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Hundertvierzehn | Bericht
Die Gleichungen des Klimaschutzes

Anlässlich der diesjährigen UN-Klimakonferenz in Paris blickt der Nachhaltigkeitsforscher Reinhard Loske zurück auf das »Desaster von Kopenhagen« 2009 und zeigt, wie der Klimawandel zur Fluchtursache wird. Über den Fortschritt in Trippelschritten und die Wahl, die wir haben.

 
Reinhard Loske

Reinhard Loske, Jahrgang 1959, ist Professor für Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten/Herdecke und war zuvor lange Jahre Senator für Umwelt und Europaangelegenheiten der Freien Hansestadt Bremen und Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Er begleitet die internationale Klimapolitik seit zwei Jahrzehnten und hat an mehreren Klimakonferenzen als Delegierter teilgenommen. Im November 2015 ist im S. Fischer Verlag sein neues Buch ›Politik der Zukunftsfähigkeit‹ erschienen.

Dieser Tage treffen sich in Paris zunächst Klimadiplomaten und dann Minister und Regierungschefs aus 195 Staaten, um der Erwärmung der Erdatmosphäre Grenzen zu setzen. Diesmal soll der Klimagipfel nicht so kläglich enden wie so viele der jährlich stattfindenden Treffen zuvor. Als mahnendes Beispiel gilt vor allem der Klimagipfel von Kopenhagen, der 2009 so krachend scheiterte, dass nicht wenige Experten vom Ende des Multilateralismus in der Klimapolitik sprachen.

Die Enttäuschung, die sich nach 2009 breitmachte, war aber zu einem guten Teil hausgemacht und das Ergebnis von Illusionen. Die gesamte Kommunikation von Umweltverbänden, Klimadiplomaten und wohlmeinenden Medien war vor dem Gipfel in Dänemarks Hauptstadt darauf ausgerichtet, einen »historischen Durchbruch« in Sachen Klimaschutz herbeizuzwingen, wohl wissend, dass UN-Konferenzen nie die Orte von großen Wenden sind. Hier herrscht trotz salbungsvoller Sprache (»Die Bekämpfung des Klimawandels als größte Menschheitsaufgabe aller Zeiten«) stets die Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das wird auch in Paris wieder so sein. Im Völkerrecht kommt der Fortschritt bislang nur in Trippelschritten, wenn er denn kommt.

Seit dem Desaster von Kopenhagen ist in Wissenschaft und Politik hierzulande eher von Vorreiterrollen im Klimaschutz die Rede. »Koalitionen der Willigen« und »Klima-Clubs« von Gleichgesinnten sollen dem Rest der Welt zeigen, dass Klimaschutz nicht nur eine schwere Verantwortungslast ist, sondern auch ökonomische Chancen für grüne Märkte und grüne Technologien bietet.

Entsprechend hat sich seit Kopenhagen auch der strategische Grundansatz der UN-Klimapolitik geändert. Statt auf globaler Ebene verbindliche »Targets and Timetables« (Ziele und Zeitpläne) zu verabreden und daraus zwischen den Vertragsstaaten der Klimakonvention »Burden Sharing-Agreements« (Lastenteilungsvereinbarungen) abzuleiten, wird nun umgekehrt vorgegangen. Die Vertragsstaaten sollen von sich aus erklären, welchen Beitrag sie auf nationaler Ebene für den globalen Klimaschutz erbringen wollen und sogenannte INDCs vorlegen, »Intended Nationally Determined Contributions« (Beabsichtigte national bestimmte Beiträge). In der Summe, so hofft man, werde das vielleicht reichen, den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wobei die in besonderer Weise vom Klimawandel betroffenen Staaten sogar eine Begrenzung auf maximal 1,5 Grad fordern.

Ganz allmählich entwickelte sich eine Perspektive auf die Klimapolitik, die man vielleicht am ehesten als »Klimaschutz der zwei Geschwindigkeiten« bezeichnen kann: Auf der Langsamfahrspur des Völkerrechts geben die Bremser und Bedenkenträger die Geschwindigkeit vor, auf der Schnellfahrspur der Willigen soll es zügiger vorangehen, weil hier kein »Tempolimit« herrscht. Die Hoffnung lautet: Wenn die Gutwilligen, Ambitionierten und Kreativen glaubhaft zeigen können, dass man hier erfolgreicher vorankommt und wirtschaftlich besser dasteht, wird über kurz oder lang auch die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Langsamfahrspur abgeschafft.

Diese Sichtweise hat ihre Vorzüge. Wenn Klimaschutz nicht nur als moralische Aufgabe, sondern auch als ökonomische Chance begriffen wird, erhöht das seine Durchsetzungskraft. Wenn nicht nur von Lasten, sondern auch von Chancen die Rede ist, steigt möglicherweise auch die öffentliche Akzeptanz. Aber diese Denkart macht das Völkerrecht nicht überflüssig. Zu viele Probleme bleiben in der Ideenwelt des »grünen Wachstums« und der »Technologievorsprünge« unberücksichtigt. Aufstrebende Emissionsgiganten wie China, Indien, Brasilien, Indonesien, Südafrika oder Nigeria vermuten hinter der grünen Wachstumsrhetorik vor allem einen erneuten Versuch der westlichen Industrienationen, sich durch hohe Umweltstandards Wettbewerbsvorteile auf den globalen Weltmärkten zu verschaffen. Erst unter dem internationalen Druck des UN-Prozesses und der eigenen Zivilgesellschaften beginnen sie allmählich die Position zu räumen, wegen ihrer historischen Verantwortung seien allein die reichen Staaten der Nordhemisphäre für die Bekämpfung des Klimawandels verantwortlich. Für diesen Einstellungswandel verlangen sie freilich finanzielle Kompensationen und Zusagen im Rahmen von Paket-Deals an anderer Stelle, etwa im Handelsbereich.

Die von Erderwärmung und steigendem Meeresspiegel besonders betroffenen oder sogar in ihrer Existenz bedrohten Staaten wiederum verlangen Beihilfen, die es ihnen ermöglichen, sich an die veränderten Klimabedingungen anzupassen. Und die waldreichen Staaten wollen, dass ihre Anstrengungen zum Schutz der Wälder auf die Klimaschutzpflichten angerechnet und auch finanziell honoriert werden. All diese verzwickten Angelegenheiten können mit der hierzulande sehr populären Phrase von grünem Wachstum, grünen Märkten und grüner Technologie kaum erfasst werden, weil es hier eher um Gerechtigkeitsfragen geht. Dazu braucht die Staatengemeinschaft aber verbindliche Absprachen im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrages wie ihn die Klimakonvention darstellt.

Also doch nicht alles auf gutem Wege mit der Strategie der zwei Geschwindigkeiten? Man kann dieser Tage feststellen, dass die Fehler, die vor der Kopenhagen-Konferenz gemacht wurden, nicht wiederholt werden. Selbst die engagiertesten Klimaschützer sprechen heute nicht mehr vom historischen Durchbruch, sondern fragen nüchtern, ob Soll und Ist im Verhandlungsprozess in Deckung sind. Sie fragen, ob die zugesagten Klimaschutzanstrengungen der Staaten die Weltgemeinschaft auf den sogenannten »Zwei-Grad-Pfad« bringen. Momentan ist die Weltgemeinschaft eher auf einem 3 bis 4 Grad-Pfad. Und die Klimaschützer fragen auch, ob die vor allem von den Industriestaaten zugesagten Mittel von 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern von den reichen Staaten tatsächlich bereitgestellt werden. Bislang werden sie es nicht annähernd.

Manche fürchten derzeit auch, dass die Flüchtlingskrise die Klimakrise von der internationalen Tagesordnung verdrängt. Dabei müsste der Zusammenhang von Klimafrage und Flüchtlingsfrage doch jedem nüchtern in die Zukunft Sehenden ins Auge springen. Schon heute ist der Klimawandel neben Kriegen und Bürgerkriegen, Ressourcenkonflikten, ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen und unzureichender Entwicklungskooperation eine relevante Fluchtursache. Die internationale Organisation für Migration schätzt, dass sich schon in den nächsten Jahrzehnten bis zu 200 Millionen »Klimaflüchtlinge« auf den Weg machen, um Wüstenausbreitung, Wasserknappheit, Wetterextremen und steigenden Meeresspiegeln zu entkommen. Dass sich viele dieser Menschen auch zu uns nach Europa aufmachen würden, kann gar nicht in Zweifel stehen. Dass Horst Seehofers Zäune, Transitzonen und Obergrenzen da helfen würden, können wirklich nur Realitätsverweigerer glauben.

Wenn wir nicht wollen, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer die gleichen kohlenstoffintensiven »Umwege« gehen, wie wir sie in unserer Geschichte genommen haben, weil dies das Weltklima vollends ruinieren würde, müssen wir den Klimaschutz in seiner ganzen Dimension betreiben: als Veränderungsimperativ für unsere eigene Gesellschaft, aber eben auch als Gegenstand internationaler Politik, inklusive der Umweltdiplomatie, der Entwicklungskooperation und der fairen Gestaltung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen.

Die Gleichungen des Klimaschutzes sind glasklar: Langsamer Klimaschutz gleich schneller Klimawandel gleich zunehmende klimabedingte Wanderungsbewegungen. Und umgekehrt: Schneller Klimaschutz gleich langsamer Klimawandel gleich Begrenzung klimabedingter Migration. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob sich die Menschheit an einen langsamen Klimawandel anpassen muss, wozu uns neue Kulturtechniken in Landwirtschaft, Bewässerung, Architektur, Infrastruktur und Küstenschutz befähigen können, oder an einen schnellen, möglicherweise gar eskalierenden Klimawandel, der uns letztlich nur zu einem zwingt: zum permanenten Katastrophenmanagement inklusive des Managements von wachsenden Wanderungsbewegungen. Noch haben wir die Wahl.

Politik der Zukunftsfähigkeit

Es wird viel geredet vom Ende des grenzenlosen Wachstums, von der dringend gebotenen Befreiung vom Wohlstandsballast, von einer Politik der Nachhaltigkeit. Doch was heißt das für die Praxis? Der ehemalige Politiker und Volkswirtschaftler Reinhard Loske verfügt über das theoretische und praktische Wissen, um Anregungen zu geben für ein neues Denken, das sich dem Nachhaltigkeitsideal verpflichtet fühlt und politisch tatsächlich umgesetzt werden kann. Er bespricht anschaulich, welche politischen Reformen notwendig sind. Als sehr wichtig erachtet Loske neue Formen kooperativen Wirtschaftens sowie Verknüpfungen der Ökologiefrage mit Fragen der Freiheit und Gerechtigkeit.

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Frankfurt am Main 2020
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