Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Yevgeniy Breyger
Am Wochenende vom 08. Juni – 11. Juni warst du auf dem PROSANOVA, dem Festival für junge Literatur in Hildesheim, an dem du auch als Auftretender mitgewirkt hast. Was für einen Eindruck hast du gewonnen? Wie waren die Veranstaltungen, die Atmosphäre? Was waren für dich die Highlights?
Alte Freunde wiederzusehen ist immer sehr schön, allein dafür hat es sich gelohnt bei PROSANOVA dabei zu sein. Meine Highlights waren diesmal die wunderbaren Lecture Performances von Maja-Maria Becker, Sascha Macht und Johanna Maxl. Außerdem war Johannas Performance in der Kegelhalle ganz ausgezeichnet. Ich glaube, ich habe selten eine so intensive, aufmerksame Stimmung erlebt, wie in ihrem federnbedeckten Raum, in dem sich an die 100 Zuschauer im Kreis um ein großes Bett versammelt hatten, von dem aus sie gelesen hatte.
Im März letzten Jahres ist dein Gedichtband „flüchtige monde“ bei kookbooks erschienen. Das Buch wurde dann später auch als eines der besten Lyrikdebüts 2016 bezeichnet und gelobt. Auf fixpoetry gab es im Format express! eine heiße Debatte um den Band, in welcher du unter anderem auf das Nichtverstehen (wenn ich das richtig verstanden habe) pochst, das bei einer Begegnung mit einem guten Gedicht geradezu die natürlich Ausgangslage bildet. Ist ein Gedicht also etwas, das nicht erschlossen werden kann? Das sich in seiner Sprache immer fern von Feststellungen und Gewissheiten bewegt? Hat Dichtung für dich etwas mit dem Begriff der Erkenntnis zu tun?
Das sehe ich anders. Ich denke, ich poche nicht auf das Nichtverstehen. Im Gegenteil – wie ich damals schon sagte, diese Gedichte könnten nicht verständlicher sein. In einer Gedichtbesprechung die alte erkenntnistheoretische Leier vom „Verstehen und Nichtverstehen“ aufzuwerfen, halte ich für überflüssig. Wir könnten uns darauf einigen, wir lesen an dieser Stelle einen literarischen Text – keine Gebrauchsanweisung für den Dieselmotor und keinen Tagebucheintrag. Dann müssten LeserInnen nicht vor Ehrfurcht erstarren und könnten mit Augen sehen und nicht überfordert in alle Richtungen blicken.
Wenn es eine bekannte Persönlichkeit gäbe (nicht zwingend ein/e Autor/in; nicht zwingend real), mit der du einfach so auf einen Kaffee oder ein Bier gehen könntest – wer wäre das?
Ein Joint mit Nico Päffgen wäre was. Oder ein guter Tee mit Theodor Herzl.
Was liest du gerade? Oder welches Buch liest du immer wieder? (+ deine Impressionen dazu) ?
Immer wieder Gedichte von Maja-Maria Becker, von Sandra Burkhardt, Alexander Kappe, Saskia Warzecha. Ebenso immer wieder „Sturmhöhe“ von Emily Bronte, jaja. Außerdem bin ich in Frankfurt Teil des LyrikerInnenkollektivs „Salon Fluchtentier“. Mit dabei sind zwei ganz wundervolle Dichterinnen, die bisher kaum publiziert haben: Caroline Danneil und Julia Grinberg. Kann ich wärmstens empfehlen.
Was würdest du antworten, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deiner Kunst zu sein?
Ich würde keine Worte für diese Frage verschwenden und auf den Artikel von Olga Martynowa über die Dummheit der Stunde verweisen.
Wovon wünschst du dir mehr/weniger in der Gegenwartsliteratur?
Eigentlich bin ich mit der Gegenwartsliteratur ganz zufrieden. Mehr LeserInnen würden nicht schaden. Sonst ist alles gut.
Dichter*innen, deren Werke dir viel bedeuten, die dich inspiriert oder lange begleitet haben?
Namen, die ich oben bereits genannt habe und nicht zu vergessen:
Martina Hefter, Sabine Scho, Robert Stripling, Paulus Böhmer. Das sollte soweit reichen. Am meisten über Dichtung gelernt habe ich wahrscheinlich aus Gesprächen mit Jan Kuhlbrodt, aus seinen Kritiken ebenso.
2012 warst du Finalist beim Open Mike. Wie hast du den Wettbewerb damals wahrgenommen?
Seit 2010 besuche ich jedes Jahr den Open Mike. Jedes Jahr ist es perfekt organisiert, spannend und macht höllisch Spaß. Als ich Finalist war, kam die Enttäuschung dazu, nicht gewonnen zu haben – wie könnte es anders sein? Hat sich aber schnell gegessen. So wie es gelaufen ist, war es auf jeden Fall am besten.
Was hältst du von Literaturzeitschriften und Anthologien? Gibt es Literaturzeitschriften, die du regelmäßig kaufst und liest?
Ich lese sehr gern Zeitschriften und Anthologien, meine Aufmerksamkeitsspanne freut sich über schnelle weite Sprünge. Einen Geheimtipp habe ich nicht. Die Studienganganthologien der Literaturinstitute sind sicherlich lesenswert, die „Edit“ und die „Bella triste", da kommt man nicht umhin. Am liebsten lese ich zurzeit das „Schreibheft“.
Wie wichtig ist dir, dass etwas rezipiert wird, das du geschrieben hast?
Erstmal etwas Schönes schreiben. Dann weitersehn.
Bei welchem Thema, egal ob in der Literatur oder allgemein, erlebst du am häufigsten ein mangelndes oder fehlendes Bewusstsein für die tatsächliche Dimension, Lage und/oder Beschaffenheit desselbigen?
Über mangelndes Bewusstsein Anderer zu sprechen, hinterlässt bei mir den faden Beigeschmack, sich selbst für einen allzu bewusst lebenden Menschen zu halten. Dennoch, ja, ich könnte einiges aufzählen. Diskriminiert wird in alle Richtungen gern. Schlechte Kunst wurde schon immer gemacht und wird natürlich kein Ende finden. Große Verlage setzen Geschäftsmänner als Verlagsleiter ein (Kaum Geschäftsfrauen). Ich müsste an dieser Stelle zum globalpolitischen wechseln, um auf deine Frage ganz zu antworten. Bleibe lieber bei der Literatur, wir sind schließlich auf Fixpoetry – es gibt genug andere Portale und Esszimmertische, um über Politik zu sprechen. Lassen wir Julietta bitte die Lyrik.
An was schreibst/arbeitest du zurzeit?
An einer Kolumne über Lyrikerinnen, die aus dem gängigen Förderschema der unter 35-Jährigen herausfallen.
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