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Ein intimes, vertrauliches
Treffen zwischen einem Schauspieler und einem
Von
Irina Wolf |
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Tony und Luca wünschen sich ein Kind. Jedoch gilt in Italien (noch) ein Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare. Demzufolge erweist sich eine Reise nach Kanada als zwingend notwendig, um einen "Sohn" namens Matteo ausfindig zu machen. So geht der lang ersehnte Kinderwunsch endlich in Erfüllung. Geppetto und Geppetto heißt die Performance des sizilianischen Künstlers Tindaro Granata – zugleich Autor, Regisseur und Darsteller (von Luca) –, mit der die diesjährige Ausgabe des Festival delle Colline Torinesi eröffnet wurde. Ironischerweise wurde am selben Tag das Cirinnà-Gesetz bewilligt, wodurch Italien als 27. europäisches Land gleichgeschlechtliche Paare rechtlich anerkennt. Granata verfasste den Text nach unzähligen Treffen in Bars, auf Bahnhöfen, in Straßenbahnen und Zügen mit Menschen, denen er "Gedanken, Zweifel, Gewissheiten, Ängste, Vorurteile, Wut, (In-)Toleranz, Liebe, Hass und viele Wörter und Sätze heimlich klaute." Das gleichermaßen prägnante wie sensible Stück besticht durch die Leichtigkeit, mit der ernste Fragen vermittelt werden, die Italien in den letzten Monaten beschäftigt haben. Zwangsläufig gerät Matteo in Konflikt mit den anderen Personen: der (sizilianischen) Mutter, der konservativen Lehrerin, den aus Familien mit geschiedenen Eltern stammenden Schulkameraden. Die Geschichte von zwei Männern, die ihren Sohn wie in Carlo Collodis Märchenklassiker Pinocchio aus einem Stück Holz schnitzen, endet mit einem Vorwurf: Mit dem Ableben eines der beiden "Gepettos" kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem anderen Vater, dem der nun erwachsene Matteo sein Leben in einer anormalen Familie vorwirft. Ein insgesamt besinnlicher Abend, der berührt und zum Nachdenken anregt. Das jährlich im Juni stattfindende Festival delle Colline Torinesi – Torino Creazione Contemporanea zeigt ausschließlich zeitgenössisches Theater aus der ganzen Welt. Im heurigen Jahr lag der Fokus auf einer Reflexion der Geschlechtsidentität. So etwa wurden Frauen als "Opfer des Fundamentalismus" oder als "Protagonistinnen des Fortschritts" gewürdigt und mit anspruchsvollen und qualitativ hochwertigen Produktionen aus Frankreich, Iran, Argentinien, Israel, Griechenland und Rumänien Weltläufigkeit und Internationalität bewiesen. Das Pasolini-Projekt Das Festival fungiert außerdem als Koproduzent. So brachten zwei Performances eine Hommage an Pasolini vierzig Jahre nach seinem Tod: PPP letzte Inventur vor der Auflösung von Ricci/Forte und Orgie von Licia Lanera. Auf den ersten Blick scheint das Thema des gleichnamigen Stücks von Pasolini der Sadomasochismus zu sein. Die "Kommunikation" zwischen einem Er und einer Sie findet in einem Schlafzimmer durch gewalttätige Körpersprache statt. Und das, obwohl lange Dialoge zwischen den beiden ausgetauscht werden. Letztendlich begehen beide Selbstmord: sie aus Schmerz, er aus Protest. Das Stück ist jedoch viel komplexer. Es entpuppt sich als Analyse der (Macht-)Beziehungen zwischen Mann und Frau. Darüber hinaus handelt es sich bei der Orgie nach Aussage seines Schöpfers "um das Drama eines verzweifelten Kampfes derer, die wegen ihres Andersseins von der 'Normalität' marginalisiert werden", so Pasolini in einem denkwürdigen Publikumsgespräch, das 1968 in Turin kurz nach der Uraufführung stattfand. Die Herausforderung, den schwierigen Text auf die Bühne zu bringen, hat Licia Lanera – zugleich Regisseurin, Schauspielerin und Gründerin der Gruppe Fibre Parallele – erfolgreich gemeistert. Ihre Inszenierung bleibt sehr textgetreu. Die beklemmende Atmosphäre wird nicht zuletzt durch das minimalistisch-mystische Bühnenbild unterstützt: ein zentral platzierter schwarzer Sessel und zwei Mikrofone auf Stativen, die den Raum, in dem sich die Tragödie abspielt, abgrenzen. Drei riesige Reproduktionen von Gemälden aus dem siebzehnten Jahrhundert, die langsam von der Decke herabgelassen werden, (re-)definieren jedes Mal die verbleibende Zeit bis zum Tod. Gurdjieffs Musik wird eingesetzt, um Spannung zu erzeugen. Hingegen ist Eminems Rap ein "Ausdruck der Rebellion". Die Inszenierung betont die poetische Dimension des Stücks und versucht der "Wort-Körper-Auseinandersetzung" gerecht zu werden. Dabei übernimmt die Künstlerin die Rollen der beiden Personen. "Der Körper des Darstellers wird vom Wort zuerst angestiftet, dann getäuscht, und schließlich vergewaltigt", ist in den Regie-Anmerkungen zu lesen. Insgesamt
wurden in der diesjährigen 21. Ausgabe des Festivals zweiundzwanzig
Produktionen gezeigt, ebensoviele wie die Zahl der Karten eines
Tarot-Stapels, die in
Hamlet Private zum Einsatz kommen. Basierend auf Shakespeares berühmtem
Drama verlässt die Produktion der Theatergruppe Scarlattine Teatro den
traditionellen Theaterkontext. Es findet stattdessen ein intimes,
vertrauliches Treffen zwischen einem Schauspieler und einem einzigen
Zuschauer an einem Tisch in einem Caféhaus statt. Jede Karte des Spieldecks
stellt eine Episode oder eine Figur aus der Geschichte des Prinzen dar und
entspricht zugleich einem Erlebnis des eigenen Lebens. Fünfunddreißig
Minuten lang (durch eine Sanduhr streng markiert) wird Hamlets Zögern zur
eigenen Unentschlossenheit. Die berühmte Tragödie wird erst gegen Ende der
Performance, dessen Format in Finnland erfunden wurde, enthüllt. Eine
einzigartige individuelle Erfahrung und eine Gelegenheit zur
(Wieder-)Entdeckung des Shakespeare-Dramas im Jubiläumsjahr des beliebten
Dramatikers. |