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Hans Test erinnert sich: Meeresbewohner


Vom Delphin oder von dem Seeungetüm, das die Säge heißt

Im Meer lebt ein Tier, das die Säge heißt. Seine Flügel sind lang. Wenn es ein Schiff sieht, das die Segel gesetzt hat, will es dies nachmachen, stellt seine Flügel und segelt mit dem Schiff um die Wette. Nach drei oder vier Meilen wird es jedoch müde, es zieht die Flügel ein und läßt sich von den Wellen dorthin zurücktragen, wo es zuvor gewesen ist.

(Der Physiologus, nach der Übersetzung von Otto Seel, Artemis und Winkler 1961)

24.08.2006 22:07:54 

Nagib Machfus (11.12.1911 - 29.8.2006)


(long version)
Eine der frühesten Erinnerungen von Nagib Machfus war, wie er als Kind die Revolte des Jahres 1919 gegen die englische Kolonialmacht durch den geschlossenen Fensterladen verfolgt. Seine Sympathien galten dem linken Flügel der nationalistischen Wafd-Partei. In Gesellschaft zurückhaltend, war er in den volkstümlichen Cafés unter alten Freunden ein unermüdlicher Erzähler. Er hat über dreißig Romane und Myriaden von Erzählungen verfaßt. Seine Töchter tragen die Namen von Töchtern des Propheten: Umm Kalsumm, Fatima. In seinem langen Leben war er nur zweimal im Ausland. Selbst zeitweise Vorsitzender der staatlichen Zensurkommission (seit 1959), ist sein Roman »Die Kinder unseres Viertels« (fertiggestellt 1959) in Ägypten nie verlegt worden — bekämpft von Gelehrten der al-Azhar Universität, konnte das Buch (1967) in Beirut erscheinen. Er hat in zwei Städten gelebt, Kairo, der lärmenden Metropole, und Alexandria, wohin er sich im Sommer flüchtete, um seine Augenentzündung auszukurieren. Nagib Machfus ist der Vater des modernen Romans arabischer Sprache.
Die nationale Erhebung der Ägypter gegen die englische Kolonialherrschaft setzte Europa in Erstaunen – aber auch die arabische Welt. Man hoffte die Fremdherrschaft abzuschütteln und wollte sich doch nach dem Vorbild Europas modernisieren. Taha Hussein und Taufiq al-Hakim schrieben die ersten arabischen Romane, Umm Kalsumm fand mit ihren traditionellen Liedern von Liebe und Schmerz zu einer Kunstform, die alle Schichten ansprach, und wurde zum ersten Star der arabischen Welt. Es gab sogar Bestrebungen, ein Notierungssystem, eine Art Tonleiter für die arabische Musik, zu finden.
Auch auf politischem Gebiet modernisierte sich Ägypten und wurde damit zum Leitbild für die arabische Welt. Die von Saad Saglul gegründete Wafd-Partei plante eine Agrar-Reform, die endlich jedem ägyptischen Bauern sein Auskommen sichern sollte. Eine Bewegung zur Emanziption der Frau fand in der Gesellschaft Verbreitung, deren Galionsfigur, Hoda Sharawi, legte im Jahr 1925 demonstrativ den Schleier ab.
Seinen größten Kampf führte Machfus nach eigenen Aussagen gegen die arabische Sprache: »Meinen ersten Roman, ›Das Spiel der Schicksale‹, verfaßte ich in einem vom Koran inspirierten Stil … Als ich dann realistisch zu schreiben begann, hatte ich große Schwierigkeiten, zu einem Stil zu finden, die Wörter sperrten sich, wollten nicht gehorchen. Glücklicherweise spielte sich diese Konfrontation gewissermaßen unbewußt ab, andernfalls hätte sie mich gelähmt.«
Nagib Machfus wurde am 11. Dezember 1911 in Kairo geboren. Er war ein Nachzügler in der Familie und wuchs auf wie ein Einzelkind. Die Gamalijja, damals eines der wirklich populären Viertel in Kairo, verließ die Familie, als Nagib zwölf Jahre alt war, um in die Abassijja zu ziehen, in der Machfus bis zu seiner Heirat 1954 wohnte.
Das städtische Leben in der Gamalijja, das Nah an Nah aller Schichten und Verhältnisse auf der Straße und im Café ist eine ideale Bühne für den realistischen Roman in der Tradition des europäischen 19. Jahrhunderts. Hier spielen die meisten von Machfus’ Geschichten, entwickeln sich die Schicksale seiner Figuren, ob sie in bürgerlichen Verhältnissen leben wie Achmad Abd al-Gawwad, der Protagonist der »Kairo Trilogie«, als Friseur wie Abbas al-Hilu, oder als Armenarzt mit Hang zum kriminellen Milieu wie Doktor Buschi in der »Midaq-Gasse«.
Machfus hatte mit historischen Romanen begonnen (»Ein Kampf um Theben« 1944), als es unter den ägyptischen Schriftstellern, ausgemacht schien, daß man die Nation mit ihrer großartigen Vergangenheit zu konfrontieren habe. Danach haben ihn, wie er selbst sagt, »die großen Straßen nicht mehr interessiert«. Wenn er sich im Folgenden den Gassen zuwandte, sowohl gegen den philosophisch-idealisierenden Roman seiner Zeitgenossen und Vorbilder, als auch gegen die Historiengemälde eines verklärenden Nationalismus, und für eine »Literatur des Lebens« entschied, so war dies der Schritt zu einer arabischen Auffassung der Moderne, eine Leistung, die man als europäischer Leser nicht hoch genug bewerten kann.
Wie eine Vielzahl seiner Protagonisten zeichnete Machfus eine humorvolle Beständigkeit aus, eine listige Dicktriebigkeit gegenüber den Schlägen des Schicksals. Den kleinen Katastrophen wie der »Transportkrise«, die ihn in seiner Beweglichkeit einschränkte, dem Scheitern des großen ägyptischen Aufbruchs in Militärherrschaft und Kriegsabenteuern sowie dem Niedergang der allmählich in Dreck und Abgasen erstickenden Metropole Kairo setzte er die bedächtige Regelmäßigkeit seiner Gewohnheiten entgegen, etwa die berühmten Donnerstage der 50er Jahre, als er Beamter im Sozialministerium war: Am frühen Nachmittag verließ er das Büro, um mit seiner Mutter und den Geschwistern zu essen. Gegen 18 Uhr suchte er das Café Orabi auf, wo er sich mit alten Freunden aus der Gamalijja traf, wechselte gegen 20 Uhr in das jeweils angesagte andere Café (Rischa oder Operncafé), um dort seinem literarischen Stammtisch zu präsidieren. Mit dabei eine Gruppe von Intellektuellen, die sich »die Harafish« (Tagediebe) nannte — die wirklichen Gauner und Kleinkriminellen saßen allerdings im Café Orabi an seinem Tisch.
Indiskrete Fragen, welche seiner Romanfiguren ihm am meisten gleiche — ist es der grüblerische Kamal Abd al-Gawwad aus der »Kairo Trilogie« oder der oberschlaue Ahmad Akef aus dem (bisher nicht ins Deutsche übersetzten) Roman »Chan al-Chalili«? — hat er von sich gewiesen und gleich darauf offengelegt, welcher von seinen Bekannten wirklich als Vorbild für die jeweiligen Figuren diente. Da bisher keine Biographie über ihn erschienen ist, bleibt der neugierige Leser auf Fotos angewiesen, die häufig einen lachenden, gutaussehenden Mann zeigen, mal hinter einer Sonnenbrille versteckt, mal den Betrachter schelmisch von der Seite anblickend, dem man die gelegentlichen Beteuerungen der eigenen Schüchternheit nicht recht abnehmen möchte. Auch die Anekdoten über ihn sind dünn gesät. Offenbar in seiner Jugend ein talentierter Fußballer, war er immer ein Tausendsassa, ein Meister im Volkssport Nokta. Hierbei geht es darum, den Spott mehrerer Angreifer zu parieren und diese an Witz zu überbieten. Machfus soll bis zu zwanzig Nokta-Spezialisten in Schach gehalten haben, bis sie über seine Frechheiten auf ihre Kosten selbst lachen mußten und aufgaben.
Solche Chuzpe legte der Schriftsteller an den Tag, als er sich nach zwei historischen Romanen und zahlreichen Erzählungen einen realistischen Roman der europäischen Tradition (»Das neue Kairo« 1945) vornahm. Sich an Drinkwater´s Literarischem Handbuch orientierend, las er sich quer durch die großen Erzähler von Tolstoi über Kafka, Proust, Joyce bis zu Dos Passos.
Als 1956 der erste Band der Kairo Trilogie erschien, war der Traum von einem demokratischen Ägypten ausgeträumt. Die fundamentalistischen Muslimbruderschaften und die autoritär-nationalistischen Militärs begannen ihren blutigen Kampf, der in der Kultur viel Neues erstickte und mittlerweile auch die letzten Überreste der islamischen Zvilisation zu zerstören droht.
Machfus, der nie im Gefängnis war und frühzeitig zu Posten (zuerst im Sozialministerium, dann in der Filmindustrie), Ruhm und Ehren kam, wurde von den Fundamentalisten bekämpft und mußte auch Schikanen des Staates ertragen. Zu Nassers Zeiten wurde sein Stammtisch zur verbotenen Versammlung erklärt. Als der literarische Kreis im Café Rischa nach 1967 immer politischer wurde, nutzte der Inhaber eine Renovierung, um ihn loszuwerden, in dem er den Ruhetag auf den Tag des Treffens verlegte.
Tief verstört haben Machfus die Niederlagen gegen Israel 1967 und 1973, auf die jeweils eine quälende Schreibkrise folgte. Als die schleichende Re-Islamisierung der arabischen Welt einsetzte, galt er dort bereits als Symbol für eine andere, weltoffene Tradition. Die übrige Welt nahm ihn nach zögerlichen Anfängen erst mit dem Nobelpreis 1988 zur Kenntnis.
Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts haben ihn nicht interessiert. Die große Romankunst des Nagib Machfus beruht auf gelebter Volksnähe in Verbindung mit einem hart erkämpften realistischen Stil, den er ständig weiterentwickelte, immer wieder neu ansetzend, politische Zeitgenossen karikierend (»Miramamar« 1967), die Sprache konzentrierend, erzählerisch ins Traumhafte, Symbolische ausgreifend, bis er mit »Echnaton« (1985) noch einmal einen historischen Roman wagte, der eine der Grundfragen der arabischen Gesellschaften aufwirft: (monotheistische) Religion und Herrschaft. Noch in den letztn Jahren des alten Jahrtausends hat ihn ein fanatischer Muslim niedergestochen.
Seine Rede zur Verleihung des Nobel-Preises beendete er mit einem Zitat des Dichters al-Maarri (11. Jahrhundert): »Die Trauer in der Stunde des Todes ist um ein Mehrfaches tiefer als das Glücksgefühl, das einen in der Stunde der Geburt durchströmt.«
(steht morgen in der Frankfurter Rundschau)

30.08.2006 14:29:44 

Hans Test erinnert sich: Atemwege


Atemwege Atemwege hat Hans Test nicht auch einmal das Wort geschrieben? Hans Test blättert blättert. Hans Test erinnert sich: die Atemwege führen nach Süden. Hans Test blättert blättert. Hans Test findet: ein Nebel aus Sonnenschutzfaktoren zieht nach Süden. Hans Test fände Atemwege plötzlich besser. Heh, Hans Test! Hans Test erinnert sich nicht. Gelächter Sirenen. Hans Test blättert blättert. Hans Test blättert nicht in den Papieren mit den Entwürfen im Koffer im Keller. Test wie? Monsieur Teste? Herr Kopf? Hans Test blättert blättert. Atemwege Atemwege. Atem möchte man ausrufen. Hans Test erinnert sich: Zivile Ziele. Halten Sie den Adam an. Hans Test kürzlich an eine Redaktion: auf der Festplatte eines abgelegten Computers fand ich in einer alten Flasche diesen Text. Hans Test blättert blättert in einem Notizbuch. Hans Test erinnert sich: Meine Damen und Herren als ich kürzlich ein Notizbuch durchblätterte, stellte ich fest, daß ich manche Einfälle mehrfach aufgeschrieben hatte. Meine Damen und Herren? Atemwege Atemwege. Hans Test erinnert sich nicht. Test oder Text? Textikel Nüsse Zeugungsorgan. Atemwege Atemwege. Queneau Valéry. Adam Adam. Jochanan. Chans. Hans Test schreibt: Nixengezücht Schwebende Schwaben Alte Kragen. Monsieur. Herr. Niemand. Heh heh! Test Test Test

(für Hendrik Rost)


07.09.2006 10:36:17 

Hans Test in Brasilien


»Ich dachte … an den unglücklichen Hans Test, der jahrelang in der Angst lebte, jeden Augenblick gefressen zu werden, aber immer wieder gerettet wurde, und der versuchte, sich für einen Franzosen auszugeben, indem er auf seinen so wenig iberischen roten Bart verwies, aber vom König Quoniam Bébé die Antwort erhielt: ›Ich habe schon fünf Portugiesen gefangen und verspeist, die alle behaupteten, Franzosen zu sein; und doch haben sie gelogen!‹ Und welche stetigen Beziehungen mußten nötig gewesen sein, damit im Jahre 1531 die Fregatte la Pélérine nicht nur dreitausend Leopardenfelle und dreihundert Affen, sondern auch sechshundert Papageien, ›die schon ein paar Worte französisch sprachen‹, nach Frankreich mitbringen konnte.«

Nach: Claude Lévi-Strauss, Traurige Tropen, Suhrkamp 1978, S. 73. Übersetzung von Eva Moldenhauer

14.09.2006 14:07:15 

Neulich in der Bahn


Hans Test hatte es sich für diese kurze Strecke in einem Raucherabteil bequem gemacht, darauf hoffend, dass er allein bleiben würde, denn ein Raucher hätte ihn gestört. Kurz darauf setzte sich eine dicke junge Frau zu ihm, schaute in den Abteilgang und sagte: jetzt bin ich mal gespannt. Dann kamen die Engländer, eine aufgeregte Reisegruppe von vielleicht zwölf Personen, aufgefordert, ihre Plätze einzunehmen, kamen sie paarweise in sein Abteil, die junge Frau hatte schon bei den ersten englischen Rufen die Flucht ergriffen. Anfangs waren es zwei Paare, hagere, schwer schnaufende Männer, die ihre Koffer kaum über Hans Tests Kopf stemmen konnten, sie waren sicher siebzig Jahre alt, die Frauen grossgewachsen, blond, dezent geschminkt, wuchtig. Der Zug verliess den Mannheimer Bahnhof und überquerte den Rhein, erstaunte Rufe über den breiten Fluß und die Hafenanlagen, der eine Herr machte eine applaudierende Geste zu Test hinüber. Die Frau des Anderen rief in den Gang hinaus: there´s a stranger claiming his seat! Hans Test brauchte noch zehn Minuten, bis er begriff, dass er gemeint war. Da nämlich kam eine junge Inderin zu ihm, öffnete einen grünen Ordner über seinen Knien, und bat ihn, seinen Platz zu verlassen, sie zeigte auf ein abgeheftetes Dokument, in dem vermutlich eine Reservierung stand. Auf dem Weg in einen anderen Waggon stand Hans Test ein Mann im Weg, der etwas in seinem Koffer suchte. Er drehte sich um und meinte begütigend: dzu ville loite!
Im anderen Abteil sitzend, erinnerte sich Hans Test an eine Szene aus den siebziger Jahren bei der Touristenpolizei in Rom, als er vormittags in den überfüllten Warteraum kam, um einen Diebstahl zu melden. Mitten in der bunt gemischten Gruppe, die meisten Bestohlenen waren junge Leute mit Jeans und langen Haaren, saß eine teuer gekleidete ältliche Engländerin, die unablässig in der Handtasche kramte und kopfschüttelnd meinte: they even took me my British Passport!

28.09.2006 16:44:06 

Pepe Rubianes beschimpft die Spanische Nation








Pepe Rubianes

A mí la unidad de España me suda la polla por delante y por detrás... Y que se metan a España ya en el puto culo a ver si les explota dentro ya y le quedan los huevos colgando del campanario... (aplausos)... que vayan... vayan a cagar a la puta playa con la... (el locutor: no, no, ha quedado claro, ha quedado claro) ... con la puta España que llevo desde que nací con la puta España vayan a la mierda ya con el país ese, y dejen de tocar los cojones (risas del público)... siga por favor.


Pepe Rubianes beschimpft die Spanische Nation

I
Sein Glied, stellt er fest, gerate beiderseits
ins Schwitzen, wenn die Rede auf
die Einheit kommt.

Er nimmt Spanien als Person,
sie packen,
das Land ihr in den Hintern
schieben, um den
Ertrag zu sehen und wie danach
die Eier in den Glockentürmen hängen
(Applaus im Publikum).

Man solle gehn und seine Notdurft
am Strand verrichten, so sein Vorschlag
gegen die Beschwichtigungen des Moderators.

Er selber habe seit Geburt
an der Putte Spanien
getragen

(immer sagt er: Putte Spanien, Putte Strand usw).
Erneut: der Strand, der Kot (Gelächter),
die spanische Person, die sich
zu oft im Schritt berührt.


II

Mir brennt das Ding an beiden Dochten!
Sie sollen sich doch ihr Spanien in den Arsch
und sehen ob das fruchtet und ob
danach die Klöten bei den Glocken
hängen (Applaus). Ich scheiss auf ihren
verdammten Strand. Sie sollen sich
dorthin verpissen. (Moderator: genug!)
Scheissspanien sitzt mir im
Nacken seit Geburt. Sie sollen sich
verpissen mit ihrem Spanien
und endlich mal die Pfoten
von den Eiern lassen


III
Ein Ding ist dort das schürt die
Hitze und panisch wie die Köter
sieht man überall Ertrag und
läuten auch die Türme den Applaus
so ist der Sand nicht immer
sauber. Dorthin zu gehn
rate ich gewissen Leuten ob
der Locutor nun abwinkt
oder nicht. Ich selber seit Geburt
bin abgestraft und wiederhole
meinen Rat. Wer Hände hat
soll zeugen

IV
Der Sand färbt sich
wie gegessen Brot.


17.10.2006 10:10:31 

Textikel


Hans Test erinnert sich: Namen
Auf dem Reisebüro hörte Hans Test wie eine Frau von einer jungen Angestellten gefragt wurde: und wie heißt ihr Mann? Noch vor dreißig Jahren (als Hans Test die Freundlichkeit bekämpfte) hätte eine Angestellte gefragt: wie ist der werte Name Ihres Herrn Gatten?
In der Reinigung, die Hans Test danach aufsuchte, war vor ihm eine junge Frau mit abstehenden Haaren. Verlegen, weil sie einige Hemden nur zum Bügeln bringen wollte, sagte sie vor jedem Satz äh. Wie hießen Sie? Äh, Rost. Kopfschüttelnd notierte die Alte hinter der riesigen Kasse: Erost. Hans Test erinnerte sich auch an eine Szene im bulgarischen Plovdiv, wo man zwar seinen Namen verstand, aber nicht daran gewöhnt schien, daß er gern im Voraus bezahlte:
»Die Alte in der Wäscherei hat mir das letzte Mal eine fürchterliche Szene gemacht, weil sie die von einer anderen im voraus schon kassierten 5,50 l noch mal haben wollte. Ich sagte würdig (in meinem besten Englisch), ›I already paid it‹ & sie in ihrem lautesten Bulgarisch, daß sie noch 5,50 l von mir zu kriegen hat. So haben wir uns sicher 10 mal denselben Satz an den Kopf geschmissen, bis es ihr zu bunt wurde & sie den Satz auf 1 Zettel schrieb, natürlich in kyrillischen Lettern. Irgendwann schielte ich einmal verstohlen ins Paket, ob es überhaupt meine Sachen sind, und einige Minuten später schob ich hinaus, langsam, langsam, um die Legitimität zu wahren und als ich draußen war, habe ich noch einmal durchs Fenster gerufen, daß ich doch bereits bezahlt hätte & sie schmiß in einem wahrhaft biblischen Wutanfall den Zettel auf ihren Ladentisch. Heute habe ich ihr wieder Wäsche gebracht, sie natürlich lammfromm, hatte sich wohl bei der Kollegin erkundigt. Ich habe wieder gleich bezahlt (diesmal bei ihr) und es wurde wieder nicht quittiert, bin gespannt was morgen los ist: petäk! rief sie, Freitag, und als ich mit den Schultern zuckte, schrieb sie es wieder auf 1 Zettel, petäk! petäk!«

Winken
In Hans Tests Straße winken zwei kleine Mädchen ihrer Mutter hinterher, die in einem weißen Mercedes abrauscht. Sie sind zwischen fünf und neun Jahren alt, beide in ein melonenfarbenes Köstümchen gekleidet, also Schwestern. Die Jüngere hat mit dem Zeigefinger gewinkt, jetzt fällt es ihr auf, sie macht zur älteren Schwester hin die Handbewegung nach und sagt: daß du mir artig bist!

5. Fibrille
Vor Hans Tests Fenster sagt eine junge Frau erregt ins handy: wenn ich das nicht gemacht hätte, dann würden wir jetzt sehen, was passiert wäre.

06.11.2006 15:34:36 

Der dritte Mittwoch


Im November lebte Hans Test in Paris. Er schrieb an einem Stück, in dem ein einsamer Bewohner von unbekannten Wesen aus dem All entführt wird. Als Hilfstruppe hatten sie eine Spezies mit Namen »Halbautomatische Verwandten« zur Seiten und folgten weitgehend den Geboten des Islam. Hans Test hatte die Wohnung eines Philosophen gemietet, der die italienische Werkausgabe Walter Benjamins betreute. Am ersten Mittwoch war die Schlüsselübergabe gescheitert, Hans Test mußte sich in einem Hotel einmieten, in dem er kaum zu Ruhe kam. In allen Zimmern liebten sich die Paare. Ein paar Jahre zuvor, zur Zeit es Golfkriegs, war es eine polnische Reisegruppe gewesen, die ihn nicht schlafen liess, weil sie die ganze Nacht nur ein Lied zur Gitarre sang: »are you lonesome tonight?« Hans Test wollte aus dieser Zeit die Begegnung mit einem maghrebinischen Hausierer in seinem Stück verarbeiten, den er als einzigen Gast unter hundert einsamen Gedecken im Frühstückraum angetroffen hatte. Der Mann war sehr gesprächig und hatte den fischigen Blick eines Phöniziers. Am dritten Mittwoch ging Hans Test in die Rue des Rosiers, um sich einen kalten Auberginenkaviar zu bestellen. Dort hatten sich junge Leute aus der chassidischen Sekte der Lubawitscher versammelt, sie trugen brennende Chanukka-Kerzen, verteilten Flugblätter und schrieben an alle Plakatwände »Le Machiah arrive! - Der Messias kommt!« Hans Test erzählte einem Taxifahrer, der an seinem Tisch Platz nahm, von seinen Erfahrungen über die Fernwirkung fremder Geräusche in einem Hotel. Seine Lieblingsgeschichte von dem Paar, bei dem der Mann sich erst nach dem Liebesakt durch ein dreifaches Niesen bemerkbar gemacht hatte, gefiel auch dem Taxifahrer, den Hans Test gleich in sein Stück aufzunehmen beschloß, das leider Fragment blieb. Er empfahl Hans Test auch ein schlichtes Weinlokal: La Cloche des Halles, gleich um die Ecke bei der Brasserie Le Jambonneau doré. Auf dem Weg dorthin sah Hans Test dann am nächsten Tag, es war der dritte Donnerstag im November, an allen Schaufenstern die Erfüllung der Prophezeiung: »Le Beaujolais Nouveau est arrivé!«

15.11.2006 12:13:56 

Hans Test im Frankfurter Museum für Moderne Kunst


Eines Abends im November um dreiviertel zehn winkte Hans Test nach einem Taxi. Er hatte in Sachsenhausen ein paar Merlot getrunken und Leber gegessen, jetzt stand er am eisernen Steg und wollte zum Bahnhof, um von dort aus nach Heidelberg zu fahren. Der Erste, der hielt, wollte nur sagen, daß er von der Straße grundsätzlich niemanden aufnimmt, Test müßte schon einen Taxistand aufsuchen. Aus seinem Fenster roch es nach Schweißfüßen und Zigarettenrauch (Milde Sorte). Der Zweite brauste einfach durch. Ein Dritter hielt zögernd, meinte, er könnte Test schon zum Bahnhof bringen, müßte allerdings noch zum Kunst-Museum gleich um die Ecke, es sei etwas fürs Fernsehen. Test dachte an eine kleine Besorgung, vielleicht einen Schlüssel abzugeben, und war einverstanden. Der Taxifahrer fuhr einmal um den Römerberg herum, er hatte die Uhr abgestellt, logo, meinte er, das müsse se net zahle. Im Radio heulte the turn of the tax, der alte Song einer österreichischen Postpunkband. Als sie an der Ampel bei der Paulskirche standen, war es schon fast zehn, aber in dem Thai an der Ecke waren noch keine Gäste. Test sagte: der Thai ist immer leer. Der Taxifahrer fragte, müssen Sie eigentlich auf den Zug, oder sowas? Ja, sicher, viertel nach zehn. Das wird net gehe. Wieso? Im Museum, des dauert e bissche. Jetzt war es grün und er preschte los, um sich gleich rechts einzuordnen. Was haben Sie denn im Museum zutun? Ich muß da das Rad abmache, das wird dann angeguckt, eine Kunstaktion. Jetzt erinnerte sich Test an ein Gedicht über eine Radpanne in den Weinbergen von Edenkoben. Welches Rad denn? Links hinten. Test fiel ein, daß er unterschiedliche Socken anhatte. Der Taxifahrer sagte: wenn Sie mir Ihrn Schuh gebe, den wollen die auch sehen. Es geht dann schneller. Test sagte, er habe mal ein Gedicht geschrieben, da wird eine Reifenpanne dadurch gelöst, daß man einen alten Schuh unters Rad bindet, gemeint war das Übersetzen von Poesie, verstehen Sie? Der Taxifahrer sagte, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, das Fernsehen ist schon da. Test sagte: Wußten Sie, daß Taxi von taxare kommt? Das leitet sich ab von tangere, berühren. Der Mann stoppte, sagte, machen Sie bitte keine Schwierigkeiten. Ich bin aber Linkshänder, meinte Test. Der Mann stieg aus, bockte das Fahrzeug hoch. Von welcher Seite der kommt, ist denen egal und ihre Füße will sowieso niemand sehen.

für Andreas Bee

03.12.2006 11:27:41 

Propheten 2 (nachgewinkt)


Doktor Buschi wartet bereits, als Hans Test vom verregneten Boulevard in das Café Rischa tritt. Er sitzt unter dem Foto von Nagib Machfus, so hat sich Test ihn vorgestellt, klein, fahl, große Nase, Schnurrbart. Test drückt sich am Schreibtisch des Inhabers vorbei in den fensterlosen Innenraum, warum nicht auf der hellen linken Seite? Doktor Buschi ist aufgesprungen. Hallo, welcome. Test weiß nicht, wer von ihnen den weiteren Weg zurückgelegt hat, Herr Dr. Buschi kommt aus den 1950er Jahren direkt hier her. Einer von den nubischen Boys in Sarotti-Uniform tritt an ihren Tisch. Ein Bier? Dr. Buschi zieht eine Grimasse. Also eine Flasche Cabernet-Sauvignon. Der Boy trägt die Bestellung an den Schreibtisch des Inhabers. Schön hier, strahlt Dr. Buschi, viel teurer als das Kirscha in der Midaq-Gasse, aber Sie als Europäer … Am Nebentisch nimmt jetzt eine größere Gruppe platz, kräftige Männer in dunklen Anzügen mit schweren Golduhren, die Damen ganz römischer Schick, kastanienbraune, marineblaue Kostüme, schwarze Augen. Man bestellt eine Flasche Whisky und die Speisekarte. Draußen gießt es in Strömen, es ist sechs Uhr und schon Nacht. Wie mag es ihm ergangen sein, nach der Gefängnisstrafe für den Grabraub, verübt zusammen mit dem Krüppelmacher Zita, hat Frau Sanijja Afifi es ihm verziehen, daß er ihr ein goldenes Gebiß verkaufen wollte, das aus dem Mund einer Leiche stammte? Ich lebe jetzt in anderen Verhältnissen, lächelt er, und stürzt das erste Glas des öligen Roten hinunter, wischt sich den Mund mit dem Handrücken. Dr. Buschi sieht gut aus in seinem grauen, abgetragenen Anzug, irgendwo muß sein nasser Mantel hängen. Sein rundes, freundliches Gesicht wirkt entspannter als Nagib Machfus über ihm, gleich neben dem bleichen Oval von Um Kulthumm. Dr. Buschi ist unsterblich, sein Schöpfer starb kürzlich, jetzt grinst er beinahe. Die Gasse ist natürlich nicht mehr das, was sie mal war. Wie finden Sie Kairo? erkundigt sich Dr. Buschi höflich. Test erzählt ihm von seinem ersten Besuch Ostern 2000, von der Zitadelle sah er auf die mittelalterliche Stadt, Architektur wie von Händen geformt in den Brauntönen der Wüste, der breite Nil, im Hintergrund Hochhäuser und ganz oben die Pyramiden wie auf einen Parkplatz gerückt. Machfus hat nie eine Moschee von innen beschrieben? Meines Wissens nicht, rätselt Dr. Buschi, doch einmal, als Amina Abd al-Gawwad zum ersten Mal das Haus verläßt, um die Hussain-Moschee zu sehen, was sie teuer zu stehen kommt, aber da nur ganz summarisch. Dr. Buschi erklärt Test den Unterschied zwischen Gasse und Straße, die Gassen seien quasi autonom, Scharia ist das arabische Wort für Straße wie für Gesetz, eine Reiseführer-Weisheit. Die Perspektive des Erzählers Machfus auch eine Haltung, politisches Signal. Am Nebentisch kommt das Essen, Teller mit Salat, geröstetem Paprika, Tauben, flachgeklopft und gebraten. Dazu eine neue Flasche Whisky und Mineralwasser. Die Taubenschwärme über der Stadt, launisch und leicht von Dach zu Dach flatternd. In der Kairo-Trilogie sind die heimlichen Rendez-vous nur auf dem Dach möglich. Von der Zitadelle aus konnte man auch bis hinüber in die Gamalija schauen, eine Linie von Minaretten, die sich in der Nähe des Hussain-Viertels mit den Highways kreuzt, der Basar Chan al-Chalili überdonnert vom niemals ruhenden, immerfort hupenden Autoverkehr, und auch die Midaq-Gasse. An einem Kiosk in der Nähe des Café Fischawi hat Test eine alte Aufnahme von Umm Kulthumm gehört, eines der späten Lieder, ihre Stimme bereits aufgerauht vom Alter, mächtig und weich. Als sie schon über sechzig war, meint Dr. Buschi, hatte sie beim Singen ein grünes Tuch in der Hand, das sie knautschte, knotete und auswrang, einmal rief sie in das bereits tobende Publikum: »Koste die Liebe mit mir!« Das war in einem Theater da hinten, in der Ezbeqija. Test stimmt zu: in der Kairo-Trilogie sind diese Theater Orte echter Leidenschaft, wie auch das Hausboot, auf dem die Orgien stattfinden. Und wissen Sie, verehrter Doktor Buschi, es gibt ja auch bei Machfus diese versteckten frechen Pointen, etwa wenn er in »Palast der Sehnsucht« zuerst den Muezzin und gleich darauf den Milchmann rufen läßt. Ja, sagt Herr Doktor Buschi, die Familie Abd al-Gawwad, reiche Leute wie die da drüben. Er trinkt sein Glas aus. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Sind Sie eigentlich meinetwegen hierhergekommen? Da war noch ein Termin, lügt Test.
(Nagib Machfus zum Geburtstag)

11.12.2006 11:04:59 

Propheten 3


»Als Ludwig gesehen hatte, dass in der Kirche von Fulda die Öllampen mit Schweineschmalz gespeist wurden, versprach er, diesem Kloster in Italien einen Ölbaumgarten zu schenken, wie aus einem Brief Rabans an Ludwig und dessen Gemahlin Irmingard hervorgeht. Ludwig hatte den Fuldaern einen Ölbaumgarten in Italien versprochen: Damit sie ihn bekämen, schreiben sie schon [ein erstes Mal] an den Kaiser, bald darauf an Irmingard, die Gemahlin Lothars I., bald darauf an den Erzkapellan Baturich, bald an andere wegen dieser Angelegenheit. «

(Rabanus Maurus 780-856, Kaiser Ludwig der Fromme, Kaiserin Irmingard, Kaiser Lothar I., Kaiserin Irmingard)
aus: Stephanie Haarländer, Rabanus Maurus zum Kennenlernen, Mainz 2006, S. 79
und für Katharina Höcker 1 Gespött

23.12.2006 14:56:12 

Kater im Caféhaus


Paul Scheerbart
Groglied

In meinen Adern brennt der stramme Grog;
Pompöser Kohl durchrast mein Eingeweide.
Die kalte Nase steckt im Weltgehirn;
Die heißen Hengste führ ich auf die Weide.
Jetzt, Erdenbürger: Leide! Leide! Leide!


Das Gedicht beginnt zackig wie der Name seines Autors: ein strammer Grog kommt in die Blutbahn. Dagegen fahren die beiden folgenden Zeilen jeweils gegensätzliche Effekte auf. Mal komisch als Blähung im Eingeweide, mal grotesk, aber von krasser Sinnlichkeit, wenn wir ein paar Stockwerke höher gehen, immerhin bleiben Dichterkopf und Weltkopf eng beisammen. Am Ende des kurzen Gedichts verschränkt sich eine friedlich-bäuerliche Tätigkeit (auf die Weide mit den Hengsten) mit einer bösen Ahnung, oder ist es eine Drohung?
Paul Scheerbart wurde am 8. Januar 1863 in Danzig geboren, starb 52 Jahre später völlig mittellos in Berlin. Walter Mehring berichtet, er habe sich aus Protest gegen den Weltkrieg zu Tode gehungert. Expressionisten und Dadaisten haben sich an ihm inspiriert, mit seinem neuen Theater soll er sogar Alfred Jarry beeinflusst haben, lange vor diesem hatte er bereits einen »Eisenbahnroman« (1897) verfasst. Von seinen Zeitgenossen aus der Berliner Bohème (Mühsam, Dehmel) wird er als unermüdlicher Erzähler geschildert, die Gattin, eine Heilige, erscheint immer nur als »der Bär«. Scheerbart, Schreiber unzähliger phantastischer Romane, nach eigenem Bekunden Anti-Erotiker (eine Weide für die Hengste) und gewiss Anti-Naturalist, Erfinder eines unsinnlichen Orients, ist ein ebenso tragisches wie kauziges Genie.
Wer etwas über die Lebensverhältnisse Scheerbarts weiß, benötigt nicht viel Phantasie, um den Anlass des Gedichts auszumachen: ein aufgewärmter Rausch. Die Niederungen, in denen das Gedicht ansetzt, sind die Qualen eines Katers. Der blähende Kohl wie die kalte Nase dürften der Armut geschuldet sein, aus der sich der Dichter (trotz unzähliger Pläne für den großen Durchbruch) nie befreien konnte. Gemessenen Schritts reihen sich die Bilder einer Aufspaltung durch Erhitzung und Abkühlung. Diese Dynamik erfüllt sich im dreifachen Ausruf an den »Erdenbürger«, der, das Gedicht macht es durch Endreime glaubhaft, über das Treppchen der Adjektive stramm-pompös-heiss hinaufgegangen ist.
Ist das ein humoristisches Gedicht? Nur einige Begradigungen, ein paar Korrekturen in der burlesken Formulierung, und wir hätten einen jener Texte, wie sie kurze Zeit später von der neuen Generation der Expressionisten geschrieben wurden. Wie sein »Indianerlied« zeigt, konnte Scheerbart durchaus radikal und elementar (und wiederum »moderner als seine Zeit«) formulieren: »Murx den Europäer! / Murx ihn! / Murx ihn! Murx ihn! / Murx ihn ab!«
Als Erzähler wie als Lyriker arbeitet Scheerbart nicht nur abseits der guten Gesellschaft seiner Zeit, sondern bedient auch literarische Formen, die seine erfolgreicheren Freunde aus der Bohème noch erfüllen, eher unwillig. Ähnlich improvisiert erscheint auch seine Lebensführung, changierend zwischen herbem Unglück und freiwilliger Komik. Der Bohèmien verweigert die Arbeit, es gilt die nackte Inspiration. So erschöpfte sich Scheerbart in einer obessiven Suche nach dem Perpetuum Mobile, das er zärtlich »Perpeh« nannte.
Wie diese Wette mit dem genialen Leben funktioniert, hat Peter Altenberg, ein ähnlich gelagerter Fall aus der Wiener Szene, einmal so ausgedrückt: »Ich habe mich mein ganzes Leben geplagt, gar nichts zu leisten, und jetzt will man mich nicht einmal für ein Genie halten«.
Beide Gedichte habe ich aus Paul Scheerbarts »Katerpoesie« in einer Ausgabe, die selbst kurios zu nennen ist: Das dünne Bändchen erschien 1963 bei Goverts mit dem pompösen Aufdruck »Neue Bibliothek der Weltliteratur«. Dann wurde es offenbar von der Welt vergessen, bis ein findiger Verleger einige Exemplare aufspürte, sie mit einem durchsichtigen Umschlag versah, diesen mit der trotzigen Zeile: »jetzt bei Klaus G. Renner 1977« bedruckte, und das Buch erneut auf den Markt brachte.

31.12.2006 11:16:14 

Fischpredigt


I
Sprich nicht in diesem Ton zu Fischen.
Sei flüssigen Fußes an Land und in Stürmen
ein fester Schuh. Faß dich
gestikuliere. Nimm die Hände vom Brot
iß den Essig schluck das Wunder
in dein Kleid auf Beinen. Sei dem Wind
ein Rücken sei dem Mast das Tau
im Ohr und nicht in diesem Ton
zu Fischen

11.01.2007 11:07:47 

Fischpredigt


II
Ficken im Wasser eine Sage von Trinkern.
Solche Leute haben weiße Bäuche und
es fehlt ihnen der Sauerstoff an der
Oberseite. So lachen sie dahin mit dem
Bugatti in der Garage neben dem Aquarium aus dem
sie schöpfen. Im Wasser ficken ein Fang
von Rednern Bauchtrinkern.

12.01.2007 11:18:21 

Fischpredigt


III
Störend das Schweigen der Schwäne und
auch die Menschen sagen kaum noch was.
Als unser Bett quietschte erstarben die
Grillen die Geräusche flohen auf einen Baum wie
Buchstaben. Wir sangen mice love rice

Wer rechnet hört auf zu denken. Danach
war Blütenstaub in den Rillen des Hosencords.
Störend die Ziersträucher am Pool
wenn die Schwäne erschrecken und auf-
fliegen wie von alten Wellen.

13.01.2007 13:37:20 

Ihr Töchter


der Fische Rheinglocken ölige Südostlichter
mit euren Schnorcheln und Engelsflossen ins Netz
geraten versenkt ihr Gräten eine Genossenschaft
eukalyptischer Kehlen wie es gestern ein
Reuters meldete ihr Medien Sirenengestalten
schleusenhungrige schlierige Fischtöchter

15.01.2007 09:58:18 

Den Füßen


sei gesagt für jeden Boden gibt es einen
Schuh. Die hellen Stimmen rufen
nicht mehr guten Morgen und
beim Tanzen sollen sie nicht auf die Mädchen
treten. Zum Schlafen ist es ohnehin zu spät
die Fische gehen Richtung Aufgang.
Von gestern ist noch Studiokälte übrig
der Wind kommt aus den Geräten
statt Rettich trägt der Fructidor
schon Ratten im Gepäck

17.01.2007 15:44:41 

Dem Jod


zu danken daß die Fische
Gott enthalten. Wir leben
im feuchten Stein wie Launen
im Speck. Dem Faß zu danken
für den Zauber. Dem Salz zu
danken für den Segen der Frau
die in das Faß greift. Dem Engelskopf
als Anlaß für ein kleines
Nicken zu danken dem Jod

18.01.2007 23:53:39 


ABNEHMENDE Mäntel Konturen des erkaltenden
Körpers die Falten vermehren den Gips ein rieselndes
System. Man teilt sich ein helles Fell das gute Freunde
(Kantstr.) erlegt haben für ein Zungenaroma
Crisp der vergeht wie das Dach überm Kopf:
Charivari und gestohlener Stahl. Ein Sohn ging
in der Welt verloren der Mantel kehrt zurück
der Schatten findet seinen Mann. Ausgepackt
ist das Teil ganz rissig die Falten hineingeschlagen
hängen sich aus. Wärst du nicht ein Duffelcoat
mit weichen Knöpfen könntest du mein
Vater sein (Frau Stein).

22.01.2007 10:16:18 


SALZ des Mantels den der Mond hängen ließ
oder im Meer wird es gewonnen
zur Stunde da Carmen Kreuze streut über
den venerischen Küstenstrich. Von rot zu gelb
geläutert jetzt ganz in den Himmel gestiegen das
Jungfernei. In diesem Licht wächst Natrium um
eine weiße Meile die Länge eines Gartens
einer Garderobe Hakenzahl gebeuteltes
Land charakteristisches Kleingebäck

23.01.2007 12:09:30 

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