(1) Der junge Hundertwasser
(2) Die Anfänge des Künstlers
(3) Die Einheit von Leben und Werk
(4) Hundertwasser und die Bibel
(5) Hundertwasser und die Baukunst
Die Einheit von Werk und Leben
1957, mit achtundzwanzig Jahren, konnte Hundertwasser sich bereits einen – allerdings halb verfallenen – Bauernhof am östlichen Rand der Normandie leisten: »La Picaudière«. Er liebte es, sich aufs Land zurückzuziehen und im Einklang mit der Natur zu leben. Sein Nachbar fand bald heraus, was er tun musste, wenn er Geld benötigte: Dann vergewisserte er sich, dass Hundertwasser da war, warf frühmorgens eine Motorsäge an und näherte sich damit beispielsweise dem Stamm einer Pappel. Er konnte sich darauf verlassen, dass Hundertwasser aus dem Haus gestürzt kam, ihm Einhalt gebot und die vermeintlich gefährdeten Bäume rettete, indem er sie seinem Nachbarn abkaufte.
Die 1958 in Gibraltar geschlossene erste Ehe Hundertwassers wurde nach zwei Jahren geschieden.
Im Wintersemester 1959/60, als sich der inzwischen Dreißigjährige als Gastdozent an der Hamburger Kunsthochschule Lerchenfeld betätigte, trat einmal ein Student an ihn heran und bat um Aufnahme in die Klasse. Hundertwasser erkundigte sich erst einmal nach der Motivation des jungen Mannes, und der gab freimütig zu, er habe von vakanten Studienplätzen gehört. Als Hundertwasser, der die Kunst als etwas Heiliges verehrte, dann auch noch erfuhr, dass der Bewerber später Kunsterzieher werden wollte, schauderte ihn und er sagte sarkastisch:
»An Ihrer Stelle würde ich eine Kerze nehmen und sterben gehen.«
1960 beteiligte sich Hundertwasser an einer Veranstaltung des französischen Künstlers Alain Jouffroy in der Galerie »Quatre Saisons« in Paris. Nach seiner kurzen Ansprache verteilte er am Seineufer gesammelte und in einem Waschkessel gekochte Brennnesseln unter den Gästen und aß selbst demonstrativ davon, obwohl ihm übel davon wurde, weil sie nach Waschpulver schmeckten. Mit dieser »Brennnesselaktion« wollte Hundertwasser die anwesenden Künstler aufrütteln, lieber auf Honorare zu verzichten, als sich in irgendeiner Weise zu verbiegen:
»Wisst ihr, wie einfach es ist, ohne Geld zu leben? Man muss nur Brennnesseln essen [...] Sie sind ganz umsonst.»
Ein paar Monate später reiste Hundertwasser nach Japan, wo er bei der 6. Internationalen Kunstausstellung in Tokio 1961 den Mainichi-Preis erhielt, mit einer Einzelausstellung in der Tokyo Gallery großen Erfolg hatte und sich im Jahr darauf mit der Japanerin Yuko Ikewada vermählte. (Diese Ehe hielt vier Jahre, immerhin doppelt so lang wie die erste.) Während seines Aufenthalts in Tokio übertrug er seinen Vornamen Friedrich in die japanischen Schriftzeichen für die Wörter »Frieden« und »reich«. Dementsprechend signierte er von da an mit Friedereich, Friedenreich und ab 1968 mit Friedensreich Hundertwasser. Dass nun beide Bestandteile seines Künstlernamens aus jeweils dreizehn Buchstaben bestanden, hielt er für glückbringend.
Hundertwasser predigte das Brennnessel-Essen nicht nur anderen, sondern lebte auch selbst sehr genügsam. Nach dem Bauernhaus in der Normandie kaufte er sich 1964 die aufgelassene »Hahnsäge« im dünn besiedelten niederösterreichischen Waldviertel und richtete sich dort eine weitere Behausung abseits aller Hektik ein.
Person, Leben und Werk bildeten bei Hundertwasser eine Einheit: sein Lebenswerk.
Schon im Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte er einem Wiener Kritiker aus Paris geschrieben:
»Ich kann [...] momentan zwischen Kunst, Religion, Leben, Wissenschaft, Natur, Politik, Literatur, Mystik und Musik keine Grenzlinie ziehen.«
Immer wieder rief Hundertwasser dazu auf, sich in der Kunst, in der Architektur und überhaupt im Leben auf die Natur zu besinnen. Der einzelkämpferische Querdenker mochte zwar keine Geselligkeiten und wirkte eher schüchtern und introvertiert, aber er wollte auffallen und setzte sich deshalb in Szene. Um auf sich und seine Thesen aufmerksam zu machen, ließ er sich exzentrische Aktionen einfallen, darunter zwei so genannte »Nacktreden«.
Im Dezember 1967 stellte er sich in der Galerie Hartmann in München splitternackt zwischen zwei ebenfalls unbekleidete Kunststudentinnen, geriet mit seiner Ansprache allerdings ein wenig ins Stocken, als die Gäste gleich zu Beginn unerwartet Beifall klatschten. Im folgenden Monat trat Hundertwasser im Internationalen Studentenheim in Wien-Döbling auf. Dieses Mal standen ihm keine nackten Mädchen zur Seite. Er warf erst einmal je ein Ei an Wand und Decke, bevor er sich rasch auszog und zu reden begann – während die Kulturstadträtin Gertrude Sandner entrüstet den Raum verließ. Anders als in München wurde die »Nacktrede« in Wien als Skandal empfunden, und die Polizei musste drei Anzeigen gegen Hundertwasser bearbeiten, die allerdings im Sand verliefen.
Ferry Radax hatte bereits 1966 einen Dokumentarfilm über den Künstler gedreht: »Hundertwasser. Leben in Spiralen«. 1970 bis 1972 arbeitete der Maler mit dem Regisseur Peter Schamoni an dem Film »Hundertwasser Regentag«. Der zweite Teil des Titels bezog sich auf den alten Salzfrachter »Giuseppe T«, den Hundertwasser 1968 in Palermo erworben und in die Werft von Pellestrina südlich von Venedig hatte bringen lassen. Dort wurde das in »Regentag« umgetaufte Schiff instand gesetzt, umgebaut, neu bemalt und mit bunten Segeln ausgestattet. Hundertwasser, der in Venedig im Palazzo »Casa de Maria« wohnte, erwarb ein Kapitänspatent und lebte oft monatelang auf der hochseetüchtigen »Regentag«, auf der er 1976 nach Neuseeland segelte, wo er inzwischen eine zweite Heimat gefunden hatte.
Er war nämlich im Mai 1973 zur Eröffnung einer Ausstellung in der »City of Auckland Art Gallery« gereist und von Australien weiter nach Neuseeland, wo er sich im Jahr darauf in der zur Nordinsel gehörenden Bay of Islands ein Stück Land mit einem aus den Pioniertagen stammenden Farmhaus gekauft hatte, denn er träumte – wie Paul Gauguin achtzig Jahre vor ihm – vom Paradies auf der anderen Seite der Erde.
In dieser abgelegenen Gegend stand Hundertwasser keine Bibliothek zur Verfügung, aber die vermisste er auch nicht. Die große Literatur interessierte ihn nämlich kaum; allenfalls las er mal einen Kriminalroman von Georges Simenon. Wenn er eine Zeitung in die Hand bekam, überblätterte er das Feuilleton ebenso wie den Sport- und den Wirtschaftsteil; nur an Schlagzeilen über politische und ökologische Themen blieben seine Augen hängen. Vor allem aber schaute er sich die Fotos an.
Die Gäste aus Europa, die ihn in seinem neuseeländischen Haus besuchten, bewirtete er mit Salat aus dem eigenen Garten, selbst gebackenem Brot und Pfannkuchen aus gemahlenen Weizenkörnern, die er in der zehn Kilometer entfernten Kleinstadt Kawakawa als Hühnerfutter besorgte. Alkohol und Drogen lehnte er ab.
Auf dem Dach des Hauses legte Hundertwasser eine Wiese an, und im Verlauf der Jahre pflanzte er auf seinem Areal in Neuseeland hunderttausend Bäume, und zwar keine Monokultur, sondern verschiedene Hölzer, damit Schädlinge sich nicht so leicht ausbreiten konnten.
Umweltbewusst handelte Hundertwasser nicht nur in diesem Fall.
Mitte der Siebzigerjahre propagierte er in München die »Humustoilette«. Das war einfach ein großer Kübel mit Luftlöchern im Boden, der in einer Wanne stand. Damit die Fäkalien während der Kompostierung nicht stanken, musste man sie nach dem Vorbild der Katzen bedecken, und zwar mit Humus aus einem zweiten Eimer. Der schon erwähnte Kunsthistoriker Wieland Schmied half Hundertwasser einmal nach einer Fernsehaufnahme beim SFB, so eine Humustoilette über den Kurfürstendamm zum Hotel zu tragen.
Karl Ruhrberg, der damals Direktor des Museums Ludwig in Köln war, schrieb 1980 über Hundertwasser:
»Er trat bereits für den Umweltschutz ein, als es diesen Terminus noch nicht gab. Er war der erste >Grüne< und der erste >Bunte< zugleich, aber als Individualist und ohne Parteiabzeichen.«
Hundertwasser schloss sich zwar nie einer Partei oder Bewegung an, aber er unterstützte einzelne Aktionen und kampierte beispielsweise im Dezember 1984 eine Woche lang mit Umweltschützern im Auwald bei Hainburg an der Donau, um die geplante Überflutung des Gebiets westlich von Bratislava im Rahmen eines Kraftwerkprojekts zu verhindern. (Die österreichische Regierung gab schließlich den Demonstranten nach und erklärte das Areal zum Nationalpark.)
Außerdem setzte sich Hundertwasser für Personen ein, deren Anliegen er teilte, etwa für einen Mieter in Wien, der auf seinem Balkon im siebten Stock einen Wilden Wein vom Blumentopf aus an der Hauswand hochranken ließ. Das missfiel zwar den Nachbarn, aber der Besitzer der Pflanze wollte sie nicht abschneiden. Hundertwasser schrieb Briefe und machte Journalisten auf den Fall aufmerksam; sein Engagement zur Rettung des Wilden Weins blieb jedoch vergeblich: Am 17. Juni 1980 um 6 Uhr morgens trafen sich ein Vertreter der Genossenschaft, der die Immobilie gehörte, ein Rechtsanwalt, ein Gerichtsvollzieher und ein Bauunternehmer vor dem Haus und beaufsichtigten vier Arbeiter, die den beanstandeten Wildwuchs von der Hauswand entfernten.
Hundertwassers bereits erwähnte Lehrtätigkeit an der Hamburger Kunsthochschule Lerchenfeld war Anfang 1960 mit einem Eklat zu Ende gegangen, weil er und sein Kollege Bazon Brock an Wänden, Türen und Fenstern des Gebäudes die ununterbrochene »Linie von Hamburg« gezogen hatten, bis es ihnen nach eineinhalb Tagen unermüdlicher Arbeit die Weiterführung verboten worden war. Hundertwasser hatte in einem offenen Brief an den Kultursenator dagegen protestiert und seine Dozentur niedergelegt. 1981 wurde er als Leiter einer Meisterschule an die Akademie der Bildenden Künste in Wien berufen, aber auch diese Tätigkeit erfüllte Hundertwasser nicht gerade zur Zufriedenheit der Direktion, denn er ließ sich zumeist von seinem Assistenten Peter Dressler vertreten und statt selbst zu erscheinen, schickte er ihnen einmal zwei von ihm besprochene Tonbänder aus Neuseeland.
Fortsetzung
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