...... Auszüge aus einem Traum-Journal
Von
Peter Hodina |
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"Die
Seele ernährt sich von Träumen wie ein großer unsterblicher Stier sich von
süßem Gras ernährt." (John Cowper Powys) Diesem Stier nun rationalistisch
durch Deutung die "estocada", den entzaubernden Todesstoß, versetzen wollen? Träumte von einem "Symbol"
der Russisch-Orthodoxen: und zwar einer Teekanne, die so aufwendig wie eine
Krone geschmiedet war. Es stießen Wehrmachtssoldaten zum Tor des
Kirchenareals vor, rammten es in mehreren Anläufen, bis es auseinanderbarst.
Sah dann unter hochblauem Frühsommerhimmel einen Mann mit einer silbernen
Hochtechnologiewaffe, einer computerisierten Panzerfaust, auf der "SACHS"
stand. Zwei Strohhüte lagen daneben – sie gehörten meinem Vater, der im
Zweiten Weltkrieg an der Ostfront eingesetzt war. Unbehaglich: genau
seine Strohhüte! Vergangene Nacht
beklemmender Kirchentraum: vollkommen devote, seelisch gebrochene Gestalten
wurden instruiert, militärische Gebete auswendig zu lernen. Verteidigungs-
und Angriffsgebete, Gebete für die Artillerie, fürs Fliegerbombenabwerfen
usw. Flügelhaubenschwestern bewachten die fromme, eingeschüchterte Herde.
Der instruierende Prälat war eine gefürchtete Autoritätsperson, bei deren
Eintreten alle sofort verstummten, ja vor Angst wimmerten. Es musste gerade
ein Gebet eingelernt werden, um die Panzerfäuste treffsicherer zu machen.
Ich genoss es andererseits, vollkommen ungläubig und daher innerlich
überlegen diesen Drill mitanzusehen, genoss diese meine Bewusstheit, konnte
allerdings nicht eingreifen, sondern sann fieberhaft nach, wie ich aus
dieser bedrückenden Zwangsversammlung so schnell wie möglich fliehen könnte.
Traum-Rest: Einem Verhör
unterworfen. Ein als Arzt verkleideter Mann forschte mich aus. Bis in
Bankkontodaten hinein wollte er mir alles aus der Nase ziehen, wann ich
jemals geregelter Arbeit nachgegangen sei, wieso ich in meinen
Lebenszwanzigerjahren so gut wie nicht vorhanden gewesen sei, warum ich
keine Kinder hätte... Im Traum diesmal an einem
Marathon teilgenommen – musste den falschen Weg eingeschlagen haben. Niemand
mehr hinter mir, keiner mehr vor mir. Dann sah ich sie von einem Hügel aus
klar auf einer ganz anderen Straße deutlich laufen, in ziemlich weiter
Entfernung schon. Dabei (und davon) frustriert aufgewacht. Jene alte, doch schon
lange tote Hexe mit einem Oberschenkelknochen durch den Friedhof jagend. Barack Obamas Ja zur
Homo-Ehe, nur so nebenbei von mir registriert, hatte doch Auswirkungen auf
mein Traumleben: Ich war nämlich – beinahe hätte ich es wieder vergessen –
heute nacht Braut eines sogar noch ziemlich jungen Mannes geworden,
dessen Eltern mich mit einem aufwendig gestalteten grünen Brautkleid
ausstatteten. Ich fühlte mich darin wie eine Erbse in der Schote. Oder
vielleicht wie eine grüne Raupe, die bald zum Schmetterling metamorphisiert.
Mich wunderte, wie sie jetzt plötzlich alle nett zu mir waren. Das Gehen in
einem solchen sich luftig bauschenden Kleid war für mich ein ganz
ungewohntes Gefühl. Sah die kleinsten Teile
meines Körpers. Er wimmelte vor lauter Triskelen, die sich in
unterschiedlichen Richtungen drehten. Es war ein interessantes und
anhaltendes Schauspiel. Mir schien es, der Körper bestünde aus solchen
kleinsten höchstaktiven Elementen. Heute Nacht vom Reformator
Johannes Calvin geträumt: Gott hätte ihn mit Glück überhäuft, aber Calvin
hätte dann eisern Nein zu diesem Glück gesagt. Und im Traum noch erschien
mir Calvins Haltung eine undankbare, ja die Wahl der Verworfenheit zu sein. Im Traum letzte Nacht offenbar ein Dichter am Werk. Ein unbekannter älterer Mann im Dreireiher, der "beinahe Politiker" geworden wäre, deklamierte nämlich folgende Zeilen:
"Das reimt sich ja!" Mit
diesen Worten erwachte ich. Die Formulierung "Hochplenar des Himmels"
erweckt in mir einiges Staunen. Die große Kette der Träume. "[...] daß im Traum Erinnerung an frühere Träume, deren wir im Wachen uns durchaus nicht erinnern, unter Beziehung auf dieselben, Statt hat, also gewissermaßen ein fortgesetztes zusammenhangendes Traumleben." (Schopenhauer, Spicilegia [1845], Nr. 130) Gestern telekinetischer
Traum: Versuchte, ein Buch aus dem obersten Regalbrett aus der Entfernung
von etwa drei Metern durch Zauberei in Bewegung zu setzen. Albernerweise
fiel mir bloß die Formel "Abrakadabra, hokuspokus" ein, die mich dennoch mit
einer Gänsehaut überzog. Schon bei "Abra-" setzte sich das Buch leicht in
Bewegung, wie wenn es sich sozusagen geräuspert hätte. Bei "-pokus" fiel es
dann wirklich hinunter, aber machte kein Geräusch dabei. Einige Zeit sah ich
es am Boden liegen, dann wurden seine Konturen immer verschwommener. Ich
wiederholte die Übung: diesmal wollte ich die ganze oberste Bücherreihe in
Bewegung setzen. Was mir unter enormer Anstrengung gelang. Die Bücher
rutschten bei "-pokus" wie über die Kante eines Wasserfalls lautlos
hinunter. Waren unten auch noch zu sehen. Der Vorgang spielte sich im Dämmer
ab, ich operierte liegend von meinem Bett aus. Nach einigen Minuten
verschwammen die Bücher, verloren an Konsistenz und fanden sich dann wieder
von selbst dort oben ein, wo sie gestanden hatten. An einer
kunstgeschichtlichen Volkshochschul-Vortragsreihe teilnehmend, man kann am
Ende eine Prüfung ablegen, was aber, so die Leiterin (eine brillentragende
Katze), nur wenige gemacht hätten. Kartenspiel-Barbaren.
Wurde Zeuge eines mir unbekannten Kartenspiels, eines wahren Teufelspokers.
Es gab immer wieder eine Karte, die mit großer Wucht zu Boden gedroschen
wurde. Nicht nur auf die Tischplatte, sondern wirklich zu Boden. Ich hob
eine davon auf – sie war wunderschön, mit goldenen Ornamenten verziert,
einer Tarotkarte ähnlich. "Was willst du mit diesem Werfel?", fragte
mich dann verächtlich einer der Spieler. "Werfel" hieß in diesem Traum diese
mit übertriebener Wucht hinuntergeworfene Karte. Erst eine halbe Minute nach
dem Aufwachen kam mir in den Sinn, dass es ja auch noch den Schriftsteller
Franz Werfel gibt, mit dem ich mich jahrelang nicht mehr beschäftigt hatte. Der Traum offeriert
manchmal Wahrheiten. Ein Mensch, mit dem ich jahrzehntelang gravierendste
Konflikte hatte, war verstorben. Das letzte Gespräch, das ich mit ihm
geführt hatte, war aber ein schönes, weil er diesmal endlich seine
Grundsätze weggelassen hatte, die wie sperrige Möbelstücke unsere
Kommunikation sonst behindert hatten. In manchen Träumen, in
denen man Leute sterben lässt: sie aus dem Weg träumen. Solipsistischer
Nachtgedanke. Das so Unwahrscheinliche, gerade einer Endzeit
wahrscheinlicherweise anzugehören, bestärkt mich in einem solipsistisch zu
nennenden Grundgefühl: dass ich mich in einem Traum befinde. Traum, noch vom letzten
Jahr (gerade dass ich ihn erinnere): Hitler und Otto von Habsburg über einer
Schlucht. Das Fernsehen ist dabei. Die "Spielregel" ist, dass sie einander
entkleiden müssen. Sie haben noble schwarze Anzüge an. Hitler reißt Habsburg
sogleich das Hemd auf, während der wohlerzogene Habsburg, dem das ganz und
gar zuwider ist (aber er möchte Hitler persönlich kennenlernen!), an Hitlers
Fliege zaghaft herumnestelt. Als Habsburg weiter vordringt, sieht er
plötzlich einen grünen Körper bei Hitler. Grüne Muskulatur. Hitler ist also
ein Alien. In dem Moment hätte er, Habsburg, Hitler in die Schlucht
hinunterstoßen müssen, aber er war als Kronprinz einfach "zu gut erzogen".
Denn der Grünmuskuläre war ja kein Mensch. Dieses Zaudern erschien ihm,
Habsburg, im Nachhinein als unverzeihlicher Fehler. Derzeit, wenn überhaupt,
bloß ganz kurze Träume. Vorgestern sah ich mich im Traum alleine nachts
durch die menschenleere Imbergstraße in Salzburg gehen. Wollte sie
überqueren, aber es war nicht möglich, weil abgedichtete Gelenkbusse in
schnellem Tempo, fast lautlos, vorbeifuhren, ein nicht abreißender Konvoi
solcher Busse. Ein schriller Schrei wie von einem niedergefahrenen Hund war
zu hören. Man konnte in diese Busse nicht hineinsehen: sie dienten dem
Flüchtlingstransport. Nur am Heckfenster eines solchen Busses waren
zahlreiche gegen die Scheibe drückende Hände zu erkennen. Die Busse hatten
eine einheitliche Farbe: ein blasses, graugrünliches Orange. Dabei das
Gefühl, Zeuge von etwas zu sein, das ich gar nicht sehen hätte dürfen. |