Auf einem Foto, das man auf der Seite findet, sind zum Beispiel fein säuberlich dreizehn Männer aufgereiht, die allesamt ganz ernst in die Kamera schauen.
»Die Regierung von Ungarn seit 2014. Glückwunsch, Mr. Orban, sie haben ein rein männliches Kabinett.«
Doch dabei gibt es ein Problem: Die Betreiber der Seite hätten es besser vermieden, auf kleinere, rein männlich dominierte Panels wie etwa Talkrunden mit nur zwei oder drei Männern im Bild hinzuweisen (ein Post auf der Seite macht sich beispielsweise über eine TV-Debatte zwischen zwei Männern lustig, die sich offensichtlich über Musik unterhalten).
Denn selbst wenn man sich sein Zweier-Panel per Zufall aus der gesamten Bevölkerung zusammenstellen würde, bestünde immer noch ein Viertel der so zusammengesetzten Runden aus zwei Männern. Mit anderen Worten: Es macht wenig Sinn, eine Debatte ins Lächerliche zu ziehen, bei der sich zwei Männer über ein Thema unterhalten. Die Beschämung solcher Zweier- und Dreierrunden untergräbt das komplette Unterfangen. Der Punkt, an dem ein All Male Panel der Beschämung würdig wird, ist schwer zu bestimmen und weist auf eine übergeordnete Herausforderung für jedes legitime Beschämungsunterfangen hin – derjenige, der die Beschämung als Mittel zur Aufdeckung von Missständen wählt, bestimmt darüber, wann die Bloßstellung berechtigt ist.
Nun haben sich einige Ökonomen, darunter auch Jean Tirole, der 2014 den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt, daran gemacht, die spieltheoretischen Hintergründe des Schamgefühls – oder der »reputation tax« (dt. etwa: »Ansehens-Steuer«), wie sie es nennen – zu ergründen. Ein Artikel aus dem Jahr 2011 von Tirole und seinem Kollegen Roland Bénabou weist darauf hin, dass die Beschämung am besten »für Verhalten mit sehr hoher oder sehr niedriger Beteiligungsrate funktioniert (da diese je nachdem maximale Stigmatisierung oder maximale Auszeichnung nach sich ziehen können)«. Doch die Autoren machen nicht deutlich, was »sehr hoch« oder »sehr niedrig« in Bezug auf die Beteiligung nun tatsächlich meint. In einigen Fällen kann menschliches Verhalten eine Binärstruktur aufweisen, wie etwa ob man nun Raucher ist oder eben Nichtraucher. Die Idee von Tirole und Bénabou meint dann, dass die Beschämung immer treffsicherer wird, je weniger Raucher es gibt. In anderen Fällen ist ein bestimmtes Verhalten diffuser definiert, wie etwa im Fall des Reichtums des »oberen einen Prozents«. Solche Zuschreibungen, in Kombination mit den Begriffen von »sehr hoch« oder »sehr niedrig« haben dann eher etwas von Konventionen oder Übereinkünften, die von Menschen gemacht und damit sozialer Natur sind. So verhält es sich auch mit dem etablierten Grad von 95 Prozent, um zu bestimmen, ob eine wissenschaftliche Erkenntnis »statistisch signifikant« ist. Hier gerät die Beschämung mehr zur Kunstform und weniger zu wissenschaftlich gesicherter Auseinandersetzung mit menschlichem Verhalten.
Betrachtet man, wie allgegenwärtig und einfach das Beschämen geworden ist, würde es jedem von uns – wie auch den Benutzern, dem Publikum und den Opfern des Mittels der Beschämung – nutzen, wenn etwas mehr über diese Aspekte unseres Verhaltens nachgedacht würde. Die digitalen Technologien repräsentieren einen neuen und immens gefährlichen Zugang zur Bestrafung durch Beschämung, weil sie die Kosten des Klatschens und Tratschens verringert und gleichzeitig deren Reichweite, Geschwindigkeit, Dauerhaftigkeit und Auffindbarkeit vergrößert haben. Wütende Twitter-Shitstorms finden in atemberaubender Häufigkeit statt und einige Blogger werden nicht müde, Einzelne für dumme, aufwieglerische oder schlicht unpassende Kommentare an den Pranger zu stellen (in der Hoffnung, damit den Traffic auf ihren Seiten nach oben zu schrauben). Und während zumindest einige von ihnen im Nachhinein die unverhältnismäßigen Konsequenzen bereuen, die auf die Ziele ihrer Beschämungskampagnen hereinbrechen, gibt es andere, die sich vehement für drastische Strafen einsetzen, wie etwa ein US-Blog, das sich dafür einsetzt, dass rassistische Kommentare zu Entlassung führen sollten.
Die Frage ist, ob wir uns solch ein billiges Beschämen leisten können. Wie bei Antibiotika funktioniert das Mittel der Beschämung am besten dann, wenn man es sparsam einsetzt. Und wie im Falle von Antibiotika besteht die Gefahr, dass wir alle als Opfer des übermäßigen Gebrauchs des Heilmittels abstumpfen.
Wenn es also darum geht, die menschliche Scham als Werkzeug zu nutzen, um menschliches Verhalten zu ändern, sollten wir nicht ausschließlich darauf vertrauen, dass wir schon wissen, welche Bestrafung einer bestimmten Übertretung entspricht oder uns gar anmaßen, die Schwellen selbst zu bestimmen, die anzeigen, ob ein bestimmtes Verhalten auch wirklich der Beschämung wert ist.

Die Umweltwissenschaftlerin und Biologin Jennifer Jacquet öffnet uns die Augen für die enorme Wirkungskraft eines uralten Begleiters der Menschen, des Schamgefühls. Umgerüstet auf die Bedingungen und Möglichkeiten der neuen Medienwelten und richtig angewandt, hat die Scham das Potenzial, die Begrenzungen der Schuld zu sprengen und den Umgang mit Ungerechtigkeit, verfehlter Politik und schlechten Praktiken großer Konzerne in einer globalisierten Welt für immer zu revolutionieren.
Jennifer Jacquet macht deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns schämen – denn mit der Scham kommt die Erkenntnis. So entsteht ein brillanter Gegenentwurf zu allen bisherigen Einschätzungen dieses Gefühls: Jacquet zeigt, wie wir über das Schamgefühl gesteuert werden und es als politisches Instrument für eine bessere Welt benutzen können.