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Von
Stefan Möller In der englischen Geschichtsschreibung und den darauf basierenden literarischen und filmischen Umsetzungen, zuletzt in der sehenswerten Serie »Die Tudors«, ist Thomas Cromwell die Verkörperung des skrupellosen, intriganten, eiskalten Machtmenschen, unter dessen Federführung die katholische Kirche in England durch die Suprematsakte zerschlagen wurde, die Klöster enteignet und zerstört wurden. Er war treibende Kraft bei der Durchsetzung der Suprematsakte, durch die Heinrich VIII. Oberhaupt der anglikanischen Kirche werden konnte, Grundlage für die Scheidung von Katharina von Aragon und die Hochzeit mit Anne Boleyn. Als Nachfolger von Lordkanzler Thomas More fällt in seine Amtszeit die Verurteilung und Hinrichtung Thomas Mores, des Autors von »Utopia«, die Cromwells und Mores Bild für die Nachwelt prägten. More, der den Eid verweigerte, der ihn verpflichtet hätte, die Scheidung Heinrichs und die Legitimität der Nachkommen aus der Ehe mit Anne Boleyn anzuerkennen, ging in die Geschichte als aufrechter Märtyrer ein, wird heiliggesprochen, vergessend, dass er sich während seiner Amtszeit durchaus Mitteln wie Folter und Hinrichtungen bediente, um das Ausbreiten der Reformation in England zu verhindern. Cromwell hingegen galt seinen Zeitgenossen als der Sendbote des Teufels, ein Bild, für dessen Überlieferung zeitgenössische Geschichtsschreiber sorgten. »Wölfe« – im Original »Wolf Hall«, hervorragend übersetzt von Christiane Trabant – wagt sich an die Zerstörung des überlieferten Bildes, deutet es fast radikal aber nachvollziehbar um. Im ersten Kapitel begegnen wir dem sehr jungen Cromwell, der von seinem Vater, einem Bierbrauer, brutal verprügelt wird, von zu Hause wegläuft, ein Schiff besteigt und England verlässt. Seine niedere Herkunft unterscheidet Cromwell von anderen Höflingen Heinrich VIII., als »Emporkömmling« fügt er sich nur schwer in die höfischen Gegebenheiten ein. Immer wieder wird er von Selbstzweifeln geplagt, die er nach außen verstecken muss. Nach der Rückkehr nach England wird Cromwell erfolgreicher Advokat. Der eigentliche Erzählstrang setzt 1527 ein, Cromwell ist seit einigen Jahren Sekretär von Lordkanzler Wolsey. Sein Aufstieg beginnt mit dem Fall Wolseys – Heinrich wirft ihm vor, durch sein Tun die Erlaubnis des Papstes zur Scheidung mit Katharina zu verhindern - 1529, Cromwell wird zum großen Gegenspieler Mores. Bei Hilary Mantel aber entpuppt sich Thomas More als selbstgerechter, intriganter Mensch, Anhänger einer überholten kirchlichen Ordnung, der im Namen Gottes nicht zögert, das, was er für richtig hält, mit Gewalt durchzusetzen. Zweifel an seinem Tun hat er nicht. More sagt, es macht nichts, wenn man Ketzer anlügt oder sie täuscht, sodass sie gestehen. Sie haben kein Recht zu schweigen, selbst wenn sie wissen, dass ihre Aussage sie belastet; wenn sie nicht reden wollen, dann muss man ihnen die Finger brechen, sie mit heißen Eisen verbrennen, sie an Handschellen aufhängen. Es ist legitim – und More geht sogar noch weiter -, es ist gesegnet.
Cromwell ist
hier Erneuerer, Machtmensch zweifelsohne, aber nicht skrupellos. Intelligent,
mit einem unglaublichen Gedächtnis gesegnet, vielseitig interessiert und
gebildet. Das Ringen um Macht ist für ihn auch Selbsterhalt, er weiß, dass er
die Gunst des Königs genießt, weiß aber auch, dass diese Gunst nicht von Dauer
sein muss und dass seine Feinde bei Hofe zahlreich sind. Nur aus einer mächtigen
Position kann er sich vor diesen (noch) schützen. Der Roman lebt von dem Kontrastpaar Cromwell-More. Und er erzählt Geschichte aus einer Mikroperspektive. Hilary Mantel verzichtet auf die großen Bilder blutiger Auseinandersetzungen, wie sie überhaupt auf die plastischen Schilderungen von Brutalität verzichtet, bemerkenswert in einem Roman, dessen Handlung in einer an Brutalität nicht armen Zeit spielt. Deutlich mehr Raum wird für ruhige, anrührende Szenen gelassen. So trauert Cromwell über den Tod seiner Frau und seiner zwei Töchter, die bei einer Fieberepidemie sterben. Geschichte spielt sich bei Mantel nicht auf Schlachtfeldern, sondern in den Hinterzimmern der Macht ab, das Geschichtsbild setzt sich aus Taktieren, politischem Kalkül, Zweckallianzen zusammen. Dieser Aspekt macht »Wölfe« zu mehr als »nur« einem historischen Roman. Es ist auch ein Roman darüber, wie Politik grundsätzlich funktioniert, wie sie sich strukturiert und welchen wechselseitigen Einflüssen sie unterworfen ist. Geschichte wird im Dialog gemacht – Wir müssen die Debatte gewinnen, nicht nur unsere Feinde niederringen -, schnelle Dialogabfolgen und eine Fülle von Alltagsszenen lassen die Welt lebendig werden. Konzeptionelles Stilelement ist die sich ständig ändernde Erzählperspektive. Durchgehend im Präsens jongliert Hilary Mantel mit den Perspektiven, aus denen Cromwell geschildert wird. Mal ganz nah, auch wenn sie auf einen Ich-Erzähler verzichtet, gibt es doch eine Art Ich-Perspektive. Dann wieder rückt sie zurück, um den Leser zum Beobachter aus der Distanz zu machen, ohne aber den Abstand zu groß werden zu lassen. Mantel umkreist den Ort des Geschehens, betreibt ein Wechselspiel der Szenen zwischen Subjektivität und (vermeintlicher) Objektivität.
Die Autorin eliminiert aus
dem Text alles Betuliche, Überflüssige, alles sprachlich Banale. Übrig bleibt
ein überaus raffinierter Roman, der den Leser durchaus fordert, Prosa auf
höchstem Niveau. »Wölfe« ist ein Glücksfall für das Genre, Literatur eben. |
Hilary Mantel
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