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"Ich spreche nicht, wenn ich etwas ausdrücken will"

Interview mit Andrea Gavriliu.

Von Luana Pleşea
(13. 11. 2019)

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(c) Euranet Plus

Luana Pleşea
engl [at] rri.ro

Luana Pleşea hat einen
Master in Bildungsmanage-
ment und -auswertung an
der Universität Bukarest
(Fakultät für Psychologie und
Erziehungswissenschaften)
erworben sowie einen weite-
ren Studienabschluss an der
Fakultät für Journalistik und
Kommunikationswissen-
schaften derselben Universität.
Seit 16 Jahren ist sie dem
Journalismus bei Radio Roma-
nia Cultural verpflichtet. Sie
erstellt Radiosendungen, mo-
deriert Diskussionen im zeit-
genössischen Theater- und
Tanzbereich, nimmt an Thea-
ter- und Tanzfestivals sowie
an internationalen Konferenzen
teil. Ihre Artikel wurden in den
rumänischen Zeitschriften
"Time Out", Scena.ro und
DramArt veröffentlicht. Weite-
re Beiträge bzw. Interviews
sind in der italienischen
Theaterzeitschrift HYSTRIO
und in dem zweisprachigen
Sammelband "Teatrul.Ro -
30 New Names" erschienen.

 


 




(c) Matei Buta / Marius Mihai Ghita

Andrea Gavriliu

   Andrea Gavriliu hat es geschafft, ihren Namen bereits in den ersten Jahren ihrer Karriere bekanntzumachen. 1985 geboren, absolvierte sie 2008 die "Babeş Bolyai" Universität (UBB) in Klausenburg. Sie hat einen Master in Choreografie an der Nationalen Universität für Theater- und Filmkunst in Bukarest gemacht (2013). Ihre Abschlussarbeit, Zic Zac, eine Theater-Tanz-Produktion, ist im In- und Ausland rasch bekannt geworden. Derzeit ist sie außerordentliche Professorin an der Fakultät für Theater und Film der UBB und Choreografin am Nationaltheater "Lucian Blaga" in Klausenburg. Am meisten interessiert sie sich für "physisches" Theater.


LP: Ich schlage vor, dass wir das Gespräch mit der jüngsten Phase deiner Karriere beginnen. Wie und woran arbeitest du gerade?

Gavriliu: Es ist eine schwierige Zeit, denn die Arbeits- und Lebensbedingungen in Rumänien sind derzeit schlecht. Für mich ist es ein Aufwachen in die Realität, nachdem ich seit einigen Jahren an zahlreichen Projekten teilgenommen habe. Jetzt bin ich durch die Umstände gezwungen, einen Schritt zurückzutreten. Das ist ein guter Zeitpunkt, um einen Blick darauf zu werfen, was ich bisher gemacht habe, und über andere Alternativen nachzudenken. Da ist zum Beispiel die kreative Seite, aber auch die Effizienz. Was könnte ich tun, um meine Arbeit zu verbessern? Ich habe eine Menge Produktionen außerhalb von Bukarest gemacht, die überhaupt nicht in Bukarest gezeigt wurden. Man weiß nichts über ihre Existenz und ehrlich gesagt, tut es mir leid. Die meisten von ihnen sind in kleinen Städten entstanden, in denen es zu wenig Publikum gibt. Es sind auch Theaterhäuser, in denen meine Kunst eher ungewöhnlich ist.

LP: Werfen wir einen Blick zurück. Du sagst, der Tanz war deine erste große Liebe, dann hast du aber mit dem Theater begonnen. Warum hast du die Schauspielkunst gewählt?

Gavriliu: Aus mangelndem Selbstvertrauen. Ich war ungefähr sechzehn, als ich mich entschlossen habe, Schauspielerin zu werden. Schauspiel war für mich damals eine Gelegenheit, mich auf der Bühne zu bewegen. Die Tatsache, dass ich kein Fachgymnasium absolviert habe, ließ mich glauben, nicht zur Choreografie berufen zu sein, weil ich weder das Wissen noch die notwendige Technik besaß. Also gab ich die Idee sehr schnell auf. Ich ging zur Schauspielschule... Im dritten Studienjahr habe ich das Musical West Side Story gemacht. Da war ich besonders im choreografischen Teil involviert. Es hat mir gefallen und ich war gut. Mein Lehrer, Bács Miklós, sagte mir nach einer Probe: "Wenn du die gleiche Energie und das gleiche Selbstvertrauen, die du beim Tanzen entfaltest, auch in den Schauspielszenen hättest, wäre es wunderbar". Das war frustrierend. Im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass es in der Tat um mangelndes Selbstvertrauen ging.

LP: Wann genau hast du beschlossen, dass du tanzen musst?

Gavriliu: Ich habe das schon lange bevor ich den Beschluss fasste gefühlt. Ich vertraute mir einfach nicht und ich neigte dazu, es zu verschieben. Ich glaube, wenn es zum damaligen Zeitpunkt bessere Gehälter in der Theaterszene gegeben hätte als heutzutage, wäre es vielleicht in Ordnung gewesen. Dazu kam mein überschäumendes Temperament. Ich wollte tanzen! Jede szenische Idee, die ich hatte, egal an welchem Projekt ich als Schauspielerin arbeitete, enthielt Bewegung.

LP: War Radu Afrim der erste Regisseur, der dieses überschäumende Temperament entdeckte?

Gavriliu: Ja. Das war 2009, als ich Herr Paul machte. Es war ein zweiter Hinweis, genauso offensichtlich wie die Aussage von Herrn Bács. Ich spielte einen stummen Charakter in einem Theaterstück, drückte mich nur körperlich aus. Und ich war gut. Das musste mir niemand sagen. Das wusste ich. Außerdem war Afrim der erste Regisseur, der mich eingeladen hat, Choreografie für seine Produktionen zu machen. Und mir wurde klar, dass ich das gerne mache.

LP: Du sagst, dass du das "physische Theater" in Rumänien bekanntmachen willst. Was bedeutet physisches Theater?

Gavriliu: Im physischen Theater werden Ideen, Themen, Botschaften und Geschichten, unabhängig von ihrer Komplexität, physisch behandelt. In dem Sinne, dass das choreografische Material nicht unbedingt Tanz ist. Stattdessen ist es wichtig, dass die Bewegung, die auf der Bühne stattfindet, die beste Variante ist. Eine sehr raffinierte Art von Körperlichkeit, sehr gut choreografiert, virtuos und genau. Aber es muss etwas sein, das von der Persönlichkeit des Darstellers ausgeht. Deshalb verlassen sich die Ensembles des physischen Theaters nicht so sehr auf die makellose Technik des Performers, sondern viel mehr auf seine Art des Körpereinsatzes.

LP: Was du ja gerne machst.

Gavriliu: Das Problem ist der große Unterschied zwischen dem, was ich versuche zu machen und dem, was die Profis von physischen Gruppen im Ausland tun. Sie haben in der Regel vier bis sechs Monate Zeit, um an einem solchen Projekt mitzuwirken, sodass jeder aktiv am Entstehungsprozess teilnehmen kann. Im Allgemeinen haben wir in Rumänien einen Monat Zeit. Das macht es manchmal unmöglich für den Projektinitiator, die Themen gründlich aufzugreifen, um die Menschen, mit denen er arbeitet, zu berücksichtigen. Bei meinen letzten Produktionen hatte ich am ersten Probentag siebzig Prozent der Choreografie fertig. Die hatte ich bereits im Wohnzimmer definiert.

LP: Wie wählst du die Themen aus? Aktuelle Themen und Menschen der Gegenwart scheinen dir ein besonderes Anliegen zu sein.

Gavriliu: Ich bringe gerne Lebenslagen auf die Bühne, in denen sich jeder wiederfinden kann. Die Form hebt dabei meine Sichtweise der Situation hervor. Ich neige dazu, bestimmte Verhaltensweisen zu verhöhnen. Aber ich beziehe gerne meine Phantasien ein, um zu versuchen, eine Atmosphäre zu schaffen, die über die Realität hinausgeht.

LP: Hast du ein gewisses Arbeitsritual? Welches sind die Herausforderungen in diesem Prozess?

Gavriliu: Das Wichtigste ist es, die Leute kennenzulernen, mit denen ich arbeiten werde. Die Idee basiert meistens auf den "Körpern", die mir zur Verfügung stehen. Ich widme auch dem Training Zeit, das vom tatsächlichen Aufbau getrennt ist, um ein möglichst "waches" Team zu haben. Das ist eine Herausforderung, da einige Schauspieler nicht daran gewöhnt sind, körperlich viel zu trainieren. Eine weitere Herausforderung besteht darin, sie aus kreativer Sicht zu "verführen", sie zu überzeugen, meiner Idee zu vertrauen und sich sogar an Vorschlägen jeglicher Art zu beteiligen.

LP: Katastrophe (Cataclism), produziert von Unteatru, ist dein zweites Solo. Wieso diese Notwendigkeit, etwas sagen zu müssen, was kein anderer Körper sagen kann als deiner?

Gavriliu: Oft habe ich Ideen, die ich aus einer Art Selbstsucht mit meinem Körper verwirklichen möchte. Ich wollte unbedingt, dass dieses Projekt in Bukarest stattfindet, damit seine Sichtbarkeitschancen erhöht werden. Und weil ich im unabhängigen Theater keine Einschränkungen berücksichtigen muss. Das ist ein großer Vorteil. Katastrophe "spricht" über Manipulation. Ich hatte das Bedürfnis, überhaupt nicht zu sprechen, weil ich nichts zu sagen habe, nur etwas auszudrücken. Auch weil ich Aufnahmen von "berühmten" Stimmen verwende, die über Manipulationen von sehr großen Proportionen sprechen, die jeder kennt, aber die keiner ändern kann.

LP: Wie baust du deine Bewegungen auf? Womit fängst du an?

Gavriliu: In Katastrophe habe ich versucht. mich mehr auf die Konzentration, den Instinkt und die Absicht meiner Kommunikation zu verlassen. Genauer gesagt, ich verlasse mich mehrmals auf Improvisation, aber auf strukturierte Improvisation. Die Bewegungen sollten das Ergebnis von Gedanken und Absichten sein, die ich mit meinem Körper kommunizieren möchte. Bisher war Musik der Hauptmotor der Bewegungen. Diesmal habe ich versucht, mich nicht so viel der Musik zu unterwerfen. Dann spielen natürlich die Aufzeichnungen und ihr Inhalt eine wichtige Rolle.

LP: Du kämpfst für eine wichtigere Rolle des Choreografen im Aufbau einer Theaterproduktion. Was hat sich geändert, seitdem du an rumänischen Theatern arbeitest?

Gavriliu: In den letzten Jahren hatte ich die Möglichkeit, an Theaterproduktionen, die eine wichtige choreografische Komponente beinhalten, zu arbeiten. Das Dramatheater ist in Rumänien tief verwurzelt, es hat Tradition. In den Programmheften von Festivals stehen Titel und Autor der Produktion, Regie, Bühnenbild und Kostüme. Und aus. Und wenn es um eine Produktion geht, in der der Tanz im Überfluss vorhanden ist, ist das wirklich empörend. Allerdings spüre ich, dass in den letzten Jahren dem Tanz mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es sind kleine Schritte, aber sie finden statt.


Aus dem Rumänischen von Irina Wolf


(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache,
Teil des Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)
 

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