Im Land der
unbegrenzten Möglichkeiten träumt man auch immer wieder von dem
einen großen Roman, der das Unmögliche wirklich macht, nämlich die
Geschichte seiner Zeit zu erzählen. Vor Jahren schon war das Buch
vom Verlag angekündigt. Da war an den Albtraum Trump noch nicht zu
denken. Aber der Zerfall der amerikanischen Gesellschaft, auf allen
Ebenen, war längst sichtbar geworden. Irene Dische, Amerikanerin
deutsch-jüdischer Herkunft, hat sich ihrer Heimat so liebevoll
angenommen, wie, nach einem Wort Walter Benjamins, der Kannibale
einem Säugling.
»Mein richtiger Name ist Jutta Bolin. Für mein Alter sehe ich
phantastisch aus. Ich bin blond, Single, Raucherin und verstehe
etwas von engen Jeans.« Jutta Bolin war erst 15 Jahre, als sie,
GI-Flittchen in Berlin, ein Kind von einem Schwarzen bekam. Mit 20
schafft sie es, illegal, nach Florida auszuwandern. Dort nennt sie
sich JO. »Hier habe ich Buchhaltung gelernt und auf Gott zu
vertrauen – statt auf die Regierung.« Diese JO, ordinär und
großmäulig, abgebrüht und immer ohne Geld, spielt die eigentliche
Hauptrolle, sie hat die Fäden in der Hand. Mit ihr beginnt und endet
dieser backsteindicke Roman. »Der Rest dazwischen ist schwer zu
glauben, aber wahr.« Die Handlung nährt sich aus dem Wahnsinn, der
das Land befallen hat. Und Irene Dische verfügt über die nötigen
Mittel, diese Welt, die aus den Fugen gerät, in ihrer Sprache
einzufangen: Präzision, sarkastische Ironie und einen bewundernswert
bösen Blick.
Jos Sohn Duke, geboren in Deutschland, aufgewachsen in Florida mit
ständig wechselnden »Vätern«, begegnet, 18-jährig, Lili in Nairobi.
Sie ist weiß, Tochter von reichen Upper-class-Eltern aus New York.
Nach 24 Stunden müssen sie sich wieder trennen, er geht zur Armee in
den Süden Amerikas, sie studiert in Cambridge. Als er sich nach zwei
Jahren bei Lili in New York meldet, beginnt der ganze Wahnsinn
dieser irren, ausufernden und unglaublichen Geschichte. Sie wohnen
bei Lilis Eltern Vlado und Bucky. Er ist Komponist, sie eine
kunstsinnige Feministin. Sie halten sich für die geistige Elite,
dementsprechend tolerant sind sie auch Schwarzen gegenüber. Sie
stürzen sich auf den gut gebauten, höflichen, unerfahrenen Duke und
überschütten ihn mit Zuneigung, die sie für ihre mollige, eher
unattraktive Tochter nicht hatten. Lili mausert sich allerdings,
wohl auch durch Dukes überbordende Liebe, zu einer bestens
verdienenden modelnden Schönheit. »Ich bin mit Geld gesegnet. Das
ist mein Schicksal.« Allerdings geht sie auch, wie jeder in dieser
Familie, zu einem Psychiater, »um sich eine Ladung ungeteilter
Aufmerksamkeit abzuholen.« Dukes totale Ahnungslosigkeit in Sachen
Wein, scheint das beste Sprungbrett für eine Karriere zu sein. Er
wird zu einem heiß begehrten Önologen. Er redet nicht viel, bleibt
dadurch dunkel und geheimnisvoll, und hat damit Erfolg. Er wird zum
bekanntesten Wein-Talkmaster mit eigener Show im Fernsehen. Der
amerikanische Traum wird für die beiden Wirklichkeit. Anything goes,
ob schwarz, ob weiß, Hauptsache, wir haben Ziele. Dische spart nicht
an Handlung, nicht an Personal und noch weniger an bissigen
Kommentaren und beißenden Spott. Sie zieht alle Register.
Dukes Gönner, der Weinhändler Mr. Perkins, erklettert bei einer
Trauerfeier im Central Park einen Baum. Die anderen Gäste beneiden
ihn noch wegen seiner »enormem Gelenkigkeit«, als sich seine
Krawatte im Baum verfängt und ihn zu erdrosseln droht.
Geistesgegenwärtig zerschlägt Duke eine Flasche und schneidet sie
mit der Scherbe durch. Mr. Perkins überlebt und schenkt Lili und
Duke aus Dankbarkeit seinen gesamten Besitz.
New York bietet das passende Umfeld. Hier tobt sich die Gier nach
Geld und Glamour aus. Hier kommt es zu finanziellen Höhenflügen und
entsprechenden und Abstürzen, gepaart mit Neid und Schadenfreude.
Auch unser »perfektes Paar« bekommt seine Probleme. Weil Duke auf
keinen Fall Kinder möchte, lässt Lili den Fötus abtreiben und
schluchzt dann: »Jetzt weiß ich, wie sich der Holocaust anfühlt.«
Dische liebt die makabre und sadistische Übertreibung. Kleine
Kätzchen werden an die Wand geknallt und ihr Leiden fast genüsslich
beschrieben. Lilis Mutter hat einen Gehirntumor, aber Lili, an
Sarkasmus kaum zu übertreffen, »fühlte sich einsam, weil niemand
ihre Vorfreude auf Buckys Ende teilte.«
Am Ende, Duke sitzt in der Todeszelle und wartet auf seine
Hinrichtung, überstürzt sich noch einmal das Geschehen. Doch seine
Mutter rächt ihren Sohn – und wird dadurch reich. Absurd, aber
richtig. »Schwarz und Weiß« ist keine Parodie auf die amerikanischen
Verhältnisse. Es ist ihr getreues Abbild.
Artikel
online seit 07.01.18
Wir danken dem
Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt & Rhein-Main
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Irene Dische
Schwarz und Weiß
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Plessen.
Verlag Hoffmann und Campe
489 Seiten
26,00 €
978-3-455-40477-7 |