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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Klapse auf den Hinterkopf
Ein
silbernes Fast-Quadrat und grau-silberfarbene, vertiefte Buchstaben auf weißem
Grund: Selten hat ein Cover die Stimmung eines Buches derart kongenial
bebildert. Denn derart aseptisch erscheint das Leben in der fiktiv-utopischen
Stadt CobyCounty in Leif Randts Roman. CobyCounty erscheint zunächst als eine Mischung aus Thomas Morus' Utopia, einem durchgestylten, modernen Atlantis und verkappter Ökodiktatur. Die Energieversorgung ist autark und ökologisch korrekt – mit Solar- und Wind- und Wasserkraft. Die politischen Verhältnisse sind stabil; die Bevölkerung ist mindestens oberer Mittelstand. Die Dienstleistungen funktionieren perfekt. Alle sind schlank, soft gelaunt und verhalten sich smart. Man ist qualitativ hochwertig angezogen. Wims zeitweise enorm moralische Stimmung wäre - nach außen gekehrt - schon die Ausnahme. Man gibt sich gesundheitsbewusst: Auf Partys gibt es Fenchelcremesuppe (anschließend badet man zusammen), man trinkt Apfelsaftschorle oder Tee mit fettarmer Milch und bestellt eine Ruccolapizza mit Cocktailtomaten. Nicht ganz passend ist die Liebe zum selbstgemachten Espresso und - einer der zahlreichen Running Gag[s] - der geliebte Eistee. Im Untergrund (oder zu Hause) wird dann reichlich Alkohol getrunken. Aber warum tragen so viele Personen skandinavisch klingende Nachnamen?
Wie
zum Beispiel der Ich-Erzähler, Wim Endersson. Er ist 26, seine Mutter 65. Das
Buch beginnt mit ihrer Geburtstagsfeier. Sie ist Hotelmanagerin und lebt mit dem
Architekten Tom zusammen; ihr Mann, Wims Vater, hatte CobyCounty verlassen,
nachdem ein Film von ihm beim Publikum durchgefallen war. Überraschenderweise
ist er nun zurückgekommen - mit seiner 34jährigen neuen Freundin. Wim ist in
einer Literaturagentur beschäftigt, sucht junge, zeitgenössische Talente und
redigiert ihre Texte. Zu Beginn ist er mit Carla befreundet. Wims Freund Wesley
verläßt CobyCounty, um dann einige Tage später zurückzukommen und sich seiner
Zuneigung zu Frank gewiss zu sein. Carla beendet die Beziehung mit Wim per
Shortmessage. Später lernt er eine Keyboardverkäuferin kennen, die ebenfalls
Carla heißt. Er nennt sie CarlaZwei. Dazwischen gibt es diverse
Frühlingsfeste, an denen auch der Dokumentarfilm, der dem Buch den Titel gegeben
hat, aufgeführt wird, eine Bürgermeisterwahl und eine Unwetterwarnung. Und
scheinbar ist am Schluss auch alles überstanden. Sie scheinen sich gerade kennenzulernen, wirken beide betrunken und haben die meiste Zeit die Augen geschlossen. Sie wissen, dass sie ein Bild abgeben. Bei einigen seiner Bewegungen, wenn die Hand zum Beispiel schon ihren Po streift, weicht sie zurück. Dann schauen sie sich kurz an. Er simuliert einen weichen Blick, den er sich im betrunkenen Zustand vielleicht sogar selbst glaubt, und sie genießt seinen leicht gelogenen Ausdruck, muss aber stets ihre Grenzen markieren. So wahren beide ihr Gesicht und können am nächsten Tag von einem Erfolg erzählen, von einem sinnlichen Erlebnis, aus dem sie jeweils als Gewinner hervorgegangen sind. Er hat sie gekriegt und sie hat klargemacht, dass sie nicht so leicht zu kriegen war.
Das
nimmt gelegentlich komische Züge an, etwa wenn Wim Carla nicht zurückküsst und
sich mit ich war kurz in Gedanken entschuldigt. Oder als Wim mit einer
Frau tanzt und ihr testweise an den Po greift, und relativ positiv
überrascht ist. Die Begründung des Chefs Wim zu beurlauben ist für ihn
völlig griffig und richtig. Der Sex mit CarlaZwei ist nicht ruppig
wie am Anfang mit Carla I, sondern eckig und sie macht nichts
besonders gut, was Wim aber wahnsinnig recht ist, denn auch ihm
gelingt nichts optimal.
Aber
es gibt Risse in dieser schönen Welt. Sie deuten sich zunächst nur sehr zaghaft
mit den Veränderungen in Wims Privatleben an. Nach Carlas Trennungs-SMS bekommt
er eine leicht abgestandene Melancholie. Dann geht die Bürgermeisterwahl
anders aus als gedacht - obwohl niemand den siegreichen Herausforderer gewählt
zu haben scheint. Schließlich brennt es in einem Außenbezirk und am Ende gibt es
die Evakuierung infolge einer Unwetter- bzw. Sturmwarnung. Wim bleibt mit seiner
Carla und einigen anderen und wie durch ein Wunder scheint nichts zu passieren.
Dennoch: Die Furchtlosigkeit, mit der Wim am Ende mit CarlaZwei am Strand
wandelt, wirkt aufgesetzt; irgendwie hat man das Gefühl, eine Katastrophe
pompejanischen Ausmaßes ist nicht mehr weit.
Leif
Randt ist ein Meister der Andeutung. Es wimmelt von
Interpretationsmöglichkeiten, die manchmal listig in der Schwebe gehalten werden
und beim Leser Assoziationen hervorrufen. So bieten sich durchaus Parallelen zu
einigen utopischen bzw. dystopischen Romanen und Szenarien an. Randt gelingt es,
einen suggestiven Sog hervorzubringen. Geschickt verstärkt wird dies durch den
Kursivdruck aller wörtlichen Rede (und von Wims Selbstzitaten), womit auch
optisch ein Kontrapunkt zur schönen neuen Welt gesetzt werden soll. Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Hierbei zwischen der im Buch kursiv gesetzten wörtlichen Rede der Protagonisten und den Erzählungen der Hauptfigur nicht unterschieden.
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Leif Randt |
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