»Auf der Suche nach Edith«, so lautet der Arbeitstitel meines Dokumentarfilms über meine Großtante Edith Tudor-Hart, geboren 1908 in Wien, gestorben 1973 in Brighton.
Es bleiben nur noch wenige Drehtage – nach intensiven Wochen in Wien, Dessau, an fünf verschiedenen Orten in Großbritannien, und in Moskau. Geplant ist ein Kinofilm von 90 Minuten Länge, der zunächst auf Festivals und in Programmkinos, später erst im Fernsehen zu sehen sein wird. An den wichtigsten Schauplätzen ihres Lebens und in Gesprächen mit Verwandten, Freunden, Historikern und

Erster Drehtag in Wien, Mitte April 2015, 5 Uhr früh. Edith fotografierte das Riesenrad bereits um 1930. © Jerzy Palacz
Ediths Bruder, Wolf Suschitzky, mit seinen Söhnen, dem bekannten Kameramann Peter Suschitzky (links) und dem Musikologen Misha Suschitzky (rechts). © Jerzy Palacz
Ex-KGB-Mann Alexander Vassiliev in der Marx Memorial Library in London. © Jerzy Palacz
Der Bestsellerautor und Spionageexperte Nigel West, gefilmt vor seinem Haus in Minster, Kent. © Jerzy Palacz
In der National Portrait Gallery, Edinburgh, wo Ediths 4.000 Negative aufbewahrt werden. © Jerzy Palacz
Nahe Edinburgh, v.l.n.r. Tonmeister Andreas Hamza, Peter Stephan Junk, Kameraassistentin Anna Baltl, Produktionsleiter Roland Hablesreiter. © Jerzy Palacz
In Moskau, im Stadtteil Jassenewo, nahe dem Hauptquartier des Geheimdienstes FSB. © Lillian Birnbaum ehemaligen Geheimdienstleuten versuche ich (gemeinsam mit meinem fabelhaften Team) Ediths Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Die Familie wusste: Sie war eine sozial engagierte Fotografin. Sie hatte nie Geld. Sie war eine kompromisslose Idealistin. Aber niemand ahnte etwas von ihrem Doppelleben: Edith arbeitete viele Jahre lang als Agentin für den KGB. Einer ihrer ersten »Erfolge« war die Rekrutierung des wohl bekanntesten Spions, den die Sowjetunion je beschäftigt hat, des Engländers Kim Philby. Erst durch ihn ist der berühmt-berüchtigte Ring der »Cambridge Five« in Erscheinung getreten. Mein Film versucht, Ediths Beweggründe zu verstehen, so undurchschaubar sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen. Ihr Bruder, der inzwischen hundertdreijährige Fotograf und Kameramann Wolf Suschitzky, lebt in London, er beantwortete bis zur Erschöpfung alle meine Fragen und betonte im Gespräch mit seinen beiden Söhnen, von den geheimen Aktivitäten seiner Schwester nichts geahnt zu haben. Ich traf, unter anderen, mit dem bekannten englischen Spionageexperten Nigel West, dem Ex-KGB-Beamten Alexander Vassiliev und der Schriftstellerin Barbara Honigmann zusammen – deren Mutter war Ediths enge Freundin und Kim Philbys erste Ehefrau. In Moskau sprach ich mit einem ehemaligen Oberst des KGB, der heute noch den Zusammenbruch der Sowjetunion beklagt, sowie der Leiterin der Organisation »Memorial«, Irina Scherbakowa, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Verbrechen des Stalinismus aufzuarbeiten. Edith war nie in Moskau, aber ich will spürbar machen, woran sie so viele Jahre ihres Lebens mit Hingabe geglaubt hat. Ich besuchte das Archiv der Komintern und bemühte mich darüber hinaus – leider vergeblich – Zugang zu Ediths Geheimakten in der Zentrale des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, zu erhalten. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wie der Film dramatisch zeigen wird... Auch Ediths private Dramen kommen zur Sprache, ihre gescheiterte Ehe, ihre unglücklichen Liebesgeschichten. Ihr einziger Sohn Tommy, 1936 geboren, war Autist, er wurde zunächst von dem berühmten Kinderpsychiater Donald Winnicott behandelt, bevor er als angeblich unheilbar schizophren lebenslang in Nervenheilanstalten verschwand. Edith aber verliebte sich in Tommys Arzt, eine desaströse Affäre. Die Episode rund um Tommys Krankheit und Winnicotts Verhalten wird im Film von zwei Psychiatern analysiert. Ediths Werk als Fotografin bildet einen weiteren Schwerpunkt: In der National Portrait Gallery, in Edinburgh, sind rund 4.000 ihrer Negative aufbewahrt, von denen 90 % bisher noch nicht ausgewertet wurden. Der beste Kenner ihrer Arbeiten, der Fotohistoriker Duncan Forbes, Kurator der großen Ausstellung »Im Schatten der Diktaturen«, analysiert, von diesen Negativschätzen ausgehend, Ediths Schaffen, betrachtet aber auch voller Empathie und Neugierde ihre Biographie. »Auf der Suche nach Edith« wird einen sehr speziellen Einblick in eine hochdramatische Lebensgeschichte gewähren – inmitten der Wirren und Abgründe des 20. Jahrhunderts. Viele Monate der Endfertigung liegen nun noch vor mir, der Filmschnitt, das Einfügen der Musik, die Farbgebung, die endgültige Tonmischung – im Verlauf des Sommers wird an dieser Stelle ein weiterer Zwischenbericht zu lesen sein...