Barackenleben

Prosa

Autor:
Angelika Janz
 

Prosa

Barackenleben

Bararackenleben, das ist die Institutionalisierung der Vorläufigkeit, arbeitstagefüllendes Ausweichen auf die unwandelbare Erkenntnis, ausgeliefert zu sein jeder Zumutung, die ein größeres Ziel aus vielen kleinen Schritten zusammendenkt. Wie war es damals, das Barackenleben vor 10, 15 Jahren? Eines ist sicher: es war immer gut beheizt.

Wann hat die Entwertung der selbstbestimmten Arbeit oder wenigstens doch jener Arbeit, die sich mit einem sichtbaren Ertrag kenntlich gezeigt hat, begonnen? In den Pausenzeiten und vor Feierabend treffen die Brigaden ein, die draußen an den Dorfrändern Wege anlegen für die Dauer eines ABM-Jahres, Wege, die tatsächlich nirgendwo hinführen, die unvermittelt in Unkraut und Gestrüpp abbrechen und die nach wenigen Monaten hoffnungslos zugewachsen sind, weil niemand sie erhält, unterhält, weil niemand an Pflegeverträge denkt noch sie wirklich wünscht, unbegehbare, sinnlose Wege in schwerer körperlicher Arbeit angelegt, sie graben Steine aus, schaffen sie weg, reißen das filzige Gras aus, durchsuchen, durchsieben das Erdreich nach Unkrautwurzeln, besäumen die Ränder mit schweren Baumstämmen, harken den gesäuberten, nun sandigen Boden bis zum Ende ihrer befristeten Arbeitstage- und Wochen, daß man darüber schweben möchte, und mit den klapprigen Schubkarren schaffen sie alles Unnötige fort, Unkraut, Astwerk, irgendwo nah am Wald entsteht so ein Refugium für Insekten und Kleintiere, bis...bis eines Tages der große Bagger kommt, in sinnloser Tat das einzig mit Chance Gewachsene lieblos zusammenschiebt, wegschaufelt, abtransportiert, irgendwohin, wo es eines Tages irgendwohin weggeschafft wird.

Nebenan, im Hühnerstall, wie man sich im geflügelten Wortsinn über das Büro der Dorfchronistinnen verständigt, in einem wohnzimmerähnlichen Ambiente mit dunklen Möbeln, Teppichen, Tischdeckchen und geschnitzten Bilderrahmen, eine uneinige Crew aus wohlbeleibten Müttern, einstmals Frisörinnen oder Verkäuferinnen, putzt die nette Kollegin nie und das aus Überzeugung. Die Damen, die sich nicht scheuen, zuzeiten ihre vertraute Kittelschürzentracht anzulegen, schreiben zwischen den Kaffeepausen, den Frisier-und Massagestunden ab und zu aus alten Chronikbüchern Texte ab, die sie in tagelangen Touren durch den Kreis und bis nach Stettin "erstmal organisieren", sie schreiben selbstredend alles mit der Hand auf liniertes Papier, und eine "Sachbearbeiterin", die als ihre Hilfskraft fungiert, weil alle wissen, daß sie weniger verdient als sie, überträgt und speichert die kleinen Katastrophen einer flüchtigen Heimatstubenrechtschreibung in einen chicen Computer, dieser ist für die Kollegin, die Sachbearbeiterin, die ausgerechnet die traurig-hübsche ehemalige Kulturhausleiterin ist, das einzige Mittel einer Erpressung durch Mehrwissen, und oftmals füllt ihre Empörung zusammen mit wütend ausgestoßenen Schwaden ihrer Polenzigarretten über Ausdrucks-und Schreibqualität aus dem Hühnerstall mein Büro, und während sie blättert und zeigt, aufgebracht zitiert und zwischen Hustenanfällen und verzweifelten Lachausbrüchen kettenraucht, tränenüberströmt, das bewegte Gesicht zunehmend in eine verquollene, starre Maske verwandelnd, schlürft sie aus einem großen Kaffeeepott türkisch gebrühten Kaffee, in dem der Löffel steht, derweil ich an meinem Arbeitstisch die Stellung zu halten suche, an Schreibmaschiene oder Telefon, vor Konzepten, Listen, Förderanträgen, verschanzt hinter meinen Akten und Mappenwerken, abhängig vom Kommunikationstropf des einzigen Telefonanschlusses in der ganzen Baracke, tausendmal den Hörer aufgenommen und dem Besetztzeichen fassungslos und ohnmächtig nachhörend...

Nirgendwo ist mir der Sinn zwischen Arbeitsbeschaffung und Beschäftigung deutlicher geworden, als beim Hühnerstall. Jede der Damen betreut eines der zum Amtsbereich gehörenden Dörfer, sie haben weder je gelernt, was eine Chronik ist noch wie sie geführt und schließlich archiviert wird, der Verbleib ihrer Anstrengungen liegt bis heute im Dunkeln, und der große Aufwand an Papierbewegung-und Verschwendung obliegt der Finanzkraft der Sachmittel des Arbeitsamtes. In der Zwischenzeit bespitzeln, zanken, quälen sie sich, die Chronistinnen wider Willen, und irgendwann kommt alles bei mir an, die ich standhaft mich heraushalte und zuhöre. Eine jede benutzt ein paarmal mein Telefon, da man nebenan wohlwissend keines installierte, da werden zu Mittag Bestellungen beim Pizzaservice aufgegeben, Friseur-und Arztermine verlegt, Kinder nach Schulschluß zu Hausarbeiten instruiert, Ehemänner "auf Arbeit" halbdiskret kontrolliert, Mütter und Schwiegermütter bestellt, und das alles transportiert kleine Kosmen von Familienstrukturen und -Chaos, während ich mein Pensum der täglichen Notwendigkeiten, Sorgen und Überlebenschancen meiner 14 Jugendclubs auf den umliegenden Dörfern verteidige. Und in all dem ergibt sich doch immer wieder ein Lichtblick: Hier gibt es ein Spenden-Sofa, dort ein ausrangiertes Fernsehgerät, dort kann ein Vater oder der Kollege eines Vaters oder Ehemannes  oder Chef ein Klo reparieren helfen, eine Kreissäge leihen, eine Spüle transportieren, einen alten Billardtisch ausfindig machen, wird zum Sponsor und als solcher im nächsten Amtsblatt öffentlich bedankt, und in all das platzt unser Kinomann, ein ehemaliger Filmvorführer der NVA mit seiner immer heftigen guten Laune hinein:

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