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Bücher & Themen Artikel online seit 18.10.12 |
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Annette Schavan und
Karl-Theodor von und zu Guttenberg trennten Welten. Sie schämte sich, ein
bisschen und halböffentlich, für ihn. Wenn man die in den beiden Plag-Sites angeführten Textpassagen, Zitate und weitergehenden Quellenvergleiche nach Inhalt und Aussage-Niveau durchsucht, so fällt rasch auf: Guttenbergs Arbeit kommt an der Oberfläche wesentlich kühner und brillanter daher, im Tonfall einer juristisch-politisch-journalistisch aufgepuschten Rhetorik. Schavans bieder-fleißiges Produkt füllt im Modus der damaligen Studienkultur an vielen Seminaren der rheinischen Universitäten Bonn und Düsseldorf brav die Kapitel an, um dem breiten Thema zwischen Erziehungswissenschaft, Psychologie, Philosophie und christlicher Theologie einigermaßen gerecht zu werden. Auffällig ist, dass
beide Themenstellungen viel zu weit gefasst sind: Person und Gewissen –
Verfassung und Verfassungsvertrag, konstitutionelle Entwicklungsstufen in den
USA und der EU, das sind zweifellos interdisziplinäre Mammut-Terrains, die
ihrerseits entweder zu viele Klippen oder zu viele Schlupflöcher für eine
stärkere thematische Eingrenzung und Präzisierung lassen. Eine solche
habilitationsförmige Hülsenstruktur im Rahmen von Doktorarbeiten wird nur von
der Minderzahl der Promovenden derart souverän ausgefüllt, so dass kein schlaff
am Himmel der Wissenschaft hängender Pflichtballon mit Lexikonweisheiten hängt,
sondern ein zukunftsweisender Zeppelin, der neue Wissensgebiete ansteuert, ohne
gleich in Bodennähe zu explodieren. Guttenbergs Arbeit weist im Umfang und in der Art der Plagiate zweifellos ein anderes Kaliber auf als die Dissertation von Schavan. Der Tatbestand der jeweiligen Plagiierung speist sich aus recht unterschiedlichen Schreibtechniken, Arbeitsstilen und Denkhaltungen: Guttenberg bevorzugt die auffällig exponierte Argumentation mit dem selbstbezogenen Nimbus des souveränen, vom Material unabhängigen Überfliegers, während Schavan sich als Autorin in ihrer Darstellung, stark aufgebaut auf einer kompilierenden Zitierweise, fast zu verstecken scheint und dabei den geforderten Eigenanteil an den (neuen) Befunden und Perspektiven relativ gering hält (oder auch damit objektiv überfordert war). Guttenberg rennt in
die Falle der permanent behaupteten Originalität, die sich in der Tiefenanalyse
als ein aus lauter Partikeln aus Büchern, Aufsätzen, Zeitungsartikeln und
Netzquellen zusammengesetztes Ghostwriter-Simulacrum entpuppt, eine Art
fliegender Holländer der transatlantischen Verfassungskonstitution, dem der in
die Versenkung entschwindende Doktorvater bis heute seinen Beifall nicht versagt
hat. Schavan scheint im prädigitalen Zeitalter nicht allzu weit in ihren
Eigenaussagen bzw. in Kommentierung und Diskussion von den von ihr bemühten
Quellen und Zitaten abzuweichen, im Konsens mit der Tradition, was ihr
Doktorvater gleichfalls honorierte. Interessanterweise
ist jedoch in beiden Fällen die Spannung und die Dialektik zwischen dem
tatsächlich wissenschaftlich abgleichbaren Verhältnis von Eigen- und
Fremdaussage nicht ausgewogen: Wo Guttenbergs Gestus unentwegt ein Zuviel
an vorweg prätendierter Eigenaussage zu leisten vorgibt (dabei aber, angeblich,
nicht mehr wusste, was eigentlich von ihm oder von anderen stammte), liegt bei
Schavan ein aposteriorisches Zuwenig im Eigenbeitrag, eine Überbetonung im
möglichst bloßen Referieren vor. Beide Haltungen, das Verfügen über die
Tradition und das Verschwinden in ihr, sind sicherlich der Differenz der
Fachgebiete, den Vorgaben der Doktorväter, dem unterschiedlichen Temperament der
Autoren, aber auch den verschiedenen Schreibstilen und Technologien noch vor und
dann mitten in der heutigen Netzkultur geschuldet: sukzessives Sammeln und
übervorsichtiges Ordnen und zaghaftes Auswerten (Schavan) versus wildes
Echtzeit-Kompilieren und forsches Mutmaßen (Guttenberg). In beiden Fällen führt
dies zum Plagiat oder hängt zumindest mit bestimmten Plagiatformen zusammen. Dabei ist der Fall Schavan zugleich ein Problemstein für den Umgang mit den digitalen Methoden der Plagiatsjäger, die gelegentlich wie hirnlose Termiten und Kampfdrohnen mit ihren Suchprogrammen ein anti-akademisches Schiffe-Versenken spielen. So war in der Presse zu lesen, Schavan hätte in ihrer Dissertation von sich selbst abgeschrieben. Das mag zunächst absurd klingen, ist aber bei näherer Betrachtung von Parallelpublikationen durchaus möglich. Verwerflich ist es dann, wenn Schavan in ihrer Dissertation solch einen Selbstbezug nicht kennzeichnet und damit die vielleicht originelle Idee des früheren Textes als originelle Leistung auch in ihrer folgenden Arbeit ausgibt, statt zu neuen Ufern aufzubrechen. Wie dem auch sei: Immer wieder kommt es auf der Basis der abstrakten Suchprogramme zu antihermeutischen und kleinkarierten Verrenkungen, wenn mechanische Befunde oft zu schnell und unüberlegt für bare Münze genommen werden. Der Verdacht einer mit Technologie getarnten Ressentiment-Kultur ungebildeter Schädlinge, die sich als Kammerjäger aufdrängen, liegt nahe. Rechthaberisches Bloggen und brachiales Bloßstellen und Killen, das sind die zwei Seiten der heutigen, oft undialogischen Netzkultur. Im Zusammenprall mit der älteren Universitätswelt entsteht der Anschein einer exakten Text-Tomographie und Trivial-Krypotologie. Doch deren außer- und inner-universitäre Jünger durchleuchten überscharf und des öfteren am (spezifischen fachwissenschaftlichen und argumentativen) Sinn vorbei. Andererseits entwickelt sich eine extern angestachelte harte Transparenz, die nicht nur im akademischen Betrieb sondern auch im Netz manchen methodisch-praktischen Unsinn, Widersinn und Leichtsinn der Bevorteilung und Benachteiligung, der unangemessenen Protektion und der Bloßstellung bei Leistungen und Beurteilungen aufzudecken imstande ist. Über die aktuelle
Konfrontation hinaus geht es um fachimmanente und fachübergreifende Regeln einer
Hermeneutik im Umgang und in der Verfertigung fremder und eigener
wissenschaftlicher Texte. Hieraus ergeben sich auch Perspektiven für die
Diskussion der Reibungspunkte zwischen externer Netzkritik,
Universitätsautonomie, internem akademischen Vorgehen und öffentlichem
Mediendruck. Die kritisch-hermeneutische Reflexion fragt nach: Inwieweit dienen
oder schaden mechanische Plagiats-Unterstellungen der textuellen und
intertextuellen Aufklärung, Forschung, Bildung und Ausbildung auf dem Niveau der
Universität? Schwanken Studentinnen und Studenten bei heutigen Anforderungen
nicht immer wieder zwischen Ängstlichkeit und Dreistigkeit hin und her?
Inwieweit existiert in bestimmten Fächern und an bestimmten Hochschulen ein
hinreichendes fachliches und interdisziplinäres hermeneutisches Bewusstsein und
eine entsprechende Kultur der Geduld und des Engagements? Welche Gründe und
Ursachen führen dazu, dass entsprechend strittige Fälle von schriftlichen
Leistungen heute in der elektronischen Öffentlichkeit ausgelagert und dort offen
vordiskutiert werden? Wie soll die Universität damit umgehen, um Reputation und
wissenschaftliche Geltung angemessen zu vertreten? Gibt es eine historische
Epochengerechtigkeit in der milderen Anwendung der Maßstäbe bei Schavan? Oder
muss rigoros auf der Geltung elementarer Regeln bestanden werden? Wie vielfältig
können damalige und heutige Strategien der wissenschaftlichen Textaufbereitung,
der exakten Zitierweise und Darstellung und eigenständigen Weiterverarbeitung
sein und verstanden werden – von der nüchternen Darlegung und Analyse
theoretischer und experimenteller Sachverhalte über die diskursive Argumentation
bis hin zum literarisch-philosophischen Essay? Wird der Vorwurf des angeblichen
»Bauernopfers« (der nur teilweisen Preisgabe und korrespondierenden
Verschleierung von als Eigenaussage ausgegebenen Zitaten und Quellen) bei
Schavan dort überstrapaziert, wo sie deutlich im referierenden Ton, ohne
Anspruch auf voreilige und übertriebene Eigenerkenntnis verbleibt? Es ist zukünftig für
alle Hochschulen und Disziplinen von Interesse, ihren produktiven Zusammenhang,
den fachlichen und interdisziplinären Dialog gerade als Form der mündlichen und
schriftlichen Kommunikation genauer zu beleuchten – zwischen angemessener
Rezeption, sinnvollem Verstehen und Weiterdenken (auch im Hinblick auf
Wissensformate, Zitate, Kennzeichnungen, Anmerkungen, Fußnoten und Quellen) –
als anerkennenswerte Konstruktion einer forscherischen Kontinuität und als
Aufbau eines dialogischen Potenzials im Kontext relevanter Problemstellungen und
weiterer Herausforderungen. Die Sensibilität für die Spannung von Fremdaussagen
und Eigenaussagen, das Gespür für angemessene kommentierende Einschätzungen und
Deutungen sowie weiter verarbeitender Argumentation und reflexiver Beurteilung
müssen von Anfang an in Kursen, Seminaren, Vorlesungen, Beratungen und
Betreuungen trainiert werden, der Diskurs wissenschaftlichen Studierens und
Forschens in einem entschleunigten, sorgfältigen und formatbewussten
Mediengebrauch vorangebracht werden, der sich nicht in bloßer Reproduktion,
Paukwut, Karrieresucht und Stagnation erschöpft. Es geht um den Vorrang des
Denkens und Nach-Denkens als Formen des kommunikativen und differenzierenden
Verstehens, des gleichberechtigten Sich-Vergewisserns, Urteilens und
Austauschens im realen und konstruierten Gespräch zwischen verschiedenen
Positionen, Hypothesen und Gegenannahmen, um den offen zu haltenden Dialog
zwischen These und Antithese, zwischen dem Selbst und dem Anderem. Gefordert ist
eine Hermeneutik als dialogische Suche von Sinnfindung und Sinnkritik, als
kommunikative Basis der reflexiven Autonomie aller wissenschaftlicher Forschung
im Rahmen einer kooperativ-konkurrierenden Forschungsgemeinschaft. Studenten und
Promovierende sind, genau wie etablierte Akademiker, weder Automaten noch
Roboter, und sie sollten vielem misstrauen: der Übermacht der Tradition, aber
auch ihren heutigen Apparaten, Suchmaschinen, Kopiergepflogenheiten, griffigen
Formulierungen, und nicht zuletzt den Plagiat-Entlarvungs-Programmen. Wir leben
derzeit in einer keineswegs gemütlichen Karaoke-Gesellschaft. Das rächt sich
immer wieder bitter. Auf der Seite der Gejagten wie der Jäger. Dabei nimmt uns
keiner das Denken und das Lesen und das Schreiben ab. Sapere aude. Die Gedanken
sind frei, wir sind es aber nicht, wenn wir die Gedanken nicht mehr denken.
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