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"Wo wir stehen" oder "Unsere Standortbestimmung"

Close Reading einer Obama-Übersetzung des Suhrkamp Verlags.

Von Vasile V. Poenaru
(01. 12. 2019)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

Barack Obama.
"Wo wir stehen".
Suhrkamp, 2018, 57 S.
ISBN: 9783518469941.

 

 

   "Where we stand." Man schreibt das Jahr 2018. Eine Standortbestimmung im weitesten Sinne; vor allem natürlich in politischer Hinsicht. Im englischen "Where we stand" steckt nämlich unter anderem vor allem auch die Überlegung mit drin: "Wie stehen wir dazu?"

Easy come, easy go. Dass Obamas Rede im Suhrkamp Verlag nicht gerade sinngemäß adäquat übersetzt wurde, passt zum gegenwärtigen Trend, aus der anspruchsvollen Tätigkeit des Übersetzers ein mechanisches Wörter-Pingpong zu machen. Tischtennis für den eiligen Medienmenschen. Geil!

Fast würde einer da gleich mal rhetorisch fragen: "Where have all the golfers gone?" Wo sind die verlässlichen Übersetzer geblieben? Legen sie allesamt schon wieder mal gerade eine kurze Pause ein? Oder wurden sie durch billige Copy-and-Paste Toy Soldiers ersetzt?

Just a thought.

Schließlich wurde ja 2008 auch Obamas "Yes, we can!" (und dann später sein "Yes, we did it!") von sämtlichen (fast) guten Übersetzern und Medien-Haberern unter fährlässigem Ignorieren der im gegebenen Kontext unverkennbaren konzessiven Bedeutung genau so in die deutschsprachige Öffentlichkeit geschmissen, wie es die eben mal nicht perfekten Übersetzungsprogramme ausgespuckt hatten.


Der Übersetzung auf den Zahn gefühlt

S. 35: "Ich bin zufällig Demokrat."

I happen to be a democrat, das ist ein Ausdruck, den man nicht wörtlich übersetzen darf. Sonst klingelt die Sprachpolizei an der Tür. 

"Ich für meinen Teil bin Demokrat" oder "Ich bin eben nun mal Demokrat". Ja. Das wär schon was. Das würde passen.

S. 35: "Denn tatsächlich gibt es nur einen echten Kontrollmechanis-mus für schlechte Politik und Machtmissbrauch, und das sind Sie."

Na ja, "indeed" wird oft fälschlicherweise unabhängig vom Kontext durch "tatsächlich" übersetzt. In der Regel ist das wie hier falsch, wird dieses ausgesprochen fleißige Adverb im Englischen meistens ja als Vehikel der Hervorhebung, der Unterstreichung, des Nachdrucks gebraucht. Es gibt nämlich nur einen echten Kontrollmechanismus.

S. 47: "Das Gemeinsame ist da draußen."

Fehlanzeige. Nix (bzw. alles) ist draußen. Zieht einer die Tatsache in Betracht, dass sich Obama während der Rede im Freien befand, wird die Untauglichkeit der vom Suhrkamp vorgeschlagenen Hokuspokus-Google-Übersetzung schon auf den ersten Blick offensichtlich.

"Out there", dieser Phrase wird man im jeweiligen Kontext übrigens selten allein dadurch gerecht, dass man einfach die Adverbien "da" und "draußen" zusammenklebt. Und selbst wenn die Bedeutung im gegebenen Zusammenhang mal in der Tat anders als hier strikt lokal ist, wird der Sinn der Phrase besser durch "da drüben" wiedergegeben. Wohlgemerkt ist der Sprecher nämlich oft genug eh nicht "drinnen", sondern seinerseits im Freien. Und umgekehrt schließt "out there" keineswegs dasjenige aus, was sich in geschlossenen Räumen, also "drinnen", befindet. Die Phrasen "Over there" und "out there" unterscheiden sich vornehmlich durch das Ausmaß an Bestimmung. "Over there" setzt eine ungleich schärfere Bestimmung voraus.

Ergo: nicht "out there", sondern in diesem Kontext "durchaus vorhanden". Fürwahr (indeed): Es gehr hier nicht ganz im Sinne des Prinzips der Nichtlokalität, das im Deutschen etwa dem Begriff "Dasein" obliegt, um eine Bereitschaft, um eine Verfügbarkeit, ja um ein Zuhandensein des Zeugs.

S 53: (...) "wenn euch also das, was gerade passiert, nicht gefällt(…)"

"Gerade", dieses Adverb ist hier fehl am Platz. Es geht um eine Kontinuierlichkeit, die über die Unmittelbarkeit des Augenblicks reicht.

S. 54: " (...) tut, was sie in Philadelphia und Boston gerade getan haben."

Sie? Das ist im Deutschen zu vage. Im Englischen wird dieses Personalpronomen (3. Pers. Pl.) oft ganz anders verwendet. Ganz davon zu schweigen, dass die Stellung unseres guten alten Adverbs "gerade" (das hier sowieso fehl am Platz ist) aus irgendwelchen außensprachlichen Gründen missriet. Gute Übersetzung für "they" in diesem Kontext: "die Leute"

"Do what they just did in Philadelphia and Boston." Das Pronomen "they" übersetzt man (wenn es, wie hier, ja keineswegs etwa als Personalpronomen, sondern vielmehr als Indefinitpronomen verwendet wird) nicht durch das Personalpronomen "sie". Das ist aber wirklich Translation 101 bzw. der gesunde Menschenverstand. Also: Tut es den Leuten in Philadelphia gleich, die kürzlich [dies und das getan haben]. Denn "just" übersetzt man wohlgemerkt ebenfalls nicht blindlings (etwas durch "gerade"), sondern kontextgerecht.

S. 54: "Die Jugendlichen (in Parkland) arbeiten daran, die Leute umzustimmen."

Nein, sie arbeiten nicht daran. Sie bemühen sich um etwas. Das sehr produktive englische Verb "to work" wird allzuoft durch die unbedachtsame Heranziehung der ersten von den Wörterbüchern angebotenen deutschen Entsprechung ("arbeiten") verunglimpft. Im gegebenen Zusammenhang trifft dabei Folgendes zu: Die Jugendlichen engagieren sich dafür, die Leute umzustimmen, sie sind daran bestrebt, sie wirken darauf hin.

S. 55: "(...) all die Geschichten von Belästigungen und sexuellen Urbegriffen, die von so vielen Frauen geteilt wurden (…)"

Es wurden keine "Geschichten geteilt", sondern die Frauen haben über die Belästigungen Zeugnis abgelegt. Hört sich doch viel seriöser und sinnvoller an. Wir geben hier ja nicht irgendwelche "Geschichten" zum Besten, die die Frauen lediglich "teilen".

S. 57: "Dann passiert Wandel. Dann passiert Hoffnung."

Blödsinn. Wandel passiert nicht. Wandel tritt ein. Hoffnung passiert auch nicht. Um diese Sprachfehler zu beheben, sind Grundschullehrer gefragt.

S. 57: "jedes bisschen an Grausamkeit, Traurigkeit, Armut und Krankheit"

Eg gibt kein "bisschen an". Weg mit der Präposition! Sonst will ich mein Geld zurück.

S. 57: "Ihr könnt die Generation sein, die in einem kritischen Moment aufgestanden ist (...)"

Nicht "aufgestanden". Auf gut Deutsch heißt es [gegen etwas] aufbegehren, [jemandem] die Stirn bieten, [zu einer Sache] Stellung nehmen.

"Und ich werde euch begleiten, bei jedem einzigen Schritt des Wegs". Auch blöd. Hier hätte es natürlich "auf Schritt und Tritt" heißen sollen.

S. 58: "Ich glaube, ihr werdet dabei helfen, uns in die richtige Richtung zu führen."

Hier fehlt der Agent (eine Nominalgruppe oder ein Pronomen). Fehlerhafter Satzbau. Im Deutschen in dieser Form unzulässig. Der Satz muss also umgeschrieben werden.

S. 58: "Sagt mir nicht, Wandel sei unmöglich. Kein anderer Politiker in den letzten Jahrzehnten (...)"

Was an dieser Formulierung nicht passt? Wenn die Nominalgruppe "kein anderer Politiker" das Subjekt des Satzes ausmacht, muss an zweiter Stelle das finite Verb folgen. Oder meinetwegen rückt die Zeitergänzung an Platz Nr. 1, und das Subjekt darf Platz Nr. 3 drei belegen. Darüber hat sich offensichtlich vor der Veröffentlichung des Textes kein Verantwortlicher Gedanken gemacht. Yes, we can?

Alles geht.

Und so ist denn Obamas schöne Rede leider Gottes auf Schritt und Tritt durch die fahrlässige Übersetzung des Suhrkamp Verlags in aller Eile verunglimpft worden.

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