Ende Februar kam ›Glaubenskämpfer‹, die jüngste Arbeit von Autor und Regisseur Nuran David Calis am Schauspiel Köln zur, mit großer Spannung erwarteten, Premiere. Denn mit ›Die Lücke – Ein Stück Keupstraße‹, seinem Stück zum Nagelbombenanschlag des NSU, erregte Nuran David Calis im Sommer 2014 großes Aufsehen weit über Köln hinaus. ›Die Lücke‹ wurde seither über 50mal vor ausverkauftem Haus gespielt. Die Inszenierung war zu Gastspielen an den großen Bühnen in ganz Deutschland eingeladen. Jetzt folgte also ›Glaubenskämpfer‹, ein Rechercheprojekt, bei dem sich Calis auf die Suche nach Religion begab – wieder mit einem Ensemble aus Laien und professionellen Schauspieler*innen. Die hohen Erwartungen wurden übertroffen, die Kritiken feiern den Abend einhellig für die gelungene Auseinandersetzung mit den drängendsten Fragen unserer Zeit und unseres Zusammenlebens – die nächsten Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Thomas Laue, Chefdramaturg des Schauspiel Köln arbeitet seit vielen Jahren eng mit Nuran David Calis zusammen und hat auch die Arbeit an ›Glaubenskämpfer‹ begleitet. Er hat für uns beschrieben, was der Abend verhandelt. Über Gott reden – wie soll das gehen? Bei dem Grundrauschen, das derzeit vor jedes Nachdenken über Glauben, vor jedes innehaltende Reflektieren über Religion die Bilder von Extremismus und Radikalität schiebt, und dabei gerne alles mit allem vermischt: Mordende IS-Kämpfer in Syrien, islamistische Attentate in Europa und der ganzen Welt, gleichzeitig dumpfe Massen, die unverhohlen rechte Parolen aufrufen, um das Abendland auch im Namen christlicher Werte gegen vermeintliche Islamisierung und Überfremdung zu verteidigen. Dazu Bilder aus dem Nahen Osten, aus Israel, Palästina, dem Libanon. Paris, Istanbul, der Kölner Hauptbahnhof, Flüchtlingsströme, Zäune um Europa, tote Kinder am Strand...
Wir haben uns eingerichtet in einer freiheitlichen, säkular geprägten Gesellschaft, in der Glauben Privatsache ist und die Frage nach Gott vor allem ein intellektuell-philosophisches Gedankenspiel. Und doch sehen wir derzeit hilflos dabei zu, wie die Welt um uns herum auseinanderfällt. Die Werte, auf die wir so stolz sind, drohen nicht mehr zu greifen, während Glaube und Religion mit aller Wucht zurückgekehrt sind. Vielleicht ja sogar aus gutem Grund. Denn tut sich unter dem leeren Himmel der säkularen Welt – Radikalität hin oder her – nicht tief in den Menschen, die sie bewohnen, immer wieder das beklemmende Loch einer spirituellen Leerstelle auf? Braucht der Mensch vielleicht das Größere, das Göttliche um in seiner begrenzten Existenz klarzukommen? Was, wenn wir mal wieder wirklich glauben könnten?
Inszenierungsfoto ›Glaubenskämpfer‹ © David BaltzerNuran David Calis hat sich für ›Glaubenskämpfer‹ auf die Suche nach überzeugten Gläubigen gemacht und Menschen versammelt, die die Frage, ob es einen Gott gibt, rundheraus mit »ja« beantworten. Menschen, deren Alltag vom Glauben bestimmt wird und die sich vom Glauben an Gott – an ihren Gott – leiten lassen. Gemeinsam stehen sie mit Schauspielern des Kölner Ensembles auf der Bühne: Eine Ordensschwester aus dem Benediktinerinnenorden in Köln-Raderberg, die seit rund 40 Jahren das kontemplative Leben in der Glaubensgemeinschaft des Klosters lebt, nachdem sie sich im Alter von 19 Jahren sehr bewusst entschieden hat, Nonne zu werden. Ein in Israel geborener Psychotherapeut, der lange Jahre Mitglied des Vorstandes der liberalen jüdischen Gemeinde in Köln war, und den es auf verschlungenen Wegen als jungen Mann ausgerechnet nach Deutschland gezogen hat. In das Land, dessen Schreckensherrschaft die Vernichtung fast seiner ganzen Familie durch den Holocaust verschuldet hat. Ein ehemaliger Salafist, der mit 17 Jahren zum Islam konvertiert ist, sich dann rund acht Jahre lang in der Salafistenszene in Mönchengladbach radikalisiert hat, wo er zeitweise die rechte Hand des extremistischen Predigers Sven Lau war, bevor ihm 2012 der Ausstieg aus der Szene gelang. Sowie drei türkischstämmige Muslime, die in der Keupstraße in Köln-Mülheim, der unmittelbaren Nachbarschaft des Theaters, leben oder arbeiten. Alltagsgläubige, die ihr Leben als Geschäftsmann, Mutter, Musiker oder Padägoge täglich in Einklang mit ihrem Glauben zu bringen versuchen.
Inszenierungsfoto ›Glaubenskämpfer‹ © David BaltzerSie alle erzählen von ihrem Glauben und was er ihnen bedeutet. Sie berichten von der Kraft und der Schönheit ihrer Religion und vom Umgang damit in ihrem Alltag. Davon, was es heißt, aus Glaubensgründen ein Kopftuch zu tragen oder den Habit eines christlichen Ordens. Sie berichten von Erkenntnismomenten, aber auch von Zweifeln, von inneren Kämpfen, von Widersprüchen und Brüchen und über Konflikte ihrer Glaubensvorstellungen mit der säkularen Welt. Vor allem treten sie miteinander und mit den Schauspielern, die sie stellvertretend für uns befragen, in Dialog. Sie suchen nach den Gemeinsamkeiten ihres Glaubens und ihrer Religionen aber eben auch nach den Gegensätzen, den Konflikten. Sie lernen sich kennen, diskutieren und streiten miteinander. Sie konfrontieren sich mit Vorurteilen und widerlegen sie – oder finden sie bestätigt.
Und sie stellen sich gemeinsam der Frage nach Radikalität und Extremismus. Sie forschen in sich selbst nach den Momenten ihrer eigenen Verführbarkeit, überprüfen ihre Positionen und versuchen zu verstehen, warum das, was für sie Schönheit, Humanität und Nächstenliebe bedeutet, bei anderen in Militanz und Ideologie umschlägt oder für Politik und Terror missbraucht wird. Dabei haben sie den Praxistest gemacht und sich den Extremisten gestellt: Der islamistische Al-Qaida-Sympathisant Bernhard Falk war ebenso zu Gast auf den Proben wie die rechten Pegida- und Hogesa-Frontfrauen Melanie Dittmer und Ester Seitz.
Inszenierungsfoto ›Glaubenskämpfer‹ © David BaltzerÜber Gott reden. Das heißt in diesem Fall also nicht die Kleriker sprechen lassen oder die Berufsglaubenden. Nicht die Imame, nicht die Pfarrer, nicht die Rabbiner. Es geht nicht um eindeutige Antworten, nicht um Erklärungsmodelle von Religionswissenschaftlern oder Philosophen. Es geht nicht um die Schriften und nicht um die Frage, wer denn nun recht hat in der Auseinandersetzung der Religionen untereinander. Sondern um Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Gott. Es geht um Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Gott. Ein Verhältnis, das niemals ohne Widersprüche ist, und das immer ein Ringen bleibt.
Es geht um Menschen, die hier und heute leben, und die um etwas kämpfen und an etwas glauben. Mitten in dieser verwirrenden Welt.