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Bücher & Themen Artikel online seit 20.10.12 |
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Der Essay von Frank R. Ankersmit, Professor für Geschichtsphilosophie in Groningen, erschien im niederländischen Original bereits 1993. Er beginnt mit einer Kritik an der deutschen Hermeneutik in der Tradition von Wilhelm Dilthey und Hans-Georg Gadamer. Ankersmit glaubt, ein grundlegendes Defizit der an der Hermeneutik geschulten Geschichtswissenschaft ausfindig gemacht zu haben. Diese mache das Erfahrungswissen des Historikers und nicht die Erfahrung der Vergangenheit selbst zur Grundlage ihrer Reflexionen. Noch in Gadamers wegweisendem Buch „Wahrheit und Methode“ aus dem Jahr 1960 sieht er eine Historisierung der historischen Erfahrung aufscheinen, die die historische Erfahrung ihrer Unmittelbarkeit beraubt, weil Vergangenheit in Gadamers Leasart zwar Spuren hinterlasse, selbst jedoch keine Berührungspunkte mehr mit der Gegenwart aufweise. Dagegen betont Ankersmit mit dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga die Bedeutung des unmittelbaren Kontakts mit der Vergangenheit. Er nennt diesen Kontakt Authentizität. Er ermögliche, dass die historische Erfahrung die eigene Existenz plötzlich durchbreche, indem man förmlich von der Vergangenheit überrumpelt wird und bereit ist, alle Kontexte, auf die die Hermeneutik so großen Wert legt, zu opfern. Der zeitliche Abstand zwischen Gestern und Heute löse sich auf, wobei die einzelne historische Erfahrung singulär, nicht wiederholbar sei.
Diese unmittelbare historische Erfahrung durchbreche die menschliche Existenz ebenso plötzlich wie das, was Kant das Erhabene nannte. Wie die historische Erfahrung sei auch das Erhabene eine Erfahrung, die uns überrumpelt und insofern zu einer Erfahrung des Selbst wird. Selbsterfahrung in der historischen Erfahrung vollziehe sich durch das, was sich in uns beim Anblick des Gemäldes abspiele. Es ist das subjektive Echo des Objekts. Der Mensch erfährt sich am Objekt als sich selbst, Vergangenheit wird im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar. Der Kontakt mit der Vergangenheit, dies Berührtwerden von Vergangenem eröffne, so Ankersmit, die Möglichkeit, dass sich das Erhabene auch auf andere Weise und an anderen, gewöhnlichen Objekten manifestiert. Der Essay spricht von der Erhabenheit des Alltäglichen. Denn Erhabenheit werde nicht von großen und dramatischen Ereignissen der Geschichte bewirkt, sondern von den kleinen, imperfekten Dingen, die uns unmittelbar berühren.
Ankersmits intellektuell höchst anspruchsvolles Buch greift damit einer Debatte
vor, die sich in den letzten zwanzig Jahren um die Frage nach historischer
Orientierung und Bildung historischer Identität entfaltet hat, und in deren
Zentrum die Entwicklung historischer Sinndeutungskompetenzen, aber auch das
Problem der Aneignung des historischen Lernstoffes und seine diskursive, vom
Bildungssubjekt ausgehende Verarbeitung steht. Für die Frage nach der
historischen Gebundenheit des eigenen Standortes sowie jene nach der
Reflexionskompetenz historischer Bildungs- und Selbstbildungsprozesse liefert
Ankersmits Essay einen überaus wichtigen Beitrag, auch wenn er in seiner
Argumentation den ein oder anderen Umweg über die klassische Hermeneutik von
Dilthey bis Gadamer verständlicherweise nicht vermeiden kann. |
Frank
Ankersmit |
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