Der 1.7., das Ende des Berichtszeitraums, ist erreicht und das Zittern in der Redaktion des Weltalmanachs beginnt. Wie jedes Jahr blicken wir im Juli gebannt auf die Welt: Hält die Ruhe in der Ost-Ukraine? Fällt die Regierung im Irak? Wie verhält sich das Militär in Thailand? Die Arbeit der letzten drei Monate steht auf dem Spiel. Seit Mai haben wir Jahreschroniken zu allen 196 Staaten der Welt, verschiedene Kapitel und Beiträge zum Schwerpunktthema Minderheiten erstellt und bearbeitet. Wird jetzt irgendwo auf der Welt geputscht oder stürzt ein Staat in eine Krise, beginnt die Arbeit unter Umständen von vorn, um dem Anspruch nach möglichst aktuellen Informationen gerecht zu werden. So können ein Regierungswechsel in Vanuatu oder eine vorgezogene Neuwahl in Slowenien zu größter Aufregung führen und die Redaktion in zusätzliche Arbeit stürzen. Doch der Reihe nach…
Foto: Redaktion Fischer WeltalmanachAls erster Schritt wird in jedem Jahr ein Schwerpunktthema für den kommenden Fischer Weltalmanach festgelegt. Dieses muss nicht nur aktuelle Relevanz haben, es sollte möglichst auch für eine Vielzahl der Staaten eine Rolle spielen. Für den Fischer Weltalmanach 2015 wurde das Thema Minderheiten gewählt. Während des gesamten Berichtszeitraums sammelt und archiviert die Redaktion in mühevoller Kleinarbeit Informationen zu den wichtigsten Ereignissen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, damit, sobald die ersten Manuskripte der 13 Autorinnen und Autoren eintreffen, die Chroniken möglichst schnell geprüft und wenn nötig ergänzt werden können. Aus Kaffee- und Mittagspausen werden dann Diskussionsrunden über die Regierungskrise in Bulgarien oder die neuesten Schachzüge des Lieblings-Diktators und der Gang auf die Dachterrasse wird genutzt, um die Verlängerung der Steuervergünstigungen in St. Kitts und Nevis zu rekapitulieren. Auch der Wettleidenschaft wird gefrönt: Wer wird Fußball-Weltmeister 2014 und stimmen die Schotten mit »Yes« oder »No«?
Foto: Redaktion Fischer WeltalmanachAls Quellen dienen nicht nur deutsch- und fremdsprachige Tageszeitungen, es werden auch Nachrichten und Daten aus Online-Datenbanken oder direkt von Ministerien, Behörden und internationalen Organisationen eingeholt, um Informationen aus erster Hand zu bekommen, Meldungen zu verifizieren oder Erkenntnisse über neue Entwicklungen noch vor ihrer Veröffentlichung zu bekommen. Nur so können z. B. innenpolitische Auseinandersetzungen in Antigua und Barbuda oder die Lage der Rohingya in Myanmar adäquat dargestellt werden. Die gesammelten Informationen müssen anschließend ob ihrer Priorität bewertet werden, um eine Auswahl treffen zu können. Denn nicht nur der Zeitraum, in dem der Fischer Weltalmanach entsteht ist begrenzt, auch der Platz, den jeder Staat, jedes Kapitel und jeder Beitrag erhält, wird vorab seitengenau geplant und muss dann eingehalten werden. Allein auf diese Weise ist es möglich, in kürzester Zeit die Ereignisse eines ganzen Jahres in Buchform zu bringen. So herrscht an den Wochenenden und in den Nächten vor dem Stichtag in der 4. Etage des Verlags der Ausnahmezustand. Absprachen und Fragen werden, um die Zeit für den Weg von Büro zu Büro zu sparen, über den Flur gerufen, plötzliche Ausrufe der Verzweiflung werden häufiger und zur Stärkung wird auch der letzte Süßigkeitenvorrat geplündert.
Parallel zur Arbeit an den Texten müssen im begrenzten Bearbeitungszeitraum zudem Fotos ausgewählt und Medien wie Grafiken, Tabellen oder Karten konzipiert und gemeinsam mit externen Dienstleistern erstellt werden. Auch diese illustrierten Zusatzinformationen müssen dem Anspruch an Aktualität und Überprüfbarkeit entsprechen und werden von uns zum spätmöglichsten Zeitpunkt in Auftrag gegeben und in die Chroniken eingearbeitet. Während des Wartens auf Korrekturen dringend benötigter Grafiken oder Karten werden Minuten schon mal zu Stunden und die gesetzlichen Feiertage verflucht. Da am Ende aber wider Erwarten doch alles gut geht, können so Sitzverteilungen in nationalen Parlamenten, Außenhandelsbilanzen, Seewege oder Grenzkonflikte abgebildet bzw. veranschaulicht werden. Auch hinsichtlich der Medien stellen sich der Redaktion zusätzliche Aufgaben: Wie kann man den Status der Halbinsel Krim korrekt darstellen, ohne den Grundsatz der Neutralität zu vernachlässigen? Anhand welcher Daten und Erhebungen werden die Situation der Minderheiten in der Volksrepublik China oder die Rechte Homosexueller in Afrika dargestellt?
Foto: Redaktion Fischer WeltalmanachDiese sind nur einige der Aufgaben, denen sich die Redaktion bei der Erstellung des Weltalmanachs jedes Jahr aufs Neue stellen muss. Und auch wenn im August die Druckmaschine läuft, und die Redaktion mit rauchenden Köpfen ihren gefühlten ersten Wohnsitz verlassen kann, werden die Geschehnisse der Welt nicht entspannt und regungslos zur Kenntnis genommen, denn: Nach dem Weltalmanach ist vor dem Weltalmanach!