Wilhelm Genazino: Wenn wir Tiere wären (Roman) |
Wilhelm Genazino: Wenn wir Tiere wären |
Inhaltsangabe:Der namenlose Erzähler, ein freier Architekt Anfang vierzig, wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Frankfurt am Main. Noch während seiner inzwischen geschiedenen Ehe mit Thea begann er ein Liebesverhältnis mit Maria, aber er mag nicht mit ihr zusammenziehen und fühlt sich jedes Mal erleichtert, wenn sie ihn nach einem langen Wochenende wieder allein lässt. Eigentlich wünschte ich mir seit längerer Zeit eine andere Frau, eine solche war jedoch nicht in Sicht. Eigentlicher noch war ich mit Maria zufrieden, ja, vermutlich liebte ich sie inzwischen. Ich suchte eine Frau, deren Anwesenheit ich ohne Fluchtgedanken ruhig ertrug. Diese Frau war Maria nicht. Maria arbeitet in einer Werbeagentur. Wenn sie abends zu ihm kommt, bringt sie oft zwei Flaschen Wein mit. Sie trinkt zu viel. Danach will sie mit ihm ins Bett. Er schätzt ihre Brüste, aber hin und wieder hat er keine Lust auf einen Orgasmus und simuliert eine Ejakulation, damit sie Ruhe gibt. Nach dem Sex wartet er häufig, bis sie eingeschlafen ist und geht dann noch zu einem "postkoitalen Ausflug" in eine Kneipe. Dort fühlt er sich wohl, denn für diese Nacht braucht er sich nicht mehr nach einer Frau umzuschauen. Ein auf diese Weise geordneter Mann tritt den anderen Frauen gegenüber gelassen auf, sie sehen sofort, dieser Mann wird wenigstens vorübergehend nicht von seinem Hauptanliegen gequält. Widerwillig geht er mit Maria ins Kaufhaus, um Austern zu essen. Aber als sie ihn mit zwei Tickets für zwei Wochen Gran Canaria überrascht, bringt er sie dazu, die Buchung zu stornieren. Thea hatte ihm Urlaubsreisen aufgezwungen, aber gegen Maria setzt er sich durch. Er ist erlebnisüberdrüssig und beneidet eine Ente, die mitten in der Stadt schläft.
Ja, ich wünschte mir, die Ente nachahmen zu können. Schlafend auf einem Bein in der Stadt herumstehen: dann fiele mir kein weiterer Wunsch mehr ein. Auf Drängen Marias geht er los, um sich einen Anzug zu kaufen. Aber er kommt nur mit einem Fertigsalat nach Hause. Ausgerechnet ich, der sich auf seine Individualität so viel zugute hielt, ging wie ein x-beliebiger Massenmensch mit einem Fertigsalat nach Hause. Eigentlich hatte ich mir einen neuen Anzug und vielleicht sogar ein Bett kaufen wollen, aber es hatte nur zu einem Fertigsalat in einem scheußlichen Plastikbehälter gereicht. Jetzt trug ich mein Fertigschicksal in meine Fertigwohnung, wo ich einen Fertigabend vor dem Fernsehapparat verbringen würde. Er schaut aus dem Fenster: Auf der Straße sah ich eine kleine Frau mit viel zu großem und schwerem Koffer, den sie in gequälter Haltung hinter sich her zog. Um ein Haar hätte ich das Fenster geöffnet und auf die Straße hinuntergerufen: Reisen Sie künftig mit kleinerem und leichterem Gepäck! Ich sah einen Mann mit Ohrstöpseln im Ohr, aber ohne Regenschirm. Jemand müsste ihm klarmachen, dass ihm, falls es regnete (es regnete nicht), ein Schirm mehr nützen würde als Musik in den Ohren. Das Peinigende an diesen Verrücktheiten war, dass sie ganz eng an mich herantraten und nur langsam verschwanden. Endlich zog ich die Schuhe an und verließ die Wohnung. Ich hoffte, auf der Straße einen wirklich vor sich hinsprechenden Menschen zu sehen, dem ich eine Weile folgen könnte. Dann hätte ich das wunderbare Gefühl, dass ein anderer meine Verrücktheit austrug – und ich wäre erlöst.
Seine Aufträge bekommt er von Michael Autz, einem fest angestellten Architekten des Büros Erlenbach & Wächter. Vor vier Wochen fanden sie zusammen einen Personalausweis. Michael machte sich einen Spaß daraus, unter dem fremden Namen Waren bei Versandhäusern zu bestellen und sie postlagernd schicken zu lassen. Die Anstellung war (wäre) ein Anschlag auf meine Unabhängigkeit. Aber sie war auch eine Attacke auf mein inneres Freiheitsgefühl, das war viel schlimmer. Er zaudert, fängt dann aber doch in dem Architekturbüro an. Damit schlüpft er immer mehr in Michaels Rolle. Ich hatte jetzt zwei Gebrauchtfrauen, einen Gebrauchtjob, einen Gebrauchtwagen und jetzt auch noch einen Gebrauchtschreibtisch.
Als er Michaels Schreibtisch aufräumt, findet er den fremden Personalausweis. Den steckt er ein. Zu Hause bestellt er auf den anderen Namen eine elektrische Zahnbürste, ein Heimbohrer-Set und eine automatische Schuhputzbürste aus Versandkatalogen, so wie es ihm Michael vorgemacht hatte. Ich war in gewisser Weise dankbar, dass mir ein vergessener Tampon geholfen hatte, eine Klärung herbeizuführen, für welche der beiden Frauen ich mich entscheiden sollte. Ich selbst hätte diese Entscheidung nicht treffen können. Ich liebte beide Frauen, und ich hätte sie auch beide gerne behalten.
Er zieht zu Karin. Es würde sehr lange dauern, bis Frau Meinecke verstehen würde, dass meine Annäherung höchstens die Qualität eines schnell abgebrannten Tischfeuerwerks hatte. Als er die drei Pakete am Postamt abholen will, wird er verhaftet. Der Staatsanwalt wundert sich darüber, wieso ein gut verdienender Architekt sich zu lächerlichen Betrügereien hinreißen ließ.
Ich hatte mir von dem Betrug eine innere Belebung erhofft, sagte ich.
In der Einzelzelle leidet er nicht unter der Isolation, sondern fühlt sich wohl. Eine Frau steht ihm hier zwar nicht zur Verfügung, aber er masturbiert und erinnert sich, wie er es als Siebzehnjähriger mit Luise und zwei Jahre später mit Elisabeth trieb. Maria besucht ihn und versöhnt sich mit ihm. Schließlich wird das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt und er kommt wieder frei. Dass Thea mit einem anderen Mann zusammenlebte, hatte ich inzwischen hingenommen, aber dass sie von diesem Mann auch schwanger war, überstieg meine Toleranz.
Er versteckt sich vor ihr – und kauft wieder kein Bett. Da, schau rein, mir fallen die Schamhaare aus. Nachdem er ihr versichert hat, dass der Ausfall einiger Schamhaare völlig normal sei, beruhigt sie sich, legt sich auf die Couch und nickt ein. Aber er weckt sie, damit sie rechtzeitig ins Büro zurückkommt. |
Buchbesprechung:
Der Roman "Wenn wir Tiere wären" ist eine Satire auf die Überforderung eines Durchschnittsmannes in der modernen Großstadt. Wilhelm Genazino porträtiert
Noch kürzer zusammengefasst: Das Leben ist beschissen, und dann bist du tot. Wilhelm Genazino überlässt das Wort in "Wenn wir Tiere wären" einem namenlosen Ich-Erzähler, der trotz seiner Interesselosigkeit und fehlenden Empathie genau beobachtet, was um ihn herum vorgeht und das auch in einfachen Sätzen detailliert schildert. Die Ich-Form wird bei Genazino zu einer furiosen Erprobung von Fluchtwegen, und es waltet dabei eine Art auktorialer Ironie. Die klassischen Instanzen der Erzählung, die Ich- und die Er-Perspektive, verschwimmen, die Ich-Figur kommentiert sich in der Pose des einstmals allwissenden Erzählers ständig selbst. (Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung, 26. Juli 2011)
Mit Ironie und Tragikomik unterhält Wilhelm Genazino die Leserinnen und Leser. Aber nicht alle Episoden fügen sich nahtlos ein. Manche wirken, als ob er ein Notizbuch mit Einfällen abgearbeitet hätte.
Nach fast einer Stunde, berichtete Karin, wurde sie unruhig und schaute nach ihm. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Wilhelm Genazino: Abschaffel |