Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  


Wie deutsch wird die Erde, wo
"des Schwaben Pflug das Land durchschnitten"?

Westöstliche Betrachtungen eines zweckmäßig abgestaubten
Artikels von Professor A. K. Gauß.

 

Von Vasile V. Poenaru
(07. 10. 2016)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

 

Der Strom.
Jahreszeitschrift für Gegen-
wartsfragen der Donau-
schwaben. (Wien-Salzburg-
München, 1959.)

 

 

 

 

 

"Deutsche Inseln im
Völkermeer" – fast siebzig
Jahre später gilt diese Vor-
stellung, dieser Wahlspruch,
dieses abkapselnde Ver-
ständnis der Identitätsfrage
fast immer noch voll
und ganz.

 

 

 

 


(c) kulturportal-west-ost.eu

Adalbert Karl Gauß
(1912-1982)

 

 

 

 

Tunlichst die Donau
runter und dann
irgend-
wann wieder nichts wie
die Donau rauf. Wie
macht man das? Ein
Chronist soll her!

 

 

 

 

 

 

Das Abenteuer "setzte ein,
als im frühen Mittelalter
deutsche Burgleute und
Handwerker in die Zips,
nach Siebenbürgen und
bis hinunter auf den
Balkan vordrangen."

 

 

 

 

 

 

"Das Bild vom insel-
deutschen Donauschwaben
wurde durch eine völkische
Politik so einfältig mit der
Vorstellung von Groß-
bauern verknüpft, dass
selbst klare statistische
Unterlagen diese Schematik
nicht zu beeinträchtigen
vermochten.
"

 

 

 

 

 

 

In Sachen "Donau-
schwäbisches Schicksal
zwischen Ost und West"
wusste  A. K. Gauß
offensichtlich schon 1959
ein nuanciertes Lied zu
singen. Ein besseres Lied.

 

   "Donauschwäbisches Schicksal zwischen Ost und West", so der anregende und aufschlussreiche Titel des von dem jahrzehntelang im Dienste der Vertriebenen engagierten Lehrers, Verlegers, Journalisten und Volkskundlers Adalbert Karl Gauß in Der Strom. Zeitschrift für Gegenwartsfragen der Donauschwaben (Wien-Salzburg-München, 1959, S. 61-80) veröffentlichten Artikels bedeutsam auch im gegenwärtig wieder intensiv bedachten Zusammenhang des tieferen, ureigenen Selbstbewusstseins, des wesentlichen Identitätsparadigmas der deutschsprachigen Minderheiten in Osteuropa.  Der Autor selber hatte sich wohlgemerkt 1945 mit seiner Frau und den drei Söhnen auf den windigen Weg von Ost nach West gemacht (ein vierter Sohn, der sich noch zum preisgekrönten Schriftsteller entwickeln sollte, wurde neun Jahre später in Salzburg geboren: Karl-Markus).

Bestellt ein Großbauer deutschsprachiger Ausdrucksweise den Acker, so wird großartiges deutsches Kulturgut gesät. Klar. Vieles wird deutsch, nein, alles wird deutsch, soweit der Pflug die Erde nur tief genug durchschneidet. Wie deutsch? Die Antwort fällt einem (nach der entsprechenden Lektüre des Artikels von A. K. Gauß) nicht schwer: Sehr deutsch, ja vielleicht sogar ein klein bisschen zu deutsch. Aber das will natürlich erläutert werden.

"Da sagt der Landmann: Es ist gut." Schon Georg Trakl wusste das in seinem "Verklärten Herbst." Und dass die Germanisten "umgromm und umgromm und umgromm", hat Jandl vorglich methodologisch (und vor allem ja auch mit viel Witz) dann seinerseits prompt auf den Punkt gebracht und wenn schon nicht auf Hochdeutsch, so doch jedenfalls auf gut Deutsch.

  Bodenständigkeit. Roden. Urbarmachung. Pflügen. Durchschneiden. Umgromm. Umgromm. Umgromm. The old country. Lauter Begriffe, die da irgendwie mit hinein gehören, wenn wir mal hören wollen, wo unsere Sprache denn eigentlich herkommt, ja wo wir selber herkommen. Unsere Diskussion, die Diskussion rund um das donauschwäbische Schicksal ist aber allen geographischen Berücksichtigungen zum Trotz hundertprozentig auf deutschem Grund und Boden verankert, oder?

Mal sehn: Ein aus Bácspalánka zugewanderter Salzburger donauschwäbischen Schlages bedenkt schon Ende der Fünfziger das (bis auf den heutigen Tag) gerne romantisierend-national geprägte Selbstbild der Donauschwaben wie dasjenige der sonstigen deutschstämmigen Volksgruppen. Deutsche Inseln im Völkermeer, diese Vorstellung, diesen Wahlspruch, dieses abkapselnde Verständnis der Geschichtlichkeit im großen Ganzen und des eigenen Werdegangs jeweiliger Völkerschaften inmitten der Stürme, der brausenden Wogen, der eiskalten Winde des Völkermeers de-konstruiert A. K. Gauß im Jahre 1959, indem er die ihm durch Herkunft, Ausbildung, Erfahrung und Einfühlungskraft so durch und durch vertraute Kulturlandschaft des Donauschwäbischen an sich und für uns mit seinem scharfen Blick tief durchschneidet. Fast siebzig Jahre später gilt diese Vorstellung, dieser Wahlspruch, dieses abkapselnde Verständnis der Identitätsfrage fast immer noch voll und ganz wie als wäre sie nie de-konstruiert worden. Eine unverkennbare Aktualität. Ein ungetrübter Blick. Ein grenzübergreifendes Geschick. Adalbert Karl Gauß.

   Das Deutschtum so pflegen, dass auch all die vielen sinnvollen Wechselwirkungen mit allerlei sonstigen Völkerschaften so richtig auf ihre Rechnung kommen: kein leichtes Stück. Inwiefern ist das gelungen? Ist das überhaupt gelungen? Besser: Hätte das denn überhaupt gelingen können? Schließlich handelt es sich ja hier um ausgesprochen trübe Zeiten und um trübe Wasser rund um diese trüben Zeiten und um unsere Inseln, auf denen wir uns unser Deutsch zurechtflickten, stets die eine ewige Wahrheit im Ärmel: dass die Sprache uns gehöre, dass die Insel uns gehöre. Ja, klar. Im Konjunktiv. Und "wir": das sind die anderen.

Deutsch zwischen West und Ost, zwischen Ost und West. Alles brav ausloten und die Inseln schön heimelig einrichten. Tunlichst die Donau runter und dann irgendwann wieder nichts wie die Donau rauf. Wie macht man das? Ein Chronist soll her! Nur, das vermag ein Chronist?

"Das Schicksal der Restgruppen deutschsprachigen Insel-Volkstums in Südosteuropa nach den katastrophalen Erschütterungen zwischen 1933 und 1945": Inwiefern konnte man anno 1959 vom Standpunkt Salzburg aus darüber sprechen? Gauß geht dieser Frage über die Seitenwege  der Selbsterkundung nach. Sein Unterfangen macht ein geistiges Abenteuer (mit argumentativ-kritisch gestalteten Abstechern in den großen, zu der Zeit noch keineswegs zureichend aufgearbeiteten Themenkomplexen Vaterland-Mutterland, Nationalismus, Kommunismus usw.) aus. Das diskursive Abenteuer, auf das sich der Verfasser des Artikels einlässt, dreht sich um die Wurzeln, um die Urbarmachung, um das Pflügen aber eben auch um die intrinsische Gewachsenheit deutschsprachiger Inselgruppen, in der natürlich wesentlich mehr mit drin steckt als die Wurzeln, die Urbarmachung und das Pflügen. Mehr als das sogenannte Deutschtum und seine praktische Vernunft und Unvernunft.

   Ein Abenteuer der Wahrnehmung feinfühlig gehandelter Selbstbewusstseinskonstrukte, die von einengenden, ihrer vielfältigen, jeweils im Kontext definierten, mehr oder weniger methodologisch klar umrissenen Verortung kaum zur Genüge reichenden herkömmlichen Zugehörigkeitsprinzipien befreit werden. Ein Abenteuer, das im gewissen Sinne das historische Abenteuer der deutschstämmigen Osteuropäer im weitesten Sinne widerspiegelt oder doch jedenfalls begrifflich fundiert erfasst. Und dieses Abenteuer "setzte ein, als im frühen Mittelalter deutsche Burgleute und Handwerker in die Zips, nach Siebenbürgen und bis hinunter auf den Balkan vordrangen." Und irgendwann hörte es dann wieder auf.

In seiner Analyse des Selbstbildes der Donauschwaben bemängelt der Autor, dass die autochthone Perspektive im Rahmen der ethnographischen Forschungsarbeiten der Zeit gezwungenermaßen den Kürzeren ziehen musste, dass sie sich einfach dem Mainstream der alten Heimat fügte, ohne die Selbstverständlichkeit und die Voraussetzungen bzw. die Herangehensweisen der binnendeutschen Forschung zu hinterfragen.

"Die bodenständigen volksdeutschen Kräfte",  so Gauß, "die mit einer wissenschaftlichen Fragestellung aus den milieubedingten Zusammenhängen des Raumes heraus selbst angetreten wären, konnten nicht ausreifen. Sie blieben in einem hoffnungslosen Provinzialismus stecken oder übernahmen kritiklos die wissenschaftliche Fragestellung der binnendeutschen Forschung." In diesem Zusammenhang spricht der Autor von einer "nachhaltigen Beeinflussung der inseldeutschen Volksforschung mit einem unverkennbaren Zug zur Romantifizierung",  in deren Rahmen sich der Nationalismus leider als "sprengende Kraft" zu behaupten vermochte.

"Der hypertrophe Nationalismus, den alle in den ethnischen Mischräumen des Südostens lebenden Volksgruppen mit besonderer Sorgfalt kultivierten, musste schließlich zwangsläufig den Raum politisch sprengen."

   Eine gewisse Einseitigkeit in der Wahrnehmung ihrer spezifischen Umstände, eine gewisse Ausblendung ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihrer Berufung als Kulturvermittler im pluriethnischen Raum wirkte sich demzufolge denkbar verhängnisvoll auf die Art und Weise aus, in der die Donauschwaben sich selbst betrachteten. "Das Bild vom inseldeutschen Donauschwaben wurde durch eine völkische Politik so einfältig mit der Vorstellung von Großbauern verknüpft, dass selbst klare statistische Unterlagen diese Schematik nicht zu beeinträchtigen vermochten."

Und als die Donauschwaben sich dann schließlich in den Wirren der Geschichte nach den katastrophalen Erschütterungen zwischen 1933 und 1945 wenigstens zum Teil wieder stromaufwärts retten durften, fanden sich unter ihnen Menschen, die es als ihr Amt, als ihre Pflicht, als ihre Berufung betrachteten, den Leidensgenossen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und dabei auch stets ihr Schicksal, ihr Vermächtnis mit zu reflektieren. Leute wie Adalbert Karl Gauß. In Sachen "Donauschwäbisches Schicksal zwischen Ost und West" wusste  A. K. Gauß offensichtlich schon 1959 ein nuanciertes Lied zu singen. Ein besseres Lied. Ein (Donau)Schwabenlied, das weit über die Metaphernwelt der "deutschen Erde" und des "Völkermeers" hinweg setzt.

Nichtsdestoweniger:

"Von deutscher Erde sind wir abgeglitten
auf diese Insel weit im Vö
lkermeer.
doch wo des Schwaben Pflug das Land durchschnitten,
wird deutsch die Erde, und er weicht nicht mehr."

(Adam Müller-Guttenbrunn,
Banater Schwabenlied)

Ausdrucken?

....



Zurück zur Übersicht