Diese
meine redliche Berichterstattung aus dem fernen, nahen Reich des falschen
Seins einer selbstgenügenden literatur- und sprachwissenschaftlichen
Gewaltausübung ist strenggenommen eine Berichtigung dessen, was die bis an
die Zähne mit Floskeln, Gemeinplätzen und Schulterschluss-Bescheinigungen
bewaffneten Statthalter des Metiers so alles aufs Geratewohl zum Besten
geben, "wenn wir Kulturg'schichte moch'n" – und zugleich eine irgendwie
hinterrücks bewerkstelligte Vereinnahmung des vereinnahmenden mainstream.
Sie ist eine mit jähem Knips getätigte Aufzeichnung der letzten Tage der
Germanistik, ein längst fälliges Stirnrunzeln jenes stets geahnten, kaum
bekannten Anderen, der ja gewissermaßen in uns allen steckt, ein
wohlbedachtes prinzipielles Hadern mit der universitären (und sonstigen)
Sprachschnitzerei, ja ein authentisches, unfingiertes Zeugnis. Der es
ablegt, hat die Dinge so gesehen, wie sie sind und will sie nun beim Namen
nennen.
Ach, wie gut,
dass wer was weiß: eine Standortbestimmung aus unbestimmter, weil mit dem mal
seriös, mal untertänig-grotesk geratenen Auf und Ab der Kritik als
Lobredner-Bravourstück oder eben als nüchterne Infragestellung
"unantastbarer" Machtansprüche auf dem heftig umkämpften Gebiet der
Germanistik und der mit allerlei sonst noch zur Verfügung stehenden
sprachlichen Mitteln in die Wege geleitete Argumentation mutierender
Perspektive. Ein Selbstdarstellungsversuch der in Verruf geratenen
Fachrichtung, die sich hiermit ausnahmsweise des strapazierten Bleistifts
eines aufs Ganze gehenden Mitstreiters bedient, um mal kurz in den Spiegel
zu blicken und total aufrichtig zu sagen, was ihr besonders gut gefällt bzw.
was sie besonders anwidert.
"Eine
Germanistik, die in den Spiegel blickt? Was soll das?", kommt gleich die
einfältige, dafür freilich mit ungemein wichtiger Miene hingeschmissene
Gegenfrage vom gut verbarrikadierten Katheder-Kommandocenter, einem
ausgesprochenen Unort der Verhaberung und des Sprachverlusts. "Gibt’s nicht!
Germanistik ist, wenn … Moment. Moment. Moment-Moment …." Gibt’s doch!
Personifizierung wird sowas genannt. Erfolgt meist in Märchen – nur, wir
wollen jetzt nichts vorwegnehmen.
Eine
Skizze, ja das ist leicht getan. Ein semantisch in sich geschlossenes, doch
akustisch breit gefächertes Gemurmel. Ein Projekt – zum Beispiel ein
interdisziplinäres Valorisierungsprojekt. Eine mehr oder weniger an sich
gruselige, eine mehr oder weniger in sich stimmige, eine mehr oder weniger
sozusagen schon rein aus sich selbst heraus kurzweilige Erzählung. A
story. Inside and out, wie wir es so gerne auf gut Englisch sagen
(heutzutage wird Germanistik nämlich auch im nichtangelsächsischen
Sprachraum bekanntlich zunehmend unter dem Deckmantel German Studies
verunglimpft, verklärt, verkauft – oder doch jedenfalls wohlfeil im
Sortiment angeboten). Die Marktschreier des Reviers haben jederzeit ein Kilo
preiswerte Vierzeiler parat: "Kaufen! Kaufen! Kaufen! … Germanistik strahlt
wie Mystik, und ein kleiner Hölderlin ist immer mit drin … dazu reichlich
Paul Celan, und es ist im Nu getan!"
Kein Schwein
hört ihnen zu, doch sie, die fleißigen Marktschreier der philologischen
Machenschaften, berichten sofort (und selbstredend total inbrünstig) in
irgendeinem gottverlassenen Hintertür-Blog an der Ecke von Herrn Akademos
Garten, der miese Untergang sei – schon wieder mal – ein absoluter Erfolg
gewesen. Großes Bärenehrenwort! Und ehe sich das ohnehin schon auf den Hund
gekommene Schulwesen zur Wehr setzen kann, wird ein weiterer nagelneuer Band
mit uralten Exzerpten ins Regal gestellt, gepresst, gestemmt.
Pflichtlektüre? Und ob! Von
Hölderlin bis Celan: Der Autor kam gut an.
"Wie schön! Wie
geil! Wie super-cool! Das Auto kam gut an!", schreibt der recht
wissenschaftlich seufzende Gefälligkeitsrezensent wie ein fügsamer
Schmeichelautomat mit ach! allzubegrenzter Haftung (um es mit unserem Goethe
zu sagen), ohne zu merken, dass er gar nicht rezensiert, sondern bloß jubelt
und schmeichelt – oder halt schlechthin seufzt und schmeichelt – und
kleinlaut gehorsam übernimmt, was immer ihm auch an Universitätsunrat
zugesteckt wird, so dass sein nach langem konzeptlosem Quietschen
schwerfällig aufgetischter Jasager-Text in Wirklichkeit keine Spur von
kritischer Urteilskraft, dabei jedoch freilich jede Menge Kriechertum
aufweist.
Kriechertum,
nicht Griechentum (and one thing’s for sure: Timeo kriecheros et dona
rezensentes). Von Hölderlins Porsche zu Celans Audi. Eine
kulturwissenschaftliche Studie, weiß es ein jeder in fröhlicher
akademischer Leibeigenschaft wirkender Hilfsassistent weiter umzudrehen. Und
sein Herr, der Professor, macht draus flugs
Otto von Bismarck im Viertaktverfahren:
Autobahn for all.
Als wir vor
hundert Jahren, als wir vor hundertfünfzig Jahren, als wir vor
hunderttausend Jahren … Hold on, damals waren andere dran, wir kamen erst …
ja wann? … Zu blöd … Denk! Denk! Denk! Ja wenn’s so leicht wär’ … Geist der
Germanistik, bist du da? Nee, scheint nicht zu Hause zu sein. Well, then
again, Germanistik … Quo … quo also quo was? Schon good Old Winckelmann, von
Old Shatterhand, Old Surehand und Old Firehand ganz zu schweigen … oder wie
war das nun genau? Schon Old Professor Tacitus aus Bologna, Quatsch, aus
Bozen… nein doch! Das ist der falsche Zettel … Mein Gott, Alarmstufe Rot!
... Kamen wir denn überhaupt je so richtig im Beruf an?
Spiegelein,
Spiegelein an der Wand: Die Machtstrukturen der Germanistik sind gegen
derlei Stunden, gegen derlei Minuten, gegen derlei Sekunden der wahren
Erkenntnis und der wahren Selbstbekenntnis vorzüglich gewappnet. Mit
authentischem Unmut und gefälschtem Anstand und einer wunderlich
intrinsischen Sprachkompetenz, die seine Umwelt freilich nur ahnen kann,
gibt der Oberste Befehlshaber der germanistischen Meute ein verstörtes
"Jajajajajajaja ..." von sich, wenn mal was wirklich Zusammenhängendes
gesagt werden soll. Und seine persönlichen Deppen, die beklemmten
Leibeigenen auf dem halbherzig bestellten Acker der sogenannten
Kulturwissenschaften, wiederholen mit vorbildhafter Loyalität:
"Jajajajajajaja ... Richtig an! Richtig an! ...Taramtamtam! ..."
Und
wenn schon: Ob nun wenigstens so halbwegs gereimt oder lieber total
verkehrt, a bisserl angeben darf man ja hoffentlich noch. A little bit. Ein
Quäntchen. Als wir also vor hundert Jahren, nichts als die ureigene
Gänsefeder in der Hand und die Gänsehaut am Hintern und das leckere
Gänsefett in der Pfanne und den in qualvollen Seminaren einstudierten
Gänsemarsch in den Marschhöfen der Komparatistik und die solide
Ellböglerphilosophie im Kopf und das dünne Wendehalsblut in den Adern und
den Freibrief vom König und Kaiser und Präsidenten und Rektor in der
Hosentasche und …
Als wir also mit
kollegialen Seitenhieben, wollte sagen mit kollegialen Seilschaften … auch
nicht; mit kollegialen …Ach was! … Als wir … und das will jetzt heißen, als
ich … ich, ich, ich! … also hier ist das Foto: Das bin ich, nein, nicht da
hinten, wo denken Sie hin, das ist der Dings, der …. oh well, who cares? Ich
bin natürlich ganz, ganz vorne. Gold! Klar. Das bin ich. Anno ... ja
was für ein Jahr schrieb man denn? … Stimmt, right on, dude, 's war ja kein
bestimmtes Jahr per se … weder an sich noch für uns, um es mit Kant zu … mit
Kant zu … nee, das war der Dings, glaub ich, Professor Mikantsu aus Fuji- …
Fuji-Fuji … Ja. Professor Mikantsu. A kollegialer Kollege. Der ist immer
anständig und gehorsam und lieb und gefällig und voller Lob und so
hundertprozentig germanistisch aufgelegt. Hat auch mein magistrales
Meisterwerk, Mir moch‘n Germanistik, ganz, ganz nett rezensiert. Ich
hab ihm natürlich gesagt, was er schreiben soll, und er war so lieb und
kollegial und einwandfrei akademisch, einwandfrei aka- ...jaja ... und k.
und k. ... und es gab überhaupt kein Problem. Das nenn' ich gute
wissenschaftliche Zusammenarbeit. Gute Germanistik! Eine Hand wäscht die
andere.
Klar!
Stracks! Goethezeit! Wenn ich zum Augenblicke sage … Ach was, wer spricht
denn mit dem Augenblick? Da hat der Alte wohl schon wieder … also machen wir
mal ruhig die nötigen Korrekturen. So … roter Filzstift ... Es ist getan, so
sei’s geschehn. Wenn ich mir also selber sage … Faust Eins! Faust Zwei!
Faust Drei! Verstanden? Was heißen will: mehrfach auf eigene Faust. Selber.
Ja, auf dem Foto bin ich auch. Nein doch, wie gesagt ganz, ganz
vorne. Hier eine weitere kollegiale Kritik: lobende Worte von ... von wem
kam das jetzt bloß? Na ja, was soll’s ? Jedenfalls lobt mich der Kerl.
Jajaja, sprachlich begabt: Ich du loben
gute Deutsch gehoben. Kurz und
bündig. Auslandsgermanistik for the soul – oder war das for the sole? O,
sole mio! ... Erste Italienreise, zweite, dritte, vierte Ita... Hier! Alles
auf Band. Kann man sehen, wie ich eigenhändig ... ja wie ich halt
eigenhändig ... Drei Wochen vor der Zweiten Lautverschiebung. Boy, o boy!
... Das waren Zeiten! Goethezeiten … und kaukasische Kreiden! Nahaufnahme.
Ich. Wir. Ich! Ich! Ich! Wir.
Denn schon der
alte Humboldt (stimmt, der Stiftungs-Dude, und sind wir denn letzten Endes
nicht irgendwie alle Humboldtianer?) … wollte sagen schon Winckelmann … oder
schon Herr Professor Nietzsche … nein, schon Wilamowitz
(des is a Bursch aus deutschen Landen,
der 1872 eine sogenannte "Erwiderung auf Friedrich Nietzsches Geburtsschein"
schrieb und sich dann sozusagen im Nachhinein nebenbei als "Ahnherr der
Philologie" feiern ließ, weil er aus Versehen leider Gottes a klein bisserl
später unter Verwendung eines ähnlichen Fetzens falscherweise den
Geburtsschein der deutschen Philologie ausgestellt haben soll, ohne sich
dessen zu vergewissern, dass das dann später irgendwann auf Germanistik
getaufte Kind auch wirklich geboren – und nicht etwa bloß erfunden – wurde),
oder um es eben recht schön zeitgemäß zu halten: schon Herr
Professor Vonuntsu, ein durch und
durch kulturwissenschaftlich vorgehender Samurai der alten Sorte aus dem
Fernen Osten (der übrigens mal freundlicherweise von mir gesagt hat, ich sei
in allen Dingen der Beste weit und breit, was natürlich erstens stimmt und
zweitens vollkommen richtig ist), oder sagen wir mal schon Knigge und all
die anderen Jungs …
Fahrlässiger
Satzbau? Floskeln? Leere Worte? Angeberei? Na und? So wie ich bin, bin ich
seit je. Geh weg, schwarzer Mann aus schwarzen Wäldern! Wir fürchten uns
nicht vor dir!
Kultur!
Kultur! Kultur! Nichts so Kultur als …also als ich meine erste Italienreise
antrat, da war alles schön. Hier! Shakespeare. Goethe. Ich. Warum? Weil
wir’s können, wir drei Kumpel! Weil ich’s will! Ja als ich dich sah, du
niedliches, nettes, reizendes Heidenröslein mit deinem reizenden scharfen
Hin ... Terra Nova! Hinaus ins weite Land! O mei! ... Keinen Schritt tun ma,
ach! ohne Shakespeare, Goethe und … verdammt, wie hieß denn gleich der
Dritte, der Dings aus den schwarzen Wäldern? Also jedenfalls keinen Schritt
ohne! Verstanden? Ruck-zuck! Faust Eins! Faust Zwei! Faust Drei! Lauter
Italienreisen. Römische Elegien. Und ein Kilo Musil in Wien.
Germanistik
aktuell. Als Märchen für große Kinder aufbereitet. As a fairy-tale.
Mit Schneewittchen und Rotkäppchen und dem Recken Siegfried, der mal ein Bad
nahm – und mit dem postmodernen Badeveranstalter Drache & Sohn, im
aktualisierten Neuhochdeutschen Dragon & Son. Got it? Tarnkappe,
Zauberberg, schwankende Gestalten, Erdgeist- und Seele? Alles mit dabei!
Weil aber fairy-tale der Germanistik zu unwissenschaftlich klingen
würde (und bei uns tut sich eben nun mal nix, aber wirklich auch nix ohne
die leisetreterische Kraft der sogenannten Wissenschaft), wollen wir’s mal
ruhig bei der story belassen. Hört sich ja sowieso recht deutsch an.
Und wer will, kann meinetwegen auch Schtory sagen.
Intertextuell-anschaulich klappt es am besten: Würden wir etwa in der
Goethezeit leben (freilich: Goethezeit, das ist ja Nimmerzeit), dann dürfte
wohl ein Kupferstich reichen. Oder ein tableau vivant: drei – vier
Germanisten beim Spießbraten. Besser: eine heilige Familie auf der Flucht
aus Ägypten, an bedeutungsvoller Stelle aus erkenntnistheoretischer,
literaturkritischer und kulturgeschichtlicher Perspektive ausgeforscht. Oder
einfach eine Abbildung von Herrn Homunculus, so wie sie etwa im Jahre 2004,
als ein namhafter Germanist österreichischer Ausdrucksweise sein
glorreiches, weit ins Weite führende Promotionsstudium an der University of
Toronto antrat, auf dem Poster des damals zu Ehren des Meisters der
deutschen Dichtung an Ort und Stelle (was natürlich heißen will: an
bedeutungsvollem Ort und an bedeutungsvoller Stelle, genauer gesagt, am
Ontariosee) veranstalteten Goethe-Kongresses zu sehen war – und sieh einer
an, nach zehen Jahr', herauf, herab und quer und krumm, ist er wieder da,
der gar nicht sichtbar gealterte Herr Homunculus mit seinem Um-Rat-Fragen
und seinem Entstehenwollen und seinem vielfach thematisierten Kaumsein: in
Peter Steins Im Juni 2014 in good old Toronto vorgetragener Faust
Fantasia, die auf der EXPO 2000 Hannover in unendlich
ausgedehnter Form und voller Wucht der Worte zum ersten Mal die Ohrmuschel
der Welt getroffen hatte.
An
allen Lagerfeuern dieselbe Dichterfigur, derselbe Zeitgeist, dieselbe
Uhrzeit. Pure Synergie. Ein Blick auf die Zeiger, und es ist vollbracht:
Goethezeit. Hier und jetzt. Zum Einstieg ein wertvolles Goethe-Zitat: Denn
alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.
Ich du haben gut
gefragen: Was ist, was vermag
Germanistik? Was ist, was vermag Auslandsgermanistik? Mit diesem
sonderlich-eigenartigen Ermittlungsansatz, mit diesem kapriziösen Satzbau
(und Hand aufs Herz: kann ja mal passieren), mit diesem gewissermaßen
programmatisch verkehrten Wort zum ewig-germanistischen Ort dringen wir tief
in die mehr oder weniger behagliche, in die mehr oder weniger politisch
korrekt erfasste Eigentlichkeit der Dinge ein, in den Kern allen Übels, bis
zu den vielen Predigern, die nicht so recht wissen, was sie sagen (und wie
sie es sagen) und sich sehr oft und gerne mit sinnwidrigen Schnörkeleien an
ihrem angeblich so gut beherrschten Fachgebiet vergreifen. Sie geben sich
weltoffen und sprachkundig und schlau und super-wissenschaftlich und
multi-whatever, doch schaut man ihnen ins Maul, ist an Stelle der
Gegenargumentation bzw. der Selbstkritik gleich die kollektive Spucke da –
und die faulen Zähne im erbaulichen Zahnrad der Germanistik werden tunlichst
unter den roten (bei "Hauptmann & Leser" handgewebten) Teppich gekehrt,
damit die treue Gefolgschaft (denn Loyalität geht uns über alles) jederzeit
ungeniert aufmarschieren kann, ohne dass der eine oder der andere Haberer
gleich merkt, dass da irgendwo – nein, nicht im fernen Dänemark, sondern
hier, bei uns Germanisten, auf unserem Fachgebiet, ob der schwerfällige Tross
unserer Gedankenzüge nun aus dem Deutschen oder eben aus dem Englischen
heranmarschiert – etwas fault. "Denn was in diesem Hause klassisches Latein
ist, wird von oben bestimmt. Alles klar?"
Friedrich
Dürrenmatt, ein Mann der Tunnel und der Berge und der Welten, die darunter
versprengt liegen, ist längst tot, sonst würde er sagen, das sei die
schlimmstmögliche Wendung unserer noblen Fachrichtung, der vielgeliebten
Germanistik. Franz Innerhofer hat das Zeitliche auch schon längst gesegnet,
sonst würde er ein Lied über die Leibeigenschaft auf dem schönen Acker der
zeitgenössischen Germanistik zu singen wissen (und es würde sich dabei wohl
kaum um ein Minnelied handeln). Und unser Bert Brecht, der Mann aus den
schwarzen Wäldern, bei dem wir ja kürzlich ein kleines Zitat bestellt haben
(um herauszufinden, ob bzw. inwiefern wir denn überhaupt bereit sind, uns zu
ändern), hat’s ebenfalls seit geraumer Zeit hinter sich. Wir wollen uns
nichtsdestoweniger – kurz und bündig – weiterhin an sein Leitwort halten:
"Bist du nicht gut, dann geh!"
"Eine neue
Germanistik, eine bessere Germanistik, Freunde, will ich euch bringen",
ertönt es aus dem Wolkenreich, und jeder weiß: Das ist Heinrich Heines
Stimme, genauer gesagt, die Stimme seines Geistes. Die Stimme, das heißt
hier also Heines Geist (bitte nicht mit Hamlets Geist verwechseln, der
spricht nämlich auch, sagt dabei aber, wie nur unsereiner, das
wissenschaftliche Volk, problemlos mitverfolgen kann, was ganz anderes),
spricht von einem aufklärenden Blitz, der urplötzlich einschlagen kann, von
der Germanisten-Pickelhaube, die ihn ableitet, abwendet, abschafft, den
bösen Blitz der Einleuchtung, der Aufklärung, der Vernunft, damit es auf
immer und ewig beim Alten bleibe und sich nicht etwa zuviel Licht in unsere
engen Gemächer und Seminarsäle und Geister einschleicht. Eine neue
Geschichtsschreibung, eine bessere Geschichtsschreibung: Es liegt an uns (Ja
wer sind wir denn? Und wo stecken wir bloß?), sie zu gewährleisten und
mitzubestimmen, für wen der Teppich ausgerollt wird, den wir weben.
Und
wenn wir dann den Gegenangriff der Haberer überleben, dürfen wir uns in
aller Öffentlichkeit als germanistische Drachentöter und Retter der
kritischen Urteilskraft ausweisen. Doch wenn wir in diesem ungleichen Kampf
gegen das Establishment und die Borniertheit seiner Verfechter unser Leben
lassen müssen, damit die Germanisten der nächsten Generation den Mut fassen,
sich ihres Verstandes ohne die Anleitung eines anderen zu bedienen, dann
war's ja schließlich auch nicht umsonst. Und es ist immerhin bloß das
berufliche Leben (und nicht das ganze Leben), das man einbüßen muss, wenn
einem der Garaus gemacht wird, weil er die Dinge beim Namen nennt.
Ergo ... Eins,
zwei, drei. Der Tragödie erster Teil. Der Tragödie zweiter Teil. Der
Tragödie dritter Teil. Germanistik-Fantasia. Fenster auf, frische Luft
reingelassen, tüchtig ausgemistet, tief eingeatmet: Freunde, dies ist die
wahre Geschichte. Keine erfundene. Keine erlogene. Keine verschönerte.
The true story. Es ist aber – wiewohl viele, die sogenannte "akademische
Berichte" zum Besten geben, Geschichten erzählen – kein akademischer
Bericht, und schon gar nicht etwa ein Bericht an eine Akademie. Der Herr
Räuber von und zu Hotzenplotz und der Herr Baron von und zu Münchhausen
schreiben genug akademische Berichte. Wir hingegen wollen einfach mal
erzählen, was los war, als sozusagen der erste Laut auf den ersten Umlaut
prallte und den Urkongress aller g'scheiten Leut' herbei beschwor.
Wenn Hermann Hesse da wäre, würde er sowas Traktat über den
Steppengermanisten nennen.
Also dann machen
wir mal. The story of my life, die story der Germanistik wurde allerdings
schon längst in Form verschiedenartigster Traktate in verschiedenartigsten
umweltfreundlichen Verpackungen weit ins Land getragen, mehr, weit ins
Ausland und in die Länder, die dahinter liegen – wiewohl hinter diesem
Begriff, Ausland, ja eigentlich strenggenommen gar nicht mehr so viel liegt,
außer dem Inland natürlich; nur, das Inland befindet sich ja nicht drüben,
sondern hier. Das Ausland befindet sich drüben. Bei den anderen. Und auch
drüben gibt es sie also längst, die Germanistik, die Germanisten, das ewige
"Umgromm", wie der Dichter sagt. Nicht der Deutsche, der Deitsche. Der weiß,
was er sagt. Land der Äcker, Land der Dome. Umgromm, umgromm,
umgromm. Und mir wissen stets, für wen die Glocke der German Studies
schlägt, sie schlägt für unsere Sprache, die deutsche Sprache. Mir san mir.
In einen nie aufhörenden Reigen eingereiht, wie es schon vor einem vollem
Jahrhundert Herr Schnitzler, ein Mann aus Wien, mit den dramatischen
Ausdrucksmitteln seiner wundervollen Sprachkunst so schön ausdrückte. Mir
werden noch dastehen, wenn mir längst nicht mehr dastehen werden (kommt
kaner mit: des is Dialektik). Schnell den Banner her! Austria et Germania
erit in orbe ultima. Vor allem Austria. Denn am End' is ollas umasunst,
besonders die German Studies.
Was
aber jetzt nicht heißen will, dass die Deutschen keine guten Germanisten
seien. Ganz im Gegenteil. An der Albert-Ludwigs-Universität im Breisgau etwa
oder sagen wir mal in Heidelberg oder in Tübingen oder in Berlin werden die
Schwerter der Germanistik nicht minder gut geschliffen als in Wien oder in
Salzburg oder in Innsbruck oder in Linz an der Donau, um's übersichtlich zu
halten. Schließlich sind sie es ja, die guten alten Deutschen, besser gesagt
die guten alten Germanen, die die Wurzel, ja den ganzen Stamm des Wortes
gegeben haben, von dem sich der Begriff ableiten lässt, mit dem wir uns
hierin auseinandersetzen, um in Erfahrung zu bringen, was sämtliche
Germanisten dieser Welt im Innersten zusammenhält – und dabei sind wir
bereits beim ersten Problem des Problemfachs angelangt: beim Drang, mit dem
vollgestopften Lastwagen der paar kanonisierten Titanen der deutschen
Literaturgeschichte aufs Geratewohl durch die gefühllose Einöde
zeitgenössischer Rezeption zu fahren und hier und da so mir nichts, dir
nichts je ein mehr oder weniger im Kontext passendes Zitat fallen zu lassen,
um eine kolossale Verbindlichkeit allerlebendigster Intertextualität
vorzutäuschen, die es ja meist nur noch in ausgestopfter Form gibt. Zwei
Seelen wohnen, ach! ... Ein guter Germanist kriegt nie genug davon.
Nein, es sind
nicht zwei Seelen, es sind zwei schwankende Gestalten, die sich wieder nahen
(ja woher denn bloß, wir haben doch die Lehnsgüter der Germanistik ganz
dicht gemacht). Johann und Wolfgang, zwei Kraftkerle, nein, zwei Klassiker,
o wie gut, dass ihr da seid, gerade ist ein Tweet aus dem 21. Jahrhundert in
Weimar angelangt: Die Leute lesen euch nicht mehr. Jedenfalls nicht nur zum
persönlichen Vergnügen. Also höchstens, wenn’s unbedingt sein muss.
Sächsisches Hochdeutsch? Wer wird denn sowas aushalten? Oder gar den
hässlichen hessischen Dialekt: ja, in Frankfurt ist auch ein Tweet
angelangt. Nichts wie runter vom Regal! (Johann und Wolfgang ab)
So
... gut dass die weg sind. Die Vöglein zwitschern im Walde, und Die
Fackel zwitschert ins Ohr. Die eigentliche Situation der Sprache ist die
Situation der Macht, sagte einmal ein mit vierfach gespaltener Zunge im
kanadischen Ruschtschuk geborenes Bleichgesicht deutschsprachiger
Ausdrucksweise namens Old Fackelohr. Germanistik wäre dann wohl sowas wie
ein ureigener, in seiner Geworfenheit mehr oder weniger unwillkürlich
erfolgender Akt der Gewaltausübung, denkt sich der Durchschnittsgermanist
mit begrenzter Haftung in einem Augenblick gemäßigter Geistesgegenwart, und
schon ist sein Unglückswort staatlich anerkannte Philosophie, genauer gesagt
Füllosophie (Ja, der Duden hat schon wieder nachgeben müssen).
Tatsache ist,
der erste Germanist, auch unter dem geheimen Kriegernamen Urgermanist
bekannt, erlegte einst mit seinem kurzen Wurfspieß ein erstes Lexem. Ein
kleiner Verlust für die Sprache, ein großer Schritt für die Germanistik. Das
feindliche Lexem wurde von der engeren Gefolgschaft des Urgermanisten in
kollegialer Eintracht aufgefressen, und die Überbleibsel wurden dem bald
unter Mitwirkung mehrerer deutscher Schäferhunde zusammengetriebenen
Studentenvolk hingeworfen. Team Spirit wird sowas genannt.
Weil der
Urgermanist ein deutsches Elternteil und ein indisches Elternteil hatte,
widmete er seine Forschungskraft natürlich in erster Linie der
indogermanischen Sprachgruppe. Das machte Spaß. Bald wurde freilich aus dem
Indogermanischen ein Indianischgermanisches. Und irgendwann gesellte sich
dann, durchaus erwartungsgemäß, zum indogermanischen Bruder der
nordamerikanische Bruder hinzu; dieser entdeckte mithilfe seiner
multifunktionalen Decke, dass Sprache durch Räuchern länger haltbar gemacht
werden kann und dass ferner dank der im Prozess des Räucherns nebenbei
bewerkstelligten vorzüglich rundlichen Rauchzeichen eine Fachrichtung in die
Wege geleitet wurde, die er, der nordamerikanische Bruder, seinem
indogermanischen Bruder zuliebe German Studies nannte. Dem
indogermanischen Bruder sollte dies nur recht und billig sein. Weil es aber
schon ziemlich spät war, rauchten die beiden nach dem obligaten
Bruderschaftsumtrunk nur noch schnell die Friedenspfeife (nun gut, sah ja
eigentlich schon eher wie ein Friedenstschick aus) und verschoben die
klangvoll-erbauliche Verlautbarung ihres kollegial-brüderlichen
Einverständnisses auf den Folgetag. Tomorrow is another day, hatte der
Medizinmann gesagt. Das war die erste Verschiebung dieser bis auf den
heutigen Tag immer noch anstehenden Verlautbarung – in Fachkreisen schlicht
und sinnvoll Erste Lautverschiebung genannt.
The rest is
history (nein, his story ... oder
besser gesagt their story – cause it’s two of them): Als die Brüder Grimm
eines schönen Morgens auf den folgenschweren Gedanken kamen, zum Entzücken
ihrer Mitmenschen ein Wörterbuch der deutschen Sprache fertigzustellen und
nebenbei alles aufzuheben, aufzulesen und zwecks der Urbarmachung
aufzubrechen, was ihnen an brauchbarem Sprachmaterial über den Weg lief, gab
es noch keine Germanistik und demzufolge auch keine story der
Germanistik und keine underlying narrative und keine Komparatistik.
Doch es gab allerlei bunte Redetexte. Dinge, die man so sagt, wenn das
Scheit im Ofen knistert und der Wolf brav und anständig draußen bleibt.
Märchen. Schneewittchen etwa – auch als Prolegomärchen der Sieben Großen
Professoren bekannt (Die Professoren bedienen sich darin schlauerweise eines
ausgeklügelten Spiegelsystems, das sie als wahrhafte Riesen der Wissenschaft
und Forschung auf dem großen Bildschirm der Aula erscheinen lässt; das
entsetzte Studentenvolk muss unter Androhung der Todesstrafe bzw. des
Sitzenbleibens andauernd Beifall klatschen und im Angesicht seiner eigenen
Nichtigkeit den ganzen wichtigtuerisch über ihm her posaunten Unsinn
wiederholen, den die dank ihrer wundersam-germanistisch angewandten Technik
der optischen Illusion vergrößerten sieben Zwerge in ihren noch so
einfallsarmen Augenblicken von sich geben, die einschlägigen
akademisch-kollegialen Rülpser und dergleichen mit inbegriffen).
Ja,
Germanistik: Wer will sich schon nicht darauf verstehen? "Hört mal gut zu,
ihr Lümmel. In unserer Jugend …" Nein, das ist kein guter Anfang. Es ist
freilich auch kein besonders schlechter Anfang, weswegen oft genug zu ihm
gegriffen wird, wenn es gilt, das schöne Märchen der Germanistik mit allem
Drum und Dran zu erzählen und der zwangsversammelten Zuhörerschaft einen
Bären aufzubinden – oder prosaischer und freilich auf sprachlicher Ebene
schon wieder mal unzulänglich ausgedrückt: einen Wolf, sagen wir zum
Beispiel den Wolf, der unverschämterweise die Großmutter in Rotkäppchen
gefressen hat (Böser, böser Wolf. Charakterisierung und zugleich
Bildbeschreibung. Weiterhelfende Frage: Wie ist der Wolf aufgelegt? Auf
diesem Bild sehen wir einen Wolf. In seinem aufschlitzbaren Bauch sehen wir
…). Die eigentliche Handlung spielt sich jedoch nicht im Wald ab, nicht im
Bauch und nicht in der Aula, sondern – wer hätte das gedacht? – im Kopf.
Und wenn die
Germanistik schon nur ein Märchen ist, dann will es doch jedenfalls wie
gesagt den kommenden Generationen in passabler Art und Weise erzählt werden.
Und Märchen haben – ich weiß, das klingt jetzt doof, aber ich kann nicht
davon ablassen, der Kulturwissenschaftler in mir ist zu stark, um diese
Binsenwahrheit nicht sofort unbeirrt loszuwerden – etwas Märchenhaftes an
sich.
Nu hört, wie es
sich mähret: 's wori amol zwa armi leit. Es waren einmal zwei arme Leute,
die Inlandsgermanistik und die Auslandsgermanistik, und beide waren sie
schon alt. So beginnt unsere story, unser Märchen, unsere
literaturwissenschaftlich gewürzte Kulturgeschichte, unsere schlichte
Tatsachenerfassung der germanistischen Wissenschaft, denn wissenschaftlich
ist, was in dem schönen Bett der akademisch frisierten Wasser wennschon
nicht argumentativ-beweisführend, so doch jedenfalls hundertprozentig
kulturpolitisch abgesicherter Gremien fließt. Vom Wasser haben wir’s
gelernt, singen die jüngeren Gefolgsleute der älteren Bosse auf
germanistischem Grund und Boden, während die vollautomatisierten Mühlen der
Germanistik schnell einen Haufen Doktorhutkorn zu Doktorhutmehl mahlen,
damit schon bald wieder (der ungeheueren Nachfrage entsprechend – denn ein
gesunder Hut: das ist doch sehr gut) aus immergleicher Perspektive neu
gebacken werden kann.
Indeed:
Panta rei. Ein in Gedanken versunkener Bootsmann namens Heraklit fährt uns
bis zu Herrn Akademos Garten. Wir wollen zum Lido, er fährt uns gut. Seinen
Hut hat Herr Akademos am Zaun aufgehängt. Eine kleine Inschrift darunter:
Bitte nicht antasten (nun gut, auf Griechisch, oder im
griechisch-lateinischen Kauderwelsch, also in etwa: Bitteos nichtos
antastamos). In zwei, drei Sätzen sind wir da. Herr Akademos lässt sich
nirgendwo blicken. Seine Stimme kann man aber gut hören: "Pfoten weg!". Aha.
Spricht gerade mit Vonuntsu, dem japanischen Möchtegerngermanisten, der eine
hochgelahrte Abhandlung zum Thema Wie deutsch ist unser Deutsch? Und was
ist ein Plagiat und warum? schreiben will. Das Damoklesschwert über
seinem Kopf wird er wohl immer noch nicht wahrnehmen. Die
Grundwortschatzkommission und der Duden-Inspektor sind hinter Vonuntsu her,
die internationale Sprachpolizei wurde vor Jahren verständigt, nur, das
Polizeiboot braucht natürlich schon eine Weile bis Japan.
Herr Akademos
Hut ist ja gar nicht so abgewetzt, wie einer meinen würde. Wer ihn trägt,
darüber sind sich sämtliche Beiräte – und sämtliche Anwälte – sämtlicher
Forschungseinrichtungen einig, weiß im Nu, was Wissen ist und erkennt
problemlos, was auf dieser Welt so alles los ist. Grundsetzende Gedanken
unterm Deckel sind die naturgemäße Folge. Ergo: Schnell aufsetzen, vielleicht
kommen ja dann bald die Gedanken.
Sieh einer an,
es ist ein Doktorhut. Wie blöd, die Gedanken sind trotzdem nicht gekommen.
Klar, die sind nämlich frei, die kommen, wann sie wollen. Und wenn sie
wollen. Wir sind auch frei. Wir sind so frei, den Hut aufzubehalten.
Professor
Vonuntsu hält gerade eine Lobrede auf seinen Busenfreund, der gerade eine
Lobrede auf ihn gehalten hatte. Lobst du mich, dann lob ich dich: "Viele
unserer FachkollegInnen kennen bereits allzu gut, dass ..." Niemand
hat's gemerkt. O ja, drei Studenten in Handschellen. Protestieren. Sagen was
von der Mittelmäßigkeit des Sprachunterrichts (von der "Verluderung der
Sprache" ist auch die Rede). Werden abgeführt. Jetzt ist wieder alles ruhig.
Die Mühlen der Forschungsleut' können weitermahlen. Der Professor erklärt in
seinem schäbigen Deutsch, wie wichtig doch die Pflege der deutschen Sprache
für uns Germanisten sei, denn schon Goethe, nein, schon Schiller, oder war
das …? Und über die Antwort darf dann jeder zu Hause nachdenken, wenn’s
recht ist. Oder am besten … nee … Wie war das? Ist ja alles strenggenommen
schon eher sowas wie eine Gretchenfrage, wie wir alle, wie wir alle kennen …
oder war das wissen? … Oder? Oder? Unsinn. Die Gretchenfrage ist was
anderes. Muss der Germanistik-Professor schon wieder mal nachlesen.
Niemand hört ihm
mehr zu, irgendwann wird seine schreckliche Anrede irgendwo gedruckt, als
Dankeschön für seine Freundlichkeit, genauer gesagt gesagt als Dankeschön
zum Dankeschön. Der geschmeichelte Busenfreund sagt: "Das ist gutes Deutsch.
Das wollen wir in die sieben Winde unserer sieben Burgen vertreiben, und
zwar ganz schnell." Küsschen hier, Küsschen da. Die zwei Universitäten
werden im Handumdrehen verbrüdert, die Dankesrede zur Dankesrede ganz, ganz
schnell ganz, ganz kompetent lektoriert (ja, gutes Deutsch), korrigiert
(jaja, sehr gutes Deutsch), publiziert ("international anerkannt", jaja,
"international anerkannt"), in einen Rahmen gesteckt, an die Wand gehängt,
von der Wand runter genommen, im Vorzimmer verstaut, in den Mülleimer
geschmissen, makuliert. Lange anhaltender Beifall. Lobst du mich, dann lob
ich dich. Dann lob ich dich. Dann lob ich dich.
Herr
Akademos rauft sich die Haare. "Was habt ihr aus meinem Garten gemacht, ihr
unnütze, dämliche, windige G'sellen?" Er hat die Professoren auf frischer
Tat erwischt. "Kaa Ahnung von dudn und blosn!" Herr Akademos ist böse. Er
sucht nach seinem Schwert, zu spät, die in Anerkennung ihrer zahlreichen
Dankesreden schon wieder mal frisch dekorierten Professoren haben ihm ihre
nagelneuen Lanzen durch den Leib gerannt. Herr Akademos ringt um Atem, setzt
sich hin und flüstert noch mit allerletzten Kräften. "Wissen, nicht können,
du Suam!" Dann trifft ihn der Schlag. "Wir kennen alle, dass Herr Akademos
letztes Wort der Auslandsgermanistik gewidmet war: Wesenet keene, was heißen
will: Wesen net, keine. Kurz, Herr Akademos hat g'sagt, es gebe schlechthin
kein Wesen an und für sich, sondern lediglich das sich in seiner
Geworfenheit zur Schau tragende Sein."
"Und: Dua Suam,
also wohl du Samurai. Odere vielleicht auch einfach du Summo-Kämpfer." Mit
herrlichem Rindfleisch ernährt, vieler Dinge kundig (wenngleich die deutsche
Sprache, sein Spezialgebiet, offensichtlich nicht dazu gehörte), freundlich
mit seinen Freunden, unbarmherzig mit den Feinden, ließ sich Professor
Voununtsu noch eine Weile lang als absolut kompetenter Wissenschaftler
feiern – und hantierte dabei leider schon wieder an der deutschsprachigen
Literatur. Als ihm das Schwert weggenommen wurde, war's zu spät. Goethe lag
tot am Boden, Schillers Schädel rollte ihm aus der Hand. Hölderlin fiel in
die Schlucht, die eigentlich für Empedokles vorbereitet wurde, Dürrenmatt
war unter Mithilfe des Unglücksprofessors von Gott fallen gelassen worden,
nun stürzte jener auf diesen zu, und Hesse konnte zwar mit einer Bisswunde
davonkommen, aber das Heulen der Meute, verdammt nochmal, okay, wie dem auch
sei, ja wenn das nicht gute Germanistik ist!
"Danke, danke,
danke, wir haben nur unsere Pflicht getan. Oder wir sind nur unsere Pflicht
getan … oder … Nein, nicht Frankfurt an der Oder … Hmm … Moment. Sein oder
haben: That is the question … Alright! Got it! Haben! … Jetzt bin ich mir
sicher. Der gute Akademos hat unsere wissenschaftliche Begabung voll erkannt
und auf seinem Sterbebett intrinsisch zusammengefasst: Kein Wesen, sondern
allein das Sein, wie schon der ... jaja … Diesem Imperativ fühlen wir uns
verpflichtet. Und natürlich auch dem schönen, übergeordneten Imperativ der
unbedingten Treue. Wer uns treu ist, soll's gut haben. Doch wehe demjenigen,
der… Also hier sind jedenfalls unsere Titel, hier alle Unterlagen: alles
unterschrieben, gestempelt, registriert.
Die hohe Kraft
der Wissenschaft? Irgendwo zwischen diesen Stempeln. Am besten, wir nehmen
auch gleich mal einen Stempel mit. Es ist ein schöner Tag. Es ist ein
schöner Garten. Es ist ein schönes Märchen. Das Märchen der Germanistik.
Es ist ein sehr
deutsches Märchen, doch enden wird es – wie so vieles auf dieser Welt – im
Englischen. Was heißen will: mitten drin in einer anderen Sprache, die aber
jetzt nichtsdestoweniger unsere Sprache ist, die Sprache der Germanisten.
Und schon Mister William … Wir war denn gleich der Name?
Kultur!
Kultur! Kultur! Mir moch'n Germanistik. Why wouldn’t we? Das ist ganz
leicht. Schachtelsätze, was das Zeug hält (ob nun der Satzbau stimmt oder
nicht, ob die Begriffe sitzen, ob die Beweisführung handfest ist, ja ob sie
überhaupt wo hinführt: nebensächlich – und hoffentlich liest das ja keiner).
Vom Katheder-Kommandocenter aus donnert der kategorische Imperativ auf den
wissenschaftlichen Nachwuchs hernieder: "Irrt so lange ihr wollt um unsere
kanonisierten Viertelweisheiten herum, staunt so lange ihr wollt über das
etablierte Mittelmaß, dem wir uns in aller Ewigkeit verschrieben haben,
meckert meinetwegen insgeheim und bitte gefälligst immer nur im
Privatbereich, ihr verflixten Lümmel … verstanden!? … aber gehorcht!
Jajaja,
gehorchen. Das ist ganz leicht. Hier ist die akademische Leiter. Wer sich
benimmt (g'schamsta Diener, Herr Professor) ist im Nu oben. Herr Akademos
hat nichts dagegen, wie diese amtlich beglaubigte Bescheinigung hier
eindeutig bestätigt, die freilich keine Unterschrift aufweist, aber – weil
an einem Zigarettenautomaten im Nachbargarten automatisch erstellt – auch
ohne gültig ist. Er hat ja das Zeitliche gesegnet. Jetzt sind wir dran.
Armer
schwarzer Kater! Der Nachwuchs der Germanistik dreht sich im allerkleinsten
Kreise – wie der Panther im Jardin des Plantes, Paris. Rundherum Stäbe. Und
bellende Straßenköter, von allerhöchster Stelle auf jeden gehetzt, der mal
was sagen will. Der mal so richtig was sagen will. Auf eigene Faust, und
nicht im gefügigen Sprechchor. Etwa dass irgendwo im fernen Hamletschen
Reich die Rechnung nicht aufgeht, wie ja schon Mister William feststellte.
Oder dass die Klamotten des Kaisers nicht ganz in Ordnung sind. Oder dass
kritische Geister systematisch in den spärlich beleuchteten
Verschwörungshöfen schwankender Hochstapler mundtot gemacht werden.
"Jagt die Hunde
in die Marschhöfe zurück! Jagt sie zurück! Jagt sie zurück!", ertönt eine
traute Stimme (Herr Akademos …? Sind Sie es? Hallo? Herr Diogenes? Herr von
und zu …? Jemand da? … Ach so? Die Bachmann.) aus der Fülle der
füllosophischen Tonnen, die man heutzutage auch Think Tanks nennt. Also
dann: "Marsch! Zurück in eure Höfe!" Die Meute macht sich von dannen. Der
Gegenangriff ist abgewehrt. Wir dürfen uns unseres Verstandes wieder ohne
die Anleitung eines anderen bedienen. Wenigstens eine Weile lang dürfen wir
das noch.
Poetisch-märchenhaft hingeschmissen: Die dreizehnte Fee hatte eine Spindel,
und alles erstarrte zu akademischem Schwindel – aber jetzt wird ja wie
gesagt ausnahmsweise mal wirklich zum Bleistift gegriffen. Jetzt wird
endlich etwas Standfestes zusammengekritzelt, eine Skizze der Germanistik:
auf hochwertigem, chlorfreiem Schmierpapier methodologisch angemessen in den
wundersam beglückenden Geist der Kritik engebettet.
Um
diese Skizze fertig zu kriegen, müssen wir ihr nur ein klein bisschen
Lebendigkeit einhauchen. Alle Welt aufwecken. Das Fach so richtig anpacken.
Den Acker bestellen, von dem Herr Jandl schrieb – und beim Umgromm auch mal
das Unkraut ausrupfen, klar, das müssen wir auch, und düngen, bis ... bis …
ja bis wir halt fertig sind.
Den Ger, der
Speer an den Mann bringen. In Mister Williams Sprache (der uns übrigens
einen Freibrief mitgegeben hat, hier steckt er, in diesem schönen
schwäbischen Dichterschädel, just in case, wenn einer mal ein
unbeanstandbares Axiom loswerden will): Time to bring the Ger back to the
man, time to put German back to Germanistik – denn wie formulierte es denn
gleich der berühmte transatlantische Dichter am Ontariosee? Make it
German. Do it right. And get ready for a fight. Germanistn san halt vom
Mars. Und Germanistinnen … oh well, die san a vom Mars – und schließlich
kann der Kritiker ja auch eine Kritikerin sein, wie die Wiener
Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl in ihren a bisserl weiter unten
verlinkten Thesen zum Glück der Kritik vor geraumer Zeit
vollkommen richtig feststellte.
Weiter (vom Fach
weg) führende germanistische Brotkrümel
(1) "Viele unserer
FachkollegInnen kennen bereits allzu gut, dass das Fach Germanistik
geschichtlich vor dem Hintergrund des sich entwickelnden deutschen
Nationalismus institutionalisiert wurde (Kyoko Fujita, "Germanistik in
Süd-Ost-Europa - Zum Sonderbeitrag von Prof. Dr. George Guţu", zitiert
nach
www.ggr.ro/Fujita_ueber Gutu.htm,
eingesehen am 10.12.2014)
(2) "Lobst du mich, dann
lob' ich dich." (Rainer Moritz, Leiter des
Literaturhauses Hamburg e.V., zitiert nach
www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/707327.html,
eingesehen am 10.12.2014)