Das Erzählen in der Zukunft macht aus mir keinen Käfer, der auf dem Rücken liegt und jammert: Wo bleibt die gute alte Zeit, warum ist hier alles so schrecklich digital. Ich bin zuversichtlich: Die Sprache wird nicht unter den Tisch fallen, sich klein machen müssen oder geschmeidig sein, sie wird nach wie vor gebraucht.
Das Erzählen in der Zukunft verläuft sich nicht in harmlosen Spielanordnungen, die uns im Ereignis des Erlebens festhalten, in der reinen Selbstwahrnehmung, denn es gibt sie ja nach wie vor, die Form, die auf ein Außen verweist. Die »Kultur der Kreation«, wie sie der Leiter der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, Ende letzten Jahres in der ›Zeit‹ beschworen hat, ist nicht der Ort, an dem es ausschließlich stattfindet. D.h. die Feier ist nicht ihr einziger Anker.
Das Erzählen in der Zukunft darf sich widersprechen, ohne beliebig zu sein.
Ein wenig Komik und Witz wären schön, kann man aber nicht immer verlangen.
Etwas von dem, was Jean Paul vor 250 Jahren machte, machen wir heute immer noch, etwas von dem, was Arno Schmidt vor 70 Jahren konnte, können wir immer noch, etwas von dem, was Hubert Fichte eben erst gestern gewagt hat, wagen wir heute noch. Es sind lipsticktraces, wie Greil Marcus das einmal für die Geschichte von Dada bis Punk bezeichnet hatte, nur dass sie aus Sprache bestehen.
Das Erzählen in der Zukunft wird nicht losgelöst sein von ihrer Gegenwart, genauso wie das Erzählen von heute nicht losgelöst sein kann von unserer heutigen Gegenwart, obwohl wir nicht wissen, was diese Gegenwart eigentlich genau ist. Ich meine damit nicht, dass wir nicht genügend upgedatet sind, was in meinem Fall tatsächlich stimmt und ich tagtäglich brav erschrocken feststelle. Wir werden auch künftig nicht wissen, was Gegenwart ist, und es versuchen, mit dem Erzählen in der Zukunft zu verstehen. Wir sehen zu viele Spuren, zu viele Verknotungen, zu viel nebeneinander und haben doch immer diese Sehnsucht nach einer gewissen Klarheit. Beides wird sich bedingen. Welche Spuren und Nebenspuren dabei auch zu betreten sind, es wird beim künftigen Erzählen immer jenes eine Interesse dabei sein: Der Wunsch etwas zu verbessern oder auf eine Verbesserung der Verhältnisse hinzuarbeiten. Das ist meilenweit von jeder Didaktik entfernt, glauben Sie mir, es ist auch nicht besserwisserisch, kann es gar nicht sein. Die Adorno‘sche Lichtspur der Erlösung hat einen anderen Sound angenommen, hat andere beats per minute, die Frequenzpfeile einer neuen kritischen Theorie gehen schon heute in verschiedene Richtungen gleichzeitig und versuchen doch, eine Bündelung herzustellen.
Das Erzählen in der Zukunft wird also eher etwas mit Missverständnissen, Desinformation, irrwitzigen Orientierungsläufen zu tun haben, ganz genauso wie es Jean Paul gemacht hat. Er ist unser geheimer Bote aus der Zukunft. Er stand mit einem Bein im 18. und einem Bein im 21. Jahrhundert, er hatte immerhin schon David Foster Wallace oder Alvaro de Zuniga gelesen. Er kannte Friederike Mayröcker auswendig.
Das Erzählen in der Zukunft wird mit zeitlichen Irritationen umgehen müssen, denn vielleicht ist das Erzählen in der Zukunft längst wieder vorbei, weil die Zukunft längst vorbei ist, eingesaugt in die Finanzmärkte. Vielleicht ist es eingekerkert im Futur 2 unserer Umweltverwüstung und der Ressourcenkämpfe? Wird sich dann alles nach der Vergangenheit umsehen?
Die zentrale Frage wird sicher die nach dem Realismus sein. Die Frage nach dem, was wirklich ist, wird unser Magnetfeld, die Ausrichtung sein, die uns verstärkt beschäftigt. Schon heute fragen wir uns: Wie können wir überhaupt realistisch arbeiten in Zeiten, in denen die Fiktionen überhandnehmen? Die Marktfiktionen, die Börsenfiktionen, die politischen Shows, die PR-gesteuerten Wahlkämpfe? Ich verstehe Realismus als die Anstrengung, die Verhältnisse zu erzählen, wie wir sie produzieren. Als die Anstrengung, die Machträume zu erfassen, die unsere Leben bestimmen. Dabei hat der heutige Realismus mehr mit Fiktionen, Szenarien, dem Fingierten und Fiktiven zu tun als mit den klassischen Formen des Beobachtungsdokumentarismus. Einem von Storytelling geprägten Journalismus, einer von Katastrophendramaturgien geprägten Medienlandschaft, einer Gesellschaft des Spektakels kommt man nicht mit schlichtem Abbildungsrealismus bei.
Das Erzählen in der Zukunft wird zwischen den Medien angesiedelt sein, was aber nicht heißt, dass es keine Mediensignatur in sich trägt, dass es nicht Rhetoriken, Sprechweisen formal zitiert, die einen medialen Ort haben, es wird sich nicht überallhin adaptieren lassen, es ist nicht das Buch zum Film oder der Film zum Computerspiel. Die Literatur hat insofern gute Karten, weil sie so wendig ist, weil ihre einfache, scheinbar lineare Anordnung alle anderen Medien zitieren kann. Sie ist ein grundlegendes Medium, in vielen Produktionsprozessen mit dabei, im Script, im Drehbuch.
Für mich als Autorin stellt sich allerdings die Frage, welche Medien ich denken können muss. Das Fernsehen? Das Computerspiel? Das Theater? Den Prosatext? Gewisse Netzformate? Werde ich noch genuine Texte schreiben können? Wohl kaum. Meine Texte werden nicht mehr 100% in ein Medium passen, sie werden immer etwas danebengehen, drüberstehen. Das Erzählen in der Zukunft wird den Medien nicht Recht geben in ihren Formaten. Es wird aber nicht nur ein Format neu erfinden und darin sitzenbleiben, bis aus dem Format eine Marktposition geworden ist – denn worauf laufen denn die Late Night Shows, Spielshows, Castinggeschichten, Reality-Formate raus? D.h. ein Text wird weniger den Konventionen folgen, die mit ihm verbunden sind, „dem Roman“, „dem Drama“, sondern sich von den hybriden Medienverhältnissen nähren, in denen wir mittlerweile hausen. Wir Autoren und Autorinnen ähneln dabei manchmal den Kindern, die an Bushaltestellen stehen und Sitcoms und Filme nachspielen, die sie möglicherweise gar nicht gesehen haben, die sie aber absolut im Gestus treffen, ja sogar übertreffen. Vielleicht wird das Atopische, von dem Roland Barthes in der ›Lust am Text‹ sprach, sich mit einer bestimmten Form der Medienfremdheit, der Dislokation vom Medium verbinden.
Und dennoch: Das Erzählen in der Zukunft geht nicht von dem einen poetischen Akt aus, den die Wiener Gruppe einst noch ausgerufen hat, sondern ist immer auf Zusammenhänge bedacht. Der eine poetische Akt ist heute in der Werbeindustrie gut untergebracht. Die schlagenden Zusammenhänge tragen ein neues Potential in sich.
Es wäre schön, wenn man beim Erzählen in der Zukunft zu einem Gedanken käme. Wenn die Umlaufzeiten, die Produktionszeiten der Leute, die gehört werden, nicht so krass hochgeschraubt werden, wenn es nicht nur noch kollektiv abgehen kann aus Effizienzgründen und eine gewisse Form des Teamgedankens alles Abseitige auslöscht. Jean Pauls Doppelgänger gespenstern sich durch unsere Zukunft und finden ganz andere Wege aus dem Identitätszwang; aber vielleicht gibt es auch andere Möglichkeiten der Teamproduktion, die weder dem Nivellierungs- noch Abstimmungsfuror unterworfen sind.
Nochmal: Das Erzählen in der Zukunft wird zu unterschiedlichen Formen des Realismus kommen, was auch damit zu tun hat, dass es sich mit den extremen Verteilungskämpfen auseinandersetzen muss, den Kampf um Ressourcen, soziale Sicherheit, Gerechtigkeit, politische Teilhabe und mit den verschiedenen Wirklichkeiten, die daraus entstehen. Selbst wenn Medien-Prekarisierte neben working-poor-Prekariat steht, ergibt sich kein gemeinsames Bild. Das Medium, das sie trägt, wird nicht alleine das neueste iPhone sein. Es wird insofern sich auch mit räumlichen Fragen auseinandersetzen, mit der unterschiedlichen Besetzung bzw. der Zersplitterung des gesellschaftlichen Raumes.
Deren Autoren und Autorinnen werden auch eher »Chinesen in Rom« sein, wie Goethe einst Jean Paul genannt, hat oder »vom Mond gefallen«.

Politisches Denken und radikales Sprechen – Kathrin Rögglas Essays und Theaterstücke.
Unsere Realität gleicht einem Katastrophenfilm, einem worst-case-Szenario, einem Shakespeare’schen Königsdrama: Wirtschaftskrisen, Medien-Hysterie, private Paranoia. Kathrin Röggla setzt ihre kritische Phantasie und ihre kluge Sprachkunst dagegen. Sie analysiert und seziert den Zustand unserer Zeit: fiktive Alarmierungen, reale Ängste und falsche Sehnsüchte. Lustvoll und konsequent, geistreich und spielerisch durchleuchten ihre Essays und Theaterstücke unsere Gegenwart.