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Kritik

An den Honigtöpfen der Worte

Eine Parallelrezension stellt die neuen Biographien von Waldemar Bonsels und Rudolf Borchardt vor
Hamburg

In den besten Fällen sind Biographien nicht nur chronologische Verzeichnisse von privaten Ereignissen und anekdotischen Vorkommnissen, sondern zeigen darüber hinaus den Charakterwandel ihrer Protagonisten vor allem im oder gegen den Strom der Zeitläufte. Auf den ersten Blick verbindet den Erfolgsschriftsteller Waldemar Bonsels und den verqueren Polyhistor Rudolf Borchardt wenig bis nichts. Doch ihre Lebensdaten liegen so dicht beieinander und gerade in besonders brisanten Epochen der deutschen Geschichte, daß sich ein zweiter, vergleichender, Blick allemal lohnt — auf die Unterschiede, aber auch, überraschenderweise, auf Gemeinsamkeiten. Bei den vorliegenden Biographien liegt ein starker Fokus auf dem Verhältnis des Dichters zur Politik, und beinahe exemplarisch zeichnen sich zwei Verhaltensmuster ab, die unter ähnlichen Bedingungen gegensätzlichere Bahnen kaum hätten einschlagen können.

Borchardt und Bonsels neigten zeitlebens dazu, die Fakten zu ihren Gunsten umzumodeln, es also — salopp gesagt — mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. Sie inszenierten ihr Leben in hohem Maße und bogen & logen sich zurecht, was unter bestimmten Umständen ihrer literarischen Beförderung am sinnvollsten und erfolgversprechendsten schien. Anfang und Ende jedoch sind feste Größen, beinahe jedenfalls, denn nicht ganz ausgemacht ist, ob Bonsels 1880 oder 1881 im holsteinischen Ahrensburg, wenige Kilometer nordöstlich von Hamburg geboren wurde. Er starb 1952 in Ambach, in seiner vielbesuchten Villa am Starnberger See. Unbestreitbar bleibt, daß Rudolf Borchardt das Licht zu Königsberg 1877 erblickte, während eines Besuchs der Eltern in ihrer Heimatstadt — die er, „nach kürzeren Aufenthalten in der Kindheit lediglich 1927 für drei Tage besucht“, so der Biograph Peter Sprengel. Er starb im Winter 1945 in Trins, einer damals rund 500 Einwohner zählenden Gemeinde im Geschnitztal am Brenner, nachdem man ihn und seine Familie aus einer (angemieteten) italienischen Villa vertrieben und im „Zwangstransport mit dem Charakter einer Deportation oder Strafmaßnahme“ über die Alpen befördert hatte.

Das, was man im Allgemeinen einen sympathischen, umgänglichen Menschen nennt, ist Borchardt wohl nie gewesen. Man darf, muß sogar, trotz aller Achtung, die man vor seinem Werk empfindet, zu diesem ungnädigen Urteil kommen, wenn man Sprengels Darstellung folgt. Waldemar Bonsels dagegen wird von seinen Zeitgenossen, vor allem den Frauen, als mondän und einschmeichelnd empfunden, doch auch das ist, im Rückblick aus Bernhard Viels Biographie, größtenteils nichts als inszenierter Hochmut: „Stilisiert hat sich Bonsels von Anfang an: als Weltmann, als Dandy, als einsamkeitsliebender Gottsucher, als Denker mit nach innen und ins Unendliche gerichtetem Blick“. Bonsels und Borchardt haben beide nicht vor zahlreichen Affären zurückgeschreckt, die von viriler Überheblichkeit geprägt waren. Die bitterarme Geliebte Paula Ludwig speiste der Großverdiener und Moralprediger Bonsels mit mal 20, mal 50 Mark ab, bescheiden wenig, gemessen an einem Vermögen, das sich auf rund 100 000 Mark belief. Borchardt, der stets unter Geldnot litt, die zu regelmäßigen Zerwürfnissen mit der Familie führte, verlockte die Frauen hingegen mit einer Erziehung zur Ehe nach seinen Vorstellungen, denn er betrachtete sein gesamtes Tun, ausgenommen die „persönlichste Poesie“, als ein Lehren.

Daß Biographie und Werk zu trennen seien, ist ein Topos der Germanistik — jedenfalls in vernünftigem Maße, denn irgendwo berühren sie sich schließlich doch. Bonsels vertrat zeitlebens ein konservatives Weltbild, das er allerdings mit modernen Mitteln bestritt, wobei er sich nicht scheute, etwa in „Menschenwege“ (1917), unverhüllt aus dem Geist der Romantik zu schreiben, zumindest was ein gewisses Stimmungsinventar anbelangt. Dennoch ist er bereits seit Juni 1915 für das Kriegspresseamt tätig, das ihn nach Galizien schickt. Ein finanziell einträglicher Posten, der es ihm überdies erlaubt, für die deutsche Kultur und den deutschen Geist zu werben. Ganz leicht ist es dem „Kriegsidylliker“ dann wohl doch nicht gefallen, sich zum Instrument der Propaganda zu machen, denn trotz der gestrengen Zensur gelingt es ihm, einige Noten des Unbehagens einflechten. Grelle, schreiende, knirschende Schilderungen wie in Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ wird man aber nicht finden, erst recht nach dem Krieg nicht, als es galt, mit schöner, naturverbundener Kunst neuen Sinn zu stiften, weshalb Bernhard Viel ihn einen „kuschelweiche[n] Erfolgsdichter“ nennt. Bonsels wandte sich entschieden von der Politik ab, da die göttlichen Naturordnungen nach seiner Auffassung beständiger seien als Gesellschaftsordnungen. Mit den drei „Mario“-Romanen (1928, 1930, 1937) führte er „geradezu den Gegentypus zum techno-faustischen Menschen vor“. Dabei erhält sein Protagonist sogar einige archaische, kriegerische Züge, die nicht weit von der faschistischen Idee des Willens entfernt sind.

Rudolf Borchardt hat einige Monate in den Schützengräben an der Westfront verbracht, unterbrochen von diversen politischen Vorträgen, ehe er sich in die Verwaltung versetzen ließ. Die Kriegsbegeisterung, die er mit manchen jüngeren Dichtern teilte, stellte sich dann, vor allem des vorausgehenden öden Drills wegen, wohl doch eher als patriotische Pflicht heraus, die mit Worten besser erfüllt war. Nach dem ersten Weltkrieg schwelgte Borchardt dann in Haßtiraden gegen die Weimarer Republik: Reichstag, Parteien, Verfassung müssten verschwinden,

„ein Collegium von fünf oder zehn Männern allerersten Ranges — die keineswegs fehlen, tutt’altro — muss das verkommene Land mit Feuer und Schwert regieren, unter Belagerungsparagraphen, mit Standrecht und Pranger und Spiessruten und Prügelstrafe“.

Die angemessene Regierungsform für den geistigen Adel, dem sich Borchardt zugehörig empfand, war, jenseits solcher oligarchischen Phantasien, unbedingt die konstitutionelle Monarchie, in deren Politik- und Wertesystem sich Bonsels ebenfalls heimisch fühlte. Die Republik stellte für Borchardt nur ein „Interregnum“ dar, und dieser begriffliche Anklang an die deutsche Geschichte zeigt die durchaus komplexe und hochgebildete Argumentation, mit der der Autor seine Ideen verteidigte. Das geht bis zu einem an Verblendung grenzenden Wirklichkeitsverlust, der nicht nur den nationalsozialistischen Antisemitismus deutlich unterschätzt, sondern auch die Ähnlichkeit mancher — freilich unter ganz anderen Vorzeichen — verwendeten Vokabeln mit der NS-Programmatik nicht erkennt. Trotz höchster Verachtung der „Strolchherrschaft“ sah sich Borchardt nach 1933 zur Loyalität gegenüber Deutschland verpflichtet.

Bonsels hat es immer verstanden, seine Fahne in den Wind zu hängen, doch nie bekam dies stärker den Ruch der Anbiederung als während der Zeit des Nationalsozialismus. Als Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, hielt sich Bonsels vom Deutschen Reich fern, harrte auf Capri aus, weil er glaubte, die Deutschen würden sich nie „die Schande genannt Hitler gefallen lassen“. Als der „Spuk“ nach drei Wochen nicht, wie angenommen, zerstoben war, sah sich Bonsels zunehmend unter Druck. Er mußte sich positionieren, da man seinem Werk vorwarf, es sei „unklar und undeutsch“. Zwar trat er nie in der NSDAP bei, doch die Flucht nach vorne an, indem er sich zu einem antijüdischen Artikel hinreißen ließ, der allerdings nur halbherzig klingt und eher kulturell als rassistisch zu argumentieren versucht. Nach dem Krieg wurde Bonsels gerade der einigen Nazigrößen gewidmete „Dositos“-Roman zum Verhängnis, der in manchen Punkten ohne weiteres ideologisch interpretiert werden kann. Doch Bonsels wäre nicht der Meister des „wabernden Weihrauchs“, ließe er sich rasch in die Enge treiben: Sofort deutete er das Buch um, nämlich zu einem entschiedenen Gegenentwurf zum Nazi-Regime.

Bonsels sah sich zeitweilig sogar kurioserweise mit dem Vorwurf des Nichtariertums konfrontiert; Borchardt dagegen versuchte schon lange vor dem Dritten Reich, seine jüdische Herkunft zu verschleiern, die seine Familie am Ende doch einholte. Ihn, der gerade der deutschen Sprachtradition hohen Wert beimaß, verdroß insbesondere, daß viele seiner Werke nur von jüdischen Kritikern rezipiert wurden, darunter auch Martin Buber, dessen gemeinsam mit Franz Rosenzweig begonnene (expressiv getönte) Übersetzung der „Schrift“ Borchardts Intentionen der Gründung eines deutschen Nationalstils zuwider lief, da sie eine von der traditionsbildenden Luther-Übersetzung abweichende Sprache eröffnete. In diesem Sinne betrachtete Borchardt auch die Dichtung des Expressionismus selbst mit Ablehnung und Hohn:

„der neue Pöbel mit einem Worte, blutjung, frech, wüst, vollkommen talentlos, lügnerisch, brutal, steht vor uns, und eh wir noch recht geschnitten haben sollen wir altes Eisen sein.“

Während Bernhard Viel den Leser mit einigen wichtigen Werken von Bonsels umrißweise vertraut macht, etwa bei der Analyse der „Biene Maja“, einem Erziehungsroman mit autobiographischen Elementen und einem zeittypischen heroisch-patriotischen Schluß, setzt Peter Sprengel oft die genauere Kenntnis der Texte voraus, die er dann allerdings klug im historischen Kontext verortet. So werden die Gründe für den ungewöhnlichen Stil der „Comedia deutsch“ z.B. durchaus nachvollziehbar, anderes dagegen bleibt eher blaß, so daß sich die Vielfalt und hohe Bedeutung von Borchardts Werk, gerade vor der Folie seiner charakterlichen Defizite, nicht immer vollends erschließt. (Wie gut sich Lebens- und Werkinformationen verbinden lassen, hat Ulrich Kittstein in seinem kürzlich erschienen Mörike-Buch gezeigt, das ohne jegliche professorale Allüren auskommt, vorzüglich lesbar ist und selbst komplexe Sachverhalte spannend zu erschließen weiß.) Während Bonsels gerne zum Klischee griff, um wieder ein Buch abzuschließen, etwa bei der Amerikafahrt „Der Reiter in der Wüste“ (1935), das für die Nazis dann letztlich zu freundliche Worte über das „Weltjudentum“ enthielt, verzettelte sich Borchardt immer wieder, schnell von Ideen entflammt, so daß viele angekündigte Titel nie erschienen, ja nicht einmal begonnen wurden, anderes dagegen nie zuende geführt ist, als sei Arbeitsdisziplin, wie übrigens auch bei Mörike, der Inspiration abträglich oder das Übermaß der interessanten Themen zu überwältigend für eine jeweils gründliche stoffliche Durcharbeitung.

Die beiden vorgestellten Biographien vertreten, auch wohl aus ihrem Gegenstand heraus, sehr unterschiedliche Zugänge. In Bonsels Leben scheint vieles ungeklärt, nicht dokumentiert, bewußt verschleiert, so daß Bernhard Viel zuweilen behutsam zu erzählerischen Ausgestaltungen greift. Manche Episode — etwa Bonsels’ Amazonas-Reise im Jahr 1924 mit einem Dokumentarfilmteam — bleibt darum leider im Halbdunkel einiger weniger Fakten. Dagegen läßt Rudolf Borchardts Vita nur wenige Lücken, Peter Sprengel kann ihr darum mühelos bis in einzelne Aufenthalte in Häusern folgen, deren Adressen uns nicht verschwiegen werden. Hier verliert sich der Biograph gelegentlich in Einzelheiten, die für die Forschung, nicht aber für den Leser von Interesse sind. Wettgemacht wird das mit nachgerade haarsträubenden Entdeckungen: Daß nämlich ein Empfehlungsschreiben seines Göttinger Professors Friedrich Leo eigenhändig von Borchardt gefälscht wurde!

Bonsels Werke, in der von seiner Witwe herausgegebenen Werkausgabe leicht gekürzt, wie eine versteckte Anmerkung in der Bibliographie verrät, wird man fortan mit kritischerem Blick lesen, vollkommen abseits kindgerecht zugestutzter Verfilmungen. Und man darf gespannt sein, wie der Rechtsstreit um Borchardts nachgelassenen Tausend-Seiten-Roman „Weltpuff Berlin“ ausgeht, dem Vernehmen und den Artikeln von Gerhard Schuster und Kai Kauffmann in der FAZ vom Juni 2016 nach ein Skandalon, das es in sich hat — identisch wohl mit der von Sprengel beiläufig erwähnten „Reihe äußerst freizügiger Erzählentwürfe“. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze sind beide Biographien unbedingt lesenswert, zeigen sie doch einmal mehr, wie sehr Autoren in den Wechselfällen der Geschichte gefangen sind und auf welche Weise dies ihr Werk geprägt hat. Die Werke des Erfolgsautors sind, da in vielen Fällen allzu zeitnah, großenteils vergessen, nicht immer zu Recht, wie man einfügen muß, — die des Einzelgängers werden dagegen sicherlich noch eine Weile überdauern, auch wenn sie nach wie vor nur wenige Leser finden.

 

Peter Sprengel
Rudolf Borchardt
Der Herr der Worte
mit 85 Abbildungen
C.H. Beck
2015 · 504 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-406-68207-0
Bernhard Viel
Der Honigsammler
Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja
Matthes & Seitz
2015 · 445 Seiten · 24,90 Euro
ISBN:
978-3-95757-148-9

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