Wenn wir an unsere Schul- und Ausbildungszeit zurückdenken, assoziieren wir (auch in Kamerun) den 14. Juli mit der Französischen Revolution, speziell mit der »Prise de la Bastille« im Jahre 1789. Dieses Ereignis wird als eines der wichtigsten der neuzeitlichen europäischen Geschichte bezeichnet. In dessen Folge wurde die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ausgerufen. Diese bildet die Grundlage der UN-Menschenrechtscharta und somit der Verfassung in vielen westlichen Demokratien. Das Bild greift das Datum 14. Juli noch einmal auf, aber in einem kamerunischen Kontext: Fast 100 Jahre nachdem die Würde des Menschen als unantastbar deklariert wurde, macht sich die europäische Welt auf den Weg, einen ganzen Kontinent, der um das Vielfache die eigene Größe übertrifft, zu erobern und zu unterwerfen. Durch die deutsche Kolonialmacht wurde am 14. Juli 1884 zum ersten Mal die deutsche Reichsflagge an der Küste bei Douala gehisst. Dieses Datum bedeutet deshalb auch den Beginn der Unterdrückung vieler unterschiedlicher Völker, die willkürlich in einem Staat namens Kamerun zusammengefasst wurden. Hier wird an das berühmte Gemälde des französischen Malers Eugène Delacroix La Liberté guidant le peuple (Die Freiheit führt das Volk) erinnert. Die Hauptfigur der Marianne wird durch eine andere weibliche Figur ersetzt. Sie hebt sich aus dem am Boden liegenden Volk empor und illustriert den Widerstand und das Durchhaltevermögen in der Bevölkerung. Sie hält ein Bündel aus Raphia-Halmen in die Höhe, Symbol für Würde und Autorität einerseits, aber auch für Frieden und Freiheit. Im Hintergrund schwingt, etwas verschwommen, die Figur Gustav Nachtigals die Fahne des Deutschen Reiches.
Abb.: 14. Juli 1884 © Sita Ngoumou
Die Konfrontation mit der eigenen Geschichte erfolgt vielerorts in Kamerun nur aus den von Europäern geschriebenen Geschichtsbüchern. Diese beziehen ihre Quellen fast ausschließlich aus den kolonialen Schriften. Die eigenen Überlieferungen wurden durch die jahrzehntelange Kolonisation unterdrückt und sind schließlich aus dem Kollektivgedächtnis gelöscht worden. Davon tragen die Menschen bis heute eine tiefe seelische Verwundung. Die fehlenden positiven Bilder der eigenen Vorfahren haben zu einer tiefen Verunsicherung und zu einem ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex geführt. Wir kennen uns selber nicht, wir suchen ein Bild, mit dem wir uns stolz identifizieren können. Hier werden neun Passfotos derselben Figur präsentiert, gefangen in einem typisch westlichen Rahmen, dem Anzug mit Krawatte. Es sind neun verschiedene Gesichter, keines davon entspricht dem Original, dieses scheint für immer in Vergessenheit geraten. Das Selbstporträt wurde von einem_r Fremden angefertigt, jemandem, der_die für sich beansprucht, aus der eigenen Sicht heraus die Welt zu erklären.

Abb.: Selbstbildnis-Fremdbildnis © Sita Ngoumou