Ich glaube, nichts kann Rom in seinem ganzen Zauber und in seinem ganzen romantischen Zynismus besser beschreiben als diese beiden feierlichen Hubschrauber, die in einem Abstand von einem halben Jahrhundert über unseren Himmel geflogen sind ... Das Heilige zu entweihen und das Profane zu heilig zu sprechen: ist das nicht seit Jahrtausenden die Lieblingsbeschäftigung der Römer? Übrigens besteht zwischen dem Papst und den Römern eine alte Geschichte von Liebe und Hass. Die Legende besagt, als 1849 Pius IX. vorübergehend abgesetzt wurde, um die Republik zu errichten, habe sich Gioacchino Belli (der größte Dichter, den Rom jemals hatte) ins Bett gelegt. Und er wollte erst wieder aufstehen, wenn der Papst sein Amt endlich wieder eingenommen hätte. Offenbar konnte Belli den Gedanken nicht ertragen, in einer Stadt ohne Papst zu leben. Und zwar nicht etwa, weil er klerikal gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Er war schlicht und einfach Römer. Und wenn es um den Papst geht, dann dulden Römer weder Überraschungen noch Einmischungen. Der Papst ist unsere Sache. Nur wir haben das Recht, über ihn zu sprechen. Nur wir dürfen ihn kritisieren oder auf den Arm nehmen.
Ich weiß noch, wie beunruhigt meine Großmutter war – übrigens eine strenggläubige Jüdin –, als sie sah, wie ein Pole den Heiligen Stuhl bestieg. Der Gedanke, dass ein Papst kein Italiener war, beunruhigte sie auf unsägliche Weise. Es war für sie eine Art absonderlicher Entweihung. Eine gefährliche Verdrehung der Geschichte. Als wenn ein Deutscher, der immer nur in Hamburg gelebt hatte, Präsident der USA würde. Dann fing dieser Papst auch noch an durch die Welt zu reisen. Und auch das konnte meine jüdische Großmutter ihm nicht verzeihen. Es war unvorstellbar, dass Rom auch nur für wenige Tage ohne Papst war. So wie es auch absurd war, dass der Papst, sei es auch nur für wenige Tage, von Rom entfernt leben konnte. Über Jahrhunderte hatte er das nicht gekonnt. Was war jetzt anders?
Als ich klein war, fuhr mein Großvater mit mir oft auf den Janikulus. Von dort genießt man eine ganz besondere Aussicht auf Rom. Das Schlimme ist vielleicht, dass in dieser ganzen ausgestellten Schönheit etwas allzu Kitschiges liegt. Etwas, das dich abstößt, anstatt dich anzuziehen. Das dich vor Kälte erstarren lässt, anstatt dich zu erwärmen. Wie wenn du vor einem dieser weltberühmten Bilder stehst, deren Reproduktionen du schon hundertmal betrachtet hast. Du stehst da und schlenderst auf dieser riesigen Panoramaterrasse herum. Zu deinen Füßen erstreckt sich Rom in seiner ganzen glänzenden Schönheit aus Marmor, Travertin, Kirchen, Türmen, grünenden Parks. Aber du fühlst dich nicht wohl.
Ich frage mich, ob deshalb mein Großvater vor dieser Aussicht in gehauchtem Tonfall sagte: »Sieh mal, es sieht aus wie Jerusalem!« Als ob Rom ihm nicht genügte. Als müsste er es noch einmal heilig sprechen. Natürlich, für einen Kerl wie ihn, der im Zionismus eine Gelegenheit der Wiedergeburt für die Juden gesehen hatte, war Jerusalem wichtig. Und etwas sagt mir, dass er deshalb gern die Ähnlichkeit zwischen Rom und Jerusalem betonte. Ich dachte an diesen Satz meines Großvaters zurück, als ich zum ersten Mal nach Jerusalem ging. So wie ich jedes Mal daran zurückdenke, wenn ich mit dem Mofa über den Janikulus fahre. Jetzt begreife ich, wie recht Großvater doch hatte: etwas an Rom erinnert an Jerusalem. Vor allem am frühen Morgen oder bei Sonnenuntergang, wenn die Steine dieser Stadt eine kupferne, preziöse Farbe annehmen, bei der man an Tausendundeine Nacht denken muss.
Ich war sechzehn Jahre alt, als ich den Mut fand, ein hübsches Mädchen zu fragen, ob sie Lust hätte, mit mir die Schule zu schwänzen. Wir standen gegenüber dem Eingang zu unserem Gymnasium: einem baufälligen Gebäude, nur wenige Häuserblocks von der Piazza di Spagna entfernt, das ein Kardinal hatte erbauen lassen, der einer schon seit Jahrhunderten ausgestorbenen Aristokratenfamilie angehörte. An jenem Dienstagvormittag erwartete uns eine tückische Klassenarbeit in Latein. Wir hatten beide mächtig Angst. So schlug ich ihr vor, abzuhauen. Sie sah mich misstrauisch an, als würde sie mir nicht glauben. Als würde sie nicht an meine Fähigkeit glauben, einen so kühnen und entschlossenen Akt zu vollbringen. Aber es war offensichtlich, dass der Gedanke, sich einer Lateinarbeit zu unterziehen, sie weniger nervte als mich. Dass ich es ernst meinte, begriff sie, als ich auf mein Mofa stieg und sie mit einer galanten Geste aufforderte, sich hinter mich zu setzen. Von meiner Einladung überrascht und angelockt willigte sie ein.
Es gibt nichts Besseres als sechzehn Jahre alt zu sein, ein Mofa zu besitzen und es einem Mädchen zur Verfügung zu stellen. Ich fühlte mich im Paradies. Es war Frühling. Die Stadt duftete nach Mimosen, ein strahlender Himmel. Ich weiß natürlich nicht mehr genau, welchen Weg wir gefahren sind. Ich weiß nur noch, dass es im Walzertakt ständig hinunter und hinauf, ständig nach rechts und nach links ging. Ich parkte vor der Bar, wo ich üblicherweise frühstückte, ein paar Kilometer von unserer Schule entfernt.
Es war ja Zeit, sie zu einem Cappuccino einzuladen.
Sie war es, die mich am Ärmel zog und mich darauf hinwies, dass unser Mathematiklehrer am Tresen stand und frühstückte. Wenn er uns gesehen hätte, dann hätte unser Abenteuer ein böses Ende genommen: Wir wären streng bestraft worden. Zum zweiten Mal an diesem Vormittag bewies ich mein Draufgängertum und meine Reaktionsschnelligkeit. Ich schleppte meine Komplizin quasi auf meinen Armen in den Palazzo Barberini hinein.
Damals wusste ich nicht, dass er so hieß, noch dass er in fernen Zeiten einer der einflussreichsten Familien Roms gehört hatte. Wir standen plötzlich vor einem Kassenschalter. Um zwischen dem Mathematiklehrer und uns einen weiteren Schutzwall zu errichten, kauften wir zwei Eintrittskarten und gingen hinein. Da begriffen wir, dass es sich um eine Art Museum handelte, das mit Kunstwerken vollgestopft war. Merkwürdigerweise waren wir die einzigen Besucher. Wir schlenderten hierhin und dorthin, unterhielten uns leise und warteten, bis draußen die Luft rein war. Plötzlich fanden wir uns in einem riesigen Saal mit freskengeschmückten Deckengewölben wieder. Wir hoben die Augen zum Himmel wie zwei Sünder, die Gott anrufen. Diese Fresken strahlten eine solche Macht aus, dass deine Augen sich unweigerlich darin verloren. Wir blieben ziemlich lange dort drinnen. Wie die Darsteller in diesem berühmten Film von Buñuel, die das Haus nicht mehr verlassen können. Wir saßen in der Falle.
Heute weiß ich, dass dieses Gewölbe in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Pietro da Cortona verziert wurde. Und ich weiß, dass es sich um eines der größten Meisterwerke des römischen Barock handelt, das auf feierliche und spektakuläre Weise den »Triumph der Göttlichen Vorsehung« darstellt. Und ich frage mich, ob es nicht zufällig die Vorsehung war, die mich mit diesem wunderschönen Mädchen dort festhielt. Übrigens war in Pietro da Cortonas herrlichen Ornamenten etwas, worin man sich leicht wiedererkennen konnte. Das Thema war heilig, okay, doch es war mit solcher Freiheit, mit solchem Prunk, mit solcher Sinnlichkeit ausgeführt, dass du, wenn du es eine Weile ansahst, den Blick abwenden musstest, um nicht davon aufgesogen zu werden. Das Rot, das Gelb, das Granat, das zarte Blau des Himmels, der Luxus, die Bewegungen, dieses barocke Gefühl für das Theater ... Genau so war es: Es war, als ob die Göttliche Vorsehung in ihrer unanfechtbaren Weisheit uns ins tiefe, geheimnisvolle Herz von Rom führen wollte.
Aus dem Italienischen von Andreas Löhrer

Ein makelloser Sommerabend, eine Villa, versteckt im Grünen, vor den Toren Roms, eine glückliche Familie beim Abendessen. Leo Pontecorvo, ein 48jähriger Kinderonkologe von internationalem Ruf, seine Frau Rachel und die beiden Söhne Filippo und Samuel, die sich in der exaltierten Phase ihrer Pubertät befinden. Da bricht durch eine beiläufige Fernsehmeldung die Katastrophe über sie herein: Leo wird beschuldigt, mit der kleinen Camilla, der Freundin seines Sohnes Samuel, anzügliche Briefe gewechselt zu haben. Eine absurde Anklage. Doch Leo Pontecorvo wehrt sich keineswegs. In Sekundenschnelle von seiner privilegierten Position in die Opferrolle gedrängt, den Anfeindungen von Freunden wie Feinden ausgesetzt, gleitet er immer tiefer in das Inferno einer fatalen Selbstisolation hinein.
Dieser Roman ist ein Familienkrimi, eine unheimliche, schmerzliche und surreale Familiensaga, furios erzählt und meisterlich in der psychologischen Durchdringung seiner Figuren.