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Hundertvierzehn | Bericht
Die vielen Gesichter der chinesischen Zensur

Diese Woche deckt unser Autor Yu Hua in seiner Kolumne Widersprüchlichkeiten und Absurditäten des chinesischen Zensurwesens auf und erklärt, warum Bücher eine größere Chance auf Veröffentlichung haben als Filme.

 
Yu Hua

Yu Hua hat fünf Jahre als Zahnarzt praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde. Auf Deutsch sind von ihm erschienen ›Leben‹ (1998), der von Zhang Yimou verfilmt wurde, ›Der Mann, der sein Blut verkaufte‹ (2000) und zuletzt ›Brüder‹ (2009). ›China in zehn Wörtern‹ durfte in China nicht erscheinen, in Frankreich und den USA erhielt das Buch hymnische Kritiken. Yu Hua wurde 1960 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren und lebt in Peking.

Unter dem chinesischen Zensurwesen stellen sich viele eine starre, eiserne Fratze vor, aber in Wahrheit hat die Zensur auch noch andere, mitunter widersprüchliche Gesichter. So kann ein Roman zwanzig Jahre lang einen regen Absatz finden, während ein Film, der auf demselben Roman beruht, genauso lang verboten bleibt. Diese scheinbar unverständliche Tatsache lässt sich leicht erklären: Ein Buch wird bloß vom jeweiligen Verleger geprüft und dann zur Publikation freigegeben, während ein Film die Prüfung durch die Beamten der staatlichen Filmstelle durchlaufen muss, ehe er gezeigt wird. Es gibt in China über 500 Verlage und damit über 500 Buchzensoren; selbst wenn ein Buch von ein paar Verlagen abgelehnt wird, hat es immer noch Aussicht auf eine Publikation anderswo. Ein Film dagegen wird nur ein einziges Mal geprüft und büßt mit einem Verbot jede Chance ein, in die Kinos zu kommen. Dieser Unterschied bestimmt das unterschiedliche Schicksal von Büchern und Filmen.

Extra
Kolumne von Yu Hua – Lesen Sie mehr

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Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, aber letztlich gründen sie alle in wirtschaftlichen Interessen. Die chinesischen Verlage sind längst kommerzielle Unternehmen geworden, die für ihren Gewinn und Verlust selbst verantwortlich sind. Von der Regierung erhalten sie keinen Cent, und die Verleger stehen unter Profitdruck. Die Mutigeren unter ihnen nehmen deshalb das Risiko auf sich, ein Buch zu veröffentlichen, selbst wenn es politisch heikel ist – hauptsache, es verspricht einen guten Verkauf. Allerdings sind auch der verlegerischen Freiheit Grenzen gesetzt: Die Niederschlagung des Aufstands auf dem Tian’anmen-Platz am 4. Juni 1989 beispielsweise ist tabu. Die Zensoren der staatlichen Filmstelle dagegen stehen unter keinerlei Profitzwang. Selbst ein Verbot sämtlicher Filme eines Jahres würde das Gehalt, das sie als Angestellte des öffentlichen Dienstes beziehen, nicht mindern. Deshalb gehen sie nicht das geringste politische Risiko ein. Gesellschaftskritische Themen und die Kulturrevolution mögen in der Verlagswelt gang und gäbe sein – im Film gehören sie zur Tabuzone. Der chinesische Kinogänger bekommt im Wesentlichen – abgesehen von allerlei Hollywood-Filmen – bloß Kung-Fu-Streifen, Palastdramen, Romanzen und Komödien zu sehen.

Gegenüber dem Fernsehen ist die Zensur weniger streng. Genau wie die Verleger stehen auch die Intendanten der Fernsehanstalten unter dem Zwang, Gewinn zu machen. Die Entscheidung, was gesendet wird, liegt bei ihnen, und dabei lassen sie sich von dem Ziel leiten, hohe Einschaltquoten zu erzielen. Allerdings ordnet das Propagandaministerium immer wieder Korrekturen bei der Programmgestaltung an. Besonders scharf wird der staatliche Sender CCTV kontrolliert. Dagegen genießen lokale Sender größere Freiheiten. Nachrichtensendungen werden strikt überwacht, während andere Programmbereiche – insbesondere der Sport – mehr Freiräume haben.

Zeitungen werden großzügiger zensiert als Filme, aber strenger als Bücher. Strenger als Bücher, weil die Kommunistische Partei größeren Wert auf die Kontrolle des Nachrichtenwesens legt – getreu dem Motto: »Der Journalismus ist das Sprachrohr der Partei«. Großzügiger als Filme, weil Zeitungen auf dem Markt bestehen müssen. Wie die Verlage haften auch die Zeitungen selbst für ihre Gewinne und Verluste und erhalten keinen Cent von der Regierung. Um ihren Absatz zu steigern und mehr Werbeeinnahmen zu erzielen, bringen sie viele Berichte, die soziale Ungerechtigkeiten und die Schattenseiten der Gesellschaft anprangern. Denn die Leser mögen solche Artikel.

Die kantonesische Southern Weekly hält seit Jahren an ihrer kritischen, investigativen Berichterstattung fest und ist so zu einer der populärsten Zeitungen Chinas geworden. Ihre Verkaufszahlen sind hoch, ihre Werbeplätze begehrt, und auch die Gehälter ihrer Redakteure und Reporter können sich sehen lassen. Die Zeitung ist schlau: Sie nimmt mit Vorliebe andere Provinzen ins Visier, während ihre Heimatprovinz Guangdong kaum je zur Zielscheibe ihrer Kritik wird. Deshalb drücken die Zensoren des Guangdonger Propagandaministeriums gern einmal ein Auge zu. Auch die Zeitungen anderer Provinzen haben begonnen, diese Strategie zu übernehmen: Ihre Heimat rücken sie überwiegend in ein positives Licht, während sie bei anderen Regionen eher die Schattenseiten hervorkehren. Die wachsende Widerspenstigkeit der Zeitungen ist auch der Regierung nicht entgangen.

Früher, als die Zeitungen noch dem staatlichen Haushaltsplan unterstellt waren, bestand zwischen ihnen und der Regierung ein doppeltes Dienstverhältnis politischer und wirtschaftlicher Natur. Nun jedoch, da die Zeitungen den Gesetzen des Marktes unterworfen sind und ihr wirtschaftliches Dienstverhältnis aufgekündigt ist, sind sie auch als politische Wasserträger zunehmend unzuverlässig geworden. Ohne ökonomische Basis gerät auch der Überbau ins Wanken.

Der Proteststurm, den die Zensur der Southern Weekly im Januar 2013 auslöste, markierte die erste mediale Massenunruhe seit 1949. Ein aus Peking nach Guangdong abkommandierter  neuer Propaganda-Abteilungsleiter beschwor mit seiner rüden Einmischung in die Redaktionsroutine den Widerstand der Journalisten herauf. Einige Zeitungen aus anderen Provinzen sprangen ihren Kollegen in unterschiedlicher Form bei, und das Echo derer, die sich im Internet solidarisch zeigten, war gewaltig. In der Folge freilich wurde die Affäre bald unter den Teppich gekehrt, und sämtliche Berichte und Kommentare dazu in den Medien und im Internet wurden blockiert. Es war, als wäre das Ganze nie passiert. Die Southern Weekly erschien weiter, und die Behörden stellten vage eine Lockerung der Zensur in Aussicht, während sie im Stillen damit begannen, Vergeltung zu üben. Am Ende ging die Regierung aus der Affäre einmal mehr als Sieger hervor – nachdem ihr Zensurwesen zum ersten Mal überhaupt auf frontalen Widerstand gestoßen war.

Auf Weibo, dem chinesischen Pendant zu Twitter, habe ich einmal im Scherz die Filmzensur und die Nahrungsmittelkontrolle miteinander verglichen.

»All diese Probleme mit der verseuchten Nahrung nehmen einfach kein Ende«, klagte jemand und fragte mich: »Ist denn da gar keine Lösung in Sicht?«

»Durchaus«, gab ich mich zuversichtlich. »Die Nahrungsmittelkontrolle muss nur genauso gründliche Arbeit leisten wie die Filmzensur, sie muss nur genauso perfektionistisch und pingelig vorgehen, und das Problem der Nahrungsmittelsicherheit wird im Handumdrehen gelöst sein.«

Dieser Eintrag wurde von 12.000 Bloggern weitergepostet. Einer spottete: »Warum machen wir die Film-, Buch- und Zeitungszensoren nicht zu Nahrungsmittelkontrolleuren und umgekehrt? Auf diese Weise hätten wir beides: Nahrungsmittelsicherheit und Meinungsfreiheit.«

Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
© Yu Hua, 2013

China in zehn Wörtern

Yu Hua ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Chinas. Seine Bücher haben sich in China Millionen Mal verkauft. Dass sein neues Buch ›China in zehn Wörtern‹ von den Chinesen verboten wurde, liegt weniger an seiner Kritik am heutigen China als an den Parallelen, die er zwischen der Kulturrevolution und dem neuen kapitalistischen System zieht. Wie zu Zeiten Mao Zedongs, sieht Yu auch heute Unmenschlichkeit und Gewalt. Der Großteil der chinesischen Gesellschaft profitiert nicht vom Wohlstand, sondern wird auf brutale Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die persönlichen Essays lassen aber auch Yus Verbundenheit zu seinem Heimatland erkennen. ›China in zehn Wörtern‹ wirft einen ganz anderen, einen neuen Blick auf ein Land, von dem noch viel zu erwarten ist.

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Frankfurt am Main 2020
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