
Daniela Șilindean
danielasilindean [at]
gmail.com
Daniela Șilindean ist Theater-
kritikerin, Übersetzerin, Uni-
versitätsdozentin und Kultur-
redakteurin des Kulturmaga-
zins "Orizont". Sie schreibt
Studien und Artikel für Zeit-
schriften und Sammelbände
im In- und Ausland. Sie ver-
öffentlichte die Bände "Matei
Vişniec, die unwiderstehliche
Anziehungskraft warmher-
ziger Worte" (RKI, Bukarest,
2010), "Das Buch des glück-
lichen Prinzen. Landver-
messung: Radu-Alexandru
Nicas Happy Prince" (Timpul
Verlag, Iași, 2014). Șilindean
ist Co-Autorin des Albums
"Szabó K. István. Die Illusion
der Zugehörigkeit" (Caiete
Silvane, Zalău, 2019). Sie ist
Mitglied der Internationalen
Vereinigung der Theaterkritiker
(rumänische Sektion) und der
Rumänischen Schriftsteller-
vereinigung.

(c) Emil Mandanac
Vlaicu Golcea
Nur ein winziger Prozent-
satz junger Menschen hat
Zugang zu künstlerischen
Strukturen und Ausdrucks-
mitteln, das ist nicht
normal.
Mobbing wird in einigen
Institutionen immer noch
toleriert, mit der Begrün-
dung, dass es für das
künstlerische Schaffen
notwendig wäre.
Wie kann ein Dramatiker
aufsteigen, wenn nicht
durch Ausprobieren? Wie
können junge Dramatiker
bekannt werden, wenn
niemand Interesse zeigt
beziehungsweise niemand
ausreichend "Geduld"
mitbringt, ihre Stücke
zu produzieren?
Was es bräuchte, ist eine
professionelle Gemein-
schaft von Kritikern, aus-
reichend und gut informiert,
nicht Partei ergreifend, kon-
zentriert auf die tatsäch-
liche künstlerische Arbeit,
auf Debatte und auf prägen-
de Leistungen für das
Publikum.
Ich bin mir völlig bewusst,
dass alles, was ich sage,
radikal, zynisch, oft nihi-
listisch klingt. Meine Gedan-
ken entspringen aber dem
Gefühl eines notwendigen
Gegengewichts.
Denn in dieser kleinen
Künstlerwelt ist jeder mit
jedem bekannt. So ist es
ziemlich schwierig, wirklich
unvoreingenommen zu
bleiben, wenn die Ent-
scheidung getroffen werden
soll, wohin die öffentlichen
Gelder fließen sollen.
In Rumänien sind die
Künstler mit einem System
konfrontiert, das die Angst
umtreibt, ihre Macht mit
dem Altwerden zu verlie-
ren, das hermetisch in
sich abgeschlossen und
nicht in der Lage ist, den
Platz fortschrittlichen
Kräften zu überlassen.
Was ich an den Künstlern
und Theaterleuten beson-
ders schätze? Ich schätze
ihre moralische Integrität
und ihre bedingungslose
und oft naive Hingabe. Ich
respektiere zutiefst ihren
Professionalismus, zumal
er oft an Orten und in
Arbeitsbedingungen blüht,
die eher das Gegenteil
bewirken.
Ich glaube, es gibt die
Voraussetzungen für ein
echtes soziales Theater, für
eine neue Ausdrucksform,
abgestimmt mit unserer
Dynamik.
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Vlaicu
Golcea ist Komponist und Arrangeur, Performer, Sound Designer und Produzent.
Von ihm stammen zahlreiche Installationen, er hat Musik für mehr als hundert Theaterproduktionen komponiert
und
Performance- und Filmmusik geschrieben. Golcea wirft
einen analytisch scharfen Blick auf die rumänische Theaterszene und
verbindet damit eine Reihe von Schlüssen über die Rolle der Kunst im Kontext
des aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurses.
DŞ:
Dreißig Jahre Freiheit. Wurde diese Freiheit auch im Theaterbereich
umgesetzt? Ist das rumänische Theater frei?
Golcea:
Frei... wovon? Von Vereinheitlichung? Von politischen und kulturellen
Gruppierungen? Von Oberflächlichkeit? Von Tabus? Von Konservatismus? Von
Stanislawski? Von religiösen Strukturen? Von kommunistischen Konzepten
und Strukturen? Von Vetternwirtschaft? Von "blauem Blut"? Von der
Arroganz, dass das einzig Wichtige in der Theatergilde und ihren
virtuellen Räumlichkeiten stattfindet? Frei von Vorurteilen? Von
Opportunismus? Von Dilettantismus? Von Mobbing? Von jeglichem Einfluss
auf die Kunst? Von Steuerhinterziehung? Von positiver Diskriminierung,
verknüpft mit fehlenden, an die Neuzeit angepassten kulturellen
Richtwerten? Frei von Frauenfeindlichkeit und Sexismus? Von Inkompetenz? Von
Selbstherrschaft? Von Kompromissen? Von Im-Dunkeln-Umherirren?
DŞ:
Hat das rumänische Theater die Phase der Projektstarre überstanden? Wenn
nicht, welche Chancen sehen Sie, dies zu erreichen?
Golcea:
Es erfordert junge Führungskräfte mit ausreichenden Entscheidungsbefugnissen sowie Gewerkschaften, die die Rechte der
Arbeitnehmer wirklich verteidigen sollten. Mit 45 Jahren befinde ich
mich "mit einem Fuß im Grab" – so der Volksausdruck –, aber
ich werde
immer noch oft der jungen Generation zugerechnet. Nur ein winziger
Prozentsatz junger Menschen hat Zugang zu künstlerischen Strukturen und
Ausdrucksmitteln, das ist nicht normal. Wie viele Manager mit
administrativen und künstlerischen Entscheidungsfähigkeiten sind unter
vierzig? Und welche echte Macht zu handeln haben sie unter den
Strukturen eines Managements, innerhalb dessen sie einen – sofern überhaupt
transparent durchgeführten – Wettbewerb gewonnen haben? Ein weiterer Aspekt könnte
mit dem Mobbing-Verbot zusammenhängen:
Mobbing wird in einigen Institutionen immer noch toleriert, mit der
Begründung, dass es für das künstlerische Schaffen notwendig wäre. Ich
sage: Nicht blöd herumkommentieren; das Verbot ist umzusetzen, punkt.
Eine andere Frage: Wie viele Stücke von jungen
rumänischen Dramatikern werden auf die Bühne gebracht? Die Antwort würde
Sie ein bisschen irritieren. Wie kann ein Dramatiker aufsteigen, wenn
nicht durch Ausprobieren? Wie können junge Dramatiker bekannt werden,
wenn niemand Interesse zeigt beziehungsweise niemand ausreichend "Geduld"
mitbringt, ihre
Stücke zu produzieren? Keiner scheint zu verstehen, dass ein Experiment
eine Investition in die Zukunft ist. Wer aber interessiert sich schon dafür,
wenn die eigene Position von politischen Nichtigkeiten abhängt und
vielleicht noch vom ganz speziellen Talent, möglichst gekonnt den mit
feinstem Laucharoma geschwängerten rumänischen Styx durchsegeln zu
können?
Was es bräuchte, ist eine professionelle Gemeinschaft
von Kritikern, ausreichend und gut informiert, nicht Partei
ergreifend, konzentriert auf die tatsächliche künstlerische Arbeit, auf
Debatte und auf prägende Leistungen für das Publikum. Sowohl die
Theatrologie als auch die Musikwissenschaft sind von ihrer Natur her
durchwegs schwierige und einen hohen Bildungsgrad erfordernde Berufe, ganz
ihrem hehren Tätigkeitsgegenstand entsprechend. Dieser Anspruch muss sich im selbstständigen
–
und auch
finanziellen
– Status des Theaterkritikers widerspiegeln, und auch in seiner Arbeitsqualität. Ich weiß, dass jeder, der Zugang zum Onlinebereich hat,
automatisch seine Meinung äußert, aber ich weiß auch, dass es eine
hochnotwendige intellektuelle und emotionale Ebene gibt, die
geschützt und gesteuert werden muss. Auch bei der Kindererziehung ist
das nicht viel anders. Ich persönlich würde mir nicht wünschen, dass einige
der im Offline- oder Online-Bereich "gesetzlich" zugelassenen Stimmen
meine Eltern wären. Der Schauspieler und sein Status als Angestellter –
und all die Fragen und vielgestaltigen Details, die sich daraus ergeben – könnten
jederzeit ein Buch füllen.
Ich bin mir völlig bewusst, dass alles, was ich sage,
radikal, zynisch, oft nihilistisch klingt. Meine Gedanken entspringen
aber dem Gefühl eines notwendigen Gegengewichts. Um eine echte
Entwöhnung und Suchtbefreiung in der Art "die Hunde bellen, die
Karawane zieht weiter" einleiten zu können, ist es zunächst notwendig,
den aktuellen Zustand zu akzeptieren, einen ehrlichen Blick in den
Spiegel zu werfen, der überhaupt nicht angenehm ist, ganz im Gegenteil.
Die Überwindung der Verneinungsphase ist Teil eines möglichen neuen
deontologischen Weges.
D Ş:
Ist die unabhängige Sparte eine wichtige Quelle im rumänischen Theater?
Besitzt sie eine ausstrahlende Kraft?
Golcea: Das
wollen wir hoffen. Ich würde mir das gerne wünschen. Unabhängigkeit ist
die Geburtsstätte der authentischsten und wichtigsten Ideen, die
geschichtlich einen Richtungswechsel einschlagen kann. Bisher gibt es
aus meiner Sicht nur ein Pop-Out, das ein 3D-Bild aus einer
2D-Aufnahme erzeugt. Für den rumänischen Kulturraum hätte ich mir von
Anfang an 4D gewünscht. Wir sprechen aber auch über eine
Übergangsgeneration, die mit wesentlich mehreren Übergangsregelungen als
meine konfrontiert war, und eine viel gewaltsamere Beschleunigung des
Wandels durchläuft. Eine Generation, die ihre Authentizität über
Ziffern- und Buchstabenkürzel definiert, ganz nach dem Motto: "Authentifizierung durch
Passworteingabe". Dies schließt nicht den Umstand aus, dass ich
bereits zu alt und von den Zeiten überholt bin und dass das, was mir
derzeit oberflächlich vorkommt, in den nächsten Jahren an Bedeutung
gewinnen wird und "altmodisch" in der kulturell-hipsteriösen Akzeptanz
des Wortes sein wird.
Übrigens: Unabhängige Sparte wovon? Letztlich sind die meisten Kulturschaffenden
doch der Gnade des AFCN
ausgeliefert, gelobt als "das kleinste Übel". Es geht hier nicht um
deren Finanzierungsbedingungen, ihre Schwerpunktsetzungen, die verfügbaren Beträge,
die Qualität, das Fachwissen und das Berufsethos der Bewerter, und
insbesondere nicht um die Halb-Heuchelei der Anonymität und der
Nicht-Voreingenommenheit. Denn in dieser kleinen Künstlerwelt ist jeder
mit jedem bekannt. So ist es ziemlich schwierig, wirklich
unvoreingenommen zu bleiben, wenn die Entscheidung getroffen werden
soll, wohin die öffentlichen Gelder fließen sollen. Wie wäre es mit
einer Sparte wie dieser: Unabhängig von einem Manager oder von einer Entscheidungsgruppe, die sie nicht
versteht oder vor ihr Angst hat oder im besten Fall die Intransparenz
und das tiefe Desinteresse der Stadtverwaltung, des
Ministeriums, der Bezirksräte nicht stören möchte, sprich: von Parteien,
die
abgeordnet sind
– nämlich: als Vertreter der Rumänen
–, um die kulturellen
Geschicke des Landes im Blick zu haben und diese zu "lenken"? Wie
klingt denn das?
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass die neue
Generation, die ihr Recht auf die Gegenwart beansprucht, die Kraft zum
Reden und Tun finden wird, und in der Lage sein wird, unseren
rumänischen DNA-Code umzuschreiben, eine echte Revolution anzuführen und
eine Kunst zu schaffen, die im Einklang mit ihren wahren Bedürfnissen
steht. Das
sage ich aus der Perspektive eines Menschen, der seit 1995 mindestens
zehn Jahre im
Underground verbracht hat, zur Zeit als dies noch ein echtes
Underground war, ohne Facebook, Twitter und Instagram, die es
augenblicklich zum Upperground und cool machen.
Um zu den jungen Künstlern zurückzukommen: Diese
befinden sich in einer äußerst heiklen und fragilen Position,
entsprungen aus Geldmangel und infolge der fehlenden
Verwaltungsstrukturen, die dem Wohl der Künstler dienen sollten, so wie
das in vielen Ländern Europas der Fall ist. In Rumänien sind die
Künstler mit einem System konfrontiert, das die Angst umtreibt, ihre
Macht mit dem Altwerden zu verlieren, das hermetisch in sich
abgeschlossen und nicht in der Lage ist, den Platz fortschrittlichen
Kräften zu überlassen. Statt dessen verharrt es in einem Stadium ohne
Zukunftsvision. Doch Gerechtigkeit wird es wieder geben, und sie kommt
ganz sicher aus der Zukunft.
DŞ:
Was schätzen Sie an der jetzigen rumänischen Theaterwelt?
Golcea:
Die moralische Integrität und Hingabe vieler Mitarbeiter des technischen
Personals, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe. Mit einigen von
ihnen bin ich befreundet, wir rufen uns regelmäßig an. Die Hoffnung
einiger Schauspieler, künstlerischer Leiter, technischer Angestellter
oder Dramaturgen, dass noch etwas Authentisches und Neues, Zeitgemäßes
geschaffen werden kann. Ich schätze ihre bedingungslose und oft naive Hingabe. Ich
respektiere zutiefst den Professionalismus, zumal er oft an Orten und in
Arbeitsbedingungen blüht, die eher das Gegenteil bewirken.
Was ich auch schätze sind zeitgemäße Fragestellungen, künstlerische Prozesse, die
ein Gefühl der totalen und bekennenden Hingabe ausstrahlen.
Ich mag sehr die jüngsten Bemühungen, das Theaterklima
frauenfreundlich zu gestalten. Ich schätze ebenfalls die jungen
Künstler, die sich mit den stark veralteten Strukturen anlegen. Ich
glaube, es gibt die Voraussetzungen für ein echtes soziales Theater, für
eine neue Ausdrucksform, abgestimmt mit unserer Dynamik. Ich verbeuge
mich vor den Künstlern, die andauernd weitersuchen, die sich nicht von
den Hindernissen, die sie überall finden – wie in einem Videospiel von
schlechter Qualität –, abschrecken lassen, und vor den Künstlern, denen
es gelingt, durch den in der Öffentlichkeit aufgebrachten Aufwand den
Status der wachsamen Gesellschaft zu ändern. Zu guter Letzt bin ich von
allen Formen eingenommen, in denen ein Künstler seine Gefühle offenbart,
wohl wissend, dass es bei dieser Art der persönlichen Entblößung auch
einen möglichen Gewinner gibt – das Publikum.
Aus dem Rumänischen
von Irina Wolf
(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache, Teil des
Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entries)
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