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„Wer nicht lügt, kann nicht fliegen“

- heißt es im einleitenden Kapitel zu Katja Petrowskajas autofiktionalem Buch „Vielleicht Esther“1. Darin konstruiert sie eine Familiengeschichte, in der viele reale Schauplätze und Personen vorkommen, in die viele penibel recherchierte historische Daten und Fakten einfließen – und die doch absichtsvoll keine Chronik ergibt, die beanspruchen könnte, die Wirklichkeit wiederzugeben. Es ist ein altes Thema der Literatur: Wie sehr prägte Kleist unser Bild der „Hermannsschlacht“, wie stark ist unsere Vorstellung von Wallenstein beeinflusst von Schiller? In unseren Zeiten der Sucht nach Authentizität stellt sich die Frage neu: Wie viel „Wirklichkeit“ muss, wie viel Fiktionalität darf ein literarisches Werk enthalten?

Nun gibt es Autoren, die für ihre zeitgeschichtlichen Romane Faktentreue bis ins kleinste Detail beschwören. Und dann gibt es Isabella Straub, die behauptet, für ihre literarischen Werke überhaupt nicht zu recherchieren, weil sie der begründeten Ansicht ist, dass „die Wirklichkeit stört“2 – bei der künstlerischen Absicht nämlich, die für sie absoluten Vorrang vor der Faktizität hat3. Ein Roman muss für die 1968 geborene Wienerin „stringent innerhalb seines Systems“ sein, nicht eine Wirklichkeit vorgaukeln, die es so, wie sie im Nachhinein beschrieben wird, ohnehin nie gegeben hat. Vieles in ihrem Debütroman „Südbalkon“4 wirkt authentisch oder sogar autobiografisch, gerade weil es gut erfunden ist. So spielt die Geschichte etwa in Stadtvierteln, die wir alle zu kennen glauben. Es werden Straßennamen genannt, die so echt klingen, dass man sie sofort im Wiener Straßenverzeichnis nachschlägt, verwundert darüber, dass man von ihnen noch nichts gehört hat. Gelegentlich liest man dann einen Namen, den man doch kennt – und ist erst recht erstaunt.

Das scheint nun eines der Stilprinzipien der raffinierten Autorin Isabella Straub zu sein: Die Leserinnen und Leser mit Sprachwitz zu überraschen und sie darüber zum Nachdenken über vermeintliche Gewissheiten zu bringen. Ist in der deutschsprachigen Literatur ein Buch aber humorvoll, gibt es sofort Seichtigkeitsalarm. Zahllose Literaturwissenschaftler und Kritiker haben dieses Vorurteil befestigt, andere sich die Finger dagegen wund geschrieben, allein man muss stets von Neuem das Gegenteil beweisen. „Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche“, lehrte uns schon der Komödiendichter Hofmannsthal5. Es scheint, als wäre Isabella Straub bei ihm in die Schule gegangen.

Tatsächlich hat sie allerdings das Lycée Français im neunten Wiener Bezirk besucht und ist darob frankophil geworden. Dass sie dann Germanistik und Philosophie statt Französisch studiert hat, muss wohl daran liegen, dass sie an linearen Biografien nicht interessiert ist. Das beweist nicht nur Ruth Amsel, die Erzählerin in „Südbalkon“, sondern auch der Lebensweg der Autorin, der sie mit Mitte Zwanzig nach Klagenfurt führte. Wäre Isabella Straub mit der von ihr geschaffenen Figur identisch, hätte sie möglicherweise die Stadt am Wörthersee angeführt bei dem Spiel „Wo ich niemals leben möchte“, das Ruth Amsel gelegentlich mit ihrem Lebensgefährten Raoul Litzka spielt. Da die gewiefte Autorin aber lieber Dinge erfindet, die ihr ins künstlerische Konzept passen, als biedermeierlich die Wirklichkeit abzubilden, sind die Parallelen zu ihrer Figur keine äußerlichen; eventuell wesens­mäßige. Dafür gibt es jedenfalls ein paar Indizien. Ruth Amsel etwa spielt Raoul zuliebe gelegentlich das „siebte Flittchen“. Dabei paradiert er als Freier auf der Suche nach der Attraktivsten an der Wand der Wohnung entlang, ruft ein paar Obszönitäten, bis er auf Ruth, das „siebte Flittchen“, stößt. Etwa dieser Art darf man sich vorstellen, dass Isabella Straub aus Liebe nach Klagenfurt gezogen ist. Die Folge davon ist ein heute fast schon erwachsener Sohn.

Ruth Amsel dagegen hat nach eigener Einschätzung ihren „gesellschaftlichen Auftrag“ in dreifacher Hinsicht verfehlt: Sie ist über 35, arbeits- und kinderlos. Diese Volte ist typisch für die Art, wie Isabella Straub Gesellschaftskritik übt. In unserer schönen neuen Arbeitswelt sollten Frauen möglichst jung, zumindest halbtags beschäftigt und im Übrigen Mutter sein. Für alle geht das aber nicht aus. Ruth Amsel etwa muss sich nach einer Karriere als Langzeitpraktikantin in einer Todesanzeigen-Redaktion zweimal wöchentlich in der „Gesellschaft für Wiedereingliederung“ melden, von der sie Arbeitslosenunterstützung bezieht. Eine Arbeitsvermittlungsagentur dieses Namens gibt es freilich nicht, aber durch die künstlerische Verdichtung und Überhöhung erleben wir die kleinen Demütigungen, denen eine Arbeitslose ausgesetzt ist, viel unmittelbarer als durch eine getreue Wiedergabe realer Geschehnisse.

Das fängt damit an, dass Herr Othmar, der diensthabende Beamte der „Gesellschaft“, die Bittstellerin stets mit „Fräulein Ruth Barbara“ anspricht. Als würde das ihre Situation verbessern. Realiter bringt Ruth diese Anrede auf. Vom diskriminierenden Fräulein einmal abgesehen, haben die drei „Weichmacher“ A in Barbara für sie die Funktion, sie gefügig zu machen. Die Sprachsensibilität scheint auch etwas zu sein, was sie mit ihrer Erfinderin gemeinsam hat. Das harte Ruth, denkt sie sich, hat sie stets vor „ausufernder Verweiblichung“ bewahrt. Herr Othmar dagegen scheint der Ansicht zu sein, eine Tussi leichter vermitteln zu können. Womit er wahrscheinlich recht hat. Protestieren gegen die Anrede darf Ruth trotzdem nicht, da sie aufpassen muss, nicht durch ein unbedachtes Wort aus dem Wiedereingliederungsprogramm heraus und in das Selbstständigen-Training hinein zu geraten. Und „dort wird man dem freien Markt zum Fraß vorgeworfen“6.

Mit wie wenig Aufwand es Isabella Straub gelingt, die Frauenunfreundlichkeit unserer Arbeitswelt aufzuzeigen, das ist sehr kunstvoll. Ganz en passant bekommt die Leserschaft den Anpassungsdruck zu spüren, dem jemand ausgesetzt ist, der dem Wunschbild der Personalmanager nicht entspricht. Damit scheint die Autorin Erfahrung zu haben. Was macht man schon, wenn man zwar sehr sprachbegabt, aber bloß in „Orchideenfächern“ ausgebildet ist? Zumal in Klagenfurt. Nun gibt es in der „Rose am Wörthersee“ (laut Fremdenverkehrs-Prospekt) zwar vermutlich keine Todesanzeigen-Redaktion, aber die Kärntner Redaktion der „Kleinen Zeitung“, in der Isabella Straub eine Zeitlang mitarbeitete. Nicht auf der Suche nach der richtigen Ablebensformel wie Ruth Amsel (plötzlich aus dem Leben gerissen, nach kurzer schwerer Krankheit, nach tapfer ertragener Krankheit etc.), wohl aber, wie in guten Zeitungsredaktionen üblich, auf intensiver Suche nach der passenden Formulierung.

Zeitungen sind mehr die harten Schulen des Schreibens; zum Glück gibt’s heute auch sanftere. Zu diesen ist wohl die Leondinger Literaturakademie zu zählen, in der Isabella Straub 2008/2009 einen Kursus absolvierte. Diese Schreibschule hat sich offenbar zur heimlichen Kaderschiede für sozialkritische Literatur entwickelt. War doch eine ihrer Jahrgangskolleginnen Anna Weidenholzer, die sich im Roman „Der Winter tut den Fischen gut“7 auch mit den Fährnissen der Arbeits- bzw. Arbeitslosenwelt auseinandersetzt. Zu dieser Zeit hatte Isabella Straub damit bereits Erfahrung, denn sie wagte, was Herr Othmar mit den Worten „Der Markt wartet auf Sie“ Ruth Amsel aufdrängt: den Schritt ins „Sibirien der Ökonomie“8. Sie wird selbstständig und gründet die Agentur „textbar.“ Seither ist Isabella Straub als Werbetexterin im Bereich Tourismuswerbung und Gesundheitsmarketing tätig. „Selbstständigkeit“ aber, so Maja, Ruths Freundin und Beraterin auf dem Weg zur Ich-AG, „ist kein Ponyhof (…) Im Prinzip musste du heute schon wissen, was du in drei Jahren verdienen wirst“9. Wegen der Banken nämlich, von denen man keinen Kredit bräuchte, hätte man die Sicherheiten, die sie dafür verlangen.

Dass sich die Mutter von Ruth Amsel dann neben ihrem Ehemann den Filialleiter einer Bank als Liebhaber zulegt, ist eine der Zuspitzungen in diesem Roman, die von Nestroy bis Thomas Bernhard eine lange Tradition in der österreichischen Literatur haben, und das bewusst machen (wollen), was gemeinhin die Ironie des Schicksals genannt wird. Für solche Wechselfälle des Lebens hat Isabella Straub ein scharfes Auge. Da man diese in der heutigen Literatur aber nicht mehr als Tragödie gestalten kann, sondern nur als Farce, ist der Humor eines ihrer bevorzugten literarischen Mittel. Und so kommt es, dass sich der Herr Walter, der Bankdirektor, im Elternhaus Ruth Amsels in ihrem Mädchenzimmer einquartiert. Während sie selbst sich gegen Ende des Romans als Franchisenehmerin des Reinigungssystems NUBA in ihr Schicksal fügt, hat ihm Isabella Straub ein Schnippchen geschlagen, indem sie sich ein zweites berufliches Standbein geschaffen hat. Das Verfassen von Auftragstexten ist zwar eine gute Schule beim Schreiben, ihrem Einfallsreichtum setzt es jedoch allzu enge Grenzen.

Wie viel ihr einfällt, kann man unter anderem an ihrer Website10 ermessen: Darauf gibt es etwa vier Viten zur Auswahl, von der komprimierten über die erfundene und die verbürgte bis zur epischen. Verfremdung und Verdichtung scheinen es ihr besonders angetan zu haben. Seit 2009 publiziert Isabella Straub nun literarische Texte, unter anderem in „Wortlaut“11, in „Volltext“12, in „Fidibus“13 und anderen (siehe auf ihrer Website). Sie sei fasziniert von Nachahmungen, etwa der Fertigteilhaussiedlung „Blaue Lagune“, sagt Isabella Straub. Literarisch dagegen ist sie ein Original und originell. Wir warten gespannt auf ihren zweiten Roman, „Das Fest des Windrads“, der im Frühjahr 2015 bei Blumenbar angekündigt ist.
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1 Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. S. 9

2 Gespräch mit Isabella Straub am 8. Dezember 2014.

3 Siehe auch: Ilma Rakusa: Autobiografisches Schreiben als Bildungsroman. Sonderzahl Verlag, Wien 2014.

4 Isabella Straub: Südbalkon. Blumenbar Verlag, Berlin 2013.

5 Hugo von Hofmannsthal: Buch der Freunde. Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden, Band 10, Reden und Aufsätze III. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1986. S. 275

6 Südbalkon, S. 27

7 Anna Weidenholzer: Der Winter tut den Fischen gut. Residenz Verlag, St. Pölten 2012.

8 Südbalkon, S. 27

9 Ebd., S. 104

10 isabellastraub.at

11 Wortlaut. Der FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Die besten Texte. Hrsg. von Zita Bereuter, Martina Bauer. Luftschacht Verlag, Wien 2009 und 2011.

12 Herr Jesus springt. In: Volltext. Zeitschrift für Literatur, Wien Nov. 2011

13 Sparschiene. In: FIDIBUS. Zeitschrift für Literatur und Literaturwissenschaft. 2010/3

© Harald Klauhs, 2015 ________________________________________________

Harald Klauhs studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie und dissertierte über Franz Theodor Csokor; 1987-1989 Lektor im Böhlau Verlag für populärwissenschaftliche Sachbücher. Anschließend Feuilletonredakteur bei der Wochenzeitung ›Die Furche‹; seit 1996 Redakteur der Tageszeitung ›Die Presse‹.

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