Martin Spieß

Kulturwissenschaftler des Rausches

Eine Hommage an Hunter S. Thompson


Spielraum für die Wahrheit

Denn Thompson war kein Betrüger – auch wenn er sich bewusst die Freiheit nahm, in seinen Texten Realität und Fiktion zu mischen. Vielleicht hält man es am Besten mit Geoffrey Chaucer, mittelalterlichem Dichter und Autor der „Canterbury Tales“, den der Regisseur Brian Helgeland in seinem Spielfilm „A Knight’s Tale“ auftreten und sagen lässt: „Ich bin Dichter, ich gebe der Wahrheit Spielraum.“ Thompson gab der Wahrheit Spielraum, erweiterte sogar das Spielfeld auf die Ränge und die Logen, auf die Kabinen der Spieler und den Heizungskeller. Aber er verließ das Stadion nicht, wie etwa Kummer. Wer das Stadion verlässt, verlässt die Wahrheit. Und die Suche nach Wahrheit, wenn auch vor allem seiner Version davon, war letztlich Thompsons Ziel: In und durch Alkohol und Drogen, im und durch das Schreiben.

Es bleibt, an ihn zu erinnern, indem man noch mal oder – was für eine wunderbare Erfahrung – zum ersten Mal seine Reportagen, Geschichten, Kolumnen und Romane liest. Indem man hin und wieder einen Chivas Regal oder einen Wild Turkey auf ihn trinkt. Und indem man vielleicht hin und wieder ein klein bisschen Gonzo ist. Hunter wird es mitkriegen, irgendwo da oben, vielleicht wird er kurz innehalten und lächeln. Und dann weitermachen, mit der Recherche für seine letzte Reportage. Hoffentlich gibt es im Himmel LSD.

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Copyright © Martin Spieß – Apr 15, 2008