Schützenswert in tooth and claw
Im April ist die Nummer 18 der ungefähr jährlich herausgegebenen Zeitschrift Krachkultur erschienen. (Bei der Gelegenheit die Frage: Warum eigentlich „Zeitschrift“ und nicht „Serie von Anthologien“? Soll skrupulös der Anschein vermieden werden, man wolle irgendein literarisches Sub-Feld definitiv-gelehrt abbilden? Geht es ums schlichte Selbstverständnis der handelnden Personen, Martin Brinkmann und Alexander Behrmann, nicht so sehr Herausgeberei als vielmehr Redaktionsarbeit zu leisten? Spielen Fördertopfrücksichten ihre Rollen? Ach sei es drum.) … Und so, wie ihn der Rezensent auf seinem Stapel findet, bietet der grob 190 Seiten starke Band erstmal Anlass zum Ärgernis. Also: Bieten nicht etwa die Texte in diesem Band Anlass zum Ärgernis, oder nicht überdurchschnittlich stark; bietet auch nicht die unmittelbare Aufmachung Anlass zum Ärgernis, grün-schwarz-unaufregend-profigrafiker'sch; überhaupt: Nichts dergleichen.
Es ist bloß, ärgerlicherweise, so – und das vergällt einem gleich mal das Anblättern – dass der entscheidende Einführungstext in das Buch nicht das Vorwort der Herausgeber ist, sondern jene drei a4-Seiten lange Pressemitteilung, die dem Rezensionsexemplar auf kopierten Zetteln beiliegt. Erst wenn wir sie gelesen haben, erschließt sich uns, dass in dem tatsächlichen Vorwort alle für "Krachkultur 18" relevanten Themen und Diskurse zwar sehr wohl angelegt sind, aber übermäßig, nämlich auf ihr sozusagen emotionales, "lebensgefühliges" Gewicht hin komprimiert worden zu sein scheinen. Von den "langweiligen", tatsächlich aber notwendigen Informationen, die wir bräuchten um uns leicht in diesem Buch zurechtzufinden, ist da nichts mehr übrig. Während die Pressemitteilung uns stringent, eins nach dem Anderen, Programmatik und Vorgehensweise erklärt, aufgrund derer das Buch in unserer Hand so (grün) ist, wie es ist –
… widmet sich dem Thema 'Natur'. Klarer Fall: Alles, was schützenswert ist, kann Thema der KRACHKULTUR werden.
Mit von der 'grünen' Partie ist James Dickey (1923-1997), der mit 'Deliverance' ('Flussfahrt') einen der wichtigsten amerikanischen Romane überhaupt schrieb. (…) Dass er auch ein begnadeter Natur-Lyriker war, ist (…) kaum bekannt. (…)
Der preisgekrönte New Yorker Lyriker Joshua Mehigan (*1969) bekam eines Tages unvermittelt einen Anruf von 'Apollo'. Hinter diesem selbst gewählten Kosenamen steckte James Dickey höchstpersönlich (…) Von diesem Erlebnis der besonderen Art handelt der Essay 'Apollos Anruf'.
– plätschert das deutlich kürzere Vorwort in beispielsweise seinem ersten Absatz bloß die Motivkette "Großstadthipster" - "Vogelschutzgebiet" - "Wildschwein" - "Autobahn" entlang, und der einzige Autor, der überhaupt mit Namen erwähnt wird, ist ausgerechnet nur der als Kronzeuge amerikanischen Grünzeug-Dichtens (und übrigens mit einem erstmals ins Deutsche übersetzten Essayfragment "Über die Dichtung") ins Heft gesetzte Ralph Waldo Emerson. Kein Zweifel, dürfen wir uns denken: Don Draper wins (human) Nature: Was ernstlich sitzen muss, ist die PR; der Content dagegen … muss man ja nicht verstehen, ist ja Kunst … soviel zur Quelle des Ärgers.
Was uns natürlich auch auffällt, da wir uns so lange bei solchen Äusserlichkeiten aufhalten (denn so schlimm ist das Vorenthalten der ausbuchstabierten Fassung jener Infos auch wieder nicht; irgendwie wird jedeR Interessierte dann wohl doch in den Stand kommen, sich das von den Herausgebern intendierte intertextuelle Dickey-Dickicht zu vergegenwärtigen …): Dass es über die tatsächliche Textauswahl recht wenig zu sagen gibt. Sitzt, passt und hat im Grossenganzen alles Luft.
Äusserst apart ist die Idee, an den Anfang der Krachkultur Dickeys Naturgedichte sowie die erwähnte Prosa über "Apollos Anruf" zu stellen (beides in Übersetzungen Christophe Frickers) – als sozusagen Pole (Wildnis-Stadt; Natur-Kultur; Lyrik-Prosa; Weite-Enge …), zwischen denen sich die anderen Beiträge anordnen lassen wie Eisenspäne in einem Magnetfeld.
Unter diesen sinnvoll angeordneten Beiträgen sind dann schon auch noch ein paar, die mich langweilen oder mindestens ungnädig stimmen: Thomas Palzers durchaus kunstreicher Essay über Körperlichkeit (Leibseeleproblem reloaded und so) lässt mich nach dem Wegkürzen aller seiner "lösbaren" Elemente mit der Frage zurück, ob da grade bloß zum Zweck des Vorscheins mutiger Radikalität eine Lanze für vor-aufgeklärte Zustände gebrochen wurde, oder ob ich mich, fachphilosophische Wildsau, die ich bin, da (hoffentlich) verlesen habe … Ähnliches macht Moritz Grohs' Erzählung "Die Geister in meiner Hütte" mit mir, wenn dort die Rückkehr an den Busen einer "unverstellten Natur", als welche uns die nestwarm-öde Einschichtsiedlung präsentiert wird, zu Ekstase, Grenz- und Selbsterfahrung führt … Und neben diesen beiden gehen mir dann Jan Wagners zwei streng geformte Blumengedichte gar nicht mal so sehr auf die Nerven (also: schon noch, aber im konkreten Fall mehr aus Prinzip und angesichts seiner floralen Arrangements. Aber die sind, wie ich gerne zugebe, in einer Krachkultur mit Emerson und Dickey und Natur ganz unvermeidlich, unabhängig vom Autor.)
Dann sind da Texte, die v. a. im eröffneten diskursgeschichtlichen Kontext Sinn ergeben und Unterhaltungswerte abwerfen – H. v. Doderers durch Gerald Sommer eingeführte Fragmente, klar, aber auch Zeug von Zeitgenossen wie Martin Mosebach ("Tunnel-Gedichte") –
Alle belagerten Städte sind gleich
jede von ihnen Troja.
Mein Troja ist Sarajewo (…)
– und Philip Krömer (dessen Napoleon-Prosa "Vom Säen und Ernten" ich für den lustigsten Text der Ausgabe halte); schließlich viele Prosen nebst einigen lyrischen Entwürfen, die sich alle um jene Achse von Naturbeschreibung und der Abbildung religiöser Gefühle drehen, wie sie uns nur aufgrund zufälliger literatur- und philosophiegeschichtlicher Gleichzeitigkeiten im neunzehnten Jahrhundert Naturgegeben erscheinen …
War sonst noch was? – U. Holbein, ("Endlich mal wieder naturverbunden!") operiert offenbar nach der Prämisse "lieber übersteuert als langweilig". Norbert Hummelt ("Tuschetien") und Joseph P. Ernst ("Ungewiss die Stunde", Romanauszug) vergeben einiges von der beachtlichen Sogwirkung ihrer sehr verschiedenen, aber sprachlich gleichermassen interessant überformten Texte ohne Not an nichts als den Plot, den Plot, den Plot, ei schade. Arne Rautenberg schließlich ("zwei naturgedichte") kommt einer mühe-, nein schwerelosen Bewältigung der immer schon problembehafteten Oben-Kosmos-Unten-Körper-Spiegelung, der Dialektik von Natur->Kultur->Zweitenatur sehr nahe (und damit können wir es dann hier bewenden lassen):
morgens las ich vom meteoritenstrom
des kometen 109p/swift-tuttle die astronomen
sprachen von den persiden weil die sternschnuppen
dem sternbild perseus zu entströmen schienen
doch der himmel über blåvand bedeckte sich
und wir strichen über einen flohmarkt ich fand
zwei handvoll passende legosteine
einer und vierer in zylindeform die konnte ich
gebrauchen als schneide- und backenzähne
für die totenköpfe die ich in serie aus lego
baute der himmel riss auf wir radelten
(…)
P.S.: … Vielleicht noch, dass uns (z. B. erst beim Korrekturlesen dieses Beitrags hier) dann auffällt, wie eindeutig da wieder Mal die Geschlechterschere klafft: Zweiundzwanzig Beiträge stammen von Männern, nur drei von Frauen … Ob das – 2017 (!) – noch als adäquate Abbildung einer unerfreulichen Wirklichkeit durchgeht?
An der Ausgabe beteiligte Autor_innen: Henning Ahrens, Alexander Behrmann, Martin Brinkmann, James Dickey, Heimito von Doderer, Ralph Waldo Emerson, Joseph Felix Ernst, Moritz Grohs, Ulrich Holbein, Norbert Hummelt, Philip Krömer, Joshua Mehigan, Martin Mosebach, Thomas Palzer, Rosemarie Poiarkov, Robert Prosser, Arne Rautenberg, Josef H. Reichholf, Eva Schmidt, Eliz Simon, Gerald Sommer, Yanko Tsvetkov, Jochen Veit, Jan Wagner, Manuel Zerwas. Übersetzer: Christoph Fricker
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