zu gewähren, dem Arbeitsamt glauben zu schenken oder das Erbe von Che Guevara anzutreten.

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