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Hundertvierzehn | Bericht
Warum es okay ist, dass meine Bücher raubkopiert werden

Yu Hua erklärt, warum die meisten Raubkopien in China in Gefängnissen gedruckt werden und welche Mechanismen sich hinter der chinesischen Produktpiraterie verbergen.

 
Yu Hua

Yu Hua hat fünf Jahre als Zahnarzt praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde. Auf Deutsch sind von ihm erschienen ›Leben‹ (1998), der von Zhang Yimou verfilmt wurde, ›Der Mann, der sein Blut verkaufte‹ (2000) und zuletzt ›Brüder‹ (2009). ›China in zehn Wörtern‹ durfte in China nicht erscheinen, in Frankreich und den USA erhielt das Buch hymnische Kritiken. Yu Hua wurde 1960 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren und lebt in Peking.

Vor acht Jahren erzählte mir ein Freund: Kaum hatte er ein Buch veröffentlicht, konnte man es auch schon frei aus dem Internet herunterladen. Er wandte sich deswegen schriftlich an die Generalverwaltung für Presse und Publikationswesen (GAPP) und erhielt auch prompt eine Antwort: Er möge die fraglichen Websites namhaft machen. Unter einer Vielzahl von Websites pickte er drei heraus, deren Adressen er der Behörde nannte. Als er drei Monate später auf diesen Websites nachsah, konnte man dort noch immer sein Buch herunterladen. Jahre vergingen – nichts geschah.

Auch all meine eigenen Werke kann man kostenlos aus dem Internet herunterladen. Selbst mein Essayband ›China in zehn Wörtern‹, der in der Volksrepublik China verboten ist, war direkt nach seinem Erscheinen in Taiwan auch auf dem Festland im Internet zu finden. Gedruckte Raubkopien meiner Bücher kursieren in ähnlicher Hülle und Fülle.
Extra
Kolumne von Yu Hua – Lesen Sie mehr

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Nur wenige Tage nach dem Erscheinen meines Romans ›Brüder‹ stieß ich an den Straßenständen vor meiner Haustür schon auf die ersten Raubkopien.

Die Generalverwaltung für Presse und Publikationswesen und die Ämter für Presse und Publikationswesen in den Provinzen sind bloße Verwaltungsorgane ohne die Befugnis zum Gesetzesvollzug. Das Recht, gegen Raubkopien vorzugehen, ist den Inspektoren der lokalen Kulturbehörden und den Ämtern für öffentliche Sicherheit vorbehalten. Die Inspektoren müssen einen sehr weit gefassten Bereich überwachen – von Internetcafés und Spielhallen über Tanzlokale und andere Vergnügungsstätten bis hin zu kulturellen Aufführungen. Raubkopien in Buchform sind für sie nur Bagatellen. Und die Ämter für öffentliche Sicherheit sehen sich mit einer solchen Unzahl von Straftaten und Wirtschaftsverbrechen konfrontiert, dass ihnen für die Bekämpfung von Raubkopien keine Zeit bleibt. Zwar sieht man gelegentlich in den Nachrichten, wie Kulturbehörden und Sicherheitsämter mit vereinten Kräften einen Verbrecherring zerschlagen, der mit Raubkopien handelt, aber das sind nur Tropfen auf den heißen Stein, die an der massenhaften Verbreitung von Raubkopien im ganzen Land nichts ändern.

Seit seinem WTO-Beitritt im Jahr 2001 hat die chinesische Regierung ein Auge auf Druckereien, die Raubkopien herstellen. Allerdings werden diese Anstrengungen durch eine doppelte Gesetzeslücke untergraben: In den letzten über zehn Jahren haben die Raubkopierer ihre Tätigkeit schwerpunktmäßig in Druckereien verlegt, die entweder zu Gefängnissen oder zu früheren kommunistischen Stützpunkten gehören – beides Orte, an denen die staatlichen Maßnahmen verpuffen.

Die Gefängnisse sind den Justizbehörden unterstellt und dem Zugriff der Kulturbehörden entzogen. Selbst die Ämter für öffentliche Sicherheit haben zu ihnen nur beschränkten Zugang. Deshalb agieren die Gefängnisdruckereien in einem rechtsfreien Raum. Und dabei werfen sie mehr Profit ab als jede andere Druckerei in China, denn die Gefangenen, die sich dort abschuften, erhalten keinen regulären Lohn, sondern nur einen geringen Unterhaltszuschuss.

Die Gebiete, die der Kommunistischen Partei während des Bürgerkriegs mit der Kuomintang (1927–1949) als Stützpunkte dienten, sind in den Provinzen Shaanxi und Jiangxi gelegen, also in besonders armen Regionen. Ihren Sonderstatus haben sie bewahrt, auch nachdem die Kommunistische Partei an die Macht gelangt ist. Vor einigen Jahren hat mir ein Verleger von einer Druckerei erzählt, die in einem dieser Gebiete seit Langem Raubkopien seiner Bücher auf den Markt geworfen hatte. Zusammen mit mehreren Inspektoren der Kulturbehörde und drei Polizisten machten sich einige seiner Mitarbeiter auf den weiten Weg in die Provinz – nur um sich vor Ort in Windeseile von der hiesigen Polizei umzingelt zu finden. Auch der Kreisvorsteher rückte an und stellte die Fremden wutentbrannt zur Rede: »Habt ihr denn gar keinen Anstand, dass ihr hier einfallt?« Die Druckerei, so erklärte er, sei in seinem armen Kreis einer der Hauptsteuerzahler. Mit hängenden Köpfen zogen die Eindringlinge wieder ab.

Der Westen wirft der chinesischen Regierung immer wieder und nicht ohne Grund vor, sie lege beim Kampf gegen gefälschte Filme, Lieder, Bücher und Luxusartikel die Hände in den Schoß. Treffender freilich wäre es zu sagen: Ihr sind die Hände gebunden. Im Westen bedeutet Produktpiraterie eine Verletzung geistigen Eigentums. In China ist sie mehr als das, nämlich ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Warum grassiert die Produktpiraterie in China so sehr? Warum gibt es hier eine solche Flut von minderwertigen Billigfälschungen? Der obige Kreisvorsteher hat den Grund genannt: Die Produktpiraten und Fälscherringe sind durch gemeinsame Interessen teils offen, teils verdeckt mit den lokalen Regierungen und Beamten verbandelt – offen, weil diese illegalen Betriebe häufig zu den Hauptsteuerzahlern vor Ort gehören; verdeckt, weil manche Beamte einen Teil der Gewinne einstreichen.

Die eigentliche Ursache jedoch liegt in meinen Augen schlicht darin, dass nach über dreißig Jahren rasanter wirtschaftlicher Entwicklung China zwar zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA aufgestiegen ist, aber noch immer über hundert Millionen Chinesen weniger als einen US-Dollar pro Tag verdienen. In einem Land, in dem die Preise in die Höhe schießen, schaffen diese gewaltigen Massen der Armen einen entsprechend großen Markt für gefälschte Produkte und Billigkopien. Weil sie sich die echten Produkte, die Qualität garantieren, nicht leisten können, müssen sie auf die Billigimitate zurückgreifen. In ihrem Alltag sind sie umgeben von verunreinigtem Reis, verfälschtem Milchpulver, verseuchtem Gemüse, verdorbenem Schinken, verschmutzten Dampfbrötchen, giftigem Spielzeug, ja sogar gefälschten Eiern und gipsernen Nudeln. Tag ein, Tag aus, Jahr ein, Jahr aus essen sie minderwertige Lebensmittel und benutzen minderwertige Gebrauchsgüter. Nicht wenige von ihnen sind auf Bildung angewiesen, auf Filme und Bücher, um ihrem Leben eine Wende zum Besseren zu geben. Aber für die Originalausgaben reicht ihr Geld nicht, nur für die Raubkopien.

Bei einer Rede an einer chinesischen Universität habe ich einmal gesagt: »Ich verurteile alle Formen von Produktpiraterie, aber solange das Problem der Massenarmut in China nicht gelöst ist, ist es gut, dass meine Bücher in Raubkopien kursieren. Meine regulär verkauften Bücher bringen mir genug ein, um mich und meine Familie zu ernähren.« Einige meiner Kollegen mögen damit nicht einverstanden sein, aber ich bin nach wie vor dieser Meinung.

Aus dem Chinesischen von Marc Hermann

China in zehn Wörtern

Yu Hua ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Chinas. Seine Bücher haben sich in China Millionen Mal verkauft. Dass sein neues Buch ›China in zehn Wörtern‹ von den Chinesen verboten wurde, liegt weniger an seiner Kritik am heutigen China als an den Parallelen, die er zwischen der Kulturrevolution und dem neuen kapitalistischen System zieht. Wie zu Zeiten Mao Zedongs, sieht Yu auch heute Unmenschlichkeit und Gewalt. Der Großteil der chinesischen Gesellschaft profitiert nicht vom Wohlstand, sondern wird auf brutale Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die persönlichen Essays lassen aber auch Yus Verbundenheit zu seinem Heimatland erkennen. ›China in zehn Wörtern‹ wirft einen ganz anderen, einen neuen Blick auf ein Land, von dem noch viel zu erwarten ist.

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