Money makes the world go round … oder nicht
Der Philologe und Philosoph, der sich mit Kapital befaßt, erkennt rasch, daß der Begriff eine Virtualität umschreibt, etwas, das man habe, solange es einem gesellschaftlich geprägten Konsens gemäß konvertibel ist, das aber nur genau dann genau diesen Wert hat, während es ansonsten abgewertet wird, außer, man hat soviel davon, daß jene, die es aufbewahren, aber in Wahrheit dauerndem Tausch aussetzen, dauernder Unternehmung, einem Zinsen gewähren, was wiederum die Virtualität berührt: Offenbar ist eine Milliarde Euro nicht ein Tausendfaches einer Million Euro. Das Wesen des Kapitals ist also Unterhandlung; oder: es einzusetzen, nichts lohnt sich wie Verschwendung, kein Wunder, daß der philologische Ökonom Bataille in ihr seine Theorie sich vollenden ließ.
Ökonomen sehen das in der Regel weniger ernsthaft, sie glauben ja doch an das Kapital – und also Ungleichheit, die es gibt, als eine, die im Kapital selbst doch sich ausdrücke und begründen lasse; so Piketty, der nach seiner bekannten Ökonomie der Ungleichheit mit Das Kapital im 21. Jahrhundert eine neue Schrift vorlegt.
Die Einführung in die Ökonomie der Ungleichheit, um es kurz in Erinnerung zu rufen, stellte dar, wie sich heute Kapital bemesse, wer was habe – um dann erst die Frage stellen zu können, was ungerecht sei, ob Kapital ferner von Liberalen oder Sozialen einerseits günstiger und andererseits gerechter, was auch immer gerecht sei, verteilt werde: Ist also das freie Spiel der Kräfte effektiver als Regulative? Nur moderat in es einzugreifen, mit etwa Friedmans „negativer Einkommensteuer”..? Gibt es etwas Gerechteres, und wenn: nach welchem Begriff? Gibt es überhaupt Gerechtigkeit, wenn man nicht quasi-theologisch spricht?
Und diese grundlegende Arbeit ist nötig, wie sich rasch zeigt, auch wenn die abgeleiteten Fragen noch erledigt sind, so, wenn einmal eben jenem Umstand nachgegangen wird, daß gerade beim virtuellen Kapital Differenzen klaffen, Quantität da wahrhaftig in Qualität umschlägt, mehr, als es sich in Einkommen und Lohn ausdrückte, und zwar schon darum, weil Kapital offenbar gerne verschwindet, ohne seinen Wert zu verlieren..: „Die Vermögensungleichheiten sind nicht nur sehr viel größer als Lohn- und Einkommensungleichheiten, sie sind auch sehr viel weniger bekannt.”
Wobei es auch um Territorien geht – innerhalb eines Landes gibt es je Nivellierungen, jedenfalls im Durchschnitt der Länder; groß dagegen sind die Unterschiede zwischen den Ländern, zwischen dem, was reich und arm in verschiedenen Gebieten bedeute – was auch damit zu tun haben mag, daß, wer reich ist, nicht dort lebt, wo Arme sind, die wiederum es sich nicht aussuchen können. Kapital ist grenzenlos. Oder: Es ist nur die Antwort darauf, wie sich sein „Preis […] an den Kosten bemisst”, der Reiche folgt ihm also vielleicht, ansonsten ist wenig Bindung gegeben… Daß hierin die Befunde des Ökomomen die des Soziologen berühren, liegt auf der Hand. 1
Ärgerlich also, daß wie angedeutet Kapital nicht Kapital ist, sonst ergäbe sich aus der Logik, daß Investitionsmöglichkeiten immer und überall sind, in was dann zu gleichen Bedingungen investiert wird, die Auflösung dessen, was als „Ungleichverteilung” aber genau dem im Wege steht, nur theoretisch hat die „Ungleichheit des Startkapitals […] keinen Bestand”. Bloß gilt das nur, wenn man das „Humankapital” ideal förderte, indes sind jene, die dies seien und Kapital nicht haben, in manchen Gegenden stets marginalisiert worden, je nachdem, ob man ihrer Arbeit bedurfte, je nachdem, ob Gerechtigkeit eine Vokabel der regionalen Politik war. Und es gibt Informationsdefizite, selbst wenn ungeahnte Wachstumsraten dort bestehen, wo Armut herrscht, muß man diesen Markt (etc.) erst einmal kennen – das „erklärt, warum die internationalen Kapitalströme so schwach ausfallen”, und zwar noch immer.
All das behandelt Piketty, und angesichts der Probleme, die sich exponentiell entwickeln, neigt er zuletzt doch Interventionen zu, und zwar auch nicht solchen wie der flat tax, der Umstand, daß „zwischen 1987 und 2013 die großen Vermögen mehr als dreimal so schnell gewachsen sind (,) als das Durchschnittsvermögen […]”, gibt […] einen Hinweis darauf, dass nur eine progressive Kapitalsteuer in der Lage wäre, diese Dynamik […] in den Griff zu bekommen”, die sich, von Information einerseits und andererseits Ungleichbehandlung von Kapital war schon die Rede, auch daraus ergibt, daß eine gewisse „demokratische und statistische Transparenz” fehlt…
Davon ausgehend nun der große Wurf: Das Kapital im 21. Jahrhundert. Mit einem Netzwerk von Ökonomen und der World Top Database im Rücken analysiert hier Piketty genauer, was vorgehe – und wie man es verstehen solle. Sind die Unterschiede, die es gibt, so geartet, daß sie zu rechtfertigen sind, etwa, weil sie allen (auch den Opfern) zugute kommen, so die Grundfrage, die man schnell beantworten könnte, die aber genau zu beantworten sinnvoll ist. Ansonsten, so Piketty, sind die Antworten wie die Prognosen und Urteile beliebig.
Ist, wie Ricardo dachte, Wirtschaft ein Nullsummenspiel, worin Knappheiten gegeneinander abgewogen werden? Ist in ihrem Zentrum etwas, das „ohne natürliche Grenze zu akkumulieren” ist, auch dies zuletzt eine „apokalyptische Vision”, weil der Motor darunter litte, den die Knappheit noch kennt? Auch Stagnation auf dem höchsten „Niveau kann […] destabilisierend” wirken. So umreißt in einem Durchgang durch die Theorien das Mögliche, den Rahmen.
Und auch hier geht es alsbald um die Verhandlungsmacht im Virtuellen: Warum Wechselkurs und Kaufkraftparität drastisch divergieren – und „2012 […] 1,00 Euro nach dem geltenden Wechselkurs 1,30 Dollar wert (war), aber gemessen in Kaufkraftparität 1,20 Dollar”, samt Ausreißern, ist einmal zu erklären, ehe man von dem Kapital spricht. Nimmt man noch Performanzen von Modellen hinzu, die beschreibend intervenieren, weiß man, wieso der gute Ökonom gerne Alternativszenarien hat.
Aus diesen Prognosen ergibt sich für die Gegenwart und die Zukunft erst, was gerecht sein könnte – folgt man der „relativ optimistisch(en)” Einschätzung nicht, derzufolge „ab 2050” die reichsten Länder von den anderen „eingeholt” werden, ist Gerechtigkeit etwa eine andere, als Piketty – dies wissend – sie skizziert; und er skizziert sie indirekt, indem er eben nebeneinander stellt, was sei und sein könne.
Ebenso die Frage, worüber wer verfüge – wenn Großbritannien und Frankreich staatliches Vermögen im Vergleich zu privatem kaum besitzen, 1% beziehungsweise 5%, dann weiß man, was umverteilt werden kann, ohne den sozialen Frieden durchaus in Frage zu stellen. Aber stellt ihn nicht auch dies in Frage, daß Politik abhängig von dem wird, worin regulierend nach dem Maße des besten Arguments und als Vertreter aller einzugreifen ihre Idee ist? Und sind Staatsschulden nicht seit Marx zurecht als „Instrument zur Akkumulation von Privatkapital” verdächtig..?
Wobei Piketty wiederum auf Nuancen verweist, mit dem Kommunismus, so es ihn je gab, verlor 1989 der Kapitalismus zwar seinen globalen Herausforderer, so mochte man meinen, aber erst hier begann die „Debatte über die verschiedenen Kapitalismus-Formen” in Gang zu kommen… Was zum Beispiel ist zulässig? Böser: Wer verfügt nicht nur über was, sondern auch wen? Die Fragwürdigkeit des Humankapitals vertieft sich hier, wo explizit „manche Menschen als Besitzgegenstände […] und nicht als Subjekte” „behandelt” werden, und zwar über das Zeitalter der Sklaverei hinaus – das also, wie sozusagen die Zahlen indizieren, noch immer seines Endes harrt. Hier gelangt man in die Narrative schließlich, die Schilderung wird zum Urteil, so, wenn Piketty an den Vermögenslagen aus Jane Austens Sense and Sensibilty entlang lesend Szenarien anders entwirft, als es manch anderer Leser tun mag. Das „Sechs- bis Siebenfache des Durchschnittseinkommens” verurteilt, man vergesse es nicht, hier noch „zu einem kargen […] Leben.”
Hierin liegt der Wert des Buches, das Entwicklungen nachzeichnet und Verpflichtungen doch eher implizit entwickelt, noch ehe es den „Sozialstaat für das 21. Jahrhundert” wirklich umreißt. Interessant ist hierbei die Einsicht, daß „Einwanderung”, und über deren Unvermeidlichkeit muß man kaum diskutieren, Vorzüge habe: Sie sei schließlich eine „friedlichere Form der Umverteilung und der Regulierung der globalen Ungleichverteilung des Kapitals” – die noch weniger sich vermeiden läßt, als die Migration.
Man könnte und müßte noch viel zu diesem Buch sagen, zu der Kunst, aus Details Bilder zu entwickeln, zur Kunst, Fakten und Aufklärung zu Wünschbarem doch in Beziehung zu setzen, unaufdringlich, aber mit Nachdruck; Piketty hat ein großes Buch vorgelegt, das von Seite zu Seite auf- und anregend ist. Wichtig.
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