Bis
2018: True patriot love in all thy sons command. Ab 2018: True
patriot love in all of us command. Heimat bist du großer Söhne und
Töchter. Die kanadische Nationalhymne macht es in Sachen Gender der
österreichischen nach.
Und das ist gut.
We are family. I’ve got
all my sisters with me. Die
Kanadierin Tat Maslany spielt im Serienfilm Orphan Black so viele
Klone, dass einer gar nicht mehr gut mitzählen kann. Sie spielt sie geradezu
unglaublich differenziert. Und dennoch handelt es sich dabei letztendlich
streng genommen jeweils um die eine Person: um dieselbe Person
(also um die Schauspielerin), wenn man sich auf der Ebene der Realität
bewegt, und um die gleiche Person, das heißt um ein wohlgemerkt
jeweils anderes Individuum derselben "Marke", ja um ein jeweils anderes
Individuum mit dem gleichen Erbgut: um Klone; um gleichwertige Kopien ohne
Original.
Six degrees of separation
aus einer kanadischen Perspektive. Ein starkes Stück. Eine zutiefst
zeitgenössische Heldin, die zugleich in viele Rollen schlüpft. Ein
Menschenskind der echten Verbundenheit, des Zusammenseins, des Common
Canadian Narrative, eines Verständnisses der Welt und des Daseins, dem wir
uns verschreiben.
Alles
klar: Themenkomplex DNA, Stichwort Vermehrung. Vervielfältigung.
Intelligent Design. Original versus Kopie. Urtümlichkeit. Anpassung.
Zusammenhalt. Überleben.
No more, no less.
Wie viele Seelen wohnen,
ach! in meiner Brust? Wie viele sind wir denn eigentlich letztendlich? Und –
last but not least: Wer san ma denn genau? O je! Nun ist's geschehen. Was
geschehen ist? I said the I-word! Or did I?
Identität. Kein leichtes
Thema.
Es wird hier mit den
künstlerischen Mitteln der Fiktion in den Vordergrund der Betrachtungen
gerückt. Dass dabei die Ernsthaftigkeit des mithilfe so vieler Frauenfiguren
(die immer wieder auf dieselbe eine Frau zurückzuführen sind) an den Mann
gebrachten Themenkomplexes voll und ganz durchblickt, ist kein Zufall,
sondern Kunst.
Von Six degrees of
separation zu einem durch Mark und
Bein gehenden facettenreichen nagelneuen Neu-Ich, einem Ich, in dem freilich
schon alles vorgegeben, vorprogrammiert, als programmatische Gewachsenheit
eines ins Unendliche reflektierten Designs, als pure Geworfenheit des
schönen Augenblicks prophezeit ist? Verweile doch! Du bist so schön!, würden
wir Poeten sagen, wenn … okay, also wir Poeten, das ist jetzt viel gesagt.
Denn wir leben ja nicht mehr in poetischen Zeiten, und erst recht nicht im
Zeitalter der Poesie.
Wir
leben im Zeitalter der genetischen Manipulation. Eine kanadische
Schauspielerin aus good old Regina vermag diese Gegebenheit so
verdammt gut zu modellieren, dass unsere großen Geister der Zeitlosigkeit
schier daran ihre Freude hätten, würden sie sich etwa mal nur so, sagen wir
mal aus dramatischen, philosophischen, psychologischen und/oder
erkenntnistheoretischen Gründen in aller Muße die vielen Ichs der Tatiana
Maslany anschauen. Und Fichte … Keine Sorge, der meldet sich gleich.
Diese erfolgreiche
Klon-Show ist zutiefst schauerlich; zutiefst unwahrscheinlich; und unter
anderem wohl vor allem eben auch gerade vermittels ihrer ausgesprochen
prägnant inszenierten Unwahrscheinlichkeit einer diesseits von Mythos und
Tathandlung in die Wege geleiteten, eher irgendwie intuitiv-unbewusst
ansprechenden dramatischen Appell-Struktur verbunden, so wie wir sie
beispielsweise in Dürrenmatts Dramen vorfinden.
Die Handlung ist gekonnt
fingiert. Sie ist grotesk. Sie steht im Zeichen des Zufalls. Und im Zeichen
einer aus dem Geiste der Ausdruckskraft, der Tanzkunst und der Musik
gezeitigten Schauspielerin kanadischen Schlages, die sich in vorzüglicher
(und dementsprechend preisgekrönter) Art und Weise darauf versteht, all die
vielen möglichen Welten, die als virtuelles Material einer zumutbaren
Realität um sie herum schweben, mit einem Schlag einzufangen und ihnen den
Hauch tatsächlicher Wirklichkeit einzuflößen. Denn so wird ein Ich gemacht.
Ein Ich, in dem man ja eigentlich, das wird einem langsam klar, selber mit
stecken könnte.
Die Anschaulichkeit der
seit Urzeiten (und zwar besonders seit der Romantik) ja immer wieder
auftretenden Thematik des Doppelgängers: Wurde sie je so überzeugend aus so
vielen verschiedenen Richtungen her in Angriff genommen, die im Prozess des
überwältigenden Paradigmen-Zusammenbruchs auf einen gemeinsamen Nenner
zurückzuführen sind?
Wohl kaum.
Am
besten, wir werden an dieser Stelle gleich mal ein paar Fragen los, die das
kollektive Bewusstsein anbelangen, das da aus den Wirren der Identität und
der Einbildungskraft auf einen zukommt: Wie weit ist es von den gruseligen
Mythen des genetisch zunehmend manipulierten Alltags bis zur gemächlichen
Illusion absoluter Selbstheit? Wie weit von Gottfried Wilhelm Leibniz'
emsigen Nullen und Einsern bis zu Ray Kurzweils urplötzlicher Singularity,
einer schauerlichen Erscheinungsform des technologischen Fortschritts, die
wir noch bald genug erleben werden (bzw. die wir schon seit geraumer Zeit
erleben dürfen, ohne uns dessen voll und ganz gewahr geworden zu sein)?
Die Antwort liegt in einer
komplexen Anschauungsweise der Dinge als Hort virtueller Begebenheiten
geborgen, der wir uns – wenigstens teilweise – bereits allesamt längst
hingegeben haben.Was hier gestaltet wird, ist vor allem unser Verständnis
der eigenen Identität – und unsere Weltanschauung.
Es dreht sich alles um das
Fürwahrhalten (ja, wagen wir es nur immer ruhig, den Begriff zu verwenden)
bzw. um das Bewahrheiten einer hochgradig unbehaglichen und dabei doch stets
immer auch verdammt verlockenden Utopie, der – noch – wahnsinnig anmutenden
Utopie des sich selbst setzenden, des sich selbst definierenden, des sich
selbst aus sich heraus entwickelnden, des sich selbst mit Sinn und
Zweckmäßigkeit belehnenden Individuums.
Und in diesen unseren
Zeiten korporativistischer Allmacht, in denen von der kleinsten Bakterie im
Reagenzglas bis zu den größten, weit in die fernen irrealen Gefilde des
Konjunktiv II verbannten Gespinsten alles patentierbar ist, werden derartige
Fragestellungen auf einmal wieder verdammt aktuell. Eigentlich recht
glaubwürdig.
Aus aktuellem
Anlass ein philosophisches Intermezzo
Was
für eine Tathandlung vermögen denn die vielen Ichs der Tatiana Maslany, die
man doch, um es mit Goethe in Anlehnung an Fichte zu sagen, selber in die
Welt gesetzt hat, zu vollbringen? Wie wird das Über-Ich ständig gegen den
Strich gebürstet? Inwiefern greift da der Horizont des Überlebenden über die
beiden absoluten Meilensteile der biologischen Existenz – Geburt bzw. Tod –
hinweg?
Diese beiden absoluten
Meilensteile in ihrer zumutbaren Relativität erfassen: eine Herausforderung
für die Frau auf der Straße, für die Frau im Geschäftsleben, für die Frau im
Labor. Es wird hier dabei so manches neu definiert.
Etwa die Liebe. Das Ich.
Das Über-Ich. Unsere Instinkte.
Unsere Begrifflichkeit.
Eine kanadische Perspektive. Eine kanadische Rhapsodie.
Wie wird der Brandung
entgegen gerudert? Ja wird denn überhaupt tatsächlich der Brandung entgegen
gerudert? Oder wird vielmehr bloß gegen die Brandung angerudert? Oder würde
diese terminologische Überlegung eh keinen Unterschied im großen Getriebe
des zugrundeliegenden Narrativs ausmachen?
Und
wie verhalten wir uns zu diesen brenzligen Fragen der zivilisierten, der
manipulierten, der mittlerweile weitgehend digitalisierten Menschheit? Wir:
boats against the current.
Und der Gentechniker
begutachtete alles, was er ersonnen und bewerkstelligt hatte, und sieh einer
an! Es war supergut.
Und schlecht war's nicht.
That's called self-regulation.
Nur, eigentlich ist es ja
freilich gar kein Über-Ich, das sich da langsam, aber sicher in unserer
guten alten Hexenküche zusammenbraut, sondern lediglich das moderne
kollektive Unbewusste, aus dem sich dann doch noch ein kollektives
Bewusstsein entwickeln soll. Nur, wie?
Und Fernsehen ist wohl
kaum die Lösung. Doch immerhin.
Sein und Schein, darauf
kommt es an. Sein und Schein und die Geworfenheit einer Perspektive: Nur das
zählt.
Tatiana
Maslany gilt als Wunderkind kanadischer Sorte; sie gilt als die
Kanadierin par excellence. Eine Straße in Regina trägt jetzt ihren Namen.
Der stilvoll geklonte, ja sagen wir mal ruhig der unwahrscheinlich
überzeugend gefakte Rand dieser zutiefst unbehaglichen Meta-G'schichte unser
aller Individuationsängste zeichnet die Mitte eines eher rapide Richtung
Dinglichkeit mutierenden Selbstverständnisses, in das unsereiner, homo
sapiens sapiens, sich auch mal gerne als cloniens cloniens reinstülpen lässt
(oh well, now I said the C-word: clone).
Sie beruft sich übrigens
auf nicht ganz so ferne Vorfahren österreichischen Schlages wie auf
Vorfahren rumänischen Schlages und auf Vorfahren ukrainischen Schlages usw.
Sie kann fließend Französisch. Oui! Sie kann singen. Sie kann tanzen.
Sie kann springen. Und sie kann erstaunlich gut in Erfahrung bringen, was
diese Welt des Charakterlichen im Innersten zusammenhält.
Do setz di nieda!, sagt der Bayer.
Ja, schon wieder. Und wir
nehmen brav Platz.
Nur: Akzente setzen – und
sich dabei selbst setzen. Geht das? Die Frage ist natürlich rhetorisch
gemeint.
"Ja, das geht."