Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
In revolutionärer Mission

 Die freie Szene in Bukarest hat seit November 2016 eine neue,
geradezu genial zentral gelegene Spielstätte.

 Von Irina Wolf
(04. 05. 2017)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.
 




(c) Andrei Margulescu

Apollo111
(Kellersaal / Bar)





(c) Adrian Bulbuoaca

"Nach dem Regen"
(Regie: Sergi Belbel)



Linktipp

http://apollo111.ro

   Apollo111: Basierend auf ihrer Mission, professionelle und qualitativ hochwertige zeitgenössische Produktionen zu schaffen, entschieden sich die Gründer für diesen Namen, um damit an die erste Mondlandung der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA zu erinnern. Gleichzeitig soll damit auch dem Gott der Künste, dem Beschützer von Poesie und Musik in der griechischen Mythologie gehuldigt werden. Das Apollo111 ist aber mehr als nur ein Theater. Es ist ein Ort der Begegnung, der Experimente. Denn neben dem modern ausgerüsteten Kellersaal mit einer Kapazität von 140 Sitzplätzen für Theater oder Kino stehen noch ein Raum für Konzerte, eine Bibliothek, drei Probe- und zwei Casting-Zimmer sowie eine Bar-Terrasse zur Verfügung.

Das von Bogdan Dumitrache (Schauspieler), Cătălin Rusu (Werbeagenturleiter), Dragoș Vîlcu (Produzent) und dem international bekannten Filmregisseur Călin-Peter Netzer (dessen Filmbeitrag Mutter & Sohn erhielt 2013 den Goldenen Bären der Berlinale; Bogdan Dumitrache spielte darin eine der Hauptrollen, Anm.) gegründete Kulturzentrum besticht vor allem durch sein revolutionäres Konzept: Jede Spielsaison wird von einem anderen Künstler kuratiert und widmet sich schwerpunktmäßig einem spezifischen Thema. Zudem steht jede der Apollo111-Eigenproduktionen nur sechs Wochen lang auf dem Programm. "Apollo111 ist aus der Notwendigkeit entstanden, dass die Nachfrage nach künstlerisch wertvollen Inszenierungen der freien Szene drastisch gestiegen ist", sagt Bogdan Dumitrache, zugleich Kurator der ersten Spielsaison.

   Diese bietet Theater und Film, zeigt aber auch Produktionen für Kinder. Darüber hinaus verfolgt sie einen interdisziplinären Ansatz, der sowohl (inter-)kulturelle als auch (inter-)mediale Perspektiven aufnimmt. Somit ist es kein Wunder, dass bekannte Filmregisseure eingeladen wurden, den Spielplan mitzugestalten. Für die Eröffnungsfeier zeigte Radu Jude Ali Angst essen Seele auf, eine Bühnenumsetzung des gleichnamigen filmischen Werkes von Rainer Werner Fassbinder. Schon seit zwei Jahren ist der weltbekannte rumänische Filmemacher, dessen Streifen Aferim! im Jahr 2015 mit dem Silbernen Bären für den besten Regisseur ausgezeichnet wurde, in der Theaterszene aktiv. Sein Bühnendebüt gab Jude 2016 am Nationaltheater "Mihai Eminescu" in Temeswar mit Szenen einer Ehe von Ingmar Bergman. Ein Jahr später folgte am selben Haus Die Kontroverse von Valladolid von Jean-Claude Carrière. Und dazwischen die Inszenierung von Fassbinders 1974er Melodram. Dass dessen Thema in der heutigen Flüchtlingsproblematik nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, ist ebenso verblüffend wie erschütternd.

Nach dem Regen hieß die zweite Eigenproduktion von Apollo111. Auch das 1993 entstandene Stück von Sergi Belbel ist aktueller denn je. In der fiktiven Welt des renommierten katalanischen Autors hat es seit zwei Jahren nicht mehr geregnet. Hubschrauber kollidieren immer wieder mit Wolkenkratzern. Überdies gibt es des Öfteren Selbstmordversuche von den Dächern der Hochhäuser. Darüber hinaus wird Mitarbeitern eines Großunternehmens das Rauchen am Arbeitsplatz komplett verboten. Daher schleichen sie sich auf die Terrasse des Gebäudes, um heimlich zu rauchen. Sekretärinnen, Informatiker, Postboten oder Direktoren. Alle verletzen das Rauchverbot. Und bei diesen illegalen Zigarettenpausen kommt es immer mehr zu Debatten über gravierende persönliche Probleme. "Seit 2015, als ich beschloss Nach dem Regen zu inszenieren, scheint die Welt von einer kollektiven Hysterie erfasst zu sein. Zukunftsangst hat sich zu einem massenpsychologischen Phänomen aufgeschaukelt, egal ob in Europa, Amerika oder Russland", sagt Regisseur Alexandru Maftei. Dennoch gibt es eine Rettung: die Liebe.

   Vielversprechend verlief der Start der Spielstätte Apollo111, die von der Bank BRD Groupe Société Générale unterstützt wird. Man darf gespannt sein, was für ein Thema und welche Künstler der populäre Theaterregisseur Radu Afrim, Kurator der nächsten Spielsaison, vorschlagen wird.

Ausdrucken?

....

Zurück zur Übersicht