Martin Spieß

Kulturwissenschaftler des Rausches

Eine Hommage an Hunter S. Thompson


In muscaria veritas

Alkohol und Drogen waren für Thompson ein Mittel, sich die Welt zu erschließen. Der alkoholbedingte Tunnelblick bedeutete weniger das Nachlassen von Konzentration, sondern vielmehr eine kameraartige Fokussierung, durch die er das, war er sah, viel deutlicher ausmachen konnte. „Im Wein liegt die Wahrheit“, heißt es im Volksmund, und bedeutet eigentlich, dass ein Berauschter schneller Wahrheiten ausspricht. Dem verschloss sich Thompson nicht. Vielmehr noch aber suchte und fand er im Rausch eine erweiterte Wahrheit, ging bis an die Grenzen normaler Wahrnehmung und darüber hinaus, um zu ergründen, was jenseits der alltäglichen Sinne verborgen lag. Er beobachtete dabei aber nicht nur seine Umgebung – sich hemmungslose besaufende Pferdenarren beim Kentucky Derby, zum Beispiel –, sondern vor allem sich selbst und vermischte beide Formen der Beobachtung.

Prototyp auf Drogen

Kultur zu beobachten und, in einem zweiten Schritt, diese Beobachtung zu beobachten und zu beschreiben, ist alltägliche Praxis des Kulturwissenschaftlers. Er setzt sich einer Gegenwart aus, ist ihr gezwungenermaßen ausgesetzt, aber er beobachtet sich auch selbst dabei. Thompson ist in diesem Sinne, indem er seine Sicht auf Welt durch Drogen und Alkohol zugleich verändert, erweitert und konzentriert hat, der radikale Prototyp eines schreibenden Kulturwissenschaftlers.

So gerne er zum Whiskey oder zum Löschblatt griff war und blieb die eigentliche Droge aber das Schreiben selbst, wie er in seiner Quasi-Biografie „Kingdom Of Fear“ 2003 schrieb:

Bis jetzt habe ich keine Droge entdeckt, die einem auch nur annähernd ein solches High beschert, wie ich es erlebe, wenn ich an meinem Tisch sitze und schreibe, wenn ich versuche, eine Geschichte zu ersinnen, egal wie aberwitzig auch immer sie sein mag.

Erst im Schreiben konnte er sich wirklich entfalten, konnte der Welt Empörung, Ärger und Wut entgegenschleudern, konnte ihr Bedeutung abzutrotzen versuchen – was nicht immer gelang. Und so lange das Schreiben Rausch war lief alles gut. Erst wenn es Arbeit wurde, fingen die Probleme an.

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Copyright © Martin Spieß – Apr 15, 2008